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Kapitel 4

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Noch immer hielt Bertha den Brief in ihren bebenden Händen. Die Mitteilung hatte ihr Inneres durcheinandergebracht, als hätte jemand mit einem Kochlöffel kräftig darin herumgerührt. Sie würde Arend bald wieder gehen lassen müssen. Daher bedauerte sie zutiefst, wie sie sich ihm gegenüber in letzter Zeit benommen hatte, und auch ihre Eifersucht, die sie immer wieder wie ein Floh gebissen hatte.

Energische Schritte ertönten im Gang. Das war Arend. Er wechselte wenige Worte mit Benno, und daraufhin wurde die Tür geöffnet. Mit seltsamem Unmut trat der junge Sachse ein, begegnete nicht ihrem Blick, sondern ging ehrerbietend und distanziert vor ihr in die Knie. „Meine Königin.“

Nervös leckte sie sich die trockenen Lippen und raffte ihren Mut zusammen. „Setz dich zu mir an den Tisch.“

Er zögerte – in ihren Augen viel zu lange –, dann gab er sich einen Ruck und ließ sich auf der Bank ihr gegenüber nieder. Seine Augen waren jedoch nicht auf sie gerichtet, sondern verfolgten eine fette schwarze Fliege, die über die auf dem Tisch liegenden Schriften krabbelte. Blitzschnell schnappte Arend zu, und die Fliege verschwand in seiner großen Faust.

Bertha hüstelte das Kratzen in ihrer Kehle fort. „Ich war ungerecht, Arend, das gebe ich zu. Die gesamte Situation drückt auf mein Gemüt. Aber im Grunde genommen“, sie beugte sich ein wenig vor, damit Benno dies vor der Tür nicht hörte, „haben sich meine Gefühle für dich nicