Читать книгу Hochschulbaby - Ingo Stephan - Страница 3
ОглавлениеEin ideeller Zeugungsakt – wenn der Geist das Fleisch besiegt.
Äußerst wunschvoll dagegen hat es gegen Mitternacht in der Bar des Hotels „Erfurter Hof“ begonnen. Unser Anton sitzt der anziehenden Hochschulpädagogin mittleren Alters gegenüber und hofft darauf, sie bald ausziehen zu dürfen. Beiden ist auch die Lampe im Weg, die tief über dem kleinen Tisch hängt. Da passt nicht viel darunter. Gerade mal zwei Weingläser und eine Flasche, in der der Wein für die Gläser drin ist. Dann vielleicht noch die wenigen Worte der Reue, oder die vielen Worte der Wiedergutmachung, oder die leichten Worte des Lauerns auf eine Gelegenheit wie bei Anton hier. Beide Gesichter sind matt beleuchtet und Schütze blickt in ein sattes Frauenporträt. Dunkle Locken verschleiern die Stirn. Darunter funkeln zwei riesige dunkelbraune Augen. Die Haut der Wangen wirkt spröde-glatt wie die Oberfläche eines angetrockneten Stückes Seife. Und dazu schnalzen zwei geschwungene rote Lippen nach jedem Schluck Wein, als gäbe es nichts Lustvolleres für sie als zu schlecken und zu schlürfen. Unser Anton gibt sich alle Mühe, damit das so bleibt. Zwischen perlenden Worten der Verführung belegt er die Innenfläche ihrer linken Hand mit zarten Küssen. Und als er mit der Zungenspitze dort sanfte Kreise zieht, kann sie nicht anders. Sie stöhnt leise auf. Das mittelgroße Frauengesicht öffnet sich. Die Brauen heben sich. An den braunen Augen weiten sich die zarten, aber festen Falten, als freuten sie sich darüber, dass sie existieren. Dazu heben sich die Lippen, öffnet sich der Mund, leuchten schmale weiße Zähne. Und sie denkt an ihren Mann, bei dem sie auf nichts mehr zu warten braucht. Hier aber wartet eine reizvolle Nacht. Sie bestellt eine Flasche Sekt aufs Zimmer und nimmt Antons Hand.
Oben findet das verliebte Paar tatsächlich bereits beim Eintreten eine Flasche Rotkäppchen im Kühler auf dem Tisch und zwei Gläser dazu. Ihre trockenen Kehlen zwingen die beiden Menschen als erstes, sich auf den Rand des Bettes zu setzen, noch vor dem geplanten Liebesspiel die Sektflasche zu öffnen und die perlende Flüssigkeit zu trinken.
- Ah, das tut gut, sagt sie und küsst Schützes breite Lippen.
- Mir auch, antwortet er. Ich fühle mich, als hätte ich eine Last verloren, ehrlich. Seit Tagen ist mein Kopf nicht mehr so leicht gewesen.
- Dann tun wir alles, das es so bleibt, sagt sie und zieht sich aus.
Auch Schütze krabbelt flink aus seinen Sachen und fällt aufs Bett zurück. Und haste nicht gesehen, sitzt sie auf ihm drauf. Mit einer Geschwindigkeit und Leichtigkeit, die unser Anton bei diesem Weib nicht vermutet hätte. Oben legt sie seinen Kopf zwischen ihre schweren Brüste. Unten …
- Mein lieber kleiner Parteisekretär, stöhnt sie tiefbrüstig. Das ist ja mehr als ich erhofft habe.
- Das sagen sie alle, erwidert Anton, wobei ihm die Stimme bei jedem Rückstoß des Frauenkörpers stockt. Ich bin da wie eine umgekehrte Matroschka.
- Umgekehrt, jubelt die Frau. Wie reizend, aaaah!
Und Anton braucht nicht viel zu tun. Die Hochschulpädagogin macht einfach alles. Sie hebt und schiebt und hebt und schiebt und dreht ihr Becken in alle Richtungen. Da wird dem Anton richtig schwindlig unter den wogenden Brüsten. Die spannen sich wie vollbusige Segel vor seinen Augen und den Wind dazu macht der brausende Leib ... doch, halt! Was sieht er da! Was kommt da aus dem Busenansatz hervorgekrochen? Anton glaubt, er spinnt. Aber sieh doch hin, alter Junge. Eine Puppe kommt da, ein kleine süße Spielzeugpuppe. Wie kommt die da hin? Na klar, die ist da nicht, Anton, die ist in deinem Kopf. In meinem Kopf? Aber sicher, schließ die Augen und – siehst du sie? Anton schließt die Augen. Tatsächlich. Er sieht die Puppe, die kleine süße Spielzeugpuppe, und muss grinsen. Da ist sie endlich, die Idee, auf die er seit Jahren gewartet hat.
