Читать книгу Jax - Warrior Lover 1 - Inka Loreen Minden - Страница 5
Kapitel 1 – Ich bin eine Sklavin
ОглавлениеSamantha Walker gibt es nicht mehr. Von heute an bin ich eine Serva, eine Sklavin mit der Nummer 13. Ein Gefängnisarzt hat sie mir groß und dick auf meinen linken Oberarm eintätowiert, genau wie den Strichcode darunter. Keine Ahnung, welche Daten er anzeigt. Das ist mir im Moment auch egal, denn Angst kriecht wie winzige Spinnen über meinen Körper und hinterlässt eine Gänsehaut.
Mit fünfzig anderen Sklaven stehe ich halbnackt in der vordersten Reihe der Ankunftshalle. Die riesige Kuppel wird von zahlreichen Scheinwerfern beleuchtet, vor uns befinden sich eine Bühne und ein schwarzes Tor, das noch geschlossen ist. Hinter uns klatscht das Publikum rhythmisch in die Hände und kann es kaum erwarten, bis die Warrior eintreffen. Was für eine Show – der Kommentator überschlägt sich mit Neugier erweckenden Vorankündigungen.
Ich stehe kurz davor, in Tränen auszubrechen, doch ein bisschen Würde möchte ich mir bewahren. Wenn alles gutgeht, wird mich keiner der Soldaten wollen. Ich lebe drei Tage länger gesund und munter in meiner winzigen Zelle, habe drei Tage länger Zeit, mir einen Plan zurechtzulegen, wie ich dieser Misere entfliehen kann, obwohl ich weiß, dass bisher niemand eine Flucht überlebt hat, falls ihm überhaupt eine geglückt ist.
Wir Sklaven tragen bloß einen blutroten Stringtanga, die Frauen zusätzlich ein Brustband in derselben Farbe. Es verhüllt kaum unsere Nippel. Niemals zuvor bin ich mir so nackt vorgekommen. Immer wieder fängt eine Kamera uns ein, besonders lang hält sie auf die Gesichter derer, in denen Panik geschrieben steht.
Während das Publikum grölt und Transparente für ihre Favoriten schwenkt, sind meine Augen auf das Bühnentor gerichtet, aus dem jede Sekunde die Warrior schreiten werden. Zwanzig Männer, unsere besten Soldaten. Insgesamt sind es über hundert, die mit Waffengewalt und vollem Körpereinsatz unsere Stadtgrenzen verteidigen; den Rest übernehmen automatisierte Waffensysteme.
Alle drei Tage, bei Schichtwechsel, wird ein Medienspektakel veranstaltet, um das Volk von White City zu unterhalten. Die Warrior werden wie Helden gefeiert. Auf riesigen Bildschirmen sind die Highlights der letzten Sendungen zu sehen. Gerade wird eine Szene gezeigt, in der Soldat Blaire – ein blonder Hüne mit Löwenmähne – eine Serva vergewaltigt, die er an einen Tisch gefesselt hat, Arme und Beine wie ein X gespreizt. Es ist Nummer 4, das Mädchen neben mir. Vielleicht achtzehn Jahre alt. Sie zittert und weint lautlose Tränen. Als wir hier einmarschiert sind, habe ich sie nach ihrem Namen gefragt. Sie heißt Miraja und gehörte den Rebellen an. Ich würde so gerne ihre Hand nehmen, um sie zu trösten und selbst Halt zu finden, doch es ist verboten, sich zu bewegen. Die Wärter stehen hinter uns, bereit, uns zu erschießen, sollten wir nicht gehorchen. Teilweise sind sie ehemalige Warrior, die zu alt sind, um den harten Job an der Stadtgrenze länger zu bewältigen.
Weitere Bilder werden eingespielt, wie Blaire vor den Stadtmauern einem alten Mann mit seiner Automatikwaffe den Kopf wegpustet. Der Outsider hat Blaire nicht einmal angegriffen, wollte bestimmt nur sauberes Trinkwasser oder Medikamente, die die Rebellen angeblich durch Abwasserrohre schmuggeln. Blaire tötet diese armen Menschen, ohne mit der Wimper zu zucken, bloß weil sie sich der Sperrzone nähern. Dabei lächelt er diabolisch, und ich erschaudere, während Miraja neben mir würgt.
