Читать книгу Tausche Einsamkeit gegen Zweisamkeit - Ingrid Schmahl - Страница 10
5. Kapitel NEUE PERSPEKTIVEN
ОглавлениеSo saß Gerda also an diesem noch ziemlich kühlen Frühlingsmorgen wieder, wie schon so oft, in ihrer gemütlich eingerichteten Küche beim Frühstück und überlegte, was sie mit sich anfangen könnte. Zuerst einmal holte sich Gerda die neue Tageszeitung aus dem Briefkasten und las sie jetzt bei Toast mit Marmelade und frisch gebrühtem Kaffee von vorne bis hinten durch, ohne auf den ersten Blick etwas zu finden, was sie besonders interessierte.
Die Stellenanzeigen weckten dann aber Gerdas Interesse. Gab es hier vielleicht eine Tätigkeit für sie, die sie trotz ihres Alters von 58 Jahren ausüben könnte? Sie hatte doch ein Auto und fuhr auch noch sehr gerne und flott. Botenfahrten oder etwas in der Art könnte sie sich gut vorstellen. Sie stieß auf eine Anzeige, die ihr Interesse weckte. Ein Anbieter von „Essen auf Rädern“ suchte Menschen, die mit ihrem eigenen Auto das fertig gekochte, heiße Essen zu Senioren brächten. Ob das eine Tätigkeit für sie war? Gute Bezahlung war in der groß aufgemachten Anzeige auch angeboten. Man könnte es ja einmal versuchen. Sie hätte dann eine sinnvolle Tätigkeit; würde wieder Kontakt zu ganz verschiedenen Menschen bekommen und außerdem noch Geld verdienen. Das letztere war auch nicht zu verachten. So meldete sich Gerda dann auf die angegebene Telefon-Nummer:
„Hier das „Rollende Senioren-Menue“, mein Name ist Karsten Winter“, meldete sich eine sehr freundliche, junge Männerstimme.
„Hier spricht Gerda Umweg. Ich interessiere mich für eine Mitarbeit in Ihrer Firma.“
„Ich freue mich, dass Sie sich für uns interessieren. Bevor wir uns jedoch am Telefon über die Bedingungen für eine Mitarbeit unterhalten, würde ich vorschlagen, dass Sie uns in unserem Büro in Krähenwinkel in der Langen Straße 15 besuchen. Dort können wir in Ruhe alles Nähere besprechen. Würde Ihnen der kommende Montag passen?“
„Der wäre mir recht. Ich komme also am Montag zu Ihnen und höre mir an, ob diese Tätigkeit mir zusagt“, freute sich Gerda.
„Es wäre schön, wenn ich nicht mehr so tatenlos zu Hause sitzen würde und noch dazu Geld, das ich auch gut gebrauchen kann, verdiene. Das muss ich doch gleich Jessy erzählen, wenn sie von ihrer Arbeit in der Disco. nach Hause kommt.“
Als Jessy jedoch müde und ausgelaugt von ihrer Nachtschicht in der Disco. kam, konnte Gerda sie nicht mehr ansprechen. Jessy taumelte nur noch in ihr Bett und war nicht mehr ansprechbar. „Na ja, erzähle ich es ihr eben, wenn sie wieder aufwacht.“ Um die noch aufgeschlagene Zeitung weiter zu lesen, war sie nicht mehr in der Stimmung. Also legte sie sie erst einmal an die Seite und räumte ihr Frühstücksgeschirr in den Geschirrspüler.
„So, und was mache ich jetzt? Bis zum Montag ist es doch noch ziemlich lange. Vielleicht mache ich meinen Wochenendeinkauf, so dass ein wenig Zeit vergeht.“ Gerda nahm sich den ziemlich langen Zettel, auf den sie im Laufe der Woche aufgeschrieben hatte, was so in ihrem Haushalt fehlte. Gemüse, Brot und Milch war auf jeden Fall wichtig. Es würde wieder ein ziemlich großer Einkauf werden, dachte sie seufzend. Gerda merkte eben doch, dass Jessy bei ihr wohnte. So viel Cola und Kartoffelchips hätte Gerda alleine nicht gebraucht. Aber Jessy sollte sich ja auch bei ihr wohlfühlen. So nahm sie sich ihre große Einkaufstasche und fuhr mit ihrem kleinen Auto zum naheliegenden Supermarkt.
