Читать книгу Simon gibt sich nicht geschlagen - Ingeborg Arvola - Страница 8
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ОглавлениеIch sitze neben dem Psychodoktor im Auto. Ich höre, dass er mit mir redet, habe aber keine Lust, zu antworten. Welcher einigermaßen vernünftige Mensch wohnt mit einem Doktor zusammen? Heute früh hat er mir einfach eine halbe Aspirintablette gegeben. Er hat mir die Hand auf die Stirn gelegt, meinen Bauch prüfend betrachtet und meine Zunge betastet. »Nichts da von wegen krank«, hat er gesagt. Und dass ich mich so fühle, nannte er »psychosomatisch«. Das heiße so, wenn der Körper krank spielt, weil es der Seele nicht gut geht.
»Du hast sicher Probleme in der Schule«, sagt er und sieht mich von der Seite an.
Ich grunze als Antwort und tue immer noch so, als hätte ich Mumps. Ich kann ihm auch gar nicht widersprechen, denn eigentlich hat er Recht. Mir geht’s nicht gut in der Schule. Deshalb will ich nicht hin. Aber statt mir zu helfen, faselt er nur etwas von psychosomatischem Leiden und fährt mich in die Schule. Der soll nur aufpassen, dass ich ihm nicht abhaue. Gerade als ich aus dem Auto steige und die Möglichkeit hätte, mich aus dem Staub zu machen, geht der Lehrer vorbei. Mein Psychodoktor kurbelt das Fenster herunter und bemerkt mit einem viel sagenden Lächeln zu meinem Lehrer: »Simon ist heute nicht krank.«
Damit sitze ich in der Falle und er fährt winkend davon. Ich könnte ihm den Hals umdrehen. Thomas hängt beim Schultor herum und wirft kleine Steine auf die von der ersten Klasse. Er hat die Szene beobachtet. Besonders dass mich ein Mann in die Schule fährt, interessiert ihn.
»Wer war das denn?«, fragt er.
»Mein Stiefvater«, antworte ich.
»Sieht ziemlich bescheuert aus.«
Ich werfe Thomas einen prüfenden Blick zu. Stelle mich neben ihn.
»Stimmt«, sage ich.
»Was macht er?«
Thomas spuckt über den Zaun. Zu meiner großen Freude spucke ich weiter als er. Ich wische mir den Schleimfaden vom Kinn.
»Er ist ein gemeingefährlicher Psychiater.«
»Niemals.«
»Doch, er ist total gaga. Und bärenstark«, füge ich hinzu, drehe mich um und gehe rein.
Das mit dem gemeingefährlichen Psychiater hätte ich natürlich nicht sagen sollen. Sie lassen mich den ganzen Tag nicht mehr in Ruhe. Ich werde nie mehr damit angeben, dass mein Stiefvater gemeingefährlich ist. Dabei stimmt es. Thomas hat ihn einen Hirnmetzger genannt.
Kaum bin ich wieder zu Hause, warte ich ungeduldig darauf, dass mein Stiefvater heimkommt. Manchmal wird es spät. Warum wohnt er denn überhaupt hier, wenn er sowieso nie da ist? Endlich bremst sein Auto in der Einfahrt. Blitzschnell schlüpfe ich in die Schuhe, reiße die Tür auf und renne ihm entgegen.
»Jetzt weiß ich, was du treibst!«, rufe ich außer Atem.
»Aha«, sagt er. »Und was habe ich heute gemacht?«
»Du schneidest den Leuten das Gehirn raus. Dann werden sie dumm und beschränkt. Thomas aus meiner Klasse hat das gesagt.«
»Du meinst die Lobotomie, eine Gehirnoperation«, sagt er und steigt aus dem Auto.
»Ja, genau, Lobotomie, das machst du mit deinen Patienten«, sage ich, laufe ihm zwischen die Füße und reiße aus Versehen seinen Mantel vom Haken. Er lächelt merkwürdig und sieht mich prüfend an, während ich seinen Mantel wieder aufhänge und dabei mit meinen schmutzigen Turnschuhen darauf trete.
»Nicht mit allen Patienten, Simon«, sagt er. »Nur bei denen, die ich Nicht leiden kann.«
»Kannst du bei Thomas die Lobotomie machen?«, frage ich.
»Da müssen wir ihn zuerst zwangseinweisen lassen«, sagt er. »Hol mal das Formular, es liegt in der untersten Schreibtischschublade.«
Dann erklärt er mir, dass wir die Einwilligung seiner Eltern brauchen, bevor wir weitermachen können. Ich rufe sofort die Mama von Thomas an. Sie ist total dagegen, Thomas einzuweisen, beendet sehr ungehalten das Gespräch. Ich schüttle verwundert den Kopf und mein Stiefvater, der zugehört hat, zuckt mit den Schultern.
»Tja, das war ein Schuss in den Ofen, Simon. Du musst natürlich bedenken, dass sie ja den Thomas zu dem erzogen hat, was er ist.«
Aber ich werde nicht aufgeben. Morgen schreibe ich eine lange Liste mit allen Gründen, warum wir Thomas zwangseinweisen sollten, und dann rufe ich sie noch mal an. Ohne Thomas würde die Welt viel schöner sein. Und Jan wäre sicher überglücklich über die Neuigkeit, wenn er nach Hause käme. Wir hätten den Schulhof für uns, fast jedenfalls.