Читать книгу Zeugen unerwünscht - Irene Dorfner - Страница 9
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Оглавление„Fingerabdrücke aus der Wohnung Sosnowski wurden sichergestellt. Auffällig viele Spuren einer unbekannten Person, aber andere konnten zugeordnet werden. Sie gehören zu einer Cora Dornhammer. Sie ist zweiundzwanzig Jahre alt, wohnt in Burghausen und ist wegen kleinerer Delikte auffällig geworden“, las Tatjana Struck von ihrem Bildschirm ab. Fuchs hatte den Bericht per Mail zugesandt, da er sich sofort mit der Leiche auf den Weg zur Pathologie nach München machte. Er hätte zwar eine Besprechung einberufen können, befand das für diese Information aber überzogen. Außerdem wartete die Leiche, die obduziert werden musste. „Diebstähle, Kreditkartenbetrug und weitere Kleinigkeiten“, las Tatjana weiter vor. „Es liegt eine aktuelle Anzeige eines Mannes aus Mühldorf vor, den sie beklaut haben soll. Der Name ist Dominik Albrecht.“
„Wenn du erlaubst, würden wir uns gerne den Mann vornehmen“, schlug Hans vor.
„Gut, dann fahren wir beide nach Burghausen und sprechen mit Cora Dornhammer. Wenn wir zurück sind, sollten wir den leiblichen Vater von Andrea Sosnowski suchen, auch wenn ich keine Ahnung habe, wo wir ansetzen sollen und was das bringen soll.“ Tatjana warf Leo einen vorwurfsvollen Blick zu, denn solche Nebensächlichkeiten, wie sie es nannte, hielten die Ermittlungen nur unnötig auf. „Krohmer macht inzwischen den Schrebergarten ausfindig. Er hat gute Beziehungen zum Grundbuchamt und kommt sehr viel schneller voran als wir.“ Tatjana Struck war mit ihren vierzig Jahren schon seit drei Jahren die Leiterin der Mordkommission und sie machte ihre Arbeit sehr gut. Sie und die junge Kollegin Diana Nußbaumer konnten nicht unterschiedlicher sein. Während die neunundzwanzigjährige Diana immer wie aus dem Ei gepellt und sehr gepflegt aussah, war Tatjana das genaue Gegenteil. Es war ihr schlichtweg egal, wie sie aussah und wie sie auf andere wirkte. Sie kleidete sich zweckmäßig und einige Flecken störten sie nicht. Sie trug immer Sneakers, mit denen sie bei Wind und Wetter zurechtkam. Diana hatte sich heute für ein hellblaues Kostüm mit dazu passenden, hochhackigen Sandalen entschieden, denn es war heute besonders warm, was vermutlich am Föhnwetter lag. Dianas Handtasche war riesig und passte perfekt zu ihrem Outfit. Auch das Make-up war makellos, wohingegen Tatjana keines benutzte. Für sie passte das nicht zu ihrem Job, Diana war anderer Meinung. Welche Arbeit man auch machte, man musste immer das Beste aus sich machen, auch wenn sie eher in ein Modemagazin gepasst hätte.
Leo zögerte, denn noch galt es eine Entscheidung zu fällen, was er gerne Tatjana überlassen würde.
„Die Mutter kann die Leiche nicht identifizieren, dazu ist sie nicht in der Lage.“
„Dann muss das die Schwester übernehmen.“
„Sie will aber nicht.“
„Es wird ihr nichts anderes übrigbleiben. Ich habe aus deinem Bericht entnommen, dass das Verhältnis zwischen Bruder und Schwester nicht gut war. Stimmt das?“
„Das ist stark untertrieben. Die beiden haben sich gehasst. Die Schwester will mit dem Opfer nichts mehr zu tun haben. Allerdings haben sie und ich eine Vereinbarung. Sollte die Mutter zur Identifizierung nicht imstande sein, wird sie das übernehmen. Sie wird nicht begeistert sein.“
„Da muss sie durch. Diana und ich sind sowieso in Burghausen, wir werden ihr die frohe Botschaft überbringen. Ich bin gespannt, wie sie darauf reagiert. Außerdem bin ich neugierig geworden und möchte mir die Frau gerne persönlich ansehen.“
„Ich auch“, schloss sich Diana an, die als gebürtige Burghausenerin noch nie von einer Andrea Sosnowski gehört hatte. Allerdings kannte sie den Inhaber des Malerbetriebs Markus Specht und dessen Frau ziemlich gut, auch wenn ihre letzte Begegnung schon Jahre zurücklag.