Als sie aus dem Auto stieg, wurde sie von einer älteren Nachbarin, der alleinstehenden Frau Humpelmann begrüßt.
„Es ist gut, dass ich Sie hier treffe“, rief Frau Humpelmann aus. „Könnten Sie mich auf dem Rückweg mitnehmen? Es ist für mich doch ziemlich beschwerlich, ohne Auto einen Samstagseinkauf zu transportieren.“
„Aber sicher nehme ich Sie gerne mit. Sie können in Zukunft immer mitkommen, wenn ich zum Einkaufen fahre.“
„Ach wissen Sie, Frau Umweg, es ist nicht leicht, wenn man als Seniorin alleine lebt. Ich kann nicht mehr so gut von meiner Wohnung die Treppe hinunter steigen, um mich mit den nötigen Lebensmitteln zu versorgen. Deshalb habe ich mir schon bei einer Firma mit dem Namen „Rollendes Senioren-Menue“ mein Essen bestellt. Es wird mir in die Wohnung gebracht und ich muss nicht mehr so beschwerliche Wege machen, um mich zu verpflegen. Das ist eine gute Sache. Ich freue mich, dass auch jemand an die älteren Menschen denkt. Aber mit dem Älterwerden haben Sie ja noch lange keine Probleme, liebe Frau Umweg.“
„Jünger werde ich auch nicht“, seufzte Gerda. „Aber das ist ja jetzt ein Zufall. Gerade habe ich mich mit dem rollenden Senioren-Menue in Verbindung gesetzt. Ich möchte für diese Firma arbeiten. Dann könnte ich Ihnen ja immer Ihr Essen mitbringen. Sind Sie denn zufrieden?“
„Na ja, ein wenig teuer ist es ja schon, wenn mir das Essen gebracht wird. Aber mit meiner Rente kann ich es mir gerade noch leisten. Die jungen Leute, die das Essen bringen, sind alle sehr nett und freundlich. Ich kann also nicht klagen.“
Gerda freute sich, dass sie über das rollende Senioren-Menue so eine gute Auskunft bekam. Es handelte sich also um ein Unternehmen, bei dem man unter reellen Bedingungen arbeiten würde. „Da kann ich also am Montag zuversichtlich zu dem Bewerbungsgespräch gehen. Wenn dann auch noch die Bezahlung in Ordnung ist, habe ich hier die Möglichkeit, meiner häuslichen Einsamkeit zu entgehen, Geld zu verdienen und noch etwas Gutes für die älteren Mitbürger zu tun.“
Gerda konnte kaum den Montag erwarten, an dem es sich zeigen würde, ob dieser Job der richtige für sie wäre. Mit Jessy sprach sie auch über ihr Vorhaben, als das junge Mädchen nach ihrer Nachtschicht in der Diskothek endlich gegen Mittag aufwachte.
„Ich finde die Idee gut“ meinte auch Jessy. „Ich habe schon öfters von dieser Firma gehört. Es wird überall gut darüber gesprochen.“
Endlich wurde es nun Montag. Gerda war ziemlich aufgeregt, als sie sich auf den Weg zur Langen Straße und zum rollenden Senioren-Menue machte. Sie hatte sich so angezogen, dass man ihr den Boten für das Essen glaubte. Jeans, eine einfache Bluse und eine Jeansjacke, so sah sie sauber und zuverlässig aus. Wer sie so sah, konnte kaum glauben, dass dies die elegante Flugbegleiterin Frau Umweg war. In der Langen Straße angekommen, fand sie gleich das Haus Nummer 15, ein einfaches Mehrfamilienhaus und durchaus kein imponierender Sitz für eine Firma. Sie drückte auf die Klingel und eine junge Männerstimme bat sie in der Sprechanlage, in den 4. Stock hochzukommen.
„Oha, da will jemand sicher gleich testen, ob ich überhaupt in der Lage bin, schnell mit einem Seniorenessen die vielen Treppen zu bewältigen“, dachte sich Gerda und spurtete sportlich die Treppen hoch. Ohne zu schnaufen stand sie dann vor einer ganz normalen Wohnungstür, wo sie lachend von Herrn Winter, dem Inhaber der Firma empfangen wurde.
„Dies ist in der Tat für mich der Test, ob der Bewerber überhaupt in der Lage ist, diese Arbeit zu verrichten. Aber den haben Sie mit Bravour bestanden. Kommen Sie bitte in mein Büro. Ich denke, dass wir sicher gut miteinander arbeiten werden.“
Wie Gerda schon am Telefon vermutet hatte, war der Inhaber des rollenden Senioren-Menues wirklich noch ein sehr junger Mann, nicht älter als ihre Tochter. Er machte einen netten und höflichen Eindruck und Gerda war gespannt, was er ihr zu sagen hatte.
Sie setzte sich vor seinen riesigen, alten Schreibtisch, auf dem sich die Papiere häuften.
„Dies ist also die Zentrale meiner Firma, wo ich täglich die Einteilung meiner Boten für die verschiedenen Bereiche der Stadt vornehme“, erklärte Herr Winter. Und nun erzählte er von seiner Geschäfts-Idee zur Gründung dieses Unternehmens.
„Ich hatte bei meiner eigenen Mutter erlebt, wie schwierig es für Senioren ist, noch in ihrer eigenen Wohnung zu leben und sich gesund und ausreichend zu verpflegen. Da kam mir die Idee mit dem rollenden Senioren-Menue. Ich lasse von den angestellten Boten morgens das bestellte und in Wärmeboxen verpackte Essen in einer Großküche abholen und an die angemeldeten Senioren austeilen. Wenn Sie also für mich arbeiten würden, bekämen Sie einen bestimmten Teil von Krähenwinkel zugeteilt und müssten dort in der Mittagszeit den Senioren das bestellte Essen an die Tür oder in die Wohnung bringen. Leider sind ältere Menschen oft ziemlich ungeduldig und werden leicht ungehalten, wenn sie ihr Essen nicht zu der von ihnen bestimmten Zeit bekommen. Das geht jedoch zeitlich nicht immer und es kommt auf Sie an, wie Sie damit umgehen.“
„Ach, damit habe ich keine Probleme. Ich musste als Flugbegleiterin oft mit schwierigen Menschen umgehen und hatte da schon eine gewisse Routine, die sich bewährte.“
„Dann sind Sie ja genau die richtige Frau für diesen Job. Wann können Sie anfangen?“
„Moment, zuerst möchte ich gerne von Ihnen wissen, was ich bei dieser Arbeit verdiene.“
„Entschuldigung, Frau Umweg. Das hätte ich Ihnen natürlich gleich sagen müssen. Sie bekommen also für ungefähr drei Stunden Arbeit täglich eine monatliche Vergütung von 1500 Euro. Sie müssen aber mit Ihrem eigenen Auto fahren, weil ich noch keinen Wagenpark besitze.“
„Das ist nicht besonders viel, wenn ich dafür mein Auto benutze und das Benzin für die Fahrten selbst bezahle.“
Als sie das enttäuschte Gesicht Herrn Winters sah und daran dachte, dass sie ja eigentlich nur arbeiten wollte, um der Einsamkeit zu entgehen, gab sie sich einen Ruck und nahm das Angebot Herrn Winters an.
„Gut, ich werde also für Sie arbeiten“, sagte sie zu.
