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6.

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Während Jenny und Tamino zum zweiten Mal an diesem Montag getestet wurden, fuhren die Mühldorfer Kriminalbeamten Leo Schwartz, Hans Hiebler, Tatjana Struck und Werner Grössert gemeinsam nach München ins Hotel König Maximilian. Die Stimmung war gut, obwohl keiner von ihnen scharf auf den Job war.

Die Freude auf ein feudales, luxuriöses Zimmer wurde gedämpft, als ihnen das enge, dunkle Viererzimmer im Keller des Hauses zugewiesen wurde.

„Das ist nicht Ihr Ernst!“ sagte Hans zum Hotelmanager, der ihnen den Weg und auch das Zimmer gezeigt hatte.

„Dieses Zimmer wurde nach Vereinbarung mit Herrn Totzauer für Sie hergerichtet. Das Badezimmer ist am Ende des Ganges links. Selbstverständlich können Sie das Frühstück und das Abendessen in unserem Restaurant im Erdgeschoss einnehmen.“ Dem Manager Karl Liebermann war das Arrangement sichtlich unangenehm. Er hatte sich zwar an die Vorgaben von Herrn Totzauer gehalten, befürchtete aber trotzdem auch bei diesem Zimmer Ärger. Er selbst wäre über diese Notlösung auch nicht erfreut gewesen.

„Das muss ein Irrtum sein,“ mischte sich Tatjana ein, die echt sauer war. Sie sollte mit ihren drei Kollegen ein Zimmer teilen?

„Da wir komplett ausgebucht sind, hat Herr Totzauer auf dieses Arrangement bestanden. Ich versichere Ihnen, dass wir uns die größte Mühe gegeben haben, um die Zimmer so ansprechend wie möglich auszustatten. Ich kann verstehen, dass Ihnen das nicht gefällt. Wie wir Herrn Totzauer sagten, haben wir kein reguläres Zimmer frei. Die ganze Stadt ist ausgebucht. Neben der Konferenz der EU-Energieminister haben wir auch noch Messe. Herr Totzauer hat die Zimmer abgesegnet. Das zweite Zimmer dort rechts ist für die weiblichen Polizisten, alle anderen sind für die Männer angedacht.“ Karl Liebermann verschwand. Bereits mehrfach musste er sich mit dem Unmut der Polizisten auseinandersetzen, die die benachbarten Zimmer bezogen. Sie waren komplett ausgebucht und mussten die Polizisten irgendwie unterbringen. Eine andere Lösung war einfach nicht möglich.

„Chef? Wir sind im Hotel König Maximilian in einem Kellerloch untergebracht,“ sagte Tatjana aufgebracht, als sie umgehend Krohmer anrief.

„Bitte übertreiben Sie nicht Frau Struck, so schlimm wird es schon nicht sein.“ Krohmer wusste zwar von einer Notlösung, aber man würde es nicht wagen, seine Leute im Keller unterzubringen.

„Es ist so, wie ich es sage. Ich schicke Ihnen Fotos zu.“

Es dauerte zwanzig Minuten, bis sich Krohmer zurückmeldete. Hans und Tatjana weigerten sich, ihre Sachen auszupacken. Leo und Werner war es gleichgültig, wo sie schlafen mussten. Das Zimmer war zwar eng, aber die Betten schienen bequem zu sein. Außerdem war es sauber. Auch das Badezimmer am Ende des Ganges war akzeptabel.

„Es tut mir sehr leid für Sie, aber an der Zimmersituation ist nichts zu ändern. Ich habe mit Totzauer gesprochen, der keine andere Lösung sieht. Es ist wichtig, dass Sie im selben Hotel wohnen wie die Minister. Das ist nicht nur praktisch, sondern dient auch der Sicherheit“

„Keine anderen Zimmer? Egal zu welchem Preis?“

„Der Preis spielt keine Rolle. Zu dem Ministertreffen ist auch noch Messe, ganz München ist ausgebucht. Es ist nicht ein Zimmer mehr zu haben. Sie müssen die vier Nächte irgendwie überstehen.“

Krohmer war sauer. Wenn er gewusst hätte, wie seine Leute untergebracht wurden, hätte er niemals sein Einverständnis gegeben. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück. Seine Leute waren eingeteilt und er hatte Totzauer sein Wort gegeben. Außerdem stand die Sicherheit der Minister im Vordergrund, nur die zählte.

