Читать книгу Königin im Schatten - Sachsenkrieg - Iris Hennemann - Страница 8
Kapitel 3
Оглавление„So, jetzt wird es vielleicht ein wenig wärmer hier drinnen.“ Tilda beaufsichtigte lächelnd die Diener, die Rahmen mit aufgespanntem Pergament vor die kleinen Fenster hängten.
Bertha zeigte wenig Begeisterung, denn nun konnte sie nicht mehr hinausschauen. In der Nacht wurden die Fenster zusätzlich mit Läden verschlossen und die Vorhänge zugezogen. Die Burg Volkenroda kam ihr zunehmend wie ein Gefängnis vor. Sie wollte raus und durch die Gegend streifen, vielleicht auch endlich mal wieder mit dem Bogen schießen. Aber Tilda hatte ihr jegliche Anstrengung vehement ausgeredet. Solch ein Unsinn, sie war doch nicht krank! Im Gegenteil: Bei keiner vorherigen Schwangerschaft hatte sie sich so munter gefühlt. Dennoch hörte sie auf den Rat ihrer ehemaligen Amme.
Inständig hoffte Bertha, dass in ihrem Leib ein Junge heranwuchs. Heinrich brauchte unbedingt einen Erben – und sie einen Sohn, um sich des Königs Gunst zu sichern.
Auch Arend würde bald erneut Vater werden. Sein Weib Sieghild schob einen so mächtigen Bauch vor sich her, als ob sie ein Fohlen in sich trüge. Bertha war eifersüchtig auf dieses Bauernweib, das so gebärfreudig wie eine mäusevertilgende Katze war.
Plötzlich flog die Tür auf, und Ada schneite herein. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen strahlten wie Sterne. „Der König kommt! Er will Euch besuchen … Er kommt in Begleitung einer Reiterei, sicherlich gut, überaus gut, bewacht …“
Die Königin verstand ihre Andeutung sehr wohl, und ihr Herz tat einen freudigen Sprung. Sie würde Arend vielleicht wiedersehen!
„Wie sehe ich aus?“ Bertha suchte mit hastigen Händen einen polierten Silberspiegel und beschaute sich. Sie kniff sich in die Wangen, damit diese sich röteten, doch beim Gedanken an Arend geschah das ganz von selbst. „Tilda, schnell, mein Schmuck“, rief sie aus.
Die Angesprochene eilte zur Schatulle, kramte recht grob in den Kostbarkeiten herum und zog Fingerringe, Armbänder und eine üppige, mit Edelsteinen überladene Kette hervor. Sie wartete Berthas Einverständnis gar nicht erst ab und zog der Königin alles an.
„Wann werden sie da sein?“, erkundigte sich Bertha und erntete Tildas mahnenden Blick.
„Sie? Er, der König!“, verbesserte die ehemalige Amme.
„Sie werden bald in die Burg einreiten. Der König wollte Euch wohl überraschen, da er sich gar nicht ankündigen ließ“, plapperte Ada, nicht weniger aufgeregt als ihre Königin. „Kommt!“
Gemeinsam verließen sie das Gemach, eilten die enge, knarrende Holztreppe des Wohnturms hinunter, dann den schmalen Gang entlang in den großzügigen Hof der Hauptburg. Dort hatte sich bereits der kahlköpfige Berthold, ein fränkischer Ministeriale in Heinrichs Diensten, mit seinen Männern und den Dienern versammelt, bereit, den König zu empfangen.
Das Tor war weit geöffnet. Schon passierten die Reiter die Vorburg und ritten in den Hof ein. Wie ein glühender Funkenflug durchzuckte es Berthas Magen. Ungeduldig reckte sie den Kopf und ordnete nochmals ihren blauen Seidenschleier.
Bald darauf erschien Heinrich im golddurchwirkten dunkelroten Umhang, darunter blitzte das Kettenhemd im fahlen Nachmittagslicht. Seine Mantelschließe war mit Edelsteinen besetzt, die glühten wie ein geheimnisvoller Zwergenschatz. Bertha hatte Heinrich gar nicht so königlich und gut aussehend in Erinnerung gehabt. Seine Körperhaltung signalisierte eindeutig, dass er der Herrscher war. Und dennoch … Berthas Augen glitten an ihm vorbei zu Arend, der wenig prächtig, sogar recht schmucklos hinter dem König von seinem Pferd stieg. Er wirkte so düster und unnahbar wie am Tag ihrer ersten Begegnung. Seine Augen erfassten sie. Jedoch wandte er rasch den Blick wieder ab, wagte es nicht, dem ihren zu begegnen. Trotzdem glaubte Bertha, den Ruf seiner Seele zu vernehmen.
Sieghild tauchte aus einem Nebengebäude auf, schwerfällig, aber immer noch kraftvoll. Jauchzend fiel sie Arend in die Arme und bedeckte ihren Gemahl fortwährend mit Küssen, hing wie eine übergroße Zecke an ihm. Er ließ es sich eine Zeit lang gefallen, dann schob er sie ein wenig von sich und betrachtete freudestrahlend ihren kugelrunden Bauch. Für seine Königin hatte er jetzt keinen Sinn mehr. Die Funken in Berthas Magen wurden zu Asche. Sie setzte ein Lächeln auf und schritt auf Heinrich zu, der mittlerweile ebenfalls abgestiegen war und vom Burgvogt überaus unterwürfig mit vielen Verbeugungen und langem Wortschwall begrüßt wurde.
Nun entdeckte Heinrich sein Weib. Er sah ihr nur kurz ins Gesicht und begutachtete anschließend aus der Entfernung heraus ihren Leib, der sich noch nicht gerundet hatte. Dennoch leuchtete Hoffnung in seinen Augen, aber auch leise Angst. Der Tod des kleinen Heinrich hatte seiner vernarbten Seele eine weitere schwere Wunde zugefügt.
Er schritt auf sein Weib zu und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. „Geht es dir und dem Kind gut?“
„Du brauchst dich nicht zu sorgen.“
Hörbar atmete er aus, beschaute sie genauer. „Du siehst gesund aus.“
„Danke, es freut mich, dass dir dies auffällt. Ich bin neugierig, du musst mir unbedingt von den Geschehnissen in Sachsen berichten.“
Sein Blick verfinsterte sich, als hätten sich dunkle Gewitterwolken vor die Sonne geschoben. „Ja, das werde ich.“
Er wandte sich dem leicht humpelnden Ministerialen Berthold zu und ließ sich von diesem zum Palas führen.
Nach einem schleunigst aufgetischten Mahl folgte Heinrich Bertha in ihren Raum und schaute sich neugierig um. Eines der von ihr gewebten Seidenbänder nahm er in die Hand und spielte unablässig damit.
Er setzte sich auf einen Stuhl und legte den Knöchel des rechten Beines auf das linke Knie und wippte unruhig mit dem Fuß. Bertha ging zu ihm und wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, zögerte jedoch, bevor sie es wagte. Der König zuckte leicht zusammen, als wäre ihm dies unangenehm, ließ es aber zu.
„Was ist mit dir?“, hauchte sie und berührte ihn sanft, ließ ihre Finger durch sein dunkelblondes Haar gleiten. Für einen Moment schien er es zu genießen, schloss sogar die Augen, und seine Schultern senkten sich entspannt. Aber dann wickelte er energisch das Band ab, das er sich um die Hand geschlungen hatte, und warf es auf den Tisch. Mit einem Ruck erhob er sich, ging ein paar Schritte, wandte ihr den Rücken zu und drehte sich dann um. Etwas nagte an ihm.
„Ich kann nicht lange bleiben. Aber ich wollte dich und die Kinder noch einmal sehen, bevor ich in den Kampf gegen die fanatischen Sachsen ziehe. Gottlose Hunde sind sie – allesamt. Die Heimburg ist gefallen …“ Er schnaufte, und sein Blick flog aufgebracht hin und her. Dann schloss er kurz seine Augen.
„Die Heimburg? Wie ist das möglich?“, erkundigte sie sich mit gedämpfter Stimme.