»Reiß dich zusammen«, flüstere ich. »Oder du wirst erschossen.«
»Ein verführerischer Gedanke«, antwortet sie leise, woraufhin ich wünschte, meine Worte zurücknehmen zu können. Sie hat doch nicht vor …
Als plötzlich Rockmusik ertönt und das Tor aufgeht, zucken wir alle zusammen, Männer wie Frauen. Unter uns befinden sich neun männliche Sklaven, da es auch Warrior gibt, die dasselbe Geschlecht bevorzugen. Die Servi schauen nicht weniger ängstlich aus als wir Frauen, ein junger Mann mit der Nummer 8 weint still vor sich hin. Ich habe gehört, die meisten Männer lassen sich lieber exekutieren, als sich diese Demütigung anzutun. Wenn ich mir Mirajas Elend ansehe, kommen mir Zweifel, ob ich mich nicht auch lieber für die Todesspritze hätte entscheiden sollen. Ich zittere, Schweiß läuft mir vom Nacken unter meinen langen Haaren den Rücken hinab.
Blaire tritt auf die Bühne, seine Waffe über dem Kopf erhoben. Er hat eine Cargohose an, und über seinem nackten, muskulösen Oberkörper trägt er eine Schutzweste, an der weitere Waffen hängen: Granaten, Wurfsterne, Messer. Mit dem kantigen Gesicht und den langen blonden Haaren, die ihm in einer wilden Mähne um den Kopf fallen, sieht er aus wie ein Wikinger.
Er lässt sich bejubeln, dreht sich im Kreis und schreitet mit stolzgeschwellter Brust auf der Bühne hin und her. Frauen aus dem Publikum schreien seinen Namen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie ihre Bustiers, die knapp ihre Brüste verhüllen, hochziehen und schreien: »Fick mich, Blaire!«
Mein Magen verkrampft sich. Die Leute im Zuschauerraum, überwiegend Frauen, tragen kaum mehr als ich am Leib. In der Stadt ist es warm, außerdem verfällt das Volk immer mehr der Gier nach dieser Show, es liebt dieses Medienspektakel. Es erinnert mich an »Brot und Spiele« im alten Rom. Die Arbeiter sollen bei Laune gehalten werden, und das gelingt dem Regime ausgezeichnet. Da beinahe alle Geschlechtskrankheiten ausgerottet sind und niemand ungewollt schwanger werden kann, wird die Show immer extremer und auch das schamlose Treiben unter der Bevölkerung von Jahr zu Jahr schlimmer. Jeder macht es mit jedem, es gibt kaum feste Beziehungen. Treue und Vertrauen sind Fremdwörter geworden, das erschreckt mich. Viele sehen nicht, was sich wirklich abspielt oder wollen es nicht wahrhaben.
Blaire geht an der Reihe der Sklaven vorbei und wirft Miraja einen scharfen Blick zu, macht obszöne Gesten mit der Zunge und deutet mit dem Finger auf sie.
Das Publikum kreischt, und Miraja zittert so stark, dass ich glaube, trotz des Lärms ihre Zähne klappern zu hören.
Die Menge grölt und jubelt, feuert Blaire an, sich wieder Nummer 4 zu nehmen. Die Leute sind geil darauf, sie leiden zu sehen, wie beim letzten Mal. Auf den Monitoren erscheint eine Großaufnahme: Mirajas vor Angst und Schmerz weit aufgerissene Augen, während Blaire sie vergewaltigt, immer und immer wieder, die halbe Nacht lang. Das Volk ist live dabei, sitzt gemütlich zu Hause vor den Screenern und holt sich einen runter. Sie widern mich an. Alles widert mich an. Wie habe ich das in den letzten fünfundzwanzig Jahren ausgehalten?
Miraja bricht in Tränen aus, und als Blaire sich vor das Eingabepult stellt, habe ich Angst, dass sie ohnmächtig wird. Sie schwankt leicht.
Der Warrior tippt etwas ein – auf der Leinwand erscheint die Zahl 4.
Das Publikum hält nichts mehr auf den Sitzen und kreischt vor Begeisterung, während zwei Wächter in blauer Uniform Miraja abführen. Sie wehrt sich, schreit, tritt um sich. Wahrscheinlich hofft sie auf den erlösenden Schuss, doch der bleibt aus, Blaire hat gewählt. Ein Wärter verabreicht ihr eine Spritze in den Hals, betäubt sinkt sie in seinen Armen zusammen und wird weggezerrt.
