Читать книгу Von Friedland in Ostpreußen an den Jakobsweg - Ingrid Stahn - Страница 7
Die Flucht
ОглавлениеEnde Dezember 1944 mussten sie aus Ostpreußen flüchten.
Schon lange hatte sich abgezeichnet, dass Deutschland diesen Krieg nicht gewinnen wird. Die Russen befanden sich auf dem Vormarsch gen Westen und das hieß für die Zivilbevölkerung Flucht.
„Los, los, die Russen kommen“, dieser Satz trieb sie zur Eile an, sogar die dreijährige Andrea ließ sich damit antreiben, wenn sie vor Erschöpfung nörgelte, sie erinnerte sich gut an diesen Aufbruch. Im Haus wohnte eine zweite Familie, die auch ihre Sachen packte für die Flucht. Diese hatte schon größere Kinder, da konnte mehr mitgenommen werden.
Andreas Mutter war überfordert, so jung, ohne Mann, alleine mit drei kleinen Kindern. Viele Gegenstände nahm sie in die Hand und sagte: „Wir brauchen das, oder wie soll ich das Baby baden?” Letztendlich resignierte sie, sie packte nicht groß, es wäre ohnehin sinnlos. Drei kleine Kinder, den Kinderwagen, wie sollte da noch von ihr Gepäck geschleppt werden können. Sie hatte damit zu tun, die Kinder zusammen zu halten und ihre hungrigen und müden Quengeleien zu „tragen”.
Um Königsberg hatten schon heftigste Kämpfe stattgefunden.
Im 18 km entfernten Friedland standen die sowjetischen Truppen kurz vor der Stadt. Die Brücke über die Alle sollte gesprengt werden, um das Vordringen der russischen Truppen aufzuhalten. Das hätte bedeutet, dass die Bevölkerung mitten im Frontgeschehen geblieben wäre und nicht mehr aus der Stadt fliehen konnte. Als die Mutter mit den Kindern im Treck einer Massenbewegung von Flüchtenden die Alle-Brücke verlassen hatten, drehte sie sich noch einmal um. Sie standen auf einer Straße, die bergauf ging und alleeartig von großen Bäumen umrahmt war. Sie schauten hinunter in das Tal auf die Brücke und die Mutter sagte: „Gleich gibt es sie nicht mehr und wir werden nie mehr zurückkommen können.” Dieses Bild, die Straße mit den Allee-Bäumen, die Brücke, der Blick auf die Häuser von Friedland und die Worte der Mutter hatten sich bei Andrea so eingeprägt, dass sie 50 Jahre später mit ihrem Bruder eine Reise in die Vergangenheit machte und genau diese Stelle aufsuchte, um dieses Bild aus der Erinnerung wieder zu finden.
Sie fanden es und konnten beide jede Minute von damals nachvollziehen.