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2. Kapitel GERDA WIRD AKTIV

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Gerda stand endlich auf und holte sich nach der dritten Tasse Kaffee, mit der sie grübelnd immer noch am Küchentisch gesessen hatte, aus dem Briefkasten im Hausflur die dicke Samstagszeitung und blätterte lustlos am Frühstückstisch darin herum. Da fielen ihr nach den Seiten für Kultur, Wirtschaft und Lokales auf Seite vier die Partnerschafts-Anzeigen auf. Das Angebot an partnersuchenden Männern und Frauen war ja wirklich riesig.

„Eigentlich müsste bei diesen Angeboten doch auch ein Mann für sie dabei sein.“ Sie las konzentriert die männlichen Angebote durch. Mit welchen großen Worten hier die Vorzüge desjenigen angepriesen wurden, der inseriert hatte! Es war nicht zu glauben:

„Junger Mann, 68 Jahre jung, mit Haus, Segeljacht und flottem Cabrio sucht die junge, knackige Sie zum liebevollen Miteinander.“

Aber auch in der Spalte, in der Frauen einen Mann suchten, waren die weiblichen Vorzüge sehr genau und wahrscheinlich auch etwas übertrieben angepriesen.

„Ob ich vielleicht einmal auf die Anzeige eines netten Mannes schreibe?“ So dachte Gerda nachdenklich. „Welcher der männlichen Inserenten klingt denn so seriös, dass es sich lohnt, darauf zu antworten? Habe ich das überhaupt nötig? Vielleicht läuft mir ja auch ohne so eine Anzeige einmal ein netter Mann über den Weg. Aber leider sind die netten Männer in meinem Alter meistens verheiratet oder suchen eine junge und attraktive Frau ohne Anhang. Und man hört immer wieder, dass verheiratete Männer eine Frau für eine Nacht suchen, um dann reumütig wieder zu ihrer Ehefrau zurückzukehren. Das ist aus solchen Anzeigen nicht zu erkennen. Ich muss mir die Sache gut überlegen. Es ist doch ziemlich riskant.“

Sie legte mit einem kleinen Seufzer die Zeitung zur Seite. Sollte sie so ein Risiko eingehen, nur um nicht mehr alleine leben zu müssen?

Jetzt hatte Gerda also sehr viel freie Zeit und konnte sich nicht mit ihrer Arbeit bei der Worldtours und den ständigen Flügen in alle Welt ablenken. Sie saß so wie heute Morgen auch schon an anderen Tagen morgens im Bademantel und ohne Make up gelangweilt in ihrer stets aufgeräumten und blitzsauberen Wohnung vor dem Fernsehgerät, aß und trank so ganz nebenbei mehr, als ihr gut tat, und war rundherum unglücklich. Von ihren Kindern Simon und Jessy hörte sie kaum etwas. Beide hatten wenig Zeit für ihre Mutter. Es ging ihr eben so, wie es allen Müttern geht. Wenn die Kinder flügge sind und sich ihr eigenes Leben aufbauen, steht die Mutter nur noch an einer hinteren Stelle. Da geht die Ausbildung, der Beruf und die Partnerschaft vor. Aber das muss so sein. Gerda gönnte Simon und Jessy auch durchaus diese Selbständigkeit. Aber ein Telefonat ab und zu mit der Frage: „Wie geht es dir?“, wäre schön.

So dauerte es nicht sehr lange und Gerda nahm vor lauter Frust schnell an Gewicht zu. Sie war innerhalb kurzer Zeit rundlicher geworden, und das natürlich an den ungünstigsten Stellen.

„Das ist Kummerspeck, den ich mir in dieser schwierigen Zeit angefuttert habe“, gestand sie sich selbst ein. Die elegante, dunkelblaue Uniform mit den goldenen Ärmelstreifen in Größe 38, die sie immer noch besaß, passte einfach nicht mehr.

Gerdas Ehe mit Kurt war nach all den Jahren bis zu der Scheidung nicht mehr so glücklich, wie sie es war, als sie sich kennenlernten. Damals waren beide himmelhoch jauchzend verliebt und hielten sich für das ideale Paar. Heute war Gerda eigentlich ganz froh, als sie endlich geschieden war. Nach der Scheidung wurde ihr jedoch schnell klar, dass sie nicht bis an ihr Lebensende als Single leben wollte. Wenn auch die Ehe mit Kurt manchmal sehr schwierig war, hatte sie ihn doch ab und zu als Ansprechpartner bei Problemen gehabt. Und auch im Bett war Kurt nicht zu verachten. Bis sie endlich einen neuen Mann für den Rest des Lebens fände, wären wirklich, wie ihr Name schon sagte, noch viele Umwege nötig.

