Читать книгу Veanis - Ingrid Mayer A. - Страница 5
Ein ungewöhnlicher Reisebegleiter
ОглавлениеAls Lina ins Freie trat, musste sie zuerst blinzeln, denn das Licht grellte schmerzhaft in ihren Augen, die noch die Düsternis der Höhlen gewohnt waren. Lina wurde so sehr geblendet, dass sie zunächst überhaupt nichts erkennen konnte. Doch die Sonne wärmte angenehm ihre Haut, und es roch endlich wieder nach frischer Luft.
Als sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, konnte Lina mehr sehen: Vor ihr lag ein steiler Abhang, auf dem unzählige Steine in verschiedensten Größen verstreut lagen. Sie legte die Hand über ihre Augen, um in die Ferne zu blicken. Eine Art Geröllwüste erstreckte sich am Fuße des Berges. Weit hinten am Horizont konnte sie einen schmalen grünen Streifen erkennen. Ein Wald, hätte Lina vermutet, wären da nicht die merkwürdigen bunten Flecken gewesen, die sich in das Grün mischten, obwohl es erst August war.
Als Lina genug von der Aussicht hatte, trat sie einen Schritt vor. Im nächsten Moment wurde ihr klar, dass sie einen Fehler begangen hatte. Die kleinen Steine unter ihren Füßen rutschten mit einem Ruck nach unten weg. Lina taumelte. Vergeblich versuchte sie sich an der Felswand abzustützen, doch es war zu spät. Sie stürzte. Die Taschenlampe fiel ihr aus der Hand. Es gelang ihr nicht, sich wieder aufzurappeln, denn der steinige Untergrund gab unter ihr nach und ließ sie so immer wieder straucheln. Als befände sich unterhalb des Berges ein riesiger Staubsauger, der alles zu sich hinab sog, löste sich eine Lawine aus Geröll und riss Lina mit sich. Sie spürte die scharfen Kanten der Steine und den brennenden Schmerz von Schürfwunden an ihren Händen. Felsbrocken holperten um sie herum, sodass Lina fürchtete, die größeren davon könnten sie plattwalzen.
Sie glitt bis zum Ende des Abhangs und blieb dort liegen. Es verging eine Weile, bis sie in der Lage war aufzustehen. Ihre Glieder schmerzten und die Hände bluteten, doch sie hatte sich anscheinend keine schwereren Verletzungen zugezogen. Vermutlich würden ihre Beine bald mit blauen Flecken übersäht sein.
Lina blickte sich um. Eine felsige Gegend ohne Bäume, Wiesen oder auch nur irgendetwas Grünes. Über allem lag eine Ruhe, die nicht vermuten ließ, dass nur eine Minute zuvor der halbe Berg zu Tal gestürzt war.
Über ihr am Abhang polterte es. War die Gefahr immer noch nicht vorbei? Sie drehte sich um und sah, wie einige größere Steine direkt auf sie zurollten. Lina rannte los. Doch die Steine waren schnell gleichauf und holperten eine Weile neben ihr her, bis sie schließlich das Mädchen überholten. Als Lina um Atem ringend stehen blieb, stoppten auch die Felsbrocken. Einige kugelten langsam etwas zurück, bis sich ein Kreis aus Steinen dicht um Lina formiert hatte. Die meisten davon reichten ihr bis zur Hüfte, andere waren etwas kleiner. Derart umzingelt blickte sich Lina Hilfe suchend um. Gerade wollte sie versuchen, über die Steine hinwegzuklettern, als jemand rief: „Willkommen in Veanis!“
Lina zuckte zusammen. Wer hatte da gesprochen? Außer ihr war doch niemand hier. Hatte etwa einer der Steine - aber nein, das erschien ihr zu abwegig.
„Du wirst dich schnell hier zurecht finden, auch wenn wir dir wohl einen gehörigen Schrecken eingejagt haben“, erklang eine weitere Stimme. Lina glaubte, an einem Stein für einen kurzen Moment eine Öffnung erkannt zu haben, die fast wie ein Mund ausgesehen hatte. Es folgte Gelächter. Die Steine lachten sie aus!
„Wer ist da? Wer seid ihr?“, fragte Lina und blickte suchend umher.
