Читать книгу Im Zentrum der Wut - Irene Dorfner - Страница 9
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Оглавление„Was machst du hier?“, rief Hans Hiebler viel zu laut, als er fassungslos zusehen musste, wie sich Christine Künstle im Flugzeug direkt neben ihn setzte und ihre riesige Handtasche wie selbstverständlich unter seine Füße schob, da bei ihr kein Platz dafür war. Die Tasche war nicht das Problem, es ging um Christine selbst, die er nicht brauchen konnte.
„Was ich hier mache? Ich fliege nach London. Was dagegen?“
„Ich weiß, was du vorhast! Nein, du kommst nicht mit, das kannst du vergessen! Du steigst sofort wieder aus!“ Hans war außer sich. Es war ihm klar, dass sich Christine große Sorgen um Leo machte, aber das ging dann doch zu weit!
„Was erlaubst du dir? Mir hat niemand vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, auch Du nicht!“
„Ich verstehe, dass du dich sorgst, aber du hast in London nichts verloren! Ich habe keine Ahnung, was mich dort erwartet und habe keine Lust, auch noch auf dich aufpassen zu müssen. Einen Klotz am Bein kann ich nicht brauchen. Bitte sei vernünftig und steig wieder aus!“ Hans flehte Christine geradezu an.
„Ich bin also ein Klotz am Bein? Du musst nicht auf mich aufpassen, dass schaffe ich sehr gut alleine! Und jetzt halt den Mund, bevor ich mich vergesse!“ Christine war stinksauer.
„Gibt es Probleme?“, fragte die genervte Flugbegleiterin, die nicht scharf darauf war, nach London fliegen zu müssen. Der Anschlag auf Heathrow hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet und dabei wurden die wildesten Gerüchte gestreut. Man munkelte, dass Heathrow nicht der einzige Flughafen für einen Anschlag bleiben würde und Stansted, das Ziel dieses Fluges, wurde bereits namentlich genannt.
„Die Dame möchte gerne aussteigen“, sagte Hans, nachdem Christine nicht reagierte.
„Nein, möchte ich nicht. Ich habe ein gültiges Ticket und fliege nach London. Sagen Sie dem Herrn, dass er mich nicht weiter belästigen soll.“
Die Flugbegleiterin war völlig überfordert. Was sollte sie tun? Sie ging zu ihrem Vorgesetzten und schilderte den Fall, während Hans weiter versuchte, Christine zum Gehen zu bewegen. Er brachte überzeugende Argumente vor, die alle an ihr abprallten. Christine sagte kein Wort mehr und blickte nur stur geradeaus. Nichts und niemand würde sie von diesem Flug abhalten können.
„Was sollen wir tun?“, fragte die Flugbegleiterin verzweifelt. „Du siehst ja selbst, dass der Mann möchte, dass die Frau aussteigt.“
„Beide haben gültige Tickets. Wenn sie ein persönliches Problem miteinander haben, sollen sie das unter sich klären.“
„Wäre es nicht besser, wenn wir die beiden auseinandersetzen?“
„Wenn du jemanden findest, der freiwillig seinen Platz räumt, bezweifle ich, dass die Frau darauf eingeht. Sieh doch nur, wie sie dasitzt. Nein, die gibt ihren Platz nicht auf, die Sorte Frau kenne ich. Spar dir die Mühe, das ist es nicht wert.“
„Und wenn die beiden Probleme machen?“
„Dann können wir immer noch reagieren. Lass uns diesen Flug so schnell wie möglich hinter uns bringen. Ich bin froh, wenn ich wieder heil aus England raus bin. Du kennst die Gerüchte um vermeintliche Anschläge?“
„Leider ja.“ Die Flugbegleiterin stimmte ihrem Vorgesetzten zu. Da es an Bord nur eine kleine Auswahl an Verpflegung gab, hatte sie eigentlich einen ruhigen Flug vor sich. Sie hoffte darauf, dass die beiden Passagiere in Reihe 17 keine Probleme machten, denn darauf konnte sie gerne verzichten.