Hoffentlich ist sie lange genug ohne Bewusstsein, damit sie nicht mitbekommt, wie sich das Schwein erneut an ihr vergeht. Aber das Glück wird ihr verwehrt sein. Wut und Angst ballen sich in mir zusammen. Am liebsten würde ich mich umdrehen wollen, einer Wache das Gewehr entreißen und den Warrior erschießen, sie alle töten, diese abartigen Sadisten.
Mein Magen verkrampft sich unaufhörlich. Einerseits aus Erleichterung, da ich nicht Blaires bevorzugtes Opfer bin, andererseits kommt mir die Galle hoch, wenn ich daran denke, was er Miraja antun wird.
Das Publikum beruhigt sich, der nächste Warrior wird vorgestellt: Crome.
Erneut ein Hüne, denn die Krieger sind alle groß, mit einem breiten Rücken und Muskeln wie Stahl. Sein silberfarbenes, fast weißes Haar leuchtet, als das Licht der Scheinwerfer auf ihn fällt.
Während er an unserer Reihe vorbeigeht, versuche ich ihm nicht in die Augen zu blicken. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen. Hoffentlich gefalle ich keinem von ihnen. Zumindest entspreche ich nicht dem gängigen Schönheitsideal, habe keinen Korrekt-Maß-Körper. Meine Brüste sind zu groß, mein Hintern zu rund und ich wirke wenig burschikos. Allein meiner Intelligenz habe ich es zu verdanken, dass ich Ärztin werden durfte, ansonsten würde ich jetzt wohl bei der Unterschicht im Publikum sitzen und sabbernd grölen.
Die Krieger kommen, wählen und verschwinden. So geht es ewig weiter. Bei jedem Mal stehe ich Todesängste aus und bete, dass mich niemand nimmt.
Der Senat hatte belastende Beweise gegen mich in der Hand. Ich hätte den Warrior Cedric Carter umgebracht.
Ich bin Ärztin, ich rette Leben!
Ich war Ärztin. Jetzt bin ich nur noch eine Nummer.
Ich unterdrücke ein Schluchzen und lasse meine Verhandlung im Geiste Revue passieren, um mich abzulenken. Cedric Carter sowie sein Bruder Jackson gerieten unter Beschuss der Rebellen und wurden beide von einer Granate schwer verletzt. Jackson überlebte, während ich Cedric nicht retten konnte. Obwohl er schon über den Berg war, versagte plötzlich sein Herz. Weil ich ihm absichtlich das falsche Medikament verabreicht hätte.
Der Lüge nicht genug, hat der Senat behauptet, ich würde den Rebellen angehören, hätte Medikamente nach draußen geschmuggelt und mich gegen das Regime gestellt. Doch das habe ich nicht! Niemals! Ich war immer loyal, wenn auch nicht in Gedanken. Oft habe ich daran gedacht, mich aufzulehnen. Aber ich war zu feige und habe mich immer gefügt, mein angenehmes Leben einem Dasein in Krankheit und Armut vorgezogen. Vor den Stadttoren zu leben ist höllisch, dort ist man der krebserregenden Sonne und der atomaren Verstrahlung ausgesetzt. Außerdem macht das verseuchte Wasser viele krank. Hier unter der schützenden Stadtkuppel atmen wir saubere Luft, produzieren reines Wasser und gesunde Lebensmittel. Es ist eines der letzten Paradiese, eine von dreihundert autarken Städten, die es auf der Erde gibt.
Leider reicht der Platz nicht für alle. Knapp fünfzigtausend Menschen leben hier in White City, und deshalb können die Outsider auch nicht in der Stadt wohnen. Das Regime tut aber viel dafür, um sie ruhigzustellen. Es liefert ein Mal in der Woche unser kostbares Wasser und ab und zu Medizin, aber nur, wenn die Outsider die Stadt nicht angreifen.
Mein Prozess war kurz, ich saß drei Monate hinter Gittern, bevor ich meine Todesstrafe antreten sollte. Mein Anwalt konnte veranlassen, dass ich in das Serva-Programm aufgenommen wurde, doch mit jeder Sekunde, die ich hier stehe, bereue ich diese Entscheidung mehr.
Mein Herz hämmert wild, bestimmt kann jeder sehen wie mein Brustkorb vibriert. Ständig zeigen sie Großaufnahmen von uns Sklaven, unsere starren Gesichter und die dazugehörigen Nummern.
Der vorletzte Warrior hat einen jungen Mann gewählt, und ich stehe immer noch da, bin wie in Trance, nur meine Blase drückt. Verdammt, ich muss dringend auf die Toilette.