Aber da ist noch jemand anderes.
- Was los? meldet sich eine Frauenstimme.
Was? Wie? Anton ist verwirrt.
- Hallo, sagt die Frau. Was ist los mit dir? Ich denke du kommst bald, dabei gehst du gerade.
- Ach du, sagt er und weiß sofort, dass er ein Problem hat.
- Ja, sieh an, ich bin auch noch da. Aber du irgendwie nicht mehr.
- Na ja, zögert Anton. Wie soll ichs sagen, ich meine, ich hab da so eine Idee.
- Eine Idee hast du, stellt sie ernüchtert fest. Ich brauche jetzt keine Idee, mein Lieber, sondern einen Orgasmus.
- Das glaube ich dir, stammelt Anton. Aber wenn ich, ich meine, eine Idee habe, so eine kleine, ich meine, dann ... dann kann ich nich.
- Das muss ja eine tolle Idee sein, wenn du dabei das Ficken vergisst. Oder ist sie gefährlich?
- Nein, sucht Anton Schutz. Aber du darfst nich sauer sein.
Nun ist die Frau erst recht verärgert. Sie hebt sich von Anton runter, setzt sich auf den Bettrand und zündet sich eine Zigarette an.
- Ich wusste eigentlich, sagt sie ernüchtert, dass Parteisekretäre im Bett nur Nieten sind, doch nach dem Anfang heute dachte ich – Klasse, endlich mal ein Mann! Aber jetzt? Was liegt hier vor mir? Das Übliche.
- Also gut, schnauft Anton, weil er das nicht auf sich sitzen lassen will. Ich habe eine Puppenidee.
Sie ringt nach Luft. Und als sie die im Halse spürt, da findet sie auch ein Wort, und eines noch dazu:
- Eine Puppenidee?
- Ja, ich habe die Idee von einer Puppe.
- Einer Puppe, sammelt sie sich und schwankt nun zwischen Weinen und Lachen.
- Ja, freut sich Anton.
- Einfach die Idee einer Puppe, wiederholt sie sich und schüttelt ihre schwarze Mähne.
- Ja, freut sich Anton immer noch.
Sie zieht kräftig am Glimmstängel. Und mit dem Rauch lässt sie folgenden Gedanken frei:
- Du denkst also an eine Puppe, wenn ich mich auf einen Orgasmus freue?
- Du bist ne tolle Frau, freut sich Anton immer noch.
- Aber keine Puppe. Das muss sich eine mal vorstellen. Da fummelt so ein Kerl an einem rum und denkt dabei an ein Spielzeug.
- Das meine ich doch nich, ich konnte nur nichts dagegen tun! Du warst so gut in Arbeit auf mir drauf, da ist mir plötzlich diese Idee gekommen. Und, glaub mir, ich habe lange darauf gewartet, also, auf eine Frau, wie du eine bist. Hast du eigentlich Kinder?
- Mein lieber kleiner Parteisekretär, entrüstet sie sich. Ich habe meine Studenten. Und meine Kunst. Da brauche ich kein Baby.
Sie steht auf und sammelt ihre Sachen vom Fußboden.
- Mir reicht es. Ich habe keine Lust hier zu warten, bis du genug an deiner Idee rumgedacht und sie vielleicht noch aufgemalt hast. Ich brauche jetzt einen Mann. Willst du das übernehmen oder nicht?
Sie blickt zu Anton und hält sich ihre Klamotten vor die Brust. Der arme Kerl aber hockt richtig dick und schlaff auf dem Bett, sodass sie sich jetzt fragen muss, was sie an diesem Birnenkörper so anziehend gefunden hat. Wahrscheinlich hat sie der Alkohol wieder an der Nase herumgeführt. Und Anton selbst kann nicht verstehen, was denn falsch sei an seiner Idee.
- Keine Antwort ist auch ne Antwort. Du kannst verschwinden. Wenn ich vom Duschen wiederkomme, will ich dich nicht mehr sehen.
Sie geht ins Bad. Was bleibt dem Anton übrig? Er ist völlig durcheinander. Endlich ist ihm die großartigste Idee des letzten Jahrzehnts gekommen und jetzt kann er sie nicht zeichnen. Und warum nicht? Weil ihm wieder eine Frau – denkt er ... aber das kennen wir schon. Also, Sachen angezogen und Beine in die Hand genommen und ab nach Hause an den Schreibtisch.
Als die Frau wenig später unbefriedigt aus der Dusche ins Zimmer kommt, sieht sie den Anton tatsächlich nicht mehr. Enttäuscht fällt sie aufs Bett.
Zumindest ist in der Flasche noch Sekt drin.