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Das Henkerhaus

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In Passau an der Donauseite der alten Stadt steht das Henkerhaus. Ein kleines Plexiglasschild macht darauf aufmerksam. Es ist genau so sorgfältig restauriert, in hellen Farben, wie die Häuser nebenan und schaut wie sie mit seiner schmalen Giebelseite zur Donau hin. Aber es lehnt sich nirgendwo an. Da ist ein Abstand eingehalten.

Wie mögen die Leute mit den Bewohnern dieses Hauses umgegangen sein? Mit dem Henker und seiner Familie? Wie war das für die Nachbarn, neben dem Henker zu wohnen? Durfte er im Gasthaus mit den andern am selben Tische sitzen? Und die Kinder? Konnten sie mit den andern Kindern zusammen spielen? Betteln brauchten sie sicher nicht. Das Haus ist zwar nicht stattlich, aber auch nicht ärmlich. Es muss wohl als Dienstwohnung zur Verfügung gestanden haben. Der Henker bekleidete ein öffentliches Amt. Und trotzdem: Wie mag das für die Kinder gewesen sein: Kinder des Henkers zu sein? Was von der Arbeit ihres Vaters haben sie miterlebt? Was hat er erzählt?

Unversehens bin ich bei meiner Mutter. Ihr Vater war Strafanstaltsdirektor. Die Familie wohnte mit auf dem Anstaltsgelände. Als sie zur Schule ging, wurden in der Strafanstalt noch Todesurteile vollstreckt. Der Vater kam dann immer schon im schwarzen Anzug an den Frühstückstisch, denn er musste bei der Hinrichtung zugegen sein, zusammen mit den bestellten Zeugen. Sehr schweigsam scheint es bei Tisch nicht zugegangen zu sein. Der Vater erzählte gerne. Er liebte das Gruselige, und er scheint bei den neugierigen Fragen der Kinder gern mitgespielt zu haben. Jedenfalls steckte meine Mutter voller Geschichten: von den Umständen, die bei der Herrichtung der Henkersmahlzeit gemacht wurden; von den ausgefallenen Wünschen, die die Gefangenen sich einfallen ließen; von ihren letzten Worten und Gesten dem Vater gegenüber und von seinem Respekt für viele von ihnen und von seinem Mitgefühl. Aber es gab auch schreckliche Szenen.

So war das im Hause, um den Frühstückstisch herum und dann beim Mittagessen nach der Schule. Davon hat meine Mutter viel erzählt. Auch von dem Leben der Kinder auf dem weitläufigen Anstaltsgelände, vom Spielen unter den gewaltigen Dächern der alten Klostergebäude und den Freundschaften untereinander, mit den Kindern der anderen Beamten. Aber wie das draußen war, wie sie von den andern Kindern angesehen wurden, wie man mit ihnen umging – das wurde nie zum Thema. Natürlich waren sie interessant, denke ich. Sie kamen aus einer anderen Welt. Aber sie waren auch Henkerskinder, gewissermaßen.

Melanchthon und Luther als Väter

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