Читать книгу Von Friedland in Ostpreußen an den Jakobsweg - Ingrid Stahn - Страница 6

Ihre Erinnerung gehen zurück auf den 3. April 1944

Оглавление

Es war ihr 3. Geburtstag, der sich in ihr Gedächtnis geprägt hatte. Es war kein Fest mit Kerzen, Torte, Geschenken, Spiele und Gästen. Es war eine Erinnerung an Angst und Hilflosigkeit.

Sie hatte als Dreijährige verstanden, dass die furchtbare Nachricht vom Tod des Vaters nach Hause gekommen war. Sie kannte ihn eigentlich gar nicht. Es war eine Person von der alle sprachen, irgendwie musste da noch jemand in der Familie wichtig sein, sie aber konnte sich nichts darunter vorstellen oder etwas damit verbinden. Als sie geboren wurde, war ihr Vater im Krieg, von seinen kurzen Fronturlauben hatte sie keine Erinnerung zurück behalten.

Deutschland befand sich im Krieg. Jeder neue Tag brachte neue Hoffnung, dass das Schlimmste nicht geschehen möge, aber für viele Familien wurde diese Hoffnung mit einer entsetzlichen Nachricht: „Für Volk und Vaterland gefallen”, beendet.

Andreas Mutter hieß Friederike Prill, war 24 Jahre alt und im 7. Monat mit dem 3. Kind schwanger, als sie diese Nachricht erhielt. Sie weinte tagelang. Weinkrämpfe und monotones Schluchzen wechselten in ihrer tiefen, erschütternden Verzweiflung und Trauer ab.

Andrea und ihr siebenjähriger Bruder Max hatten das Fenster geöffnet.

Die Aprilsonne mühte sich, ihre wärmenden Strahlen wohltuend unter die kühle Frühlingsluft zu mischen. Der lange kalte Winter sollte endlich das Weite suchen, damit die Natur erwachen und alles zum neuen Leben entfalten kann.

Die Kinder hatten Hunger und fühlten sich endlos alleine. Sie wagten nicht, die Mutter um etwas zu Essen zu bitten, schlichen von hier nach dort, um verlegen und voller Angst herum zu gehen, flüsternd, mit leisen Schritten oder auf Zehenspitzen. Die endlose Erschütterung und die tiefe Trauer der Mutter über den Tod ihres geliebten Mannes und Vater ihrer Kinder nahm ihr jede Besinnung. Sie lag schon tagelang im Bett, schluchzte, weinte und jammerte, monotone oder stakkatoartige Schreie verängstigten die Kinder.

Die hungrigen Kinder hatten angsterfüllt Respekt vor dem Zustand der Mutter, hofften aber, dass sie doch bald etwas zu essen bekommen würden. Ihr Hunger war unerträglich.

Andrea rief jedem aus dem geöffneten Fenster zu: „Mein Papi ist tot, mein Papi ist tot!” Max ließ sie einige Zeit gewähren, holte sie aber dann vom Fenster weg.

Im Juni 1944 bekam die Mutter Friederike dann ihr drittes Kind. Es war ein Mädchen und hieß Sibylle und hatte schwarze Haare wie ihr Vater. Andrea hatte nach einiger Zeit entdeckt dass am Fußende von Sibylles Bettchen eine Nuckelflasche mit leckerem Inhalt im Federbett warm gehalten wurde.

Wenn sie von Mutter und Bruder unbeobachtet war, holte sie diese Flasche heraus und trank sie leer, steckte aber die leere Flasche wieder zurück an seinem Platz im Federbett. Die Mutter traute der kleinen Andrea diese Tat nicht zu und vermutete Max als Übeltäter. Sie bestrafte ihn dafür und es bekam ihm noch schlechter, weil er die Tat abstritt. Da Andrea die Flasche immer wieder leer trank, wurden die Strafen für Max von der Mutter immer bösartiger und aggressiver. Eines Tages, als Max wieder ungerechterweise von der Mutter eine gehörige Tracht Prügel bezog, tröstete Andrea ihren Max und schwor ihm, dass sie nie wieder die Flasche leer trinken würde. Er tat ihr furchtbar leid, die Mutter war mit ihren Schlägen in ihrer Wut auf ihn nicht zimperlich. Das Entsetzen der Mutter über ihren unbeherrschten und ungerechten Zorn auf Max mit allen Folgen war groß. Von da an bezog sie die Dreijährige in alle Konsequenzen mit ein, sie schien sogar härter gegen sie zu sein, als gegen Max.

Von Friedland in Ostpreußen an den Jakobsweg

Подняться наверх