Читать книгу Im Zentrum der Wut - Irene Dorfner - Страница 10
7.
ОглавлениеCarter sah auf die Uhr. Die von seinem Bruder vorgegebenen fünf Minuten waren schon lange vorbei. Er durfte nicht mehr hier sein, genau so wie Peter, der immer wieder einen Schuss auf eine offenbar verschlossene Tür abgab. Was machte der Trottel denn da?
Die Tür wies bereits mehrere Löcher auf.
„Was soll das?“, schrie Carter wütend und drückte Peters Waffe nach unten. „Wir müssten längst weg sein! Das hat ein Nachspiel, darauf kannst du dich verlassen!“
Erst jetzt sah Peter auf die Uhr. Er hatte sich durch die verschlossene Tür, hinter der er wichtige Personen vermutete, ablenken lassen. Er hatte bereits mehrere Überfälle und einige Entführungen durchgeführt, die fast alle perfekt gelaufen waren. Hinter dieser Tür musste jemand sein, bei dem es ein fettes Lösegeld gab, das konnte er förmlich riechen.
„Ich brauche nicht mehr lange, dann ist die Tür auf!“
„Lass das! Was soll der Scheiß?“
„Diese Tür ist keine normale Tür, sonst wäre sie längst offen. Ich vermute, dass sich dahinter ein fetter Fisch verschanzt hat. Was glaubst du, wie viel Lösegeld wir kassieren könnten – denk doch mal nach!“
„Wir sind nicht wegen einer Entführung hier, hast du verstanden? Wir haben für unseren Job ganz klare Anweisungen bekommen – und das hier gehört nicht dazu. Wenn John davon Wind bekommt, wirst du deinen Alleingang bereuen, das kannst du mir glauben. Los jetzt!“
Carter rannte los und Peter folgte ihm. Niemand stellte sich den beiden in den Weg, weshalb sie auf dem schnellsten Weg das Flughafengebäude verlassen konnten. Erst jetzt bemerkte Carter, dass Peter keine Maske trug.
„Was ist mit deiner Maske?“
„Kümmere dich um deinen eigenen Mist. Steig ein!“
Endlich saßen sie im Wagen. Carter sah auf die Uhr und erschrak.
„Wir sind fast eine Stunde zu spät! Dafür könnte ich dich umbringen, du verdammtes Arschloch! Was hast du dir nur dabei gedacht?“ Carter startete den Wagen und fuhr so ruhig wie möglich los.
„Jetzt bleib mal locker, Carter, es ist doch nichts passiert!“
„Nichts passiert? Wir sind nicht im Zeitplan und werden sehr wahrscheinlich mitten in einer Straßensperre landen. Außerdem hast du deine Maske entgegen der Anweisung abgezogen. Dein Gesicht ist jetzt auf vielen Überwachungskameras deutlich zu sehen. Was bist du nur für ein Loser?“
„Jetzt mach mal halblang! Wie redest du eigentlich mit mir?“
„Johns Anweisungen waren…“
„Das ist mir scheißegal! Du spielst dich hier auf und im Grunde genommen bin ich derjenige, der sauer sein könnte. Du hast mir vorhin die Tour vermasselt, ich war so knapp am Ziel.“
„Gar nichts warst du! Du hast auf eine verschlossene Tür geballert, hinter der vermutlich niemand war. Du bist ein Loser, John, und wirst auch immer einer sein. Ich hätte dich nicht mit an Bord nehmen sollen. Ich hätte wissen müssen, dass du für den Job nicht geeignet bist.“
Carter war stinksauer. Er hatte genug und wollte nur noch weg.
„Weißt du was? John und du, ihr beide könnt mich mal!“
Carter hatte das Ende des Parkplatzes erreicht. John hatte angewiesen, die Waffen mitsamt den Masken hier zu entsorgen. Dieser kleine Bereich wurde nicht von den Kameras erfasst. Carter stieg aus und machte das, was sein Bruder von ihm verlangte. Peter dachte überhaupt nicht daran, ihm das gleichzutun. Er ging einfach mitsamt seiner Waffe davon, die Maske warf er einfach weit von sich.
„Was hast du vor? Bleib gefälligst hier!“
Statt einer Antwort zeigte ihm Peter den Mittelfinger, dabei drehte er sich nicht einmal um. Er ging einfach weiter.