Friedrich Fuchs war in München angekommen und betrat mit der Leiche die Pathologie. Seine Freundin Lore Pfeiffer wusste bereits, dass er kam und erwartete ihn. Die beiden lächelten sich zu, vermieden aber jegliche Vertrautheit. Lore war für die Reihenfolge der Leichenschauen verantwortlich, wobei sie sehr kreativ vorging. Während sympathische Menschen immer vorgezogen wurden, mussten Drängler und Unsympathen warten. Lore setzte ihren Friedrich immer an die erste Stelle der Liste. Das löste bei vielen Wartenden Unmut aus, was ihr aber völlig gleichgültig war. Sie hatte hier das Sagen und alle hatten sich an ihre Anweisungen zu halten. Friedrich Fuchs nahm diese Bevorzugung gerne in Anspruch. Ein schlechtes Gewissen kannte er nicht, schließlich hatte er das nicht zu verantworten.
„Du bist als nächster dran“, raunte Lore ihm zu.
„Du bist ein Engel“, sagte er leise.
„Sehen wir uns später?“
„Für ein gemeinsames Essen ist Zeit, danach muss ich sofort zurück. Wenn du willst, können wir uns am Wochenende sehen – vorausgesetzt, der Mordfall erlaubt ein freies Wochenende. Das Wetter soll schön werden. Was hältst du von einem Ausflug an den Chiemsee?“
„Das wäre sehr schön.“
Als Fuchs mit seiner Leiche an allen vorbeiging und vorgelassen wurde, entstand ein Tumult unter den Wartenden, denn auf dem Gang hatte sich wie immer eine lange Schlange gebildet. Lore Pfeiffer quittierte das mit einem strengen Blick. Einer der Männer wurde frech und laut, was Lore mit dem letzten Platz auf ihrer Liste belohnte.
„Das können Sie nicht machen, ich warte seit fünf Stunden!“
„Sie sehen doch, dass ich das kann!“
„Doktor Fuchs? Das ist ja eine Freude!“, rief der Pathologe Doktor Schnabel bestens gelaunt. Der Mann liebte seine Arbeit und alles, was damit zusammenhing.
„Männlich, Anfang dreißig. Augenscheinlich wurde dem Opfer der Schädel eingeschlagen. Die Tatwaffe ist eine Sektflasche.“
„Ich sage ja schon immer, dass Alkohol gefährlich ist“, lachte Schnabel über seinen eigenen Witz. Dann sah er sich den Toten genauer an. „Der ist zwar nicht so alt wie unsere damalige Leiche, aber auch nicht mehr frisch.“
„Ich vermute vier Wochen?“
„Könnte hinkommen, aber das können wir präziser definieren. Schauen wir mal, was wir diesmal finden. An das letzte Mal kann ich mich noch sehr gut erinnern. Wurde der Täter gefasst?“
Fuchs nickte. Damals hatte Schnabel einige Kräuter identifizieren können, die in einer Folie in der Jackentasche des Toten steckten und die man trotz der vielen Jahre zuordnen konnte.
Schnabel drehte die Musik lauter, da er festgestellt hatte, dass er mit Musik aus den siebziger Jahren sehr viel entspannter arbeiten konnte. Es gefiel ihm, die Texte mitzusingen und sich an die damalige Zeit zu erinnern. Fuchs kam die Ablenkung sehr gelegen, da Smalltalk nichts für ihn war. Die Musik interessierte ihn nicht, sie war so gut oder so schlecht wie jede andere auch. Er beobachtete jeden Handgriff und war auch nach all den Jahren immer noch fasziniert von der Arbeit eines Pathologen, der sein Handwerk verstand. Nach seinem Studium hatte er kurz überlegt, ebenfalls diesen Weg einzuschlagen, hatte sich aber dann doch dagegen entschieden. Jeden Tag dieselbe Arbeit wäre nichts für ihn.
Während die Leiche obduziert wurde, waren Tatjana und Diana bei Maler Specht in Burghausen angekommen. Sie standen im Büro von Frau Sosnowski, die sich beide Kriminalbeamtinnen ganz anders vorgestellt hatten. Vor ihnen saß eine biedere, schlichte, unauffällige Frau.
„Was kann ich für Sie tun?“ Andrea Sosnowski hatte nur Augen für Diana, denn sie war eine ernste Konkurrenz, die sie hier nicht duldete. Sie mochte es nicht, dass es junge, hübsche Frauen im Dunstkreis ihres Chefs und Geliebten gab, denen sie nicht das Wasser reichen konnte. Die andere Frau war keine Gefahr. Frau Sosnowski vermutete in beiden Kundinnen, die sie schnell abwimmeln musste, denn gerade fuhr Markus auf den Hof.
„Wir sind keine Kunden, wir sind die Kriminalpolizei“, sagte Diana, die sofort spürte, was in der Frau vorging. Beide zeigten ihre Ausweise.
„Was wollen Sie denn schon wieder?“ Andrea Sosnowski sah nervös zum Fenster. Es blieb nicht mehr viel Zeit, dann würde Markus der hübschen Frau gegenüberstehen und nur noch Augen für sie haben. Er war in diesem Punkt wie alle Männer.
Tatjana beobachtete die Frau und erkannte ebenfalls, was hier abging.
„Es geht um die Identifizierung Ihres Bruders. Leider ist Ihre Mutter dazu nicht in Lage.“
„Das habe ich mir gedacht, die Alte drückt sich wieder. Gut, ich mache es. Sagen Sie mir wann und wo.“
„Sobald die Leiche aus München zurück ist, melden wir uns bei Ihnen.“ Diana suchte umständlich nach ihrer Visitenkarte, denn dass die Frau drängelte, musste einen Grund haben. Sie reichte ihr die Karte und Frau Sosnowski riss sie ihr förmlich aus der Hand.
„War es das? Dann darf ich Sie bitten wieder zu gehen!“
„Darf ich Ihre Toilette benutzen?“ Tatjana gab nicht so schnell auf. Es war offensichtlich, dass die Frau und der Mann, der eben in dem dicken Wagen vorfuhr, enger verbandelt waren. Und es war ihr klar, dass sie eine Begegnung zwischen ihnen und dem Mann vermeiden wollte. So leicht wollte sie es der Frau nicht machen.
„Haben wir nicht“, sagte Frau Sosnowski schnell. Markus kam auf die Tür zu und war in einer Minute in ihrem Büro. Es war endlich an der Zeit, dass die Frauen gingen.
„Wie jetzt? Sie haben keine Toilette? Ist das überhaupt erlaubt?“
„Natürlich haben wir eine, aber die ist nur fürs Personal! Gehen Sie bitte!“
Jetzt war es zu spät. Markus trat ins Büro und hatte natürlich nur Augen für die junge Kriminalbeamtin, die für Andreas Geschmack ungebührlich gekleidet und viel zu aufgetakelt war.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Markus Specht mit einem strahlenden Lächeln. Es kam nicht oft vor, dass sich eine solche Erscheinung in sein Geschäft verirrte.
„Guten Tag, Herr Specht. Sie kennen mich nicht mehr? Diana Nußbaumer. Sie erinnern sich?“
„Die Enkelin vom Alois?“
„Richtig.“
Markus Specht nahm Dianas Hand und hielt sie länger als nötig. Dann begrüßte er auch Tatjana, die er aber nicht länger beachtete.
„Donnerwetter! Aus Ihnen ist ja eine richtige Schönheit geworden, Frau Nußbaumer. Wie lange ist es her, dass ich das Haus Ihres Großvaters gestrichen habe?“
„Das dürften jetzt etwa zehn Jahre sein. Wir haben erst vor einigen Wochen darüber gesprochen, dass es Zeit wird, die Farbe zu erneuern.“
„Ich werde Ihren Großvater anrufen und ihm ein Angebot unterbreiten, das er nicht ablehnen kann. Machen Sie eine Notiz, Frau Sosnowski“, wies er an, ohne die Frau anzusehen, denn er konnte sich kaum an Diana sattsehen. „Die kleine Diana, ich kann es kaum glauben. Ich werde mich mit Ihrem Großvater einigen, das verspreche ich Ihnen. Mit Ihren Eltern kann ich ja kein Geschäft machen. Sie hatten sich damals für eine Holzbauweise entschieden, was Geschmackssache ist. Allerdings werde ich bis heute nicht verstehen, wie man Holz einfach verwittern lassen kann. Mit einem Schutzanstrich sähe das doch viel schöner aus.“
„Auch das ist Geschmackssache. Mir gefällt es, wie es ist.“ Diana setzte ihr charmantestes Lächeln auf, denn sie hatte das Gesicht von Frau Sosnowski bemerkt. Wenn Blicke töten könnten!
„Sie sind jetzt aber nicht wegen des Angebots hier, oder?“
„Nein, wir sind beruflich hier.“ Diana zeigte ihren Ausweis.
„Kriminalpolizei?“
„Wir sind…“ Weiter kam Tatjana nicht, denn Frau Sosnowski hatte endlich genug. Sie konnte es nicht ertragen, wenn ihr Markus mit anderen Frauen flirtete. Reichte es nicht, dass sie seine Frau ertragen musste?
„Es handelt sich um eine Privatangelegenheit, die mich betrifft. Wir sind hier fertig, oder?“
„Ja, sind wir.“
„Es hat mich gefreut, Sie zu sehen, Frau Nußbaumer.“ Auch jetzt hielt Specht die Hand wieder viel zu lange, was Andrea Sosnowski erneut einen Stich versetzte.
Die Kriminalbeamtinnen waren endlich gegangen und Andrea konnte aufatmen.
„Was wollte die Kriminalpolizei von dir?“
„Nichts. Musstest du die Polizistin dermaßen anschmachten?“
„Ich habe was? Das ist die Enkelin eines Kunden, die ich schon sehr lange kenne. Du spinnst, wie immer.“ Markus Specht ging in sein Büro. Er hatte keine Lust auf eine weitere Szene, die sich in den letzten Monaten mehr und mehr häuften. Es war an der Zeit, sie endlich loszuwerden, denn das Zusammensein mit ihr machte schon lange keinen Spaß mehr. Da er die Eifersucht seiner Geliebten kannte, war ihm klar, dass sie ihn nicht an das Angebot Nußbaumer erinnern würde, also machte er seine eigene Notiz. Während er den Namen schrieb, musste er lächeln. So eine hübsche Erscheinung könnte er gerne öfter vertragen.
„Der Typ ist ja voll auf dich abgefahren“, lachte Tatjana, als sie im Wagen saßen.
„Und das hat der Sosnowski überhaupt nicht gefallen. Die ist vor Eifersucht fast geplatzt. Du denkst doch auch, dass sie und der Chef etwas miteinander haben, oder?“
„Auf jeden Fall!“
Die beiden erreichten ihr nächstes Ziel im Zentrum Burghausens. Die Wohnsiedlung bestand seit den fünfziger Jahren und hatte vor allem in den letzten zwanzig Jahren einen üblen Ruf, der durch die umfangreichen Modernisierungsmaßnahmen der Häuser aber langsam wieder verschwand. Die Stadt versuchte mit großen Anstrengungen, die üble Wohngegend in eine luxuriöse Wohnanlage zu verwandeln, was Schritt für Schritt gelang. Einzig dieses Haus war noch im Urzustand und es schien nur noch eine Frage der Zeit, dass auch hier modernisiert wurde. Die Kriminalbeamtinnen klingelten an der Tür von Cora Dornhammer. Laute Musik drang aus einer Wohnung, auf deren Tür mit einem Stift der Name Cora geschrieben stand und kaum noch lesbar war. Hier waren sie richtig. Die laute Musik bestätigte, dass die Frau da sein musste. Ein Mann kam die Treppen herunter.
„Sie wollen zu Cora?“
„Ja. Kriminalpolizei“, sagte Tatjana und zeigte ihren Ausweis.
„Ich glaube Ihnen das auch so. Seit die anderen Nachbarn ausgezogen sind, kommt die Polizei nur noch selten, trotzdem erkenne ich Ihresgleichen sofort.“ Der Mann war Anfang dreißig und kleidete sich wie ein Teenager. Er schien bemüht zu sein, so lässig wie möglich zu erscheinen, was ihm nicht wirklich gelang. „Die Cora hört sehr gerne laute Musik, was mich aber nicht stört. Ich drehe einfach meine Musik lauter.“ Er grinste und fand sich offenbar sehr witzig.
„Ausweis?“
Der Mann griff in seine Hosentasche und zog einen zerfledderten Personalausweis hervor.
„Der hat aber auch schon bessere Tage gesehen. Kümmern Sie sich um einen neuen Ausweis.“
„Das muss ich nicht. Solange man meine Daten lesen kann, ist er gültig, ich habe mich informiert.“
Erik Sommerfeld – Tatjana notierte sich den Namen. Sie kannte diese streitbaren Typen, die immer und überall nur Ärger machten.
„Die anderen Mieter sind weg? Warum?“
„Wenn Sie sich hier umsehen, erübrigt sich die Frage. Das Haus ist eine Ruine und soll jetzt wie die anderen Häuser auch renoviert werden. Nur die Cora und ich sind noch hier. Wir weigern uns auszuziehen, was die Hausverwaltung zur Weißglut bringt. Wir pochen auf unsere Mietverträge und bleiben, wogegen auch die Staatsmacht nichts machen kann. Seit einigen Wochen versucht man, uns mit Geld zu verscheuchen. Wir bekommen ein Angebot nach dem anderen, damit wir endlich verschwinden. Aber ich lasse mich nicht vertreiben, ich kenne meine Rechte! Ich befürchte allerdings, dass die Cora langsam weich wird, die ist immer blank. Aber ich werde bleiben!“ Die Aussage klang nach einer Kampfansage.
„Warum gehen Sie nicht einfach? Hier leben zu müssen ist doch kein Spaß“, rümpfte Diana die Nase, die nie im Leben hier wohnen wollte. Alles war heruntergekommen, dreckig und kaputt, außerdem stank es fürchterlich.
„Einfach nachzugeben ist nicht meine Art, ich liebe die Auseinandersetzung. Vor allem, wenn ich im Recht bin. Außerdem bin ich ein armer Schlucker und kann mir keine andere Wohnung leisten. Deshalb kämpfe ich und bleibe, solange es geht.“
„Haben Sie es schon mal mit Arbeit versucht? Mit einem geregelten Einkommen könnten Sie sich eine vernünftige Unterkunft leisten.“ Diana konnte sich das nicht verkneifen. Sie nahm an, dass der Mann keiner Arbeit nachging und von der Stütze lebte.
„Sie sind ja ein ganz schlaues Püppchen“, sagte Sommerfeld, nachdem er Diana von oben bis unten gemustert hatte. „Habe ich gesagt, dass ich nicht arbeiten gehe?“
„Wenn ich falsch lag, entschuldige ich mich in aller Form. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich meinte ja nur…“
„Schon gut, machen Sie sich nicht gleich ins Höschen.“ Sommerfeld grinste, er schien diese Situation sehr zu genießen. „Es stimmt, dass ich momentan von der Stütze lebe, aber das ist in einem Sozialstaat keine Schande.“
Tatjana ignorierte den Mann. Sie hatte keine Lust auf eine Grundsatzdiskussion und wegen dem streitbaren Mann waren sie nicht hier. Sie klingelte wieder und wieder.
„Warten Sie, ich kann Ihnen helfen, auch wenn mich die Cora dafür hassen wird“, sagte Erik Sommerfeld. „Sie werden mich doch nicht verraten?“ Er zog einen Schlüsselbund aus der anderen Hosentasche und schloss die Haustür von Cora Dornhammer auf. „Bitteschön! Ich bin der Staatsmacht immer gern behilflich!“ Erik grinste und rannte die Treppe nach unten. Vermutlich nicht wegen eines Termins, sondern weil er Angst vor Cora hatte. Wenn sie erfuhr, dass er die Polizei reingelassen hatte, würde sie ihm die Hölle heiß machen. Erik half der Polizei nicht, weil er ein guter Mensch war, sondern weil er Cora nicht mochte. Diese Proletin war nicht nur strunzdumm, sondern machte, was sie wollte. Sie hielt sich nicht an Gesetze, und Pflichten waren ihr gleichgültig. Auch wenn sie beide als letzte Mieter verblieben waren, gab es Regeln, an die sie sich zu halten hatten. Während er seinen Teil dazugab, pfiff Cora auf alles, was angesagt war. Sie war nicht ganz astrein und beging Straftaten, was die Situation im Haus nur belastete. Jetzt war sogar schon die Kriminalpolizei wegen ihr da, was die ganze Situation nicht vereinfachte. Es war gut, wenn sie endlich weg war und er den Kampf allein bestreiten konnte. Cora war sowieso keine Hilfe, sondern machte ihm nur das Leben schwer. Vielleicht hatte er Glück und sie war nicht mehr da, wenn er zurück war.
„Du willst doch nicht einfach die Wohnung betreten?“, fragte Diana, der bei dem Gedanken nicht wohl war.
„Warum nicht?“
„Das ist nicht erlaubt. Lass uns gehen, wir kommen ein andermal wieder.“
„Riechst du auch Gas?“, lachte Tatjana, die nicht im Traum daran dachte, jetzt einfach wieder zu gehen.
„Gas? Komm mir jetzt nicht mit Gefahr im Verzug, das trifft hier nicht zu!“
„Von ihr gibt es Fingerspuren in der Wohnung Sosnowski und die dürfen wir nicht auf die leichte Schulter nehmen. Vielleicht ist sie die Täterin. Sollen wir jetzt gehen, nur weil sie uns die Tür nicht öffnet? Jetzt mach dich mal locker, Diana! Was ist los mit dir?“
„Ich möchte keinen Ärger…“ Noch bevor sie ausgesprochen hatte, betrat Tatjana die Wohnung und Diana folgte ihr, wenn auch nicht wirklich begeistert. In der Wohnung sah es chaotisch aus. Überall lagen Kleidungsstücke und Schuhe, dazwischen gab es jede Menge Gläser, Teller, Flaschen und Pizzakartons. Alles war durchzogen von Spinnweben und einer fingerdicken Staubschicht, außerdem roch es sehr streng. Es war offensichtlich, dass die Bewohnerin keinen gesteigerten Wert auf Sauberkeit legte.
Cora saß auf der zugemüllten Couch und lackierte ihre Fingernägel. Sie bemerkte die Kriminalbeamten erst, als Diana die laute Musik ausschaltete.
„Was machen Sie hier? Wer sind Sie? Wie kommen Sie hier rein?“, rief Cora aufgebracht.
„Polizei“, sagte Tatjana ruhig und zeigte ihren Ausweis „Die Tür stand offen.“
„Das berechtigt Sie noch lange nicht, hier einfach einzudringen! Ich kenne meine Rechte! Machen Sie, dass Sie wegkommen!“ Cora nahm die Flasche mit dem Nagellackentferner und ein Feuerzeug. Sie sprang auf und stand mit beiden Dingen direkt vor Tatjana. „Wenn Sie nicht sofort verschwinden, werden Sie das Ihr Leben lang bereuen! Ich werde Sie abfackeln und niemand kann mich dafür belangen. Sie begehen Hausfriedensbruch, und in dem Fall darf ich mich wehren.“
Diana Nußbaumer war zwar nicht einverstanden, dass sie einfach die Wohnung der Frau betraten, aber das ging jetzt doch zu weit. Sie holte aus und verpasste der Frau einen Schlag, der sie zu Boden zwang. Feuerzeug und Nagellackentferner flogen einige Meter weit. Tatjana bückte sich und nahm das Feuerzeug vorsichtshalber an sich. Diana zog die Frau nach oben und setzte sie unsanft auf die Couch.
„Sind Sie verrückt geworden? Was fällt Ihnen ein?“, schnaubte Cora, die mit einer solchen Reaktion nicht gerechnet hatte. Normalerweise hielten sich Polizisten zurück und waren auf Deeskalation aus, aber diese Frauen offensichtlich nicht. War sie zu weit gegangen? Sie hätte doch niemals ihre Drohung wahrgemacht. Die rechte Gesichtshälfte schmerzte. Jetzt hatte sie Sorge, dass man den Schlag sehen könnte. Sie wollte nach dem Spiegel greifen.
„Finger weg!“, rief Diana und richtete ihre Waffe auf die Frau. Cora Dornhammer erschrak.
„Ich wollte doch nur einen Blick in den Spiegel werfen, ob Ihr Schlag Spuren hinterlassen hat. Darf ich?“
Diana nickte und steckte die Waffe wieder ein.
Cora nahm den Spiegel und fuhr sich mit den Fingern vorsichtig über die betreffende Stelle. Zum Glück war nicht viel zu sehen und sie beruhigte sich wieder.