Er ballte die Hände zu Fäusten, so sehr, dass sie zitterten. „Diese treulosen Halunken! Die Sachsen rannten gegen die Heimburg an, stürmten die steilen Hänge empor, allerdings konnten sie die Burg nicht erobern. Pfalzgraf Friedrich von Sachsen und seine Mannen erlitten bittere Verluste. Pfeile durchbohrten die Körper seiner Kämpfer, und Geschosse zertrümmerten deren Leiber. Darum gab er das Erklimmen und Anrennen auf und konzentrierte sich aufs Belagern und Aushungern. Jedoch hatte die Burgbesatzung viele Vorräte eingelagert, und der Erfolg ließ auf sich warten. Friedrich ist kein geduldiger Mensch, wollte ein schnelleres Ende. Deshalb schickte er Boten zu den Schwaben hinauf und überhäufte sie mit Geschenken und Gold. Und die Schwaben“, seine Nasenlöcher weiteten sich erbost, „ließen sich kaufen und übergaben ihm die Burg.“
„Was? Das darf doch nicht wahr sein! Bestechung? Ließen die Sachsen die Schwaben tatsächlich unversehrt abziehen?“
„Selbstverständlich. Schließlich sollen die anderen Burgbesatzungen auch ins Grübeln kommen. Den Mannen der Harzburg unterbreiteten die Sachsen ähnliche Vorschläge, aber diese waren standhaft. Und ich hoffe sehr, dass dieses auch so bleibt. Wenn nicht … Nach dem Krieg werde ich alle Verräter aufspüren und für ihre Untreue bestrafen. Dann nützt ihnen ihr verfluchtes Gold auch nichts mehr!“ Sein Blick war voller Rachsucht. Härte meißelte sich zusehends in das Gesicht des jungen Königs und formte dieses, obwohl ihm sein schmales Kinn eine gewisse Weichheit verlieh.
Nach außen teilte Bertha seine Entrüstung, dachte jedoch für sich, dass ihm selbst solche Mittel nicht fremd waren. „Es ist in der Tat schändlich.“
„Die anderen Burgbesatzungen halten sich bisher tapfer. Damit sie der Versuchung der Bestechung widerstehen, forderte ich sie auf, Ausfälle zu machen und sich zu nehmen, was sie begehren. Sie können nach ihrem Belieben plündern und brandschatzen, Hauptsache, sie bleiben mir treu.“
Bertha brachte aber keine Silbe heraus. Entsetzliche Bilder zogen vor ihrem inneren Auge auf, und ihr fiel das Atmen schwerer. Dies würde unmittelbar dazu führen, dass die sächsischen Bauern Heinrich noch mehr hassten, und doch verstand sie seine Sorgen.
„Wenn das Reichsaufgebot anrückt, das ich habe rufen lassen, werde ich das Sachsenpack zerschmettern. Einige Truppen sind bereits eingetroffen“, spie er aus.
Ganz vorsichtig näherte sie sich ihm, als wäre er ein Raubtier, das sie sogleich anspringen und ihr die Reißzähne in den Hals treiben würde. Behutsam streckte sie ihre Hand nach ihm aus und legte ihm diese auf die Brust. Unsicher und besänftigend schaute sie ihn an. „Du bist der König.“
Zwischen seinen Brauen zeigten sich zwei Falten. „Ja, das bin ich. Und niemand soll das anzweifeln!“ Er umfasste mit seiner warmen rauen Hand die ihrige, und sein Blick wanderte forschend über ihr Gesicht.
Wie gern hätte sie versucht, diesen Eispanzer, der ihn umgab, ein wenig zum Schmelzen zu bringen. Wenigstens eine kleine Öffnung, durch die sie ihren warmen Atem hauchen konnte. Aber jetzt war es nicht der rechte Zeitpunkt dafür.
„Du wirst immer schöner“, stellte er leise fest und zog sie zu sich. Er drückte ihr einen Kuss auf den Mund, lang und fordernd, und sie fühlte sich begehrt, aber dann schob er sie von sich.
„Ist Ortrun hier in der Burg? Ich sagte Benno, er solle sie unbedingt mitnehmen.“
Die Worte wirkten wie ein Faustschlag, mitten in Berthas Magen! „Ich werde erst im Februar gebären. Du benötigst dein Kebsweib nicht.“
Ablehnend schüttelte er den Kopf. „Ich will kein Risiko eingehen, ich brauche unbedingt einen Erben.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging fort, ließ Bertha einfach stehen.
Sie fühlte sich wie in jenen Jahren, als er sich aus Protest gegen die arrangierte Ehe geweigert hatte, diese zu vollziehen. In dieser Zeit hatte Bertha fast allabendlich mit anhören müssen, wie Heinrich sich mit seinen Kebsweibern vergnügt hatte, so laut hatte es über den Flur geschallt. Zu jener Zeit hatte sie sich gefühlt, als ob ein finsterer Schatten sie umhüllt hätte.