„Bleib stehen, sofort!“ Carter war außer sich. Peter vermasselte alles. Wie sollte er John erklären, was hier gerade passierte? Carter war nervös und wusste nicht, was er machen sollte. Was würde John an seiner Stelle tun? Carter griff nach seinem Gewehr und legte an. Dann drückte er ab. Peter fiel um wie ein Stein. Carter warf die Waffe mitsamt der Maske weg. Er nahm die Folien aus dem Kofferraum und klebte die Firmenschilder aufs Auto. Dabei zitterte er und musste sich darauf konzentrieren, dass die Aufkleber einigermaßen gerade angebracht wurden. Dann zog er den Arbeitskittel über, nahm die Werkzeugtasche aus dem Kofferraum und stellte sie auf dem Rücksitz ab. Alles so, wie John es angewiesen hatte. Dann stieg er ein, zog die Handschuhe aus, legte sie auf den Beifahrersitz und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“, schrie er laut. Warum war Peter einfach weggelaufen? Wäre er zurückgekommen und einfach wie geplant in den Wagen gestiegen, hätte er ihn nicht erschießen müssen. Peter war selbst schuld daran! Wieder sah er auf die Uhr, er war viel zu spät dran. Wie sollte er John das erklären?
Er kurbelte das Fenster der alten Karre runter und warf die Handschuhe während der Fahrt einfach raus. Alles wäre ein guter Plan gewesen, wenn Peter nicht so ein verdammtes Arschloch gewesen wäre.
Leo Schwartz und Kevin Sparks hatten sich in die einzig sichere Ecke gekauert. Bei jedem Schuss zuckten sie zusammen.
„Die Tür hält einiges aus. Die wurden nach 2005 alle erneuert“, erklärte Sparks, was Leo keineswegs beruhigte.
„Aber auch die Tür gibt irgendwann nach“, sagte er so leise wie möglich. „Die ersten Geschosse gehen bereits durch.“
Beide hatten bereits mit ihrem Leben abgeschlossen. Weder Leo, noch Sparks, glaubten daran, hier lebend rauszukommen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Tür nachgab.
Dann war es plötzlich still. Leo war nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte, was vor der Tür gesprochen wurde.
„Es hat sich so angehört, als hätte der Schütze einen Rüffel kassiert. Mit viel Glück haben wir es geschafft.“
Sparks hatte nicht darauf geachtet. Er hatte sich dazu gezwungen, sich nicht auf die Schüsse zu konzentrieren, sondern an all die lieben Menschen zu denken, die er nun nicht mehr sehen durfte. Langsam verstand er Leos Worte. Konnte das sein? War es so, dass er weiterleben durfte? Erst jetzt bemerkte er, dass er sich an so sehr an Leos T-Shirt festgeklammert hatte, dass er einen Krampf hatte. Dafür schämte er sich jetzt, was Leo bemerkte.
„Denken Sie sich nichts. Ich habe nicht nur mit meinem Leben abgeschlossen, sondern mir vor Angst fast in die Hosen gemacht.“
Jetzt lachten beide, was sehr befreiend war.
„Was nun?“, fragte Sparks.
„Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne hier bleiben. Für irgendeine Aktion fehlt mir momentan der Mut. Ich möchte einfach nur hier sitzen und mich darüber freuen, dass ich vorerst dem Tod von der Schippe gesprungen bin.“
„Ich bin dabei“, sagte Sparks erleichtert.
Leo schaltete sein Handy ein: Drei verpasste Anrufe. Verdammt, er hätte früher einschalten sollen! Er versuchte, die Nummer zurückzurufen, erreichte aber wieder nur die Mailbox. Das war Christines Handy. Zu schade, dass er sie verpasst hatte. Dass sie gerade im Flugzeug saß und auf dem Weg zu ihm war, hätte er sich nicht in den kühnsten Träumen vorstellen können. Er versuchte es nochmals bei Hans, aber auch ihn erreichte er nicht. Es blieb noch Krohmer, der sich bereits nach dem ersten Klingeln meldete.