„Können Sie schon morgen anfangen?“, wollte Herr Winter noch wissen. „Dann müssten Sie um neun Uhr bei der Großküche sein, um die bestellten Portionen Essen abzuholen. Von mir erhalten Sie eine Liste der Personen, die das Essen bekommen. Und nun wünsche ich uns eine gute Zusammenarbeit.“
„Das wünsche ich mir auch“, erwiderte Gerda. Mit einem festen Händedruck wurde dieser Vertrag besiegelt.
Am nächsten Morgen holte Gerda pünktlich um neun Uhr ihre dreißig Essenportionen aus der Großküche. Nun musste sie nur noch nach der Liste, die sie von Herrn Winter bekommen hatte, die Portionen schnell austeilen, so dass alle Senioren das Essen noch warm bekamen. Das war nicht so einfach. Das erste Menue kam in die Kaiserstr. 15. Wo war diese Straße? In dem Teil von Krähenwinkel kannte sich Gerda nicht aus. Sie suchte und suchte. Dabei sah sie auf ihre Uhr und stellte fest, dass es bereits 10,30 Uhr war. Wie sollte sie so dreißig Essen rechtzeitig zu den Senioren bringen? Gerda schwitzte schon ordentlich. Endlich hatte sie die Kaiserstr. 15 gefunden. Natürlich fand sie keinen Parkplatz und musste schnell in der zweiten Reihe parken. Hoffentlich kam nicht gerade eine Politesse vorbei. Dann wäre ihr schon der erste Strafzettel sicher. Sie suchte auf der Klingelanlage den Namen Hurtig und schellte. Eine längere Zeit verging, bis Frau Hurtig endlich auf den Türöffner gedrückt hatte, nachdem sie sich vergewisserte, dass hier ihr Essen unterwegs war. Sie wohnte natürlich im dritten Stock. Gerda spurtete mit ihrer Wärmebox schnell die Treppen hinauf und zu Frau Hurtig, die schon an ihrer Flurtür auf sie wartete.
„Sie kommen aber heute spät. Hoffentlich ist mein Essen auch noch warm.“ Das war kein sehr freundlicher Empfang. Aber Gerda lächelte und wollte Frau Hurtig ihr Essen übergeben.
„Ihr Vorgänger hat mir das Essen aber in die Küche gebracht und auf meinen Teller gefüllt. Ich kann das mit meinen Arthrose-Händen so schlecht. Können Sie das nicht?“
„Ach du meine Güte! Noch mehr solcher Sonderwünsche, dann ist das letzte Essen sicher am Abend beim Empfänger.“ Zähneknirschend packte Gerda das Essen aus und richtete es auf dem bereitgestellten Teller an. Hoffentlich war es nun so richtig! Aber Frau Hurtig schien einverstanden. Als Gerda dann wieder bei ihrem Auto ankam, hing natürlich ein Strafzettel an der Windschutzscheibe und ein wütender Mann, der nicht aus seiner Parklücke kam, stand mit einem bösen Blick auf die Armbanduhr vor seinem Auto.
„Geschieht Ihnen ganz recht, dass Sie einen Strafzettel bekommen haben. So etwas tut man doch nicht.“
„Entschuldigung“, konnte Gerda nur noch leise sagen. Sie war jetzt wirklich fix und fertig. Und das war erst das erste Essen. Es folgten noch 29 Wärmeboxen, die alle warm bei ihrem Empfänger sein sollten.