„Wir sind nur Steine, die seit Ewigkeiten hier herumliegen“, schallte ihr die Antwort vom Boden aus entgegen. Lina suchte nach dem Sprecher. Ein grauer Stein mit glattgeschliffener Oberfläche lag vor ihren Beinen.
„Brauchst keine Angst zu haben, Kleines. Mein Name ist übrigens Meerfried. Man nennt mich so, weil ich die meiste Zeit meines Lebens auf dem Grund des Meeres zugebracht habe. Irgendwann bin ich an Land gespült worden, und ein Mensch hat mich hierher mitgenommen.“
„Ja, und er kann klasse Geschichten erzählen - von Fischen und Muscheln und Seeigeln!“, mischte sich ein weiterer, tiefschwarzer Stein begeistert ein. „Wir Steine lieben solche Geschichten. Ach so, wie unhöflich, ich sollte mich wohl auch vorstellen. Ich bin Magman und stamme aus einem Vulkan. Dort war es so heiß, dass ich früher flüssig war. Erst als der Vulkan ausbrach, bin ich zu Stein erstarrt.“
Lina staunte. Nie hätte sie gedacht, dass Steine so viel erlebten. Und sie konnten tatsächlich sprechen. Wo war sie hier nur gelandet? Sie fühlte sich verpflichtet, ebenfalls ihren Namen zu nennen.
„Ich, äh, bin Lina“, brachte sie stammelnd hervor.
Nun ergriff ein weiterer Stein das Wort, den sie zuerst gar nicht erkennen konnte.
„Aber ich habe am meisten von diesem Land gesehen. Alle sagen Lüftchen zu mir, weil ich schon so weit herumgekommen bin wie der Wind. Beinahe ganz Veanis habe ich bereist, meist in Menschentaschen oder einmal auch in der verfilzten Mähne eines Pferdes. Ach, ich bin einfach süchtig nach Reisen. Gerade eben hat mich wieder das Fernweh gepackt. Sag’, willst du mich als Reiseführer mitnehmen? Ich habe darin große Erfahrung.“
Verdutzt sah sich Lina um, bis sie den gefleckten Stein sah, der so klein war, dass er ohne Schwierigkeiten in ihre Handfläche passte, als sie ihn aufhob, um ihn sich genauer anzusehen. Ein flacher, ovaler Kiesel, dessen glatte Oberfläche rote Sprenkel zierten.
„Ja, nimm' ihn mit!“, forderten die anderen sie begeistert auf. „Lüftchen wird dir eine erstklassige Führung bieten! Und dann hat er wieder jede Menge zu erzählen!“
„Aber ich muss wieder nach Hause“, wandte Lina ein.
„Das ist aber schade. Kannst du nicht wenigstens ein paar Tage hier bleiben? Ich würde dir am liebsten so Vieles zeigen. Du musst dir alles ansehen, es wird dir gefallen! Bitte, bleib hier!“, bettelte der kleine Stein. Er fühlte sich geschmeidig und warm in Linas Hand an.
„Nein, das geht auf keinen Fall. Aber vielleicht kannst du mir sagen, wie ich wieder zurück komme. Meine Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen.“
„Hm.“ Der kleine Stein schien nachzudenken. „Den Weg, den du gekommen bist, kannst du jedenfalls nicht mehr zurück gehen. Du wirst die Wände selbst gesehen haben, die sich hinter dir schlossen.“
„Aber warum nicht?“, fragte Lina verzweifelt. „Wie soll sonst jemand anderer hierher finden, wenn sich die Wände nicht mehr öffnen?“
Lüftchen seufzte.
„Es ist so“, setzte er zu einer Erklärung an. „Niemand darf ungeprüft unsere Welt betreten. Nicht, dass wir keine Besucher wollten, ganz im Gegenteil – wir freuen uns über jeden, der die Vielfalt von Veanis kennenlernen will. Aber nicht alle sind dafür geeignet. Unsere Gäste müssen genügend Fantasie besitzen, um sich das Unmögliche vorstellen zu können. Sonst werden sie all die Besonderheiten, die diese Gegend hier auszeichnet, nicht ertragen können. Sie kämen ihnen ansonsten so sonderbar und unvorstellbar vor, dass sie selbst verrückt würden. Das wollen wir natürlich nicht, und so wird jeder Besucher vorher getestet, ob er auch über ausreichend Fantasie verfügt. Diese Aufgabe übernehmen die denkenden Wände.“
„Denkende Wände? Aber Wände können doch nicht denken!“, warf Lina ein.