* * *
Vor einigen Tagen war der König in freudiger Erwartung des Reichsheeres nach Waldkappeln, das an einer wichtigen Straße lag, abgezogen. Zuvor hatte Heinrich gespottet, wie er die Anführer der Sachsen von ihren Rössern reißen und in den Dreck stoßen wollte. Sein schönes dunkelblondes Kebsweib Ortrun hatte er mitgenommen, um sie bei sich im Tross mitzuführen.
Arend hingegen hatte er in der Burg gelassen, denn seine Dienste benötigte er gerade nicht. Dessen Kinder hatten sich riesig gefreut, als Arend den Streuner mitgebracht hatte. Der große Hund war ihm einfach gefolgt und begeistert neben seinem Pferd hergelaufen. Mit Freuden wachte er nun vor dem Eingang der Unterkunft seiner Familie.
Und nun saß Arend hier am Tisch in dem beengten Raum, der für sein Weib, seine drei Kinder und Erkmar vorgesehen war. Sein ungefähr siebzehnjähriger, sommersprossiger Knecht war froh, endlich wieder in seiner Nähe zu sein und erzählte viel von dem Getratsche in der Burg, aber Arend hörte gar nicht richtig zu. Seit vier Jahren diente Erkmar ihm nun schon, und in dieser Zeit war er ein gutes Stück gewachsen. Seine fleischigen Ohren schienen sogar noch ein wenig mehr von seinem Haupte abzustehen.
Lustlos stocherte Arend in dem Essen herum, das Sieghild für ihn zubereitet hatte. Sie mochte ein herzensguter Mensch sein, doch ihre Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit spiegelten sich auch in ihren Kochkünsten wider. Die Mahlzeit war schrecklich fade, hatte sicher kein einziges Gewürz gesehen außer vielleicht eine zarte Prise Salz. Und das, was dort in diesem Wurzel-Kohl-Eintopf an Fleisch herumschwamm, war schwabbelig und kaum zu identifizieren. Auch Arends Kinder zeigten wenig Begeisterung.
Der dreijährige Giselher schob seinen Löffel in der Suppe umher, fischte einen Wabbelklumpen heraus und ließ diesen angeekelt wieder in die Suppe plumpsen. Spritzer trafen den zweijährigen Arwed im Gesicht, sodass dieser augenblicklich losplärrte. Der einjährige Osmund saß hingegen bei Sieghild auf dem Schoß und bekam zerdrückte Möhren in seinen verschmierten Schlund geschoben.
Den herumzappelnden Giselher beäugte Arend mit Argwohn. Dieses blonde Kind hatte den Mund des Königs, eindeutig. Als der junge Heinrich über die damals sechzehnjährige Sieghild hergefallen war, hatte er wohl dieses Andenken in ihrem Bauch zurückgelassen. Nach der Heirat hatte sie Arend gebeten, sie unverzüglich in Besitz zu nehmen, da sie im Falle einer Schwangerschaft nicht wissen wollte, wer der Vater ihres Kindes war. Doch Arend erkannte immer mehr den verachteten König in ihm, und es fiel ihm schwer, seinem Ältesten die gleiche Liebe wie den anderen entgegenzubringen. „Bleib endlich stillsitzen und iss deine Suppe! Deine Mutter hat sich hingestellt und gekocht, und was machst du?“, fuhr Arend ihn an.
„Du isst ja auch nicht“, platzte es dem Dreijährigen heraus.
Sein Vater beugte sich vor und verpasste ihm eine Ohrfeige, keineswegs mit Wucht, aber dennoch zu heftig für solch ein kleines Geschöpf. Gellend schrie Giselher auf und fand Trost bei seiner erschreckten Mutter.
Aufgewühlt sprang Arend auf und stapfte nach draußen. Es dämmerte bereits, und Ruhe kehrte in der Burg ein. Lediglich ein paar Wachen oben auf den Türmen der Vorburg und Hauptburg waren zu sehen, außerdem ein paar Knechte, die in den Ställen verschwanden, um die Tiere zu versorgen.
Arend ging in die Hocke, lehnte sich seufzend mit dem Rücken an die Wand und streichelte Streuner, der sich sogleich freudig hechelnd zu ihm gesellte. Sein Fell fühlte sich stumpf und staubig an.