„Sie haben ganz schön fest zugeschlagen, zum Glück sieht man nichts. Das mit dem Nagellackentferner war doch nur ein Scherz gewesen. Sie haben das doch nicht ernst genommen, oder?“
„Und ob wir das ernst genommen haben! Widerstand gegen die Staatsgewalt ist kein Kavaliersdelikt“, sagte Tatjana sauer. Was fiel den Menschen nur ein? Wo war der Respekt gegenüber der Polizei geblieben?
„Ich entschuldige mich in aller Form“, versuchte es Cora jetzt auf diese Art. „Ich hatte eine schlechte Nacht. Mein Freund hat mit mir Schluss gemacht. Außerdem habe ich zu viel getrunken.“
Tatjana nickte nur. Sie hätte Dianas Hilfe zwar nicht gebraucht, war aber trotzdem dankbar dafür.
„Warum sind Sie hier? Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Manuel Sosnowski.“
„Wer soll das sein? Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen!“
„Der Name sagt Ihnen nichts? Der Mann ist tot und wir haben jede Menge Fingerspuren von Ihnen in seiner Wohnung sichergestellt. Wie können Sie sich das erklären?“
Cora war sprachlos. Der Name sagte ihr tatsächlich nichts. Ob das einer von den Männern war, die sie gemeinsam mit Hardy abgezogen hatte? So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich nicht an einen Mann mit diesem Namen erinnern.
Tatjana spürte, was in der Frau vorging. Sie zog ihr Handy hervor und zeigte ihr das Foto des Opfers.
Cora erschrak und verzog angewidert das Gesicht. Trotzdem erkannte sie den Mann, vor allem aber die altmodische Couch mit den bestickten Kissen.
„Ist das nicht der Typ in der altbackenen Wohnung in Altötting?“, plapperte sie aus, ohne zu merken, dass sie damit mehr zugab, als sie wollte.
„Stimmt. Sie kannten den Mann also doch. Warum haben Sie ihn getötet?“ Tatjana preschte mit ihrer Beschuldigung sehr weit vor, aber sie musste es versuchen. „Reden Sie endlich, Sie stehen unter Mordverdacht“, machte sie Druck.
„Sind Sie verrückt geworden? Ich habe den Mann doch nicht getötet! Als wir gingen, war er noch am Leben. Ich habe ihm lediglich ein Schlafmittel gegeben. Er hat wirklich nur geschlafen, das müssen Sie mir glauben!“
„Schlafmittel? Wozu?“
Cora entschied, die volle Wahrheit zu sagen, schließlich wollte sie nichts mit einem Mord zu tun haben.
„Hardy hat über die Sozialen Netzwerke Kontakte zu einsamen Männern hergestellt und mit ihnen in meinem Namen gechattet. Dann hat er Treffen vereinbart, die bei den Männern zuhause stattfanden. Ich bin dann hin und habe mit dem jeweiligen Mann Sekt getrunken, den Hardy präpariert hatte. Wenn der Mann dann geschlafen hat, habe ich Hardy die Tür geöffnet und wir haben die Wohnung durchsucht.“
„Sie haben die Männer bestohlen?“
Cora nickte. Diebstähle waren allemal besser als Mord.
„Wer ist Hardy?“
„Bernhard Wünsche, er wohnt auch in Burghausen. Das Arschloch war bis gestern mein Freund. Wir haben gemeinsam sehr viel Kohle gemacht und alles war gut. Hardy konnte sogar endlich seinen heißersehnten Wagen kaufen, den er mir zu verdanken hatte. Nur mit meinem Profil wurden die Türen geöffnet, er hätte das allein niemals geschafft. Und gestern schießt mich der Typ einfach ab! Er sagte, dass er sich mit mir langweilt und jemanden mit mehr Hirn braucht. Das ist eine Beleidigung, die ich mir nicht gefallen lassen muss. Kann ich Hardy eigentlich deswegen anzeigen?“ Cora war immer noch wütend darüber, dass dieses Rindvieh sie einfach abgeschossen hatte.
Diana musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Die Tatsache, dass die Verdächtige von ihrem Freund verlassen wurde, überwog tatsächlich den Mordverdacht. Verstand die Frau überhaupt, was für sie auf dem Spiel stand?