Das zweite Menue musste nun in die Mozartstr. 35. Wenigstens wusste Gerda, wie sie dort hinkam. Auch fand sie zum Glück gleich einen Parkplatz. Die Haustüre bei Frau Meier stand schon offen und Frau Meier wartete bereits sehnsüchtig auf ihr Essen. Sie war sehr freundlich, obwohl Gerda auch hier sicher entschieden mit Verspätung kam. Es war inzwischen schon fast 12 Uhr. Mit einem herzlichen Dankeschön nahm Frau Meier ihre Wärmebox an sich und entschwand in ihre Wohnung. Das ging ja nun wirklich einmal schnell. Hoffentlich hatte Gerda weiter so ein Glück. Aber das nächste Pech war schon vorprogrammiert. Gerda wollte von der Mozartstraße in die Hauptstraße einbiegen. Noch war die Ampel grün, also schnell, schnell. Da sprang sie schon auf gelb um. Gerda wollte noch daran vorbei in die Hauptstraße – aber vergeblich. Es blitzte aus dem Ampelkasten und Gerda wusste genau, was das hieß. Es hieß drei Punkte in Flensburg, einen Monat Fahrverbot und 150 Euro Geldstrafe. So hatte sich Gerda diese Arbeit, von der sie schon am ersten Tag merkte, dass sie niemals in drei Stunden die bestellten Portionen ausliefern könnte, und die ihr außerdem nur Ärger und Unkosten einbrachte, nicht vorgestellt. Sie hatte sich also sehr schnell erledigt. Gerda rief ihren Chef an und berichtete von ihrem Pech.
„Schicken Sie doch bitte jemanden her, der die restlichen Menues ausfährt. Ich bin total am Ende und kann nicht mehr!“ Herr Winter war sehr enttäuscht, aber Gerda war froh, dass sie einen Grund hatte, beim rollenden Senioren-Menue zu kündigen.
Nun saß sie also wieder, wie schon einmal, an einem Samstagmorgen in ihrer Wohnung und wusste nicht, wie sie den Tag herumbringen sollte. Zuerst der Blick in die dicke Samstagszeitung. Sie blätterte ohne große Begeisterung darin herum. Dabei kam sie wieder an die Stellenanzeigen. Hier hatte sie mit viel Hoffnung eine Arbeit gesucht und, wie sie dachte, auch gefunden. Aber eine Arbeit, bei der sie nicht sehr viel verdiente, und auch noch ihr eigenes Auto fahren musste, war denn doch nicht nach ihrem Sinn. Und eigentlich brauchte sie auch keine Arbeit, um Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Vielleicht traf sie ja irgendwann einen netten Mann, mit dem sie reden und auch ab und zu irgendwo ein schönes Glas Wein trinken könnte. Auch ein paar Streicheleinheiten und einen guten Sex vermisste Gerda nach der Scheidung von Kurt. Wenn Kurt auch kein idealer Ehemann war, hatte sie mit ihm doch ab und zu einen schönen Abend mit einer noch schöneren Nacht verbracht. Sie war eben noch nicht jenseits von Gut und Böse.
So las sie ihre Zeitung von Seite zu Seite, ohne etwas zu finden, das ihr Interesse weckte. An den Vereinsnachrichten jedoch blieb sie hängen. Der Wanderverein Wandervogel bot eine interessante Wanderung durch den wunderschönen Schwarzwald an. Gerda wäre gerne mit dem Verein gewandert. In der Zeit mit Kurt war sie nie mit ihm zusammen fort gewesen. Kurt hatte keine Zeit oder keine Lust, Gerda auf Wanderungen zu begleiten. Sie unternahm dann Wanderungen mit einer Gruppe, die meist aus Ehe- oder sonstigen Paaren bestand. Dabei hatte sie so ihre schlechten Erfahrungen gemacht. Sie kam sich bei diesen Wanderungen wie das fünfte Rad am Wagen vor. Verdrossen schlich sie als Fast-Single alleine vor oder hinter den Pärchen her und konnte sich die ehelichen oder fastehelichen Gespräche anhören:
„Weißt du schon, bei Müllers hängt wieder einmal der Haussegen schief. Er soll mit Frau Schulze von nebenan ein Verhältnis haben. Das ist doch wohl allerhand! Na ja, damit habe ich mit meinem Mann ja zum Glück keine Probleme!“ So etwas erzählte man gerne der Freundin, die im gleichen Schritt mitlief.