Der letzte Soldat betritt die Bühne – und ich halte die Luft an. Sein schwarzes Haar ist kurz, der Bartschatten reicht fast bis zu den hohen Wangenknochen. Der Blick aus seinen blauen Augen wirkt kalt, sein Gesicht zeigt keine Regung. Ohne Starallüren, und als ob er das Publikum nicht bemerkt, schreitet er über die Bühne, den Lauf seiner großen Waffe auf der Schulter abgestützt. Sein nackter Oberkörper glänzt vor Schweiß und starrt vor Dreck. Oder ist das getrocknetes Blut?
Ich erschaudere.
Oh mein Gott, es ist Jackson Carter, von allen nur Jax oder »der Unbesiegbare« genannt, weil er schon drei Mal einen Treffer überlebt hat, der für andere tödlich geendet hätte.
Die Menge brüllt seinen Namen, mein Puls rast. Sogar eine Serva ruft: »Jax, nimm mich!«
Er ignoriert sie jedoch.
Zitternd drehe ich der Sklavin, die eine der ersten in der Reihe ist, den Kopf zu. Es handelt sich um eine schwarzhaarige Frau, die kaum älter ist als ich, höchstens dreißig. Ihre Figur ist ebenfalls sehr weiblich: große Brüste, runder Po. Ist sie verrückt?
Ein Wächter drückt ihr den Lauf seiner Waffe gegen den Kopf – sie verstummt.
Mit rasendem Herzen schaue ich auf die Bühne; Jax hat der Zwischenfall nicht aus der Ruhe gebracht.
Ich kenne ihn persönlich, denn ich habe ihn operiert! Er ist der größte und stärkste von ihnen. Obwohl er vor drei Monaten nur knapp dem Tod von der Schippe gesprungen ist, steht er bereits wieder an der Front. Er scheint wirklich unbesiegbar zu sein.
Seit dem Tod seines Bruders – heißt es – habe er seine Menschlichkeit verloren. Oder den letzten Rest davon. Welcher Warrior ist schon human?
Unauffällig versuche ich ihn zu mustern und erkenne tatsächlich Blut auf seinem gestählten Körper, Abschürfungen, kleine Wunden und die alten, verblassenden Narben, die ihm diese Granate beschert hat.
Jacksons Blick huscht teilnahmslos über die Sklavinnen, der Schwarzhaarigen schenkt er nur geringfügig länger seine Aufmerksamkeit. Sein Interesse scheint nicht groß zu sein. Er lächelt nicht, seine Miene ist finster. Seit er bei dem Granatenangriff fast gestorben ist, hat er keine Serva mehr zu sich geholt. Jax soll gefühlskalt geworden sein und noch besser kämpfen als zuvor. Er ist eine Tötungsmaschine.
Die Monitore zeigen ihn im Einsatz; er ist Scharfschütze und auch im Nahkampf hervorragend. Niemals verfehlt er sein Ziel.
Plötzlich verhaken sich unsere Blicke, seine blauen Augen werden groß. Hastig schaue ich weg und wünsche mir, er hätte mich nicht erkannt.
Geh vorbei, geh vorbei, leiere ich in Gedanken herunter, doch er stoppt vor dem Eingabepult.
Die Menge verstummt und hält ebenfalls die Luft an. Es wird totenstill. Eisiger Schweiß dringt aus all meinen Poren, hektisch beiße ich mit den Schneidezähnen auf die Innenseite meiner Unterlippe. Dann ertönt ein Aufschrei und Applaus tost los, es folgen aufgeregte Lautsprecherdurchsagen und Begeisterungsstürme des Kommentators. »Wir hatten bereits aufgegeben zu hoffen, aber es ist passiert: Jax hat gewählt, ist denn das die Möglichkeit?!«
Ich sehe auf, meine Eingeweide krampfen sich zusammen und ich schnappe nach Luft. Magensäure verätzt meine Zunge und schwarze Flecken tanzen vor meinen Augen. Wie gelähmt starre ich auf die blutroten Zahlen: 13.
Ja, Jackson hat gewählt. Er hat mich gewählt.
»Du Glückliche«, wispert die Sklavin zu meiner Rechten. Ich kenne sie nicht. »Jax ist gut zu uns. Er hat den Ruf, einer Serva niemals ein Leid angetan zu haben.«
Aber keine der Servas wurde beschuldigt, seinen Bruder getötet zu haben.