„Denkst du! In deiner Welt ist das vielleicht so, aber hier ist alles anders. Die Wände öffnen sich nur für jemand, den sie für geeignet halten. Jemand anderen lassen sie nicht hinein. Und dich haben sie anscheinend für fantasiebegabt genug gehalten.“
Bedächtig nickte Lina. Das leuchtete ihr ein. Sie musste an die vielen Geschichten denken, die daheim in ihrer Schublade lagen. Was da alles für Gestalten vorkamen und für merkwürdige Begebenheiten! Ohne Fantasie wäre es wohl nicht möglich gewesen, so etwas niederzuschreiben.
Ihre Gedanken wanderten zu ihrem Bruder. Wenn die denkenden Wände sich wirklich nur für Leute mit Fantasie öffneten, würde es Fabian schwer haben, seiner Schwester zu folgen. Doch auf welchem Weg sollte sie nun zurückkommen? Würden die Wände sie nicht wieder zurücklassen? Diese Frage stellte sie Lüftchen. Der plapperte munter darauf los: „Nein, wenn sie einmal geschlossen sind, bleiben sie das auch. Der Weg nach Veanis verläuft so jedes Mal etwas anders. Aber du könntest mit dem Schildvogel zurückfliegen, das wäre die einfachste Möglichkeit.“
Lina nickte betreten, auch wenn ihr nicht ganz klar war, was es mit diesem Schildvogel auf sich hatte. Immerhin schien die Lage nicht vollkommen hoffnungslos zu sein.
„Dann versuche ich halt, mit diesem komischen Vogel zurückzukommen. Wird er mich mitnehmen?“
„Ehrlich gesagt fliegt er an dieser Stelle so hoch, dass er dich wahrscheinlich von oben kaum erkennen kann. Falls er überhaupt heute hier vorbeikommt.“
„Was soll ich jetzt tun?“, fragte Lina verzweifelt.
„Ich mache dir einen Vorschlag: Du nimmst mich mit und ich weise dir den Weg. Dabei kann ich dir einen kleinen Teil von Veanis vorstellen. Es wird dir gefallen. Am Ende unseres Ausflugs werden wir uns zum Startpunkt des Schildvogels begeben. Und mach’ dir keine Sorgen wegen deiner Eltern. Die werden gar nichts von deinem Ausflug mitbekommen, denn während du all dies hier erlebst, vergehen in deiner Welt nur Sekunden, das verspreche ich dir!“
Skeptisch musterte Lina den Stein in ihrer Hand, doch es blieb ihr vermutlich keine andere Wahl.
„Also schön“, willigte sie widerstrebend ein.
„Ein guter Entschluss!“, freute sich Lüftchen. „Siehst du den spitzen Felsen, der dort hinten aufragt?“
Lina nickte.
„In diese Richtung gehen wir erst einmal.“
Seufzend setzte sich Lina in Bewegung.
„Bis bald, meine Freunde!“, rief Lüftchen den anderen Steinen zu. „Bis bald, Lüftchen! Und bring uns eine schöne Geschichte mit“, antworteten diese. Wäre es ihnen möglich gewesen, hätten sie ihm jetzt wohl gerne nachgewinkt.
„Wir machen einen kleinen Rundgang“, informierte ihr Reiseführer sie geschäftig. „Du befindest dich momentan am Fuße der Steinberge. Wir marschieren jetzt zum Gelächterwald, und danach besichtigen wir noch unsere schöne Hauptstadt.“
„Aha“, entgegnete Lina nur, die sich überhaupt nicht vorstellen konnte, was sie nun erwartete. „Ich will eigentlich nur heim“, jammerte sie.
„Ach was, du wirst begeistert sein!“
Unsicher stieg Lina über größere und kleinere Steine, die ihren Weg säumten und wünschte sich dabei nichts mehr, als so bald wie möglich nach Hause zurückkehren zu dürfen.