Tatjana und Hans waren stinksauer.

„Jetzt reißt euch doch zusammen!“ sagte Leo, dem das Getue auf die Nerven ging. „Ich gebe zu, dass das nicht gerade die Präsidentensuite ist. Aber wir haben alle ein sauberes Bett und wenige Meter entfernt ein Badezimmer.“

„Das wir ja offensichtlich mit anderen teilen müssen,“ maulte Tatjana, die sich einen Überblick über die nächsten Zimmer verschafft hatte. Insgesamt wurden fünf weitere Abstellkammern für Polizeibeamte hergerichtet und zur Verfügung gestellt. Das Zimmer für die weiblichen Polizisten sagte ihr überhaupt nicht zu. Darin standen drei Betten, eins davon war für sie gedacht. Eine Kollegin packte gerade aus und grüßte knapp. Sie soll hier mit zwei fremden Frauen nächtigen? Das kam überhaupt nicht in Frage. Dann wollte sie sich lieber mit ihren Kollegen das Zimmer teilen, die kannte sie wenigstens.

„Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich gerne hier schlafen,“ sagte Tatjana und warf ihre Reisetasche auf eines der freien Betten.

„Das ist mir völlig gleichgültig,“ sagte Hans immer noch sauer. Auch für Leo und Werner war das in Ordnung.

„Kopf hoch Leute. Es sind nur vier Nächte, dann können wir alle wieder in unseren Betten schlafen.“ Für Leo war der Punkt erledigt. Er machte sich viel mehr Sorgen um die Bewachung und die Sicherheit der Minister, als um seinen Schlafplatz. Noch nie zuvor war er für den Personenschutz wichtiger Politiker eingeteilt worden und hatte daher großen Respekt vor der Aufgabe. Er war gespannt darauf, wie Totzauer die Polizeikräfte einteilen würde, denn laut Krohmer waren sie nur für die Minister zuständig.

Unter Protest, für den sich Leo und Werner nicht interessierten, packten Hans und Tatjana ihre Habseligkeiten aus. Dann fuhren sie in die Bayrische Staatskanzlei zur Lagebesprechung. Wilfried Totzauer wartete geduldig und trank einen Kaffee nach dem anderen. Als endlich alle eingetroffen waren, musste erst das leidige Problem mit der Unterbringung geklärt werden. Alle hatten es schlecht getroffen und Totzauer konnte den Unmut nachvollziehen.

„Ich kann nichts daran ändern, die Unterbringungspläne stehen. Wie Sie wissen, ist München komplett ausgebucht. Ich entschuldige mich nochmals in aller Form. Wenn Sie erlauben, möchte ich mich jetzt auf die Arbeit konzentrieren.“ Totzauer stellte den Plan vor, an dem er in den letzten Wochen ausschließlich gearbeitet hatte und der ihm unter den Umständen perfekt gelungen war. Jegliche Hilfe hatte er abgelehnt, diese Aufgabe wollte er selbst übernehmen. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass es Probleme gab, je mehr Personen daran beteiligt waren. Diesen Ärger wollte er sich ersparen. Totzauer war immer noch sauer auf den Bayrischen Ministerpräsidenten, dass er ohne den Termin mit ihm abzusprechen, einfach eingeladen hatte. Der Termin hätte nicht unglücklicher gewählt sein können, denn zeitgleich fand in der Neuen Messe München die Diamantenmesse statt, wofür er unter den gegebenen Umständen keine weiteren Polizisten abstellen konnte. Lediglich drei Polizisten waren dort vor Ort, mehr konnte er nicht entbehren. Die Diamantenmesse bereitete ihm Bauchschmerzen. Gerade dieses Jahr haben mehrere Aussteller besonders wertvolle Stücke dabei und hatten bei der Polizei um Hilfe angefragt. Wo sollte er die zusätzlichen Kräfte hernehmen? Das Personal gab leider nur so viel her, wie ursprünglich vorgesehen war, mehr konnte er für die Aussteller nicht tun. Er gab vor zwei Tagen ein Infoblatt an die Messebetreiber und Aussteller aus, selbst für zusätzlichen privaten Schutz zu sorgen. Verständlicherweise gab das riesigen Ärger und die Telefone standen seitdem nicht mehr still. Aber was hätte er tun sollen? Er konnte sich sein Personal schließlich nicht backen.