Sein Weib kam zu ihm, stellte sich zögernd neben ihn und sah besorgt zu ihm herunter. „So kenne ich dich nicht. Es ist dein gutes Recht als Familienoberhaupt, uns zu maßregeln, aber es ist doch nichts Schlimmes vorgefallen. Was ist mit dir, mein Herr?“
Arend beschaute sich den Himmel, dessen letztes Blau von grauen Wolken gefressen wurde. In ihm tobte ein Sturm, es donnerte und grollte, doch die Blitze konnten sich nicht entladen. Er hätte jetzt einen Kampf gebrauchen können, um seine Wut, seine Selbstverachtung loszuwerden. Er wollte sich nicht mit dem beschäftigen, was in ihm vorging …
Er hatte Sachsen getötet! Noch immer konnte er ihr Blut an seinen Händen spüren. Für den König hatte er gegen sie gekämpft. Niemals hatte er so etwas gewollt!
Zudem war er wieder Bertha nah, so nah, dass es wehtat. Er sehnte sich nach ihr, und dennoch wollte er nicht mehr vor ihrer Tür stehen. Am liebsten hätte er sogleich sein Pferd gesattelt und wäre nach Frankreich geritten, um dort sein Glück zu suchen, fort aus dem Reich, fort von alledem, was sein Herz bluten ließ.
Tief atmete er ein und verdrängte seinen Zorn. Er erhob sich und betrachtete sie. Sie war nicht so schön wie Bertha, hatte aber klare, hellblaue Augen und einen sinnlichen Mund. Ihr Gesicht mit der kurzen, etwas zu breiten Nase war einst rundlich gewesen, mittlerweile war es hagerer und erwachsener geworden, wodurch ihre hohen Wangenknochen besser zur Geltung kamen. Arend strich ihr die wallenden rotbraunen Haare über die Schulter zurück und küsste ihre Stirn. „Es tut mir leid. Ich schätze, ich habe seit Längerem zu wenig geschlafen.“
„Mein Essen hat dir auch nicht geschmeckt, nicht wahr?“, fragte sie vorsichtig.
„Doch …“, begann er. Er konnte sie nicht anlügen. „Nein, hat es nicht. Lass dir vielleicht einmal in der Burgküche zeigen, wie man schmackhafter kocht. Du kannst auch Erkmar um Hilfe bitten, er kann dies recht passabel.“
Sie war keineswegs beleidigt, sondern lächelte ihn beschämt an. „Schon mein Vater hat mir vorgeworfen, dass mein Essen Fraß für die Schweine wäre. Ich bedauere, dir in der Vergangenheit so etwas vorgesetzt zu haben, und ich verspreche, dass ich mich um Besserung bemühen werde. Die alten Bauernweiber bei uns im Dorf haben gesagt, dass gutes Essen für einen Mann oft wichtiger sei als die meisten anderen Dinge, mehr sogar als Kampf und Liebe. Ich danke dir für deine Großmütigkeit und dass du mich noch nie wegen meiner mangelnden Kochkünste verprügelt hast … Na ja, du hast mich ja ohnehin noch nie geschlagen.“ Forschend schaute sie zu ihm empor. „Aber was ist es, was dein Herz wirklich bedrückt?“
Er wollte und konnte das Chaos, das in ihm herrschte, nicht erklären. So legte er nur behutsam einen Arm um sie und führte sie ins Haus zurück. Als er Giselher mit seiner geröteten Wange sah, der bei seinem Eintreten ängstlich den Kopf einzog, kam er sich schäbig vor und schloss ihn entschuldigend in die Arme. Auch wenn er sich nun äußerlich besänftigt zeigte, tobte in ihm immer noch ein Sturm.
Weiter entfacht wurde dieser Sturm, als Bertha ihn am nächsten Morgen als Wache zu sich bestellte.
Benno stand vor ihrer Tür und fixierte ihn mürrisch, sagte aber kein Wort und verzog sich mit müden Schritten.
Kaum war der ergraute Krieger verschwunden, trat Tilda auf den Gang. „Die Königin will dich allein sprechen. Na los, beweg dich, langes Elend!“, fuhr sie ihn an und tippte ihm mit ihrem Zeigefinger drohend auf den Arm. „Mach ja keine Dummheiten, Jungchen!“, zischte sie. „Ich bleibe hier vor der Tür! Nicht einen einzigen Schritt werde ich mich entfernen!“
„Keine Sorge!“, beruhigte er sie und betrat Berthas Gemach. Sein Herz hämmerte ihm bis zu den Ohren. Da saß sie!
