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Hauptsache gesund!

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Meine Mutter stand schon am Fenster. Dabei hatte ich gesagt, dass ich nicht vor drei Uhr zu Hause sein würde. Und jetzt hatten wir gerade mal zehn nach. Kein Grund also, dass sie sich aufregte. Aber natürlich tat sie es trotzdem.

„Anna-Maria, drei Uhr war ausgemacht, keine Sekunde später!“

„Schon gut, schon gut“, es hätte keinen Sinn gehabt, sie daran zu erinnern, dass ich gesagt hatte, ich würde nicht vor drei Uhr zu Hause sein, wie lange danach, darauf hatte ich mich meines Wissens nicht festgelegt. „Ich bin ja da!“

Mit den Worten: „Jetzt wasch dich und sieh zu, dass du fertig wirst!“, schickte sie mich ins Bad.

Lars stand schon fix und fertig abmarschbereit da. In seinem Gesicht glänzten sogar die Sommersprossen wie frisch poliert. Die blonden gegelten Haare standen ihm wie kurze Igelstacheln vom Kopf ab. Erstaunt registrierte ich, dass er eine neue Jeans anhatte.

„Wir gehen doch nur ins Krankenhaus“, stellte ich fest. „Das ist doch kein Staatsbesuch.“

Mein kleiner Bruder biss sich auf die Lippe und fixierte mich feinselig. „Du bist doch nur neidisch!“

Da konnte ich ja nur lachen. Worauf denn? Ich zuckte die Achseln und verschwand im Bad.

„Beeil dich!“, Mama klopfte ungeduldig an die Tür.

Dann ging’s los. Wir zwängten uns in Mamas kleinen und schon ein wenig altersschwachen Fiat. Lars fand Mamas Auto völlig uncool und das sagte er auch. Wenn er das nur einmal gesagt hätte, aber nein, er musste es andauernd wiederholen, wie eine Beschwörungsformel. „Papa hat wenigstens ein anständiges Auto. Er fährt einen BMW. Warum du nicht?“

Lars war zwar klein. Aber er kannte die Unterschiede der verschiedenen Automarken genau.

Mich interessierte das nicht.

Ich fand den Kleinwagen meiner Mutter völlig o. k. Ein wenig klein halt, aber wir wollten ja nur zum Krankenhaus.

Mama seufzte. „Zum hundertsten Mal. Das ist ein Zweitwagen und ich bin froh, dass ich ihn habe, verstanden?“

Dass Lars dies nicht verstand, wunderte mich nicht. Außer Autos hatte er nicht viel im Kopf. Schon im Kindergarten kannte er sämtliche Marken und PS-Stärken auswendig. Mich lässt so was eher kalt. Ob einer im BMW oder im Fiat zum Krankenhaus fährt, ist doch völlig egal. Hauptsache man kommt an.

„Halt endlich die Klappe!“, fuhr ich meinen Bruder an. Aber er hörte natürlich nicht auf mich. Ohne Unterbrechung schüttete er sein gesamtes Auto-Wissen über uns aus. Dabei lagen Mamas Nerven ohnehin schon blank. Ich sah es ihr an. Krankenhausbesuche waren nicht ihr Ding. Obwohl sie Make-up aufgelegt hatte, sah sie schlecht aus. Wahrscheinlich hatte sie wieder so billige Kaufhausschminke verwendet. Kein Wunder! Die Kurzhaarfrisur, die sie sich erst kürzlich hatte schneiden lassen, wirkte widerspenstig, so als ob sich sogar ihre Haare unwohl fühlten.

Plötzlich quietschten Bremsen. Es waren nicht unsere. Ein Golf kam nur wenige Zentimeter seitlich von uns zum Stehen. Der Fahrer zeigte die Faust und schimpfte. Wir konnten das zwar nicht verstehen, aber an den Gesten deutlich ablesen.

