Читать книгу Zeugen unerwünscht - Irene Dorfner - Страница 6

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Das Wasser in der Dusche verfärbte sich rot. Sie stützte sich an den Fliesen ab und sah zu, wie die Farbe immer heller und heller wurde. Dass Tränen über ihre Wangen liefen, bemerkte sie nicht. Nachdem sie sich gründlich abgeseift hatte, waren an ihrem Körper die Spuren der Tat verschwunden. Immer noch zitternd zog sie sich an und stopfte ihre blutverschmierte Kleidung in einen Sack, ging in den Garten und zündete den großen Grill an, was sie sonst nie machte. Sie hasste Grillen und alles, was damit zusammenhing, aber ihr Mann bestand auf regelmäßige Grillabende, bei denen er sich wichtigmachen konnte. Jetzt wollte sie das sündhaft teure Ding, das für Kohle und Holz gedacht war, zum ersten Mal sinnvoll verwenden. Geschickt brachte sie das trockene Holz zum Brennen, was ihr ein leichtes Schmunzeln entlockte. Ihr Mann machte immer einen Zinnober um das Anzünden, was wahrlich kein Hexenwerk war. Sie machte sich nicht die Mühe, alle Kleidungsstücke einzeln zu verbrennen, sondern legte den ganzen Sack auf die lodernden Flammen. Das Feuer nahm rasch Besitz von dem, was gleich für immer vernichtet war. Es war ihr gleichgültig, ob die neugierigen, ätzenden Nachbarn sie beobachteten. Bis irgendjemand hier war, waren auch die letzten Spuren beseitigt. Der Wagen war längst in der Werkstatt - für eine gründliche Innenreinigung, falls ihre Kleidung oder die Hände Blutspuren hinterlassen hatten. Vor dem Haus stand ein Leihwagen. Ob ihrem Mann das überhaupt auffiel? Sie zweifelte daran, denn der egoistische Mistkerl kümmerte sich nur um das, was ihn persönlich betraf.

Sie ging ins Haus, schenkte sich ein Glas Wein ein und bemerkte, dass ihre Hände immer noch zitterten. Sie hatte Manuel tatsächlich umgebracht. Dass sie dazu fähig gewesen wäre, hätte sie nie für möglich gehalten. Sie war immer ein fügsamer, zurückhaltender Mensch gewesen, der lieber still litt, als sich zu wehren – aber heute war sie über sich hinausgewachsen. Diesmal hatte sie sich nicht einfach zurückgezogen und hingenommen, dass sie übel beleidigt und sehr mies behandelt wurde. Manuel musste dafür bezahlen, denn so schäbig durfte niemand mit ihr umgehen.

Sie stand wieder auf der Terrasse und starrte in die Flammen, die fast schon alles verschlungen hatten. Sie wollte es nicht, musste aber an die Tat denken. Manuel servierte sie heute Morgen mit einer simplen Nachricht per Handy einfach ab. Boshafte, fiese Worte, die sie nicht verdiente, sollten eine wunderbare Beziehung beenden. So verletzend, dass sich jedes der Worte tief in ihre Seele einbrannte. Das konnte sie sich nicht gefallen lassen. Sie war nach der Nachricht sofort zu Manuel gefahren und wollte ihn zur Rede stellen, aber er war nicht da. Endlich tauchte er auf – mit einem riesigen Blumenstrauß in der Hand. Sie lächelte, denn sie war sich sicher, dass der für sie bestimmt war und er sich bei ihr entschuldigen wollte. Sie ging auf ihn zu und wollte ihn umarmen, aber er stieß sie rüde von sich.

„Hast du nicht verstanden, dass es aus ist? Ich will nichts mehr von dir! Wir haben nichts gemeinsam. Außerdem bist du alt und gleichst mittlerweile einer Vogelscheuche. Ich kann dein Gesicht und dein Gejammer nicht mehr ertragen! Geh nach Hause zu deinem Mann!“

Sie war verletzt. Worte zu lesen war die eine Sache, sie aber direkt zu hören eine ganz andere. Das war nicht ihr Manuel, wie sie ihn kannte und liebte. Es musste etwas passiert sein, sonst würde er sie nie so mies behandeln. Sie kombinierte schnell, dass er eine andere haben musste. Sie wollte Klarheit, aber Manuel wollte sich nicht erklären. Er drängelte sich an ihr vorbei, schubste sie zur Seite, ging ins Haus und machte vor ihrer Nase die Tür zu. Sie stand einfach nur da und verstand die Welt nicht mehr. Was war nur los mit ihm? Als sie sich vor drei Tagen das letzte Mal trafen, war alles noch in bester Ordnung. Und jetzt das! Mit gesenktem Kopf setzte sie sich in ihren Wagen und startete den Motor der Luxuskarosse, die ihr nie etwas bedeutete. Sie hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, den Wagen Manuel zu schenken. Sie lachte bitter und merkte nicht, dass Tränen über ihre Wangen liefen. Das soll es jetzt gewesen sein?