„Geht es Ihnen gut?“
„Alles in Ordnung, Chef. Die Ballerei hat aufgehört. Ich denke, wir sind vorerst in Sicherheit. Gibt es Neuigkeiten?“
„Nein. Die Informationen wiederholen sich. Sobald ich etwas höre, melde ich mich.“
„Gut. Dann lege ich jetzt auf.“
„Passen Sie auf sich auf, Schwartz. Ich möchte Sie in einem Stück wieder hier haben.“
„Jetzt sind Sie dran, schalten Sie Ihr Handy ein“, sagte Leo zu Sparks, während er sein eigenes Handy ausschaltete. „Vielleicht haben Sie jetzt wieder ein Netz.“
„Mobilephone heißt das bei uns in England“, korrigierte Sparks.
„Von mir aus auch das.“
Sparks wählte einige Telefonnummern, hatte aber immer noch keinen Erfolg. Trotzdem ließ er es eingeschaltet.
Die beide saßen stumm nebeneinander. Das laute Klingeln von Sparks Handy durchriss die Stille. Er erkannte die Nummer seines Vorgesetzten Gordon Bell. Noch niemals vorher hatte er sich so sehr über dessen Stimme gefreut. Sparks wollte sich erklären und stellte viele Fragen, aber dafür hatte Bell keine Zeit. Am Flughafen ging alles drunter und drüber und er versuchte, irgendwie Ordnung reinzubringen.
„Wir gehen davon aus, dass der Anschlag vorüber ist. Verstärkung ist vor Ort. Bleiben Sie, wo Sie sind. Wir werden Sie rausholen, dann können wir alles in Ruhe besprechen.“
Den beiden war die Erleichterung anzusehen. Es folgte eine lockere Unterhaltung.
„Weshalb sprechen Sie eigentlich so gut deutsch?“
„Als meine Mutter starb, hat mich mein Vater in ein Internat an den Bodensee verfrachtet.“
„Nach Salem?“ Leo hatte davon gehört. War das nicht eine Einrichtung für Sprösslinge gut betuchter Eltern? Er konnte sich aber auch täuschen.
„Ja, ich war in Salem.“ Sparks hatte keine Lust, sich näher zu erklären, denn an die Internatszeit hatte er nicht nur gute Erinnerungen.
„Wie alt waren Sie, als Sie nach Salem kamen?“
„Damals war ich acht. Sechs Jahre können Sie selbst dazuzählen.“
„Und warum mögen Sie die Deutschen nicht?“
„Das hat viele Gründe und würde zu weit führen. Ich halte die Deutschen für großspurig und überheblich. Sobald mir mehr dazu einfällt, lasse ich es Sie wissen. Jetzt möchte ich nur hier sitzen und mich darüber freuen, dass ich nochmals davongekommen bin. Es klingt vielleicht dämlich, aber ich hatte bereits mit dem Leben abgeschlossen.“
„Ich auch.“
Es trat eine Stille ein, die beiden guttat. Zur nächsten vollen Stunde war es zwar noch hin, trotzdem schaltete Leo sein Handy ein. Warum nicht? Nicht mehr lange, und er konnte es wieder problemlos aufladen.
Das Klingeln durchbrach die Stille.