„Kann der Vollidiot nicht aufpassen!“, regte sich Mama auf. Allerdings war sie es, die ein Stoppschild überfahren hatte. Der Fahrer des Golfs befand sich im Recht.

Lars wollte ihr das gerade erklären, aber ich presste ihm schnell die Hand auf den Mund und warf ihm einen warnenden Blick zu. Das hätte die Mama bloß noch mehr aufgeregt und sie war schon nervös genug.

Als wir auf den Parkplatz zum Krankenhaus einbogen, seufzte ich erleichtert auf. Noch einmal gut gegangen. So wurde dem Papa erspart, dass wir auch noch im Krankenhaus lagen. Das wäre ja was gewesen. Dann hätte er mit seinem Gipsbein uns besuchen müssen und ich meine Ferien endgültig verpasst.

Wir eilten durch lange Gänge und fuhren mit dem Aufzug in den zweiten Stock. Keine Ahnung, warum es in einem Krankenhaus so komisch roch, nach Medikamente, Desinfektionsmittel und …na ja, irgendwie nach Krankheit. Der Geruch begleitete uns auch ins Krankenzimmer. Wir besuchten Papa natürlich nicht zum ersten Mal. Deshalb waren wir auch gar nicht erstaunt, dass er so bleich in seinen Kissen lag. Als er uns sah, langte er nach dem dreieckigen Griff, der in einer Schlaufe über ihm schwebte und zog sich hoch. Er lachte uns entgegen.

„Schön, dass ihr mir altem, kranken Mann einen Besuch abstattet.“

„Von wegen alt“, sagte ich, weil ich wusste, dass er genau das hören wollte. Erwachsene sind schon komisch. Die ganze Zeit wollen sie hören, wie jung sie noch sind. Dabei müssten sie doch wissen, dass sie wirklich alt sind. Jedenfalls mein Vater mit seinem weißen Bart konnte kaum verbergen, dass er schon vierzig war. Uralt eben.

Lars, der außer Autos sonst nur Quatsch im Kopf hatte, setze sich zu ihm aufs Bett und verhielt sich auffällig ruhig. Nanu, wie war der denn drauf? Hatte es meinem kleinen Bruder endlich die Sprache verschlagen? Misstrauisch beobachtete ich ihn. Da aber sonst niemand Notiz davon nahm, maß ich dem Ganzen auch keine größere Bedeutung zu. Was ich noch bereuen sollte.

Stattdessen schaute ich mich nach Sitzgelegenheiten um und organisierte für meine Mutter und mich zwei Stühle. Einen stibitzte ich dem Mann, der bei meinem Vater im Zimmer lag. Der war schwerhörig und schaute den ganzen Tag fern. Die Kopfhörer, die er dazu benutzte, stellte er wegen seiner Schwerhörigkeit so laut, dass wir bequem zuhören konnten. Kein Wunder, dass Papa so genervt war. Es regte ihn tierisch auf, den ganzen Tag nichts anderes als Tennis sehen zu müssen. Das war nämlich das Lieblingsprogramm seines Bettnachbarn. Wenn mein Vater einmal dezent vorschlug, auf ein anderes Programm umzuschalten, stellte sich der andere taub. Und das passierte meinem Vater, der sehr darunter litt im Bett liegen zu müssen und selbst nicht aktiv werden zu können. Lieber hätte er selbst Sport getrieben, statt sich das nur passiv anzuschauen.

Im Fernsehen mochte er Sport nicht so gern, außer natürlich Fußball. Sonst schaute er lieber Politikmagazine, die Sachen eben, bei denen ständig gelabert wurde und die ich sowieso nicht verstehe.

Die Eltern unterhielten sich und mir wurde schnell langweilig. So prickelnd war das auch nicht in einem Krankenzimmer zu sitzen, in dem pausenlos ein Fernseher lief, die Erwachsenen ätzende Gespräche führten und ich gleichzeitig ständig einen widerwärtigen Medikamentengeruch einatmen musste.