„Bei diesen Gesprächen soll man nicht neidisch werden. Warum haben immer nur andere Frauen die netten Männer? Meiner war zwar auch nett, aber leider interessierte er sich mehr für seinen Beruf und für hübsche, junge Damen. Für mich hatte er nur wenig Zeit. Ein schöner Abend zu Zweit war eine Seltenheit. Vielleicht kann ich jetzt nach unserer Scheidung noch einmal einen neuen Versuch starten, einen Partner für Wanderungen und ein erfreuliches Miteinander zu finden. Das Leben als Single ist doch ziemlich trostlos.“ Nur nach der missglückten Ehe mit dem treulosen Kurt war Gerda im Moment noch sehr misstrauisch, was Männer betraf. Eigentlich war dieses Leben als Single auch nicht zu verachten. Sie konnte kommen und gehen, ohne irgend jemandem Rechenschaft über ihr Tun zu geben. Wenn nur nicht die einsamen Nächte wären, in denen man viel Zeit zum Nachdenken hatte. Und die leere Seite in ihrem großen Bett war auch eine Tatsache, die sie sehr traurig stimmte. Vielleicht sollte man sich ehrenamtlich betätigen und im Altersheim helfen. Sie hörte und las öfters, dass Personal in den Heimen fehlte und die Alten deshalb nicht ausreichend versorgt werden konnten. Hier könnte man wenigstens etwas Gutes tun.
Dann fand Gerda noch eine andere Anzeige auf der Seite mit den Stellenangeboten, die ihr Interesse weckte. Da stand:
„Seriöse Partnervermittlung sucht qualifizierte Mitarbeiter.“
„Das wäre doch etwas für mich. So hätte ich eine Aufgabe und vielleicht wäre ja auch ein Partner für mich dabei.“
Eine Telefonnummer war angegeben. Nach einigem Zögern und mit ziemlichem Herzklopfen rief Gerda an.
„Agentur Liebeslust, Jürgen Korz am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“, fragte eine sonore Männerstimme freundlich.
„Hallo guten Tag. Ich bin Gerda Umweg und wäre an einer Mitarbeit in Ihrer Agentur interessiert.“
„Das ist eine sehr gute Entscheidung von Ihnen, Frau Umweg. Aber am Telefon sollten wir nicht darüber sprechen. Treffen wir uns doch erst einmal. Dann können wir miteinander in Ruhe reden. Ich würde ein Treffen für morgen im Parkhotel hier in Stuttgart um 15 Uhr vorschlagen. Ist Ihnen das recht?“
„Oh ja, ich komme gerne“, freute sich Gerda.
„Soll ich irgendwelche Unterlagen zu dieser Besprechung mitbringen?“
„Wenn Sie Ihren Lebenslauf und eine kurze Bewerbung mitbringen, reicht mir das schon.“ So war es also abgemacht. „Sage ich Jessy etwas von diesem Treffen?“, sinnierte Gerda. „Lieber nicht. Vielleicht macht sich Jessy dann nur unnötige Sorgen um das Seelenleben ihrer Mama. Nach dem Treffen, wenn es so abläuft, wie ich es mir denke, kann ich ihr ja davon erzählen.“
Dann nahte der Nachmittag, an dem sie sich mit Herrn Korz treffen wollte. Gerda versuchte, ihr elegantes, graues Kostüm anzuziehen. Die Jacke saß ja sehr gut und die weiße Bluse darunter sah auch sehr vorteilhaft aus. Aber der Rock, was war mit dem los? War er bei der letzten Reinigung eingelaufen? Er klemmte ganz schön! „Das war sicher nicht die Reinigung, sondern ich muss unbedingt ein paar Pfund abnehmen“, murmelte sie. Mit einiger Mühe gelang es ihr dann aber, den Rock über die Problemstellen zu zerren. Sie musste nur aufpassen, dass sie bei der Besprechung mit diesem Herrn Korz immer schön gerade saß und den Bauch einzog. Sie sah sich im großen Schlafzimmerspiegel an und fand sich mit