Christine kochte innerlich. Was fiel Hans eigentlich ein? Nur, weil sie ein paar Jahre älter war, musste sie sich nicht so dumm von ihm anreden und bevormunden lassen. Hatte er nicht auch Recht mit seinen Argumenten? Mag sein. Leo war in Gefahr und sie würde es sich um nichts in der Welt nehmen lassen, zumindest zu versuchen, ihm zu helfen. Wie sie das anstellen wollte, wusste sie noch nicht, ihr würde zur gegebenen Zeit noch das Richtige einfallen. Die erste Hürde war, nach London zu gelangen und dabei war sie gerade.
Hans war zwar wütend, aber langsam beruhigte er sich wieder. Je mehr er über Christine und das, was er ihr an den Kopf geworfen hatte, nachdachte, desto mehr schämte er sich. Christine kannte Leo schon sehr viel länger und reagierte so, wie er schließlich auch reagiert hatte. Er versuchte eine kleine Wiedergutmachung, indem er ihr ein völlig überteuertes Getränk kaufte, als die Flugbegleiterin sich näherte. Er konnte an dem Gesicht der jungen Frau ablesen, dass sie Angst hatte. Auch er hatte die Gerüchte um Stansted gehört, glaubte aber nicht daran.
Christine verschränkte die Arme, als Hans ihr das Getränk reichte. Er klappte ihr kleines Tischchen nach unten und stellte den Becher darauf. Dann lächelte er sie an.
„Nun komm schon, sei nicht mehr sauer. Du weißt ganz genau, dass ich es nur gut gemeint habe“, sagte Hans versöhnlich, nahm ihre Hand und drückte einen dicken Kuss darauf.
Christine fühlte sich geschmeichelt und konnte dem treuherzigen Blick kaum widerstehen, aber trotzdem blieb sie stur. Sie hatte großen Durst, aber sie rührte das Getränk nicht an. So leicht wollte sie es Hans nicht machen. Er hatte sie beleidigt und das ließ sie niemandem ungestraft durchgehen.
Hans bot seinen ganzen Charme auf und bettelte weiter, bis sie sich schließlich erweichen ließ. Es begann eine oberflächliche Unterhaltung, die vor allem die Flugbegleiterin erleichtert registrierte.
„Wie willst du in London vorgehen?“, wollte Christine wissen.
„Ich dachte, ich fange beim Scotland Yard an, die für diesen Fall vermutlich zuständig sind.“
„Denkst du, die lassen uns einfach mitmischen?“
„Wir werden sehen. Sagtest du eben uns? Du denkst doch nicht im Ernst daran, dass du mich wirklich begleiten wirst? Nein, meine Liebe, das kannst du vergessen. Offensichtlich kann ich dich nicht davon abhalten, nach London zu fliegen. Aber dort wirst du zusehen müssen, wie du zurechtkommst. Ich kann dich nicht brauchen, das habe ich dir doch vorhin klar und deutlich gesagt.“ Hans sprach viel zu laut. Einige der Mitreisenden wurden erneut hellhörig.
„Wenn du mich nicht dabeihaben willst, mache ich das alleine. Ich stehe nicht tatenlos herum, während Leo in Lebensgefahr schwebt.“
Hans ließ das unkommentiert. Sobald das Flugzeug landete, musste er Christine irgendwie loswerden. Wie er das anstellen wollte, wusste er noch nicht. Momentan waren ihm die Hände gebunden. Wenn Christine auf sich allein gestellt war, würde sie sicher wieder so schnell wie möglich nach Hause fliegen und das wäre auch das Beste für sie. Um Christine machte er sich keine Sorgen mehr, das Thema würde erledigt sein, sobald er sie abgeschüttelt hatte. Er hatte noch über eine halbe Stunde. Also lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Es wäre schön, wenn er etwas schlafen könnte, aber das war ihm nicht vergönnt. Die schlimmsten Szenen liefen vor ihm ab. Noch hatte er keine Ahnung, was wirklich in Heathrow passiert war und wie es Leo ging.
Ob er noch lebte? Ganz sicher, denn eine andere Möglichkeit zog er nicht in Betracht!