Die Fenster waren mit Pergamenten verhangen, und das fahle Sonnenlicht tanzte mattgolden auf ihnen, hüllte den Raum in einen safranfarbenen Schimmer. In ihren Händen hielt Bertha ein glitzerndes Tuch, an dem sie gerade stickte. Als er eintrat, legte sie es auf den Tisch, auf dem sich Garne und kleine Gefäße mit Goldplättchen und Perlen tummelten.
Rasch schaute er sich um. Sie waren allein.
„Arend!“, hauchte sie, und ihr Lächeln erwärmte sein Herz.
„Ich bin so unsäglich dankbar, dass du heil zu mir zurückgekehrt bist. Heinrich hat erzählt, dass du überaus tapfer gekämpft hast. Er bewundert deine Fähigkeiten, weißt du das?“ Sie presste die Lippen zusammen, erhob sich und kam zu ihm. „Du musstest Sachsen töten. Das tut mir sehr leid.“
So nah war sie, so nah. Er atmete den Lavendelduft ihrer Kleidung ein und den Rosenduft ihres Haars. Sein Herz brannte, sie war die Frau, die er liebte und begehrte, aber es durfte einfach nicht sein.
Unerträglich dicht kam sie an ihn heran, und ihre Augen flüsterten von Liebe. „Du weißt gar nicht, wie glücklich ich tatsächlich bin, dass du wieder da bist.“ Sie streichelte seine schwielige Hand. Er wollte es eigentlich nicht zulassen, aber es war so seelenerwärmend und berauschend, ihre Finger zu spüren.
Sein Blick glitt rasch über seine Schulter zur Tür, an der sich die Alte garantiert ein Ohr platt drückte.
„Keine Sorge, sie wird nicht hereinkommen“, beruhigte Bertha lächelnd. „Liebst du mich?“ Aus großen blauen Augen schaute sie ihn fragend an, erwartete eine zärtliche, innige Antwort. Ihre Finger schoben sich seinen Arm hinauf bis zu seinem Nacken, wo sie ihn sanft kraulte.
„Herrin …“, begann er. Wie gern hätte er sie jetzt ergriffen, geküsst und noch mehr … Aber die Königin war gebunden und erwartete ein Kind. Er würde ihr Leben zerstören, wenn er es zum Äußersten kommen ließe. Behutsam nahm er ihre Hand von seinem Hals. „Es darf nicht sein!“ Hölzern und ein wenig reserviert fügte er hinzu: „Geht es Euch gut, ich meine, in Eurem Zustand …?“
Herbe Enttäuschung spiegelte sich in ihrem Gesicht. „Ja, danke der Nachfrage. Es ist unser Schicksal als Frau, ständig schwanger zu sein.“ Sie räusperte sich. Sicherlich hatte sie ihm ganz andere Dinge sagen wollen und sich auch andere Worte von ihm erhofft. Tief atmete sie durch, trat demonstrativ einen Schritt von ihm zurück und meinte kühl, fast abweisend: „Wie du bereits weißt, wirst du ab heute abwechselnd mit Benno Wache vor meiner Tür stehen. Dafür bist du ja schließlich einst an den Hof geholt worden, nicht wahr? Es gibt einige einfältige Gestalten in dieser Burg, die mich recht schäbig anschauen. Heinrich möchte mich in Sicherheit wissen. Für den Kampf gegen die Sachsen wird er dich ohnehin nicht benötigen, denn er hat vor, mit der Masse des gut gerüsteten Reichsaufgebotes dein widerspenstiges Volk zu zerschmettern. Wisse, Heinrich wird zu seinem Wort stehen, und deiner väterlichen Familie wird nichts geschehen. Du kannst jetzt vor meine Tür treten.“
Er hatte sie verletzt, ihr nicht gesagt, was sie hören wollte. Die Wahrheit nämlich – dass er sie liebte. Betrübt nickte er, wandte sich auf den Fersen um und begab sich in den düsteren, kühlen Gang hinaus.
Dort musterte ihn Tilda bitterböse. „Ich warne dich! Halte in Berthas Gegenwart deine Bruche stets verschlossen, sonst ergeht es dir übel! Leider wirst du ja nun wieder ständig in ihrer Nähe sein. Ich werde es nicht zulassen, dass sie noch vom König verstoßen wird, weil du dich vielleicht nicht beherrschen kannst!“, drohte sie und erhob ihre Faust. „Ich werde aufpassen wie ein Luchs!“, schob sie hinterher und verschwand in Berthas Raum.
Frankreich – dieses Land erschien ihm immer verlockender.