Als sie wegfahren wollte, bemerkte sie eine junge Frau, die auf das Haus zuging. War sie es, die Manuels Herz erobert hatte? Das war doch nicht möglich! Diese billige Frau, die augenscheinlich der untersten Gesellschaftsschicht angehörte, sollte sie ersetzen? Der Motor des Wagens war aus, denn jetzt konnte sie nicht mehr wegfahren, sie musste mehr erfahren. Die Eifersucht nagte tief und sie begann, die Frau genau zu mustern, die wartend vor der Tür stand. So stellte sie sich eine Straßenhure vor, auch wenn sie noch nie eine gesehen hatte. Dieses Flittchen war mit ihr nicht zu vergleichen, das stand außer Frage. Kein Niveau und einfach nur billig. Wie alt diese Schlampe wohl war? Zwanzig? Der Altersunterschied von über dreißig Jahren traf sie tief. War es das, was Manuel wollte? Eine junge Frau an seiner Seite, die vermutlich noch nicht einmal was im Kopf hatte? Nein, so sehr konnte sie sich doch nicht in ihm getäuscht haben! Noch war nicht sicher, ob diese Frau zu Manuel wollte. Es glich einem Stich in ihrem Herzen, als ihr geliebter Manuel tatsächlich die Tür öffnete! Das war Verrat - an ihr und an allem, was sie gemeinsam hatten. Sie konnte sich nicht jünger machen, aber sie hatte sich in den zwei Jahren ihres Verhältnisses alle Mühe gegeben, um jung und attraktiv für ihn auszusehen. Zahllose Eingriffe, die mit vielen Schmerzen verbunden waren, waren schon fast zur Routine geworden. Die Haaransätze wurden beinahe wöchentlich gefärbt, weshalb ihr Haar dünner und dünner wurde. Ihr Friseur war ein Künstler und brachte ihre dunkle Mähne mit Extensions wieder zur alten Fülle. Sie machte sehr viel Sport mit Hilfe eines Personaltrainers, der sie quälte und regelmäßig an ihre Grenzen brachte. Der straffe Ernährungsplan war selbstverständlich, wozu auch viele Zusatzpräparate gehörten, um den Alterungsprozess aufzuhalten. Selbst vor Tattoos hatte sie nicht zurückgeschreckt, um sich der Jugend anzupassen. Das hatte einige heftige Auseinandersetzungen mit ihrem Mann nach sich gezogen, denn der war von dem neuen Körperschmuck entsetzt. Er war regelrecht angewidert und bestand darauf, dass sie sie in der Öffentlichkeit abdeckte, denn für ihn gehörten Tattoos zur untersten Gesellschaftsschicht und damit wollte er nichts zu tun haben. Manuel liebte ihre Tattoos, von denen einige sehr gewagt waren. Das alles hatte sie nur für Manuel gemacht und das war jetzt der Dank dafür!

Sie saß in ihrem Wagen und ballte die Fäuste, sodass sich die langen, frisch manikürten Nägel tief ins Fleisch bohrten. Dass ein Mann das Haus wenig später betrat, beachtete sie nicht. Sie war rasend vor Wut, diese Behandlung wollte sie sich nicht gefallen lassen. Aber was sollte sie tun? Sie musste sich entscheiden, denn je mehr Zeit verging, desto wütender wurde sie. Dann traf sie eine Entscheidung: Es war an der Zeit, Manuel zur Rede zu stellen – und zwar im Beisein dieser billigen Frau!

Gerade, als sie aussteigen wollte, verließ dieses Flittchen mit einem Fremden das Haus. Das Stelldichein hatte nicht allzu lange gedauert, da musste etwas schiefgegangen sein. Erleichtert zog sie sich wie immer ein Kopftuch über und setzte die Sonnenbrille auf, um nicht erkannt zu werden. Dann ging sie auf das Haus zu. Nachdem sie vergeblich klingelte, kam jemand aus dem Haus und ließ sie rein. Manuels Wohnungstür stand offen und sie trat ein. Sie fand den Geliebten auf der Couch in einer hilflosen Lage. Er röchelte, Speichel rann aus seinem Mundwinkel. Der Blumenstrauß lag auf dem Tisch. Daneben standen eine Flasche Sekt und zwei Gläser, seines war leer. Sie kombinierte schnell, dass Manuel Opfer eines Verbrechens geworden war. Wie ein verliebter Schuljunge war er in die Falle getappt. Ob sie ihm das verzeihen würde? Die Wut war wie weggeblasen, sie sorgte sich um ihn. Sie war eine liebende Frau und war fähig, Fehler zu verzeihen. Manuel würde einsehen, was er an ihr hatte und alles war wieder gut. Einen kurzen Moment zögerte sie. War es nicht ratsam, die Polizei zu rufen? Nein, das würde Manuel nicht wollen, dafür kannte sie ihn zu gut.