Gerda und Kurt waren lange Jahre eine nach außen hin glückliche Familie mit zwei tollen Kindern gewesen. Simon, inzwischen 24 Jahre alt, groß wie der Vater, schlank und sportlich, war ein junger Mann, den viele Mädchen gerne für sich gewonnen hätten. Er lachte viel und war bei jeder Fete der Hahn im Korb. Er sah aus, als wenn das Leben nur aus Spaß bestünde; dabei studierte er ganz ernsthaft und intensiv BWL., also Betriebswirtschaftslehre. Dann war da noch Jessy, mit gerade 18 Jahren das Nesthäkchen der Familie und von allen, vor allem von ihrem Vater, geliebt. Ihr gutes Aussehen hatte sie wohl von der Mama geerbt. Wie diese war sie groß und blond, hatte wunderschöne, blaue Augen, die sie sehr wohl bei Wünschen an ihren Papa einsetzen konnte. Leider ging das jetzt nicht mehr so leicht, weil sie noch in Krähenwinkel bei der Mutter lebte und ihr Vater nach der Scheidung ausgezogen war. Jessy war ernster als ihr Bruder, aber wie dieser hatte sie genaue Vorstellungen von ihrer Zukunft. Sie war bei der Scheidung ihrer Eltern mitten im Abiturstress. Die Probleme der Eltern hatte sie jedoch gut verkraftet. Sie wusste ja, dass sie auch nach der Scheidung immer noch Papas Liebling sein würde. Er wohnte zwar jetzt mit seiner neuen Freundin in Stuttgart, aber das war für Jessy keine Entfernung. Sie durfte, das hatte ihr der Vater versichert, bei Problemen oder Wünschen immer ihren Vater besuchen und mit ihm sprechen. Gerne würde sie nach dem Abitur wie ihre Mutter Flugbegleiterin werden. Jessy stellte es sich herrlich vor, so in aller Welt herumzureisen.

Kurt, Gerdas Ex-Ehemann war ein Mann gewesen, der so lange lieb und nett war, wie man keine Forderungen an ihn stellte. Das Geld, das er als Versicherungsagent einer großen deutschen Versicherung leicht verdiente, gab er ebenso leicht wieder aus. Die Familie sah von diesem Geld meist nicht sehr viel. Auch von den Bonuszahlungen, die er für neue Versicherungskunden bekam, sah seine Familie nichts. Kurt war charmant und redegewandt und wusste diese Begabung als Versicherungsagent vor allem bei den Damen gewinnbringend einzusetzen. Was Gerda schon lange geahnt hatte, war die Tatsache, dass Kurt neben seiner Stellung als Familienvater andere, meist junge Frauen mit seiner Gunst beglückte. Deshalb war von seinem verdienten Geld für die Familie kaum etwas übrig, zumal im Laufe der Zeit für ihn die Familie nur noch Last, nicht Lust war. Die verschiedenen Freundinnen waren meist sehr anspruchsvoll. Hier ein teurer Ring, dort ein exklusiver Pelz. Kurt zeigte sich sehr spendabel und verwöhnte seine jeweiligen Gespielinnen gerne. Seine neueste Flamme, mit der er jetzt bereits in Stuttgart zusammen wohnte, hieß Angelika. Sie war eine Frau wie aus der Illustrierten; sehr groß, superschlank mit langen, schwarzen Haaren, gekleidet nach der neuesten Mode. Sie arbeitete als Model und ging oft und gerne mit Kurt in den exklusivsten Boutiquen Stuttgarts shoppen. Das hieß, sie kaufte und Kurt zahlte. So auch heute wieder:

„Sieh nur mal diese schicke graue Chinchilla-Pelzjacke. Die würde mir bestimmt gut stehen.“ Dazu der gekonnte Augenaufschlag. Und Kurt kaufte und kaufte.

Bei einer dieser Einkaufstouren traf er auf seine Tochter Jessy, die gerade ihr letztes Taschengeld ausgeben wollte. Jessy versuchte, die Gunst der Stunde auszunutzen. Sie hielt ihren Vater vor der teuren Boutique in der Königsstraße an.

„Hallo Kleine, hast du Sorgen?“ Kurt kannte seine Tochter sehr gut.

„Ach Papa, gut dass ich dich treffe. Ich möchte so gerne an diesem Wochenende mit meinen Freundinnen in die Disco. Leider habe ich überhaupt nichts mehr anzuziehen. Kannst du mir nicht die tolle Bluse aus der Boutique hier kaufen? Sie kostet auch nur 120 Euro. Ist doch echt billig!“ Aber nein, Papa schüttelte nur den Kopf: „Tut mir leid, habe selbst nichts. Die Tüten, die ich für Angelika, äh – für meine Kundin trage, sind deren Einkäufe. Ich bin nur der Tütenträger. Ha ha. Frag Mama mal. Die hat doch das große Geld.“

Es war Jessy schon klar, dass diese Angelika Vaters Freundin sein musste, die den spendablen Mann jetzt nach seiner Scheidung ganz für sich haben wollte, nachdem sie sich bereits häuslich bei ihm eingenistet hatte.

Angelika, die das Gespräch zwischen Vater und Tochter staunend mit anhörte, war leicht irritiert: „Ist das deine Tochter? Du hast mir erzählt, du hättest keine Familie, für die du sorgen musst. Wenn du so eine süße Tochter hast, hättest du ihr die Bluse auch kaufen sollen. Mir hast du ja auch gerade die teure Jacke geschenkt.“

Kurt hatte nun keine andere Wahl, und an Jessy gewandt:

„Gut, überredet. Du bekommst die Bluse. Du sollst dich doch nicht über deinen Vater beklagen, auch wenn er jetzt nicht mehr bei euch wohnt. Du warst immer mein Liebling und bist es auch heute noch.“

Kurt sah kurz zu Angelika hin, die aber nun so tat, als hätte sie diese liebevollen Worte zwischen Vater und Tochter nicht gehört. Sie überlegte sich jedoch, dass es vielleicht nicht so ideal wäre, einen Mann wie Kurt, dessen Ex-Familie finanziell noch sehr an ihm hing, an sich zu binden. Gut, dass Kurt nichts von diesen Gedanken ahnte.

Inzwischen wurde in den ganzen Jahren, bis es einfach nicht mehr weiterginge, in der Familie Umweg viel gestritten. Meist ging es um Geld. Und um Geld ging es auch noch nach der Scheidung. Das war auch Kurts Freundin Angelika klar.

Tausche Einsamkeit gegen Zweisamkeit

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