„Hallo Chef“, meldete er sich und Krohmer war erleichtert, Leos fröhliche Stimme zu hören. „Wir bekamen eben die Nachricht, dass vorerst Ruhe eingekehrt ist. Sparks Vorgesetzter sprach sogar davon, dass der Anschlag vorüber sei.“
„Gott sei Dank! Es wurde mehrfach bestätigt, dass es tatsächlich keine Beschädigungen am Flughafengebäude gab. Zahlen über Opfer gibt es immer noch keine.“
„Danke, Chef.“
„Gerne. Nur zur Information: Ihr Kollege Hiebler ist auf dem Weg zu Ihnen.“
„Hans kommt hierher?“
„Ja. Vorausgesetzt, er kann sich bis Heathrow durchschlagen, denn er landet in Stansted. Passen Sie auf sich auf. Herzliche Grüße von meiner Frau!“
Peter rappelte sich auf. Die schmerzende Wunde am Oberarm blutete stark. Dieser Hurensohn Carter hatte doch tatsächlich auf ihn geschossen! Vorsichtig blickte er sich um, aber von Carter und dessen Wagen war weit und breit nichts zu sehen. Er zog das Hemd aus, riss es in diverse Streifen und verband damit notdürftig die Wunde. Die Waffe verstaute er sicher hinter einem Busch. Dann machte er sich auf die Suche nach Carters Waffe, die da hinten irgendwo liegen musste. Endlich fand er sie und legte sie zu seiner Waffe. Carter und seinen verfluchten Bruder konnte er vergessen, von denen würde er keinen Penny sehen. Das war auch nicht wichtig, denn er sah eine größere Chance in einer Entführung, die ihm weit mehr lag, als dieses sinnlose Herumgeballere. Er war sich sicher, dass sich hinter dieser Tür mindestens eine Person verschanzt hatte, für die er ein fettes Lösegeld verlangen konnte. Er musste unbedingt herausfinden, ob er wirklich richtig lag und vor allem, um wen es sich handelte. Erst dann konnte er abschätzen, wie viel er verlangen konnte. Ja, das war sein Ding und darum musste er sich kümmern. Peter spazierte einfach auf den Flughafen zu und betrat das Gebäude. Er war verwundet und hatte eine Schussverletzung vorzuweisen, die ihm jetzt Vorteile brachte. Warum er sich draußen auf dem Parkplatz aufhielt, konnte er mit einer Schocksituation erklären, das war kein Problem. Sein Ziel war diese Tür, auf die er vor Kurzem noch geschossen hatte. Ob noch jemand in dem Raum war?
Die Tür war noch genau so, wie er sie verlassen hatte. Er setzte sich in deren Nähe und gab den Verletzten. Endlich kamen Bewaffnete, von denen sich einer sofort um ihn kümmerte. Dann ging die Tür auf. Gebannt starrte Peter die beiden Männer an, die ihm völlig unbekannt waren. Einer von ihnen sah durchschnittlich aus, der andere schien modisch völlig ins Klo gegriffen zu haben. Das sagte nichts. Reiche, berühmte und einflussreiche Personen fielen heute nicht mehr durch ihr äußeres Erscheinungsbild auf. Beide Männer waren etwa gleich alt, der eine um die fünfzig, der andere ein paar Jahre jünger. Der seltsam Gekleidete war ziemlich groß, während der andere ungefähr seine Größe von einsfünfundziebzig haben dürfte. Peter versuchte, sich jedes Detail einzuprägen. Der Kleinere der beiden sprach mit einem Polizisten. Täuschte er sich, oder kannten sich die beiden? Er war sich nicht sicher. Peter hatte Feuer gefangen und wähnte sich auf der richtigen Spur: Für einen dieser beiden konnte er ganz sicher ein fettes Lösegeld verlangen. Er musste dringend an ihnen dranbleiben.
Die Maschinerie der britischen Polizei lief auf Hochtouren. Ein großer Teil der verfügbaren Kräfte wurden nach Heathrow beordert, viele andere wurden für den Verkehr benötigt, der völlig zusammengebrochen war. Außerdem riefen tausende besorgter Bürger an, die dadurch die Leitungen teilweise lahmlegten und einen großen Personalaufwand verursachten. Dazu kam die Presse, die versorgt werden wollte. Kurzum: Es herrschte Chaos.
Zum Glück behielt der zuständige Scotland Yard Commissioner Norman Curtis Green nicht nur die Nerven, sondern auch einigermaßen den Überblick. Als die Premierministerin ihn völlig aufgebracht anrief und ihn bat, die Leitung des Falls des bis dahin noch nicht bestätigten Terroranschlages zu übernehmen, wusste Green bereits Bescheid. Seine Informationsquellen waren weit gestreut, was ihm in seiner Karriere schon sehr viele Vorteile beschert hatte. Die Koordinierung der Polizeikräfte war sehr schwierig. Er musste Kräfte von Stellen abziehen, die jetzt absolut unterbesetzt, teilweise sogar unbesetzt waren. Das bereitete ihm Kopfschmerzen, aber er musste Prioritäten setzen. Zum Glück war das Königshaus durch die Hochzeitsvorbereitungen des jungen Prinzen Harry nicht in London. Das war gut so, denn er konnte für die Sicherheit der Familie Windsor nicht einen Mann entbehren, er hatte so schon nicht genug.