Sie holte Wasser und ein nasses Tuch. Liebevoll brachte sie ihn langsam wieder zu Bewusstsein. Sie küsste und streichelte ihn. Manuel würde seinen Fehler einsehen und alles war wieder wie vorher. Aber statt eines Dankes oder einer Entschuldigung beschimpfte er sie und schrie sie an.

„Was machst du hier? Wie kommst du in meine Wohnung?“

„Wie geht es dir, mein Liebling? Soll ich einen Arzt rufen? Oder die Polizei?“

„Nein, mir geht es gut. Lass mich endlich in Ruhe! Hau endlich ab, hörst du? Ich kann deine künstliche Visage nicht mehr sehen! Ich ertrage dich einfach nicht länger! Hast du mich jetzt verstanden? Verschwinde!“

Das war zu viel für sie. Sie nahm die Sektflasche und schlug mit aller Kraft zu. Wie im Traum lief der Moment vor ihr ab, der ihrem Leben eine Wende geben sollte. Manuel war tot. Die kalten Augen schienen sie anzustarren. Wie lange sie nicht fähig war, irgendetwas zu tun, wusste sie nicht. Sie starrte Manuel an und konnte nicht glauben, was geschehen war. Erst, als sie sich beruhigt hatte, bemerkte sie das viele Blut an ihrer Hand und auf ihrem hellen Kostüm. Sie geriet in Panik. Der erste Instinkt war, einfach wegzulaufen. Aber dann besann sie sich anders. Sie wischte die Flasche ab, säuberte den Wasserhahn und steckte das Wasserglas und das Tuch in einen Müllsack, den sie in der Schublade des Küchentisches fand. Sie durfte keine Spuren hinterlassen, weshalb sie alles nur noch mit einem Taschentuch anfasste. Sie betrachtete sich im Spiegel: Nein, so blutverschmiert konnte sie nicht nach draußen gehen, das war unmöglich. Panik stieg in ihr auf und sie musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. Rasch ging sie ins Schlafzimmer und suchte eine Jogginghose und ein Sweatshirt. Dass ihre hochhackigen Schuhe nicht dazu passten, war jetzt völlig gleichgültig. Das Kostüm steckte sie in den Müllbeutel. Noch ein letztes Mal sah sie Manuel an, der ihr sehr viel bedeutet hatte. Sie hatte sich von ihm und seinen süßen Worten blenden lassen. Sie war glücklich mit ihm gewesen, denn er war anders als die Männer, die sie bis dahin kannte. Manuel war aufmerksam, verständnisvoll, charmant, humorvoll, zärtlich und sehr ehrlich. Was für ein verlogenes Schwein er war, war ihr erst heute aufgefallen. Er war nicht anders als die anderen Männer, er war viel schlimmer. Jetzt war er tot und das war gut so.

„Du grillst? Was ist denn in dich gefahren?“

Ihr Mann riss sie aus ihren Gedanken. Rasch wischte sie die bitteren Tränen weg, die niemand sehen sollte, auch er nicht. Sie kannte ihren Mann schon seit vielen Jahren und wusste, dass er jede noch so kleine Schwäche schamlos ausnützen würde.

„Mir war kalt. Gute Nacht.“ Sie ging an ihrem Mann vorbei und schenkte sich Erklärungen, die ihm sowieso völlig gleichgültig waren. Er interessierte sich schon lange nicht mehr für sie, ihre Wünsche oder Träume waren ihm schon immer gleichgültig gewesen. Ihm ging es nur darum, dass sie an seiner Seite war, hübsch aussah und die perfekte Ehegattin abgab, denn mehr hatten sie schon lange nicht mehr gemeinsam. Dass ihr Mann nicht reagierte und sich einen Drink einschenkte, registrierte sie mit einem bitteren Lächeln auf dem Weg nach oben in ihr Schlafzimmer. Sie blieb kurz stehen und sah ihn an. Warum hatte sie nur so ein Pech mit Männern? Vielleicht wäre es gut, wenn auch ihr Mann sterben würde.

Zeugen unerwünscht

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