„Sie kommen jetzt mit.“ Tatjana hatte genug gehört und entschied, Cora Dornhammer mitzunehmen. Die wirre Aussage musste aufgenommen und alle Details überprüft werden, das konnten sie hier an Ort und Stelle nicht machen. Außerdem wollte sie weg von hier, denn die Unordnung und der Gestank schlugen ihr aufs Gemüt.
„Ich bin verhaftet?“
„Sie sind dringend tatverdächtig, Manuel Sosnowski getötet zu haben.“ Tatjana wollte der Frau Handschellen anlegen.
„Ich habe doch gesagt, dass ich das nicht war. Haben Sie mir nicht zugehört?“
„Doch, das habe ich. Trotzdem müssen wir Sie mitnehmen.“
„Sie wollen mir Handschellen anlegen? Aber das geht nicht!“
„Aha. Und warum nicht?“
„Meine Nägel sind noch nicht trocken!“
„Darauf kann ich leider keine Rücksicht nehmen.“
Cora wurde nervös, denn der Nagellack war sauteuer gewesen. Sie brauchte nur noch ein paar Minuten, dann war der Lack bombenfest und würde jedem Kratzer standhalten. Diese plumpe Polizistin hatte kein Erbarmen und verstand sie nicht. Wie auch? Die hatte doch noch nie etwas von Nagellack gehört! Hilflos musste Cora mit ansehen, wie sie die Handschellen hervorholte und nach ihrem Handgelenk griff. Ihr musste etwas einfallen!
„Halt!“, rief sie schließlich. „Der Laptop!“
„Was? Welcher Laptop?“
„Der von dem Typen. Ich habe ihn damals mitgehen lassen. Da mir Hardy noch einiges schuldet, habe ich ihn gestern einfach eingesteckt, als ich in seiner Wohnung war.“
„Sie haben den Laptop von Manuel Sosnowski?“ Tatjana konnte kaum glauben, was sie eben hörte.
„Hardy sagt, dass das ein altes Modell ist, das schwer zu verticken ist. Ich glaube dem Arschloch kein Wort. Der lügt, wenn er den Mund aufmacht. Ja, ich habe den Laptop mitgenommen, Hardy schuldete mir schließlich noch einiges“, fügte sie erklärend hinzu.
Cora zog ihren Arm zurück, stand auf und ging zu der riesigen Handtasche, die neben der Tür stand. Tatjana griff zu ihrer Waffe, denn sie traute dieser Frau nicht. Sie und Diana beobachteten, wie Cora ganz vorsichtig und auf ihre Nägel achtend, einen Laptop hervorzog.
„Das ist er.“
„Der gehört Manuel Sosnowski? Sind Sie sicher?“
„Logisch! Sehen Sie den Aufkleber? Der ist mir damals sofort aufgefallen. Welcher Hirni klebt denn das Bild einer Trompete auf den Laptop! Bin ich jetzt immer noch verhaftet?“
„Auf jeden Fall!“
„Mit Handschellen?“
„Ja.“
„Können wir dann noch zwei, drei Minuten warten? Meine Nägel brauchen nicht mehr lange.“
„Meinetwegen.“
Tatjana steckte den Laptop zurück in Coras Tasche. Sie sah, dass dort auch eine Geldbörse und eine Mappe war. Vielleicht war etwas darin, was wichtig für die Ermittlungen war.
„Die Tasche nehmen wir mit.“
„Meinetwegen.“
Eine fremde Frau stand im Flur und hatte mit angehört, was zwischen Cora und den Polizistinnen in den letzten Minuten gewechselt wurde. Manuels Laptop war hier, die Schlampe hatte ihn sich gekrallt und jetzt der Polizei übergeben. Was für eine verdammte Scheiße!
Als sie merkte, dass die drei Frauen die Wohnung und das Haus verlassen wollten, war es für sie höchste Zeit, zu verschwinden. Sie beobachtete, wie diese kleine Schlampe abgeführt wurde. Rasch rannte sie zu ihrem Wagen, denn noch war es nicht zu spät. Irgendwie musste sie an den Laptop kommen, der jetzt in den Händen der Polizei war. Wie sie das anstellen wollte? Ihr musste dringend etwas einfallen. Sie gab ordentlich Gas und überholte den Wagen der Polizistinnen, den sie irgendwie aufhalten musste.