Obwohl die Burg von großem Ausmaß war, fühlte sich Arend in ihr gefangen. Er freundete sich mit den beiden Söhnen des Burgvogts an, die ungefähr in seinem Alter waren. Der Sachse übte sich mit ihnen in den Waffen, auch wenn sie ihm hoffnungslos unterlegen waren. Unermüdlich erhoben sie sich aus dem Dreck und stellten sich ihm erneut. Als Dank für seine Geduld nahmen sie ihn mit auf die Jagd. Arend war jedes Mal erleichtert, der Burg und den Weibern entkommen zu können. Bertha war abweisend, mied ihn und beachtete ihn kaum. Sieghild war in letzter Zeit ungewohnt ungnädig, da ihr das stets tretende Kind in ihrem Leib keinen Schlaf gönnte.
Ihre gereizte, zänkische Art verschlimmerte sich erheblich, seit sie die verführerische Ada und Arend im Stall erwischt hatte, wie sie sich ihrer Leidenschaft hingaben. Ada hatte den Sachsen in einem schwachen Moment angetroffen und sich ihm voller Verlangen an den Hals geworfen, sodass dieser, betört von ihren Berührungen und Küssen, ihrem Drängen kopflos nachgegeben hatte. Aufgebracht hatte Sieghild gezetert, sie wisse ja, dass er sich als Mann dieses Recht herausnehmen könnte, so wie es auch all die anderen Männer täten – sogar die Bischöfe –, aber dass sie von ihm zutiefst enttäuscht wäre, da er auch nicht besser als all die anderen Mistkerle war. Dann wetterte sie, dass Männer allesamt Schweine seien, die ihren Weibern ein Kind nach dem anderen machten, sie anschließend mit der Verantwortung allein ließen und sich lieber saufend, hurend und Waffen schwingend vom Acker machten. Dennoch versprach sie ihm, Stillschweigen darüber zu bewahren.
Als Arend vor vier Jahren an den Hof gekommen war, hatte Ada bereits mit ihm geflirtet, und nach ungezügeltem Weingenuss hatte er sich mit der kessen Dienerin im Bett wiedergefunden. Das Spiel begann jetzt offenbar von Neuem.
Um allem zu entfliehen, erbat sich Arend von Bertha, ein paar Tage zur Jagd gehen zu dürfen. Erstaunlicherweise willigte sie ein.
Das Laub hatte sich bereits verfärbt, und vereinzelte Blätter segelten zu Boden. Die Nächte waren empfindlich kalt und feucht geworden, doch genoss Arend es, allein zu sein – nur von Streuner und seinem Streitross Widu begleitet. Ja, er fühlte sich frei, niemandem verpflichtet, all den Wirrnissen und Feindseligkeiten dieser Welt entronnen.
Als er weit geritten war, holte ihn die Wirklichkeit jäh wieder ein. An einem sonnigen Tag konnte er von einer Anhöhe ein riesiges Lager sehen. Zwischen all den Zelten blitzten Waffen auf, und es wehten zahlreiche Banner und Fahnen im Wind. Das Reichsaufgebot! Tausende Kämpfer waren dem Ruf Heinrichs gefolgt, und sicher würden noch weitere Tausende erscheinen.
Was sollte Arend tun? Sich auf die Seite der Sachsen begeben? Sein Herz verlangte dies von ihm. Doch sein Eid … Sein verdammter Eid. Er konnte sich einfach nicht überwinden, diesen zu brechen und somit seine Familie zu gefährden. Zudem befanden sich sein Weib und seine Kinder in Volkenroda.
Missmutig kehrte er zur Burg zurück. Sieghild hatte zwischenzeitlich entbunden, abermals einen Sohn. Überglücklich war sie und wieder die großherzige, gütige Frau, als die er sie kennengelernt hatte. Sieghild entschuldigte sich sogar für die Vorhaltungen, die sie ihm gemacht hatte. Sie weigerte sich, ihre restliche Zeit als Wöchnerin im Bett zu verbringen, und ging schon wieder ihren Arbeiten im Haus nach. Freudig wickelte sie den in der Wiege liegenden Säugling aus den Tüchern und präsentierte ihn seinem Vater in voller Blöße.
Der Junge war überhaupt nicht zerknautscht und hatte ein schönes glattes Gesicht. Vereinzelte, hellbraune Haare standen ihm vom Haupte ab, und die Fontanelle in seiner Schädeldecke, wo es unter der Haut heftig pochte, war deutlich zu sehen. Seine Füße waren erstaunlich groß, und auch Bauchmuskeln zeichneten sich deutlich ab.