Lüftchen wies ihr den Weg, der zunächst über das steinige Feld führte. Doch bald änderte sich die Landschaft, und es mischten sich kleine Sträucher unter das staubige Geröll. Sie kamen an dem spitzen Felsen vorbei, hinter dem ein kleiner Abhang lag. Zu dessen Füßen breitete sich ein Feld aus, auf dem Pflanzen wuchsen, von denen einige so weit in den Himmel hinauf ragten, dass sie nicht sehen konnte, wie hoch ihre dünnen Stängel wirklich waren.
„Sonnenblumen“, erklärte Lüftchen.
„Sonnenblumen? Die sehen bei uns aber anders aus. Viel kleiner. Diese hier sind so hoch, dass ich die Blüten gar nicht erkennen kann.“
Lüftchen seufzte.
„Weißt du, diese Blumen darfst du nicht mit den eueren vergleichen, denn sie sind furchtbar stur. Man hat ihnen bestimmt schon hunderte Male gesagt, dass die Sonne sich so weit weg befindet, dass niemand zu ihr reisen kann. Aber die Sonnenblumen sind besessen davon, dorthin zu gelangen. Sie finden die Wärme und Helligkeit so schön, dass sie versuchen, so hoch wie möglich zu wachsen, um eines Tages doch noch ihre geliebte Sonne zu erreichen.“
„Aber das macht keinen Sinn!“, wandte Lina ein. „So hoch kann eine Pflanze gar nicht wachsen.“
„Vergiss' nicht!“, erinnerte Lüftchen. „Du befindest dich in Veanis. Hier gelten andere Regeln als anderswo. Manches wird dir merkwürdig erscheinen. Umgekehrt wäre es übrigens ähnlich. Brächte man einen von den Bewohnern Veanis' in deine Heimat, so wären ihm eure Verhaltensweisen genauso unverständlich.“
Nachdem Lina noch eine Weile gegangen war, legten sie eine kleine Pause ein. Lina setzte sich und lehnte sich an den Stein. Während sie ihren Blick über die weite Ebene schweifen ließ, erklärte ihr Lüftchen etwas über die Bewohner, die in Veanis lebten.
„Es gibt hier viele unterschiedliche Geschöpfe, nicht nur Menschen, sondern auch andere Lebewesen. Ein paar davon wirst du gleich kennen lernen“, kündigte er fröhlich an. Jetzt wurde Lina wirklich neugierig. Nachdem sie bereits mit sprechenden Steinen Bekanntschaft gemacht hatte, war sie gespannt, welche Begegnungen ihr wohl noch bevorstanden.
Als sie ihre Rast beendet hatten, ging Lina weiter, immer der Richtung nach, die Lüftchen ihr dirigierte. Der kleine Stein lag dabei in ihrer Hand und erzählte ihr Geschichten, die er auf seinen Reisen erlebt hatte.
Sie näherten sich beständig dem Grünstreifen, den Lina gesehen hatte, als sie am Höhlenausgang gestanden war.
„Ist das ein Wald?“, fragte Lina.
„Und was für einer!“, erwiderte Lüftchen. „Der Gelächterwald ist einer der schönsten hier in Veanis .“
Lina wunderte sich: „Aber warum ist er so bunt? Ist denn hier schon Herbst?“
Lüftchen kicherte. „Herbst, Winter, Sommer oder Frühling – bei uns vermischt sich alles.“
Den Beweis für seine Worte erhielt Lina, als sie den Waldrand erreichten. Während an manchen Bäume tiefgrüne Blätter wuchsen, hing an anderen überhaupt kein Laub mehr. Stattdessen lag Schnee auf den kahlen Ästen. Und das, obwohl auch im Wald sommerliche Temperaturen herrschten. Lina klopfte sich Eiskristalle von ihrem Kleid, die von einem Ast auf sie herab gerieselt waren.
Am sonderbarsten fand Lina jedoch die bunten Bäume. Denn nicht nur die Blätter, sondern auch ihre Zweige und Stämme leuchteten in allen möglichen Farben. Vorsichtig berührte Lina die gelbleuchtende Borke einer Buche. Sie fühlte sich genauso an, wie die Rinde eines normalen Baumes.
„Das ist ja verrückt!“, rief sie.
„Genau!“, bestätigte Lüftchen lachend. „Hier ist alles etwas anders.“
Lina seufzte.
„Wie gefällt dir der Gelächterwald?“, wollte Lüftchen wissen, während sich Lina einen Weg durch die Baumstämme bahnte.