diesem Kostüm sehr seriös. Das war ihr wichtig. Sie fuhr mit ihrem kleinen, roten Auto nach Stuttgart. „Hoffentlich finde ich auch gleich einen Parkplatz in der Nähe des Hotels“, dachte sie und fuhr konzentriert durch die Stadt. Da tauchte auch schon das Parkhotel auf, und o Wunder, direkt neben dem Hotel schien ein Parkplatz direkt auf Gerda zu warten. Sie parkte schnell und sicher ein und machte sich auf den Weg zum Hoteleingang, wo in der Lobby sofort nach ihrem Eintritt ein jugendlich wirkender Herr aufstand und auf sie zukam. Das konnte nur Herr Korz sein, der auf sie wartete. Er hatte sich im gestrigen Telefonat gut beschrieben: Groß, sportlich, mit kurzen, blonden Haaren und einer sehr auffallenden Brille; seriös gekleidet mit einem dunkelblauen Anzug, hellblauem Hemd und dunkelblauer Krawatte. Gerade so, wie sich Gerda einen Bankangestellten vorstellte. Er trat auf Gerda zu, zeigte sein charmantestes Lächeln, nahm mit einem festen Griff Gerdas Hand:
„Einen wunderschönen Tag wünsche ich. Sie können nur Frau Umweg sein. Genau so stelle ich mir eine Frau, die erfolgreich sein wird, vor. Ich freue mich, dass Sie sich für unsere Agentur interessieren.“
Gerda war ziemlich beeindruckt von Jürgen Korz. „So könnte der Mann für nette Stunden schon aussehen. Aber der ist bestimmt in festen Händen“, dachte sie mit leichtem Bedauern.
Nach einem einführenden Gespräch über die Agentur Liebeslust und die Durchsicht von Gerdas Papieren, die sie ihm reichte und die er nur sehr flüchtig überflog, kam Herr Korz zur Sache: Gerda könne gleich freie Mitarbeiterin der Partnervermittlung Liebeslust werden. Vorher aber müsse sie sich mit 1.000 Euro einkaufen. So hatte sie sich das eigentlich nicht vorgestellt. Nicht, dass sie keine 1.000 Euro auf dem Sparbuch hätte, aber die waren mühsam erspart und sollten ein Notgroschen sein. Gerda äußerte mit säuerlichem Gesicht ihre Bedenken:
„Was ist, wenn ich mich doch nicht für diese Tätigkeit eigne? Bekomme ich die 1.000 Euro von Ihnen wieder?“
„Ach was, Frau Umweg! Diese 1.000 Euro haben Sie doch schon in den nächsten vier Wochen wieder verdient. Ihre Investition lohnt sich auf jeden Fall.“
Herr Korz konnte Gerda trotz ihres schlechten Bauchgefühls überreden.
„Ich habe aber nicht soviel Geld bei mir“, gab Gerda zu bedenken. Es gefiel ihr überhaupt nicht, wie Jürgen Korz auf ihre 1.000 Euro scharf zu sein schien. „Ist das überhaupt ein seriöses Unternehmen? Ich hörte noch nie davon, dass man Geld einzahlen muss, anstatt es zu verdienen.“ Ganz geheuer war Gerda die Sache nicht. „Ich hätte vielleicht doch zuerst einmal mit Jessy sprechen sollen, anstatt gleich loszurennen.“ Aber dafür war es ja nun zu spät.
„Kommen Sie“, drängte Herr Korz nun, „wir gehen miteinander zu Ihrer Bank, die ja sicher nicht weit vom Hotel entfernt ist. Da heben Sie einfach das Geld von ihrem Konto ab und geben es mir gegen eine Quittung. Sie haben doch so viel Geld auf ihrem Konto?“ Korz schaute Gerda eindringlich an.
„Sonst wird aus der ganzen Sache eben nichts! Das wäre wirklich schade.“
Mit diesen Worten schleppte er Gerda zu ihrer Bank, und mit Tränen in den Augen hob Gerda das gewünschte Geld ab und gab es Jürgen Korz.
„Vielen Dank auch für Ihr Vertrauen“, lächelte dieser. Wieder im Hotel, überreichte er ihr einen dreiseitigen Vertrag mit vielen Klauseln.
„Lesen Sie sich den Vertrag durch, damit wir ihn unterschreiben können.“ „Kann ich den Vertrag nicht mit nach Hause nehmen, um ihn mit meiner Tochter durchzulesen?“ Gerda fand die Eile, mit der Herr Korz sich ihre Mitarbeit sichern wollte, sehr bedenklich.
„Nein, das geht nicht. Diesen Vertrag dürfen Außenstehende nicht sehen. Sie verstehen, die Konkurrenz!“ Gerda verstand das jedoch überhaupt nicht. Aber wenn sie hier, wo sie schon 1.000 Euro bezahlt hatte, einen Rückzieher machen wollte, waren die 1.000 Euro sicher verloren. Also unterschrieb sie schweren Herzens. Herr Korz unterschrieb nun auch. Dann gab er Gerda noch eine handgeschriebene Quittung über das Geld, das sie ihm gegeben hatte, reichte ihr die Hand und gratulierte ihr zu ihren zukünftigen Erfolgen als Partnervermittlerin. „Diese Quittung werde ich auf jeden Fall mal gut aufheben“, dachte sich Gerda und steckte sie schnell in ihre Handtasche. „Das könnte wichtig sein, wenn diese Partneragentur nur ein fauler Zauber ist.“ Sie dachte dabei an ihr warnendes Bauchgefühl.
Nun war die ehemalige Flugbegleiterin Gerda Umweg also freie Mitarbeiterin der Partneragentur Liebeslust. Zuerst erfolgte eine kurze, theoretische Einarbeitung durch Herrn Korz und eine junge Dame des Unternehmens im Untergeschoss des Hotels, in dem sie Herrn Korz kennengelernt hatte. Diese ziemlich einfache Einarbeitung dauerte nur einen halben Tag und Gerda lernte, dass sie jedes Blatt Papier, das sie von Herrn Korz für ihre Arbeit bekam, bezahlen musste. Sonst kam aus dieser sogenannten Einarbeitung nicht viel heraus. Gerda erfuhr, dass sie mit Zeitungsanzeigen in der örtlichen Presse unter der Rubrik „Heiratswünsche“ um einsame und liebeshungrige Menschen werben musste. Wie das gemacht wurde, erklärte Herr Korz kurz:
„Sprechen Sie den Leser dieser Anzeige so an, dass er sich persönlich angesprochen fühlt. Drücken Sie bei der Formulierung ordentlich auf die Tränendrüse. Erzählen Sie ihm von der liebeshungrigen Witwe mit Vermögen; von dem jungen Witwer mit Haus und Segelboot. Es muss nicht stimmen, was da in Ihrer Anzeige steht, weil es diese angesprochenen Menschen überhaupt nicht gibt.“ Wenn der Leser der Anzeige sich meldet, erklärte Herr Korz weiter, müsse Gerda telefonisch einen Termin mit ihm oder ihr ausmachen, ihn oder sie besuchen und zum Abschluss eines Vertrages mit der Agentur Liebeslust überreden. Dass diese Vermittlung 4.500 Euro kostet, sollte Gerda ihnen natürlich erst ganz zum Schluss sagen. So hatte die Mitarbeiterin zusammen mit Herrn Korz sie und noch zwei andere Bewerber bei der Einarbeitung informiert. „Sonst ist das Gespräch auch schon sehr schnell beendet.“ Als kleine Starthilfe bekam Gerda den Text für ihre erste Anzeige von Herrn Korz kostenlos. Dieser Anzeige konnte man ansehen, dass sie von einem Profi entworfen wurde. Sie zielte bei jedem männlichen Partnersuchenden mitten ins Herz und lautete:
„Gemütvolle, geistreiche Frau im besten Alter,
von Beruf Krankenschwester,
sucht für den Rest des Lebens
einen netten Mann, möglichst Witwer,
der ihr Herz und Heimat bietet und den sie
liebevoll verwöhnen kann.“