Totzauer wies die Einsatzleiter der entsprechenden Gruppen für den Münchner Flughafen und die Fahrstrecke in die Staatskanzlei ein. Danach ging es um die Unterbringung der Gäste, die allesamt im Hotel König Maximilian einquartiert wurden. Glücklicherweise war die Geschäftsführung des Hotels so kooperativ, Räumlichkeiten für die Polizisten zur Verfügung zu stellen, obwohl das Hotel komplett ausgebucht war. Totzauer hielt es für sehr wichtig, die Polizisten, die für den Personenschutz der Minister und deren Begleiter zuständig waren, ebenfalls im Hotel König Maximilian unterzubringen – egal wie. Der Plan des Hotels wurde auf dem Beamer gezeigt, die Positionierungen der Polizisten darin markiert. Eine detaillierte Schichteinteilung wurde besprochen, die unter Murren aufgenommen wurde. Auch die Wege vom Hotel zur Staatskanzlei und zurück wurden nun besprochen. Leo war beeindruckt von Totzauers Leistung. Er wäre mit der Planung einer solchen Veranstaltung völlig überfordert gewesen. Als endlich der Theaterbesuch am Donnerstag durch war, wandte sich Totzauer an die Personenschützer, zu denen auch die Mühldorfer Kriminalbeamten gehörten. Sie wurden von fünf Kollegen aus Starnberg und Traunstein unterstützt. Selbstverständlich hatte jeder Politiker seinen eigenen Personenschutz dabei; die zusätzlichen neun Polizisten wurden zur Sicherheit gestellt. Nachdem sich alle Totzauers Plan angehört hatte, meldete sich der Starnberger Kollege Bruno Kleinert.

„Ich würde vorschlagen, dass jedem von uns eine einzelne Person zugeteilt wird. Ich halte Ihren Vorschlag, alle gemeinsam im Auge zu behalten, für falsch. Wenn jeder von uns nur eine Person im Auge hat, ist die Sache sehr viel sicherer.“

„Ich habe Sie nicht nach Ihrer Meinung gefragt,“ sagte Totzauer ruhig. „Ich informiere Sie über den Plan und über Ihre Aufgabe, die Sie unkommentiert hinnehmen. Sollten Sie damit nicht einverstanden sein, können Sie gerne gehen.“ Die Ansage war deutlich und Kleinert sank in seinem Stuhl zusammen. Er war es als erfahrener Mitarbeiter der Starnberger Kriminalpolizei gewöhnt, dass man ihn um seine Meinung fragte und er auch gehört wurde. Dieser Totzauer war ein Kotzbrocken und er mochte ihn nicht, was auf Gegenliebe stieß.

Totzauer fuhr fort und alle machten sich eifrig Notizen. Danach ließ er eine Infomappe mit den Anweisungen und den Fotos der zu schützenden Minister austeilen. Trotz der eben an Kleinert erteilten Abfuhr meldete der sich erneut.

„Wir sind auch für den Theaterbesuch eingeteilt? Das soll wohl ein Witz sein! Wenn ich die Arbeitsstunden grob überschlage, sind wir am Donnerstag weit über zwölf Stunden im Dienst. Das ist viel zu viel und widerspricht den Arbeitsrichtlinien.“ Kleinert sah sich um und hoffte auf Zustimmung, die aber ausblieb.