Behutsam streichelte Arend ihn mit dem Zeigefinger, und sein Sohn schnappte mit seinem Händchen kraftvoll zu, umklammerte den Finger, als wollte er ihn nie wieder loslassen. Gerührt lächelte Arend. Schon jetzt lag ihm dieser Sohn mehr am Herzen als seine anderen Kinder. „Er soll auf den Namen Herwin getauft werden … nach meinem jüngsten Bruder, den ich in einer Schlacht verloren habe.“
Osmund krabbelte auf seinen Vater zu und zog sich an seinem Beinling hoch. Arend befreite seinen Finger aus Herwins Griff und hob Osmund empor, küsste ihn auf die pralle Wange und berührte vorsichtig eine Schürfwunde auf dessen Stirn. „Na, bist du zu wild unterwegs gewesen?“ Dann hielt er ihn über die schlichte Wiege. „Schau mal, das ist dein kleines Brüderchen. Später könnt ihr euch alle gemeinsam in den Waffen üben und zur Jagd gehen. Ich werde euch alles beibringen, was ich weiß und kann.“
Osmund betrachtete mit einem flüchtigen Lächeln seinen Bruder und kuschelte sich dann eng an den Hals des Vaters. Anschließend lehnte er sich zurück und betastete dessen Gesicht, zerrte am Ohrläppchen und drückte Arends Nase zusammen.
„Du bist viel zu wenig bei deinen Kindern!“, stellte Sieghild traurig fest und verzog betrübt den Mund. „Und ebenso wenig bei mir.“
Bevor Arend wusste, was er erwidern sollte, schoss ein hoher Urinstrahl aus Herwins Wiege. Arend konnte diesem geschickt ausweichen, Streuners Schnauze jedoch wurde feucht. Der Hund beklagte sich mit einem beleidigten Winseln und verzog sich rasch ins Freie. Arend küsste Osmund und setzte ihn auf einem der Betten ab.
Als drei Männer eilends in die Hauptburg einritten und laut rufend nach der Königin verlangten, wurde Arend auf den Hof gelockt.
Er konnte gerade noch sehen, wie der humpelnde Ministeriale Berthold einen der Reiter in den Palas führte. Neugierig musterte Arend die verbliebenen Männer. Ihre Mienen waren ernst.
Bald darauf tauchte der Bote wieder auf, stieg auf sein Pferd und eilte mit seinen Begleitern davon.
Was war vorgefallen? Ein leichter Hoffnungsschimmer keimte in Arend auf. Hatte vielleicht eine Schlacht stattgefunden, und der König war besiegt? Dann würde sich augenblicklich vieles ändern. Auch für Bertha.
Arend wurde abgelenkt, als Streuner sich zu seinen Füßen setzte und wimmernd versuchte, sich mit seiner Pfote den unangenehmen Geruch von der Schnauze zu wischen. Der große Sachse lockte ihn zum Brunnen, zog einen Eimer empor und säuberte das Tier mit kaltem Wasser. Sofort begann Streuner freudig mit seinem struppigen Schwanz zu wedeln.
„Arend!“ Ada kam auf ihn zugelaufen und winkte energisch. Außer Atem blieb sie vor ihm stehen. „Die Königin möchte dich sprechen!“, verkündete sie. Ihr Blick wurde unsicher. „Bist du wegen dem, was im Stall geschehen ist, tagelang in den Wäldern verschwunden? Es tut mir leid, ich war zu dreist, zu forsch … und zu drängend.“ Sie senkte den Blick, doch dann verzog sich ihr schöner Mund trotzig. „Nein, eigentlich tut es mir überhaupt nicht leid! Ganz und gar nicht! Du bist ein Mann, dich braucht dieses ohnehin nicht zu grämen. Es war wundervoll – trotz allem. Ich mag dich sehr, wie du weißt. Und du brauchst mich nur zu rufen, dann bin ich bei dir …“
Arend wollte den Tag im Stall eigentlich nur vergessen, obwohl auch er es nicht konnte. „Ja, es war schön … und töricht. Sei froh, dass Bertha nichts davon weiß. Mein Weib hat fürchterlich geschimpft, mir aber vergeben. Wir sollten dies nicht wiederholen.“
Damit begab er sich zum Gemach der Königin.