„Mir gefällt er gut. Etwas ungewöhnlich, aber gut. Warum heißt er eigentlich Gelächterwald?“
„Das wirst du gleich sehen.“
Kaum hatte Lüftchen die Worte ausgesprochen, tauchte eine Lichtung vor ihnen auf. In ihrer Mitte standen sechs kleine Männchen herum und schienen sich zu beratschlagen. Lina stellte fest, dass sie einander ziemlich ähnlich sahen. Sie trugen allesamt derbe braune Wolljacken zu blauen Hosen, die Lina an Jeans erinnerten. Fast jedes der Wesen hatte helle Haare, allerdings trugen manche enganliegende Mützen, so dass ihre Köpfe zum Teil verborgen blieben. Die auffallendste Gemeinsamkeit war jedoch ihre geringe Körpergröße. Stünde Lina direkt neben ihnen, so hätten sie ihr nicht einmal bis zu den Schultern gereicht.
„Das sind die Holzfäller. Wir haben Glück, denn was du jetzt sehen wirst, passiert nur ungefähr alle drei Tage“, erklärte Lüftchen stolz.
Die zwergenhaften Wesen gingen nun gemeinsam zu einer dickstämmigen Eiche, die weit in den Himmel ragte. Sie nickten anerkennend und begannen, sich rings um den Baumstamm herum aufzustellen. Lina trat ein wenig vor, um besser sehen zu können.
„Zurück! Nicht auf die Lichtung laufen, denn jetzt beginnen gleich die Baumfällarbeiten“, warnte Lüftchen eindringlich.
Bereitwillig ging Lina ein paar Schritte rückwärts und wartete dann gespannt darauf, was jetzt geschehen mochte. Die Zwerglein auf der Lichtung schienen so beschäftigt, dass sie ihre Beobachterin gar nicht bemerkten. Indessen fragte sich Lina, wie diese schmächtigen Männlein es bloß bewerkstelligen mochten, einen ganzen Baum zu fällen. Sie hätte wetten mögen, dass sie mit ihren dünnen Ärmchen nicht einmal in der Lage waren, eine schwere Axt aufzuheben.
Doch die Holzfäller bedienten sich einer anderen Technik. Statt Werkzeuge zu benutzen, sahen sie den zu fällenden Baum an und begannen zu lachen.
„Was finden die denn so lustig?“, wollte Lina von ihrem kleinen Freund wissen.
„Keine Ahnung“, antwortete Lüftchen. „Aber das ist auch egal. Hauptsache, sie lachen laut und ausgiebig.“
Und das taten die Winzlinge zur Genüge: Gegacker und Gekicher erfüllte den Wald, als hätte jemand einen furchtbar komischen Witz erzählt. Das Geäst durchfuhr ein starkes Rütteln, so dass es beinahe wirkte, als hätten sich die Zweige von der allgemeinen Heiterkeit anstecken lassen. Die Männer schienen sich immer mehr zu steigern. Sie brüllten und wieherten vor Lachen und so manchem liefen dabei die Tränen übers Gesicht. Die dicke Eiche zitterte und bebte nun, während die Gesichter der Waldarbeiter vor Anstrengung einen roten Farbton annahmen. Der Stamm bog sich jetzt förmlich unter den Lachanfällen der Holzfäller.
„Es ist nicht ungefährlich“, erläuterte Lüftchen geschäftig. „Sie müssen aufpassen, dass sich keiner kaputt lacht. Es bestünde eigentlich sogar die Gefahr, sich totzulachen, aber das ist zum Glück noch nie passiert. Aber die Männlein leisten wertvolle Arbeit hier im Wald, denn manche Bäume sind krank und müssen deshalb gefällt werden.“
Ein plötzliches Knacken sorgte dafür, dass alle für einen Moment inne hielten, um ehrfurchtsvoll ihr Werk zu begutachten. Denn der Baumstamm hatte der Gelächterwucht nicht mehr standgehalten und wies nun einen tiefen Riss auf. Jetzt gaben die Männer alles und kugelten sich im Gras vor Lachen, solange, bis der Stamm sich endlich zur Seite neigte und schließlich krachend zu Boden fiel. Die Holzfäller klatschten und johlten.
Begeistert spendete Lina Beifall.