„Der Plan steht. Ich habe nicht mehr Leute zur Verfügung und bitte um Verständnis. Selbstverständlich habe ich versucht, den Theaterbesuch zu streichen, aber der Ministerpräsident besteht darauf.“

„Ein Ministertreffen ohne Kulturprogramm? Es war doch klar, dass irgendetwas Kulturelles angeboten wird und dieser Einsatz aus dem Rahmen fällt,“ sagte Leo. „Ich mache mir keine Sorgen um meine Arbeitsstunden. Es muss nun mal gemacht werden, was gemacht werden muss.“

„Auch das noch, ein pflichtbewusster Patriot,“ lachte Kleinert und sah die Kollegen an. Niemand lachte mit ihm. Sie waren alle für den Schutz der Minister hier und das Programm war dabei völlig gleichgültig. Auch sie scherten sich nicht um Arbeitsstunden und Arbeitsrichtlinien, als ob das in ihrem Job schon jemals berücksichtigt wurde.

„Sollte jemand Bedenken haben, kann er gerne gehen.“ Totzauer wartete einen Moment, aber niemand ging. „Gut, dann wäre das geklärt. Gibt es noch Fragen?“

Auch hier meldete sich niemand. „Egal was passiert: Sie halten sich genau an die Anweisungen und schützen nur diese Personen und halten sich jeweils in dem Ihnen zugeteilten Bereich auf. Haben wir uns verstanden?“

Totzauer war zufrieden, alle hatten verstanden. Nur dieser Kleinert machte Probleme, obwohl er mit seinen Einwänden nicht so falsch lag. Natürlich verlangte er von den Kräften einiges ab, aber was sollte er daran ändern? Er war sich sicher, dass er sich mit der einen oder anderen Beschwerde auseinandersetzen musste, aber darüber konnte er sich jetzt keine Gedanken machen, das hatte später auch noch Zeit. Er hatte noch zu viel Arbeit vor sich, um die er sich kümmern musste.

Bruno Kleinert fühlte sich missverstanden und suchte nach einem Verbündeten, dem er sein Leid klagen konnte. Die anderen standen abseits und hatten sich von ihm abgewendet, nur Tatjana war noch hier. Er vermutete in ihr wegen ihres Alters und ihrer Erscheinung eine Angestellte niederen Ranges und sprach sie an.

„Dieser Totzauer ist doch ein dominantes Arschloch. Ich denke, er hat nicht viel Ahnung von seinem Job und sollte das Profis überlassen. Wenn ich mir überlege, wie viele solcher Einsätze ich schon geplant habe, würde er nicht so mit mir umspringen.“ Kleinert strahlte Tatjana mit seinen gelben Zähnen an.

Tatjana blieb ruhig. Sie wurde wegen ihres Aussehens schon oft unterschätzt, denn sie legte auf ihr Äußeres keinen großen Wert. Sie trug eine praktische Kurzhaarfrisur und verzichtete auf Make-up. Zu Jeans und Turnschuhen hatte sie immer einen dicken, selbstgestrickten Wollpullover an, da sie leicht fror. Selbstverständlich hatte sie für den Einsatz in der Staatskanzlei eine weiße Bluse und eine dunkle Jacke eingepackt. Sie wusste schließlich, was sich gehörte, auch ohne die Anweisung des Chefs. Sie sah Kleinert nur an. Sie hatte keine Lust, mit ihm zu sprechen, da sie ihn für einen selbstüberschätzenden Idioten hielt.

„Totzauer weiß genau, dass dieser Einsatz den Arbeitsrichtlinien widerspricht. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken,“ sagte Kleinert.

Tatjana schwieg. Warum sollte sie auf diesen Blödsinn einen Kommentar abgeben? Sie packte ihre Unterlagen zusammen und drehte Kleinert den Rücken zu. Wie deutlich sollte sie ihm noch zeigen, dass sie sich nicht mit ihm unterhalten wollte?

„Wie sind Ihre Kollegen so? Wie geht man mit Ihnen als Frau um? Sagen Sie jetzt nicht, dass man in Mühldorf weiter ist als bei uns. Frauen werden auch bei uns nicht gerne gesehen. Ich hoffe, Sie können sich gegen Ihre Vorgesetzten durchsetzen,“ bohrte Kleinert nach, der den Drang verspürte, mit irgendjemand reden zu müssen, auch wenn ihm diese hässliche Frau die kalte Schulter zeigte. Kleinert mochte diesen Leo Schwartz nicht, der sich für seine Begriffe in den Vordergrund drängte und sich wichtigmachte. Dieser fürchterliche Akzent dröhnte in seinen Ohren. Aus welchem Loch ist er gekrochen? Was hatte ein Auswärtiger hier in Bayern verloren? Kleinert brauchte mehr Informationen über Leo Schwartz, dem er irgendwie ans Bein pinkeln wollte. Und die bekam er hoffentlich von dieser hässlichen Kröte Tatjana Struck, die in seinen Augen hier nichts verloren hatte. Zum einen war sie eine Frau, Frauen waren nicht für den Job geeignet. Sie war viel zu jung und unerfahren, und dazu sah sie auch noch schrecklich aus. Aber von ihr bekam er bestimmt Informationen über Schwartz, er musste nur lange genug nachbohren.

Tatjana sagte nichts und ging einfach davon, aber Kleinert folgte ihr.

„Sie können sich mir ruhig anvertrauen, ich bin für meine Verschwiegenheit bekannt. Vielleicht kann ich Ihnen sogar behilflich sein. Ich bin schon lange in dem Job unterwegs und kenne sehr viele, einflussreiche Personen.“

Tatjana ging einfach weiter. Was wollte der Mann von ihr? Warum konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen?

„Ihr Kollege Schwartz ist ein Wichtigtuer, habe ich Recht? Wie ist er so in seinem Job? Der ist doch kein Bayer, vermutlich ein Sachse. Die Ossis breiten sich auch bei uns immer mehr aus. Wer braucht die? Ich nicht.“

Tatjana hatte genug. Sie blieb stehen, drehte sich um und sah Kleinert an.

„Wissen Sie was Kleinert: Halten Sie einfach den Mund. Sie sind ein Kotzbrocken, aus dem nur gequirlte Scheiße rauskommt. Lassen Sie mich ein für alle Mal in Ruhe, sonst werde ich ungemütlich.“

„Was zum Teufel…“ Kleinert schäumte vor Wut.

„Sie erfahren von mir nichts über Kollegen, da sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Ich hatte großes Glück, in Mühldorf bei sehr netten, zuverlässigen und fähigen Kollegen zu landen. Vor einem Trottel wie Sie es einer sind wurde ich verschont. Gehen Sie mir aus den Augen und sprechen Sie mich nie wieder an. Haben Sie Alkohol getrunken?“

„Ich?“ Kleinert bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Ja, er hatte ein paar Schlucke aus seinem Flachmann getrunken, den er seit einem schrecklichen Vorfall vor vier Jahren immer bei sich trug. „Ich habe keinen Alkohol getrunken!“

„Erzählen Sie keinen Unsinn Kleinert, Sie haben eine fette Fahne.“

Was fiel dieser kleinen, hässlichen Struck eigentlich ein? Einige der Kollegen hatten gehört, was sie sagte. Kein Wunder, denn sie sprach sehr laut. Sie wollte, dass es alle hören. Diese hinterfotzige Schlange! Die Kollegen grinsten nicht nur, sondern machten sich offen über ihn lustig. Kleinert wurde sauer. Das hatte dieses hässliche Entlein nicht umsonst gemacht! Er würde sie ab sofort im Auge behalten. Irgendwann ergab sich schon die Möglichkeit, es der frechen Göre heimzuzahlen.

„Hat dich der Typ dumm angemacht?“ fragte Leo, der mitbekommen hatte, dass es mit Kleinert wohl Ärger gab.

„Kleinert ist ein armes Würstchen, das sich wichtigmacht. Keine Sorge, ich komme schon klar.“

„Sei vorsichtig. Ich kenne solche Typen, die lassen sich so etwas nicht einfach gefallen. Du hast ihn vor Kollegen bloßgestellt, das steckt der nicht einfach so weg.“

„Ich bin schon ein großes Mädchen und kann auf mich allein aufpassen. Trotzdem danke Leo.“

Am Abend saßen alle im Hotel beim Abendessen. Kleinert hatte Tatjana ständig im Blick und trank ein Bier nach dem anderen. Er provozierte sie, wo er nur konnte. Das wurde immer schlimmer, je mehr Alkohol er trank. Wie zufällig kippte er Bier über sie, fasste sie ständig an und machte sich über sie und ihr Äußeres lustig. Niemand lachte mit ihm, stattdessen herrschte betretenes Schweigen. Tatjana sagte nichts, sondern ignorierte ihn, was ihn nur zu noch mehr Boshaftigkeiten animierte. Dann platzte Leo der Kragen.

„Noch ein Wort, und ich werde ungemütlich,“ sagte er laut, sodass ihn alle hören konnten.

„Du lässt unsere Chefin ab sofort in Ruhe,“ sagte Hans, stand auf und baute sich vor Kleinert auf.

„Mühldorf hat ein hässliches Entlein als Chefin? Das ist nicht euer Ernst!“ Kleinert lachte laut, aber er war der einzige, der lachte. „Frauen haben in unserem Job nichts verloren. Sie sind und bleiben das schwache Geschlecht. Was soll dieser Mist mit der Frauenquote? Frauen sollen hübsch sein, Kinder kriegen und das Haus sauber halten, das ist meine Meinung und dazu stehe ich. Jeder sollte nach seiner Veranlagung und seinen Begabungen seinen Platz finden. Und Frauen gehören nun mal nicht zur Polizei!“ Kleinert sah in die Runde und blickte in betretene Gesichter. „Kommt Leute, jetzt tut doch nicht so, als denkt ihr nicht genauso.“

„Ich dachte mir schon, dass Sie von vorgestern sind,“ sagte Tatjana äußerlich ruhig, obwohl sie innerlich kochte. „Sie sind ein richtiger Neandertaler. Wir müssten uns eigentlich glücklich schätzen, dass wir eine so seltene Ausführung bei uns am Tisch sitzen haben. Wie sieht es aus? Waren Sie heute schon auf der Jagd und haben mit Ihrer Keule Wild erlegt?“

Jetzt lachten alle über Kleinert. Jeder einzelne machte Witze auf seine Kosten, die er überhaupt nicht lustig fand. Irgendwann war es ihm zu dumm und er ging an die Bar. Er wurde von den anderen isoliert und er gab Tatjana die Schuld dafür. Sein Hass auf die Frau, die ihn von oben herab behandelte, stieg. Leo gefiel das überhaupt nicht. Kleinert war einer von den Menschen, die sich viel zu wichtig nahmen und die explodieren konnten, wenn man sie zu sehr reizte.

Am nächsten Tag ging es los. Alle waren überrascht, dass Leo heute einen Anzug und ein einfarbiges Hemd anhatte, nur auf seine altbewährten Cowboystiefel konnte er nicht verzichten. Warum auch? Krohmer sprach nur von angemessener Kleidung, von den Schuhen hatte er nichts gesagt. Auch Tatjana sah heute völlig anders aus und war kaum wiederzuerkennen. Kleinert würdigte sie keines Blickes und setzte sich zum Frühstück demonstrativ an einen anderen Tisch.