„Soll ich dir Zeitschriften besorgen?“, erbot ich mich.

Mein Vater nickte. „Gute Idee.“

„Autozeitschriften!“, Lars Augen begannen plötzlich zu leuchten.

Doch mein Vater verzog das Gesicht, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen.

„Keine Autozeitschriften, lieber den Spiegel, oder den Focus. Meinetwegen auch den Stern. Schau halt, was sie hier haben.“

Lars fiel wieder in sich zusammen und sah so ausdruckslos aus wie zuvor. Wieder schaute ich ihn misstrauisch an. Was war mit ihm los?

Doch dann hatte mir mein Vater schon das Geld für die Zeitungen in die Hand gedrückt und schon stand ich an der Tür.

Draußen schlich ich mich ein wenig unsicher durch die Gänge. Ganz schön beeindruckend so ein Krankenhaus. Als ich zum dritten Mal auf der Station A landete, hielt mich eine Schwester auf: „Wo willst du denn hin?“

Da merkte ich erst, dass ich mich vollkommen verlaufen hatte.

„Ähh, ich will zum Zeitschriftenstand.“

„Der ist im Erdgeschoß, gleich neben dem Eingang“, erklärte mir die Schwester freundlich. In diesem Krankenhaus arbeiteten lauter nette Schwestern. Sie zeigte mir sogar, wo sich die Aufzüge befanden. Trotzdem hätte ich beinahe den Personalaufzug erwischt. Im Erdgeschoß fand ich den Zeitschriftenstand gleich. Die Fülle der angebotenen Zeitschriften erschlug mich fast. Wer die wohl alle las? Unter den vielen Zeitungen wählte ich die Gewünschten für meinen Vater aus, klemmte sie mir unter den Arm und fuhr wieder nach oben.

Als ich wieder ins Zimmer trat, fiel mein Blick sofort auf meinen Bruder. Der saß immer noch wie angewurzelt bei meinem Vater auf dem Bett und starrte angestrengt vor sich hin. Er gefiel mir gar nicht. Sein Gesicht war genauso weiß, wie Papas Betttuch. Fast bezweifelte ich, dass es überhaupt durchblutet wurde.

Ich hielt meinem Vater die Zeitungen hin.

„Hier.“

Er schaute auf und freute sich. „Sehr gut. Jetzt habe ich wenigstens etwas zu lesen.“ Sofort verstaute er die Zeitschriften in seinem Nachttisch.

Da passierte es. Mein Bruder gab ein leises Würgegeräusch von sich. Ich reagierte sofort. Auf dem Nachttisch meines Vaters lag auch eine Nierenschale mit verschiedenen Spritzen darin. Mit einem Ruck leerte ich die Nierenschale aus, warf die Spritzen zur Überraschung meiner Eltern auf den Nachttisch und hielt Lars die Nierenschale vors Gesicht.

Das war Rettung in letzter Sekunde. Denn im selben Moment erbrach er sich. Erst jetzt bemerkte meine Mutter, dass Lars wie ein Häufchen Elend aussah. „Was ist denn mit dir los?“, fragte sie erschrocken.

Lars konnte nicht antworten.

„Wahrscheinlich die Krankenhausluft“, vermutete ich und drückte Lars die Schale in die Hand. Ich hatte keine Lust, Krankenschwester zu spielen. Außerdem wurde mir jetzt selber schlecht.

Während meine Mutter mit Lars das Bad aufsuchte, verabschiedete ich mich von meinem Vater. „Mir isst auch schon schlecht. Ich muss an die frische Luft“.

Damit verließ ich das Zimmer und hoffte, dass meine Mutter und mein Bruder nachkommen würden. Wie hielten das nur die Kranken aus? Jeden Tag dieser Geruch nach Desinfektionsmitteln. Hoffentlich musste ich nie ins Krankenhaus.


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