Читать книгу Der Plot H. Heine 3 - Irene Pietsch - Страница 8
ОглавлениеNicht nur Ludwig Erhard, auch der Fall Anna Anderson wühlte in den 50iger und 60iger Jahren die Menschen auf. Es war die Story der angeblichen oder wirklichen Zarentochter Anastasia. Weniger wegen ihr persönlich, die aussah, wie viele junge Frauen aussehen, sondern wegen der immer wieder abgefragten Ereignisse über und um Persönlichkeiten des Zarenreiches und ihre Stärken, Schwächen und Fimmel. Die Rasputin Affäre mitsamt Mord durch den Fürsten Jussupow, einen der fähigsten und einflussreichsten Adeligen im Umfeld von Nikolaus II., dem letzten Zaren vor Übernahme Russlands durch die Bolschewiki, dürfte auch die Geschwister des Zarewitsch nicht unberührt gelassen haben, dem die Bemühungen des Wunderheilers in erster Linie gelten sollten. Es ist anzunehmen, dass zumindest seitens der Mutter aus dem Hause Hessen eine gewisse Neigung bestand, sich Übersinnlichem zu widmen und an die Wirkung zu glauben. Wir hatten das Thema schon in „Plot 2“. Ich erwähne es nur zur Erinnerung, falls der eine oder andere das Protokoll des Vorbereitungsgesprächs zwischen dem verehrten Kollegen T 1 und mir noch nicht gelesen haben sollte.
Forschender Blick auf die vor ihm sitzenden Mitglieder der „Assembly der Honourable 25 (Twentyfive)“ .
Das Protokoll war vor zwei Monaten zugegangen.
Nicht, dass Hessen durch seine Lage für Außerirdisches prädestiniert und daher besonders empfänglich für etwas gewesen wäre, was außerhalb von Treu und Glauben liegt, fährt T 2 locker fort und wird sofort ermahnt, ohne Not keine juristischen Fachausdrücke zu gebrauchen.
T 2 entschuldigt sich. Er weist darauf hin, dass zum einen die Dänischen wie auch die Schwedischen und Britischen Souveräne Oberhaupt ihrer christlichen Kirche waren und noch sind und sich ein Bürger und eine Bürgerin dem geltenden Gesetz verpflichten muss, und dass es in Heidelberg, da, wo so mancher sein Herz verloren haben soll und andere im Karzer gesessen haben, einen Lehrstuhl für die Erforschung all dessen gibt, was er auf einen Zähler habe bringen wollen. Der Fachausdruck ist Parapsychologie, selbst, wenn sie als Eneagramm daherkommt. Man sollte eher glauben, Frankfurt ist erst zu dem geworden, was viele meinen nicht glauben oder nicht fassen zu können. In Frankfurt trafen sich nicht nur die Goethejünger, sondern auch Amschel Rothschild, der Stammvater der Bankdynastie, wurde in der Mainmetropole geboren. Einer der ganz großen Rabbis, Mose Sofer - Chatam Sofer genannt -, der belesenste Rabbi für lange Zeit, wanderte von dort an die Donau. Sein Ziel: Pressburg, das heutige Bratislawa. Das Grab des Chatam ist für gläubige Juden eine bedeutende Wallfahrtstätte, die - trotz ihrer Lage nahe einer Schnellstraße entlang der begradigten Donau - so stark frequentiert ist, dass sich die Wartenden Bücher mitnehmen, um die Zeit bis zum Betreten des Mausoleums sinnvoll zu nutzen.
T 8 fragt, ob er eine persönliche Erfahrung dazu einbringen darf.
T 1 bejaht. Es sei im Interesse der Abrundung von Bildern zu der geschichtlichen Situation nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, persönliche Ansichten aus eigener Anschauung zu hören.
Ich war vor ungefähr zehn Jahren in Bratislawa, beginnt T 8. Das Hotel: Internationale Luxusklasse. Die städtische Information war mit Anschauungsmaterial gut ausgestattet. Das Personal guckte streng, war aber freundlich. Es gab ein paar Verständigungsschwierigkeiten. Die Ursache könnte in von deutschem Schulenglisch slawisch abweichender Anwendung englischer Phonetik gelegen haben. Und als ich nach dem Grab des Chatam fragte. Die hör- und sichtbare Unwilligkeit, darüber Auskunft zu geben, sprach Bände. Ich machte mich selber auf die Suche nach entsprechendem Informationsmaterial und wurde fündig. Die Verabschiedung von der Touristen Information war ausgesprochen kontraproduktiv für die sogenannte weiße Industrie. Eigene Recherchen ergaben, dass der Weg zum Grab des Chatam kreuz und quer durch Nebenstraßen, über Baustellen und verunkrautete Brachflächen führte.
Danke, sagt T 2. Noch etwas zu Hessen und seinen sagenumwobenen Helden wie Holger Börner, einst Ministerpräsident von Hessen. Er war einer der mächtigsten Maurer, die es je gab. Sagenumwoben und intrigenversponnen auch die Frankfurter Buchmesse. Sie war und ist Gradmesser für Möglichkeiten einer Symbiose aus allem, was die erste verfassungsgebende Versammlung in der Paulskirche versprochen hat und aus manchmal schwer nachvollziehbaren Gründen nicht halten konnte. Die lange Liste der Redner, die die Ehre hatten, dort Meinungen zu vertreten und Thesen zu postulieren, obwohl sich so mancher als dafür nicht ehrenhaft genug herausgestellt hatte oder später herausstellte, spricht für sich.
Hört! Hört!
So ist es, sagt T 2.
Insgesamt ergaben die Frage- und Antwortspiele in dem Prozess um die Zarentochter eine brauchbare Kartographie der Herrscherhäuser Europas mit ihrem Vermögen und Unvermögen. So manche Gazette konnte ihre Auflagen durch Hoch- und Niederkunftzeiten erhöhen, bis die Gesellschaft darauf kam, selber damit Geld zu verdienen. Das machte sie nicht traumhafter, sondern raubte manchem manche Illusion, so wie ausgeklügelte Geschichten nicht als Märchen zu faszinieren wissen, vielmehr ist der Sieg über Gewalt und Gewalten der Stoff, aus dem sogenannte Märchen und anderes Fabelhafte sind, auch die Geschichten, aus denen heraus Andersen gewirkt hat und sich in bester Gesellschaft mit Künstlern in seiner Heimat, aber auch in Worpswede bei Bremen befand.
Ich habe mir Bilder im Internet angesehen, sagt T 8. Die dort abgebildete Person, die die Zarentochter Anastasia gewesen sein soll, war eindeutig jünger, als sie es nach den faktischen Daten hätte sein können. Es gibt immer wieder Fotos, die aus älteren Nachlässen stammen, auf denen Personen durch Retouchen Prominenten ähnlich gemacht werden. Das gelingt manchmal mehr, manchmal weniger.
So ist es, sagt T 1. Nikolaus
II., Herrscher aller Reußen, war mit Wilhelm II., Herrscher aller Preußen, verwandt. Beide schienen nicht zur Kenntnis genommen zu haben, dass weder der eine Herrscher aller Reußen noch der andere Herrscher aller Preußen war. Das sollte sich als wesentliches Defizit herausstellen, wie es sich denn auch für die Habsburger als Selbsttäuschung erwies, dass sie von allen Untertanen geliebt würden. Der Kaiser ließ sich zweimal krönen, um sicher zu sein, dass ihm seine Ungarn treu ergeben sind und bleiben, was sich am Ende des Ersten Weltkrieges bei der Flucht der Habsburger über Ungarn als Fehlschluss erwies. Die jahrzehntelangen Verhandlungen über die Rückgabe der Stephanskrone - Szent Korona, „Heilige Krone“ - nach Budapest, dürften schon wegen der ungebührlichen Länge des Gezerres um die Rückgabe nicht mit übermäßigen Erwartungen an erneute Loyalität geknüpft gewesen sein. Die Krone wurde im Jahr 2000 zurückgebracht, als Otto Habsburg-Lothringen, wie der Adelige amtlich hieß, nicht mehr CSU Europa Abgeordneter war. Die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn gelten als gut, wenn auch nicht als unverbrüchlich. Die Habsburger können sich frei in Österreich bewegen und sind am Bruttosozialprodukt nicht unwesentlich beteiligt.
Auch eine Geschichte für Andersen, sagt T 8, wenn nicht sogar für Heine und andere bedeutende Protagonisten, die sich hinter der Persönlichkeit des Fürsten Joachim Murat verbergen, dem sachkundigen Helfer von Prof. Hirth bei der Heinrich Heine Ausgabe, die im Florian Kupferberg Verlag Mainz erschien. Wenn Lothringen auftaucht, ist die Chronik der Weltkriege mit allen Folgen nicht fern, als deren Préludes die vier Türme des Schlosses am Niederrhein grüßen, dessen Verwalter der aus „Plot 2“ bereits bekannte Major und Rittmeister war.
In der Familienchronik heißt es, dass der Rittmeister und Marie sich in der Königlichen Nationalgalerie in Stockholm kennengelernt haben, sagt T 10. Er war auf Dienstreisen, sie auf sogenanntem Bildungsurlaub. Die Dienstreisen hätten Kontakte zu russischen Revolutionären und ihren Sympathisanten sein können, die sich in großer Zahl in Stockholm aufhielten. Marie dürfte kaum alleine in Stockholm unterwegs gewesen sein, sondern in Begleitung eines Familienmitgliedes, das dort Geschäfte tätigen wollte.
T 2 notiert sich diesen Hinweis.
Ich weiß nicht, warum es mir jetzt gerade einfällt, dass eines der ersten Wörter, die ich bei Ankunft in dem internationalen Luxushotel in Bratislawa in der Nähe der wunderschönen neobarocken Oper von der Terrasse schallen hörte, nicht Österreichisch, Slowakisch, Englisch oder Französisch war, sondern Ivrith. Ein Mann telefonierte sehr laut. „Katan“, schallte es. Die Übersetzung von „katan“ ist ohne Wenn und Aber „klein“. Es konnte nicht auf das Hotel bezogen gewesen sein, das im Krieg SS - Hauptquartier gewesen war. Was mich irritierte, war nicht so sehr, dass ich in Bratislawa als erstes Ivrith hörte, sondern, dass es nicht „Shalom“ war, was mir zu Ohren kam, wo man in Israel so oft „Shalom“ sagt, dass man meinen könnte, die Sprache bestünde aus diesem einzigen Wort. Ich machte mir deswegen Gedanken, wer sich hinter dem halb geröhrten, halb geschmetterten „Katan“ verstecken könnte, weil es sich bei dem Neuhebräischkundigen um einen Hotelgast zu handeln schien.
Danke, sagt T 1.
T 2 nimmt das zu Protokoll.
T 6 sagt, er könne noch mehr dazu sagen: Es war die Zeit, als ein Grenzkrieg zwischen Ungarn und der Slowakischen Republik drohte auszubrechen. Es soll um mehr als 60000 Sinti und Roma gegangen sein, die hin- und herwanderten, nachdem als Folge der unter dem Freiheitskämpfer und Präsidenten der Tschechoslowakei Vaclav Havel betriebenen Volksabstimmung, die Tschechoslowakei als Einheitsstaat von Tschechen und Slowaken aufhörte zu existieren. Da war Vaclav Havel ausschließlich Präsident der Tschechischen Republik, was mit Sicherheit nicht von ihm oder seinen politischen Mitstreitern angestrebt worden war. Was war schief gegangen in Kischs und Kafkas Prag? Wer hatte dem Golem vom Dachboden der „Altneuschul“ im ehemaligen jüdischen Viertel Prags Ausgang gegeben und hatte ihn nicht wieder einfangen können, weil Goethes „Zauberlehrling“ nur auf deutsche Besen zu hören pflegte?