Green hatte seine beiden besten Leute nach Heathrow geschickt: Chief Superintendent Robert „Bobby“ Lancaster und Chief Inspector Sarah Parker-Green, die nicht zufällig denselben Namen trug wie er. Sarah war Greens Tochter und verdammt gut in ihrem Job. Er hätte es viel lieber gesehen, wenn sie irgendwo einen gutbezahlten und sicheren Bürojob gemacht hätte, aber sie war von einer Polizeikarriere nicht abzubringen gewesen, was ihm auch irgendwie schmeichelte. Bobby und Sarah waren bereits in Heathrow. Nicht mehr lange und er bekam einen aktuellen Bericht darüber, was dort wirklich passiert ist, denn bisher gab es nur Spekulationen. Die Premierministerin war bereits auf dem Weg zu ihm, in Begleitung des stellvertretenden Verteidigungsministers Paul Stanton.
Die Lage in Heathrow hatte sich noch nicht entspannt. Noch war hier die Hölle los. Gordon Bell war der Verantwortliche und er hatte alle Hände voll zu tun. Bell hatte nur wenige Minuten nach den Explosionen reagiert und alles Erforderliche in die Wege geleitet. Die Schüsse hatte er mitbekommen, aber er wusste diese nicht zu verhindern. Bis er die erforderlichen Kräfte zusammenzog, war alles schon vorbei. Noch lief alles schleppend, aber er war trotzdem zufrieden. Die vielen Übungen und Schulungen seiner Leute hatten sich bezahlt gemacht. Wie ein Uhrwerk griff ein Rädchen ins andere. Außenstehende würden behaupten, dass hier das reinste Chaos herrschte, aber Bell hatte den Überblick und war deshalb weit entfernt davon, das als Chaos zu bezeichnen. Als Bobby Lancaster und Sarah Parker-Green in sein Büro traten, konnte er ausführlich berichten.
„Die erste Explosion war hier mitten in Terminal 3, die Bombe befand sich in einem Mülleimer. Die zweite fand hier auf der Herrentoilette in Terminal 5 statt. Danach gab es hier, hier und hier vereinzelte Schüsse. Besonders auf diese Tür, die sich direkt nach der Sicherheitskontrolle in Terminal 5 befindet, wurde mehrfach geschossen, sie hielt der Attacke stand.“
„Die wichtigste Frage vorab: Gab es durch den Anschlag Tote oder Verletzte?“
„Zum Glück gab es keine Toten. Die Explosionen waren sehr gering. Die haben zwar einen Höllenlärm verursacht, hatten aber keine große Sprengkraft. Wir haben vier Verletzte, die allerdings nicht unmittelbar auf den Terrorakt zurückzuführen sind. Bis auf eine verletzte Person, die einen Streifschuss abbekommen hat, das war hier ebenfalls in Terminal 5. Der Verletzte wurde in unmittelbarer Nähe der besagten Tür gefunden.“
„Das kann ich kaum glauben! Durch die Schüsse wurde nur eine einzige Person verletzt?“
„Es sieht so aus, als hätten die beiden Männer die meisten Schüsse in die Luft abgegeben, die Einschusslöcher sind eindeutig. Nur der Verletzte mit dem Streifschuss und diese eine Tür bei der Sicherheitskontrolle sind auffällig.“
„Warum wurde auf diese Tür geschossen?“
„Das wissen wir nicht. Einer meiner Mitarbeiter, Kevin Sparks, war dort mit einem Deutschen.“
„Zu einer intensiveren Kontrolle, nehme ich an?“, fragte Sarah.
„Richtig.“
„Wo finden wir die beiden?“
„In Sparks Büro, den Gang runter, die zweite Tür rechts. Die Schüsse haben den beiden ordentlich zugesetzt, sie sind noch sehr mitgenommen.“
„Kameraaufzeichnungen?“
„Sind hier auf dem Stick. Zwei Täter, beide maskiert. Eine Aufnahme würde ich Ihnen gerne zeigen.“ Bell drehte den Monitor zu den beiden Kollegen vom Scotland Yard. „Hier verlassen beide das Flughafengebäude. Einer hatte sich die Maske vom Kopf gezogen. Wir sind noch dabei, den Mann zu identifizieren.“
„Wo sind die beiden hin?“
„Zum Parkplatz. Hier steigen sie in einen Wagen, das Kennzeichen ist nicht zu sehen. Hier fahren sie außer Reichweite der Überwachungskameras, dort taucht der Wagen wieder auf. Wir hoffen, dass er durch eine der Straßensperren gestoppt wird, ich habe eine entsprechende Information bereits rausgegeben. Drücken Sie die Daumen.“
„Sehr gute Arbeit, Gordon.“ Bobby Lancaster steckte den Stick ein. Den Inhalt mussten sie sich später genauer ansehen. Das würde heute auf jeden Fall wieder ein sehr langer Tag werden.