Die EU-Energieminister flogen ein und der Autokorso vom Flughafen zur Bayrischen Staatskanzlei verlief reibungslos. Die Besprechung in der Staatskanzlei begann hinter verschlossenen Türen höflich, wurde im Laufe der Zeit immer heftiger, teilweise wurde sogar gestritten. Der Inhalt wurde von den Polizisten nicht wahrgenommen. Sie achteten auf jede Kleinigkeit und jede Regung der Teilnehmer, und ließen die EU-Minister nicht eine Sekunde aus den Augen. Kleinert erwies sich trotz seiner ätzenden Persönlichkeit als guter Polizist, obwohl er Tatjana immer verächtlich ansah. Sie reagierte nicht, sondern behandelte Kleinert wie Luft, was ihn noch mehr verärgerte. In den wenigen Pausen, in denen sich die Polizisten unterhalten konnten, wurde Kleinert isoliert. Niemand wollte mit ihm zu tun haben, was er abermals Tatjana ankreidete.

„Irgendwann bist du dran,“ sagte er von den anderen unbemerkt zu ihr. „Ich erwische dich ohne deine Kollegen, dann werden wir sehen, was du drauf hast. Gegen mich hast du keine Chance.“

„So ein kleines Würstchen schaffe ich mit links,“ sagte Tatjana laut und lachte, obwohl sie jetzt Angst vor Kleinert bekam. Er gab einfach keine Ruhe. Sie musste höllisch aufpassen.

„War was mit Kleinert?“ fragte Hans, der sie gehört hatte. Leo und Werner waren weit weg und hatten nichts mitbekommen.

Tatjana schüttelte nur den Kopf, was hätte sie auch anderes tun können? Die Minister waren zurück und sie mussten arbeiten. Für Privates war keine Zeit. Sie hoffte darauf, dass sich Kleinerts Ego irgendwann wieder beruhigen würde. War sie zu frech gewesen? Hatte sie ihn zu sehr provoziert? Nein, Kleinert hatte sie provoziert und nicht umgekehrt, sie hatte nur darauf reagiert.

Während die Besprechung lief, wurde die Diamantenmesse mit einer Ansprache des 3. Bürgermeisters der Stadt München feierlich eröffnet. Eine solche Messe fand in München bislang noch nicht statt. Die Veranstalter hatten sich sehr darum bemühen müssen, die Rechte dafür zu bekommen. Diamanten zogen ein erlesenes Publikum an, worauf die Stadt München, die Hotelbetriebe, die Gastronomie und die Geschäftswelt an sich sehr stolz und auch scharf waren. Die Umsätze der verschiedenen Branchen würden in den vier Tagen üppig ausfallen. Dass parallel die Konferenz der EU-Energieminister stattfand, stellte die Verantwortlichen vor riesige Probleme. Die Zimmer für Aussteller und Besucher waren nicht das größte Problem, aber die Gewährleistung der Sicherheit. Als der Polizeichef Totzauer bekanntgab, wegen des Ministertreffens keine zusätzlichen Polizeikräfte bereitstellen zu können, waren die Veranstalter sauer. Totzauer und auch die Stadt München hatten zugesagt, auch ihrerseits für die Sicherheit zu sorgen. Vollmundig wurde versprochen, dass man sich darum bemühen würde, die gewünschten Polizisten zur Verfügung zu stellen. Diese Information wurde damals umgehend an die größten und wichtigsten Aussteller weitergegeben. Daraus wurde jetzt nichts und sie mussten schnell reagieren. Sie informierten und diskutierten mit den Ausstellern. Selbstverständlich engagierte die Messeleitung selbst einen privaten Sicherheitsdienst.

Schlussendlich hatte alles geklappt und die Messe konnte eröffnet werden. Auf einem reservierten Teil der ausgewiesenen Parkplätze standen die Fahrzeuge verschiedener Sicherheitsdienste, die aus ganz Deutschland und auch aus Österreich engagiert wurden. Es war offensichtlich, dass die Aussteller ebenfalls in diese Richtung reagierten und selbst für zusätzliche Sicherheit sorgten. Die Veranstalter der Diamantenmesse beteten, dass die Messe reibungslos ablief. Am Freitag war der Spuk vorbei, dann konnten auch sie wieder ruhig schlafen.

Blaue Diamanten

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