Читать книгу Engelchen... - Irene Dorfner - Страница 7
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ОглавлениеVor dem Haus in der Ahornstraße war viel los. Neben Polizei, Krankenwagen und vielen Schaulustigen hatten sich auch die Beamten der Kriminalpolizei Mühldorf eingefunden. Während Polizei und Feuerwehr hauptsächlich damit beschäftigt waren, die Straße zu räumen und die Anwohner und Schaulustigen zum Weggehen zu bewegen, suchten die Kriminalbeamten verzweifelt nach einem Weg, irgendwie ins Haus zu kommen. Der Strom wurde längst abgedreht, aber die Gasleitung war immer noch nicht gekappt worden.
„Wie lange dauert das denn noch,“ sagte Leo Schwartz verärgert. Der 51-jährige, gebürtige Schwabe stach auch heute wieder nicht nur durch seine Größe von 1,90 m hervor, sondern durch ein schwarzes T-Shirt, auf dem ein neofarbener Kopf eines unbekannten Freiheitskämpfers prangte. Vor allem die sonnenverbrannte Haut, die sich inzwischen von Kopf und Armen ablöste, sowie die Badelatschen, zogen alle Blicke auf sich. Aber das war alles nebensächlich und interessierte Leo nicht.
Es war heiß, sehr heiß. Für Ende Juni nicht ungewöhnlich, aber die Hitze erschwerte die Arbeit.
„Die Gaswerke sind dran,“ sagte Werner Grössert äußerlich gefasst, aber innerlich brodelte es. Dem 40-Jährigen schien die Hitze nichts auszumachen, denn auch heute sah er wieder wie aus dem Ei gepellt aus. Er trug wieder einen sündhaft teuren, modernen Anzug, dessen Stoff in der Sonne glänzte. Werner machte sich große Sorgen, denn er kannte Maja persönlich. Für ihn stellte sich nicht die Frage, warum sie ihrem Leben ein Ende setzen und ihre Kinder mitnehmen wollte, er konnte sie irgendwie verstehen. Man hatte ihr übel mitgespielt und das war das Resultat. Erneut ging er die Pläne des Hauses durch und suchte mit Hochdruck nach einem Weg, irgendwie doch noch ins Haus zu gelangen. Hans Hiebler stand ihm zur Seite. Den 55-jährigen Junggesellen umgab wieder ein betörender Herrenduft. Außerdem war er braungebrannt und trug zu seinem weißen Leinenhemd Jeans und Slipper, alles farblich aufeinander abgestimmt. Hans machte sich von allen die größten Sorgen, denn Maja hatte bei ihm Hilfe gesucht und er hatte in seinen Augen kläglich versagt. Er kannte die 41-jährige Frau von klein auf. Sie wuchs auf einem der Nachbarbauernhöfe auf, die an seinen grenzten. Ihn und Maja trennten zwar viele Jahre, aber trotzdem lief man sich immer wieder über den Weg.
„Das Haus ist wie eine Festung gebaut,“ sagte Werner verzweifelt. „Die Fenster können wir vergessen, die sind alle vergittert. Die Haustür ist so solide, dass man sie sprengen müsste. Und der Keller ist von außen nur durch die Garage zu erreichen.“
„Was ist mit dem Garagentor?“
„Das ist verschlossen und müsste aufgeschweißt oder ebenfalls gesprengt werden. Das ist doch nicht zum Aushalten! Wir kommen nicht ins Haus!“
„Wo bleibt Susanne Ettl? Sie müsste doch schon längst hier sein!“, rief Leo verärgert. Seit die Mühldorfer Kripo den Abschiedsbrief gefunden hatte, suchten sie mit Hochdruck nach der Schwägerin, die sich offensichtlich in der Schweiz aufhielt. Aber wo? Nur sie hatte einen Hausschlüssel. Und nur sie konnte vielleicht zu ihrer Schwägerin durchdringen und sie zur Aufgabe überreden. Die Polizei hatte alle möglichen Freunde aufgetrieben, die vergeblich versucht hatten, Maja von ihrem Vorhaben abzuhalten. Eigene Familienangehörige hatte Maja nicht. Außer ihrer Schwägerin Susanne war niemand übriggeblieben.
Keiner zweifelte daran, dass Maja ihr Vorhaben durchziehen wollte.
Maja interessierte nicht, was vor ihrem Haus ablief. Sie wartete nur darauf, dass ihre Tochter endlich einschlief. Vorher konnte sie das Feuerzeug nicht betätigen. Sie spürte das Gas, das sich immer mehr ausbreitete. Ein einziger Funke würde genügen. Nur ein einziger Funke und dann war endlich alles vorbei.
Linas Augen wurden schwerer und schwerer. Maja sang unvermittelt weiter. Seltsam. Gerade jetzt fielen ihr alle Schlaflieder ein, die sie jemals gehört hatte. Dabei war es ihr gleichgültig, ob sie die Liedtexte richtig wiedergab. Es war nur wichtig, dass sie weitersang und ihre Tochter endlich einschlief.