Als Bobby und Sarah Sparks‘ Büro betraten, unterhielten sich Sparks und Leo angeregt in Deutsch, was beide sehr gut verstanden. Sparks sprang sofort auf, als er die beiden Kollegen vom Scotland Yard erkannte. Robert „Bobby“ Lancaster war achtundvierzig Jahre alt und eine lebende Legende unter allen Kollegen, seitdem er vor drei Jahren ein elfjähriges Mädchen aus den Fängen ihres Peinigers befreit hatte. Er hatte damals den richtigen Riecher gehabt, während alle anderen den falschen Spuren nachgingen, die vom Entführer eigens für die Polizei gelegt wurden. Darüber hinaus hatte Bobby den Mann verprügelt, bevor er ihm Handschellen anlegte, was sein Ansehen noch steigerte, auch wenn er deshalb einen fetten Rüffel kassiert hatte. Kevin Sparks salutierte vor Lancaster, dem das sichtlich unangenehm war. Die achtunddreißigjährige Sarah Parker-Green kannte die Reaktion anderer auf ihren acht Jahre älteren Kollegen Bobby und fand das völlig in Ordnung. Von seinen hervorragenden beruflichen Fähigkeiten abgesehen war Bobby ein phantastischer Mensch, auf den sie sich immer voll und ganz verlassen konnte. Er war stets höflich und korrekt, aber wenn er sauer wurde, dann so richtig. Das oberflächliche Geplänkel war schnell vorbei und man grüßte Leo Schwartz abschätzend. Es musste einen Grund gehabt haben, warum Sparks sich diesen Touristen näher vornahm. Sarah Parker-Green registrierte mit einem Schmunzeln das vielsagende T-Shirt des Deutschen, während Lancaster als überzeugter Royalist die Nase rümpfte. Solche Respektlosigkeiten mochte er überhaupt nicht.
„Warum wurde Herr Schwartz einer näheren Überprüfung unterzogen?“, fragte Lancaster.
„Weil ich nur Handgepäck dabei habe und so aussehe wie ich aussehe. Eine Frechheit, wenn Sie mich fragen. Gut, über das T-Shirt könnten wir streiten, aber der Rest ist doch absolut okay“, wandte sich Leo an Sarah, die sich ein Lachen jetzt wirklich nicht mehr verkneifen konnte, als sie die hässliche Tasche bemerkte, die irgendwie zu dem Mann passte. Der riesige Deutsche stach wirklich aus der Reihe, sie hätte ihn sich auch näher angesehen.
„Herr Schwartz kam mir verdächtig vor“, sagte Sparks immer noch stocksteif.
„Und? Haben Sie etwas gefunden, das Ihren Verdacht bestätigt hat?“
„Nein, Sir. Der Mann ist harmlos. Außerdem ist er ebenfalls Polizist.“
„Sie arbeiten bei der Polizei?“
„Ja, bei der Kriminalpolizei, Mordkommission“, fügte Leo nicht ohne Stolz hinzu. Jetzt, da er seinen Job laut ausgesprochen hatte, klang er nicht mehr ganz so schlimm.
„Was denken Sie, warum gerade auf Ihre Tür geschossen wurde?“
„Keine Ahnung. Wenn Sie möchten, könnten wir das gemeinsam herausfinden.“ Leo pokerte hoch. Ob diese steifen Briten auf sein Angebot eingingen?
„Was soll das heißen?“
„Ich würde Sie gerne bei Ihrer Arbeit unterstützen. Ich bin Polizist und da ich annehme, dass ich so schnell das Land nicht verlassen kann, sitze ich hier fest. Ich habe nichts anderes zu tun und biete meine Dienste an.“
Lancaster lächelte zum ersten Mal. Was hatte das zu bedeuten?
„Ruhen Sie sich aus, wir sprechen uns später wieder.“
„Was für ein arroganter Typ“, sagte Leo, als Lancaster und Sarah gegangen waren.
„Wie können Sie es wagen? Bobby Lancaster ist ein Held und genießt großes Ansehen bei allen britischen Polizisten und in der Bevölkerung!“ Sparks war sauer auf Leo. Nachdem sich der Umgang zwischen den beiden gelockert hatte, schlug die Stimmung schlagartig um, was Leo völlig gleichgültig war. Er hatte den Polizisten seine Hilfe angeboten und musste nun warten, ob sie sie annahmen. Ja, er würde sehr gerne wissen, was hinter dem Ganzen steckte, denn nach einem normalen Terroranschlag sah das hier nicht aus. Die Sprengladungen waren geradezu lächerlich. Wenn jemand vorgehabt hätte, wirklichen Schaden anzurichten, hätte man anders vorgehen müssen. Soweit er verstanden hatte, waren nur wenige Schüsse von lediglich zwei Personen abgegeben worden, die meisten davon auf die Tür, hinter der sich Sparks und er befanden. Alles Dinge, die für sein Empfinden gegen einen gut durchdachten Anschlag sprachen.
„Wissen Sie, was ich nicht begreife? Zwei bewaffnete Täter schießen auf einem der größten Flughäfen der Welt um sich. Und die erwischen nur eine einzige Person, obwohl es hier von Menschen nur so wimmelt?“
Auch wenn Sparks immer noch sauer auf Leo war, musste er ihm zustimmen.
„Sie meinen, dass es nicht geplant war, dass es Opfer gibt?“
„Ja, das meine ich. Wenn Sie mich fragen, war das kein typischer Terroranschlag. Entweder haben wir es mit völlig unfähigen Trotteln zu tun, oder es steckt etwas ganz anderes dahinter. Aber was? Ich würde das zu gerne herausfinden. Würden Sie bei Ihrem Vorgesetzten Bell und Ihrem Helden Lancaster ein gutes Wort für mich einlegen?“
Sparks war versucht, sich über Leo und dessen Anliegen lustig zu machen. Allerdings spürte er, dass Leo nicht so falsch mit seiner Einschätzung lag. Auch wenn er Deutsche und ihre Arroganz an sich nicht mochte, hatte die Aufklärung dieses Verbrechens Vorrang. Sparks ging ohne ein Wort und suchte Bell auf.
„Der Deutsche will WAS?“ Im ersten Moment war Bell sprachlos. Dann erinnerte er sich an ein Gespräch, das er mit Commissioner Green geführt hatte. Beide waren absolute Gegner des Brexits und hatten sich ausführlich darüber unterhalten. Und beide befürchteten, von den Europäern ins Abseits gedrängt zu werden, was sie nicht für gut befanden. Hier war ein deutscher Polizist, der als direkt Beteiligter seine Hilfe anbot. Ohne ein weiteres Wort mit Sparks zu wechseln, wählte er Greens Nummer. Er erklärte ihm die Situation.
„Ja, das wäre für die internationalen Beziehungen nicht schlecht. Bleiben Sie einen Moment dran, Bell“, sagte Green, da seine Privatleitung klingelte. Es wurden einige Worte gewechselt. „Bell?“
„Ja, Sir?“
„Nehmen Sie den Deutschen mit ins Boot. Er agiert aber nicht alleine. Stellen Sie ihm einen zuverlässigen Polizisten zur Seite.“
„Mache ich, Sir.“
„Und?“ Sparks war neugierig, denn aus dem Gespräch konnte er nicht entnehmen, wie entschieden wurde.
„Sie haben einen neuen Partner, Sparks.“
„Ich? Warum?“
„Sie sprechen seine Sprache und außerdem kennen Sie sich schon. Machen Sie sich an die Arbeit.“
„Ja, Sir.“ Sparks war absolut nicht begeistert. Er sollte mit diesem Typen gemeinsam arbeiten? Warum wurde er bestraft? Wütend ging er in sein Büro. Leo ahnte bereits, dass sein Anliegen positiv entschieden wurde.
„Sagen Sie jetzt nicht, dass wir beide….?“
„Ja, leider. Ich bitte Sie nur um eins: Gehen Sie mir nicht auf die Nerven!“
„Mal sehen, was ich tun kann. Machen wir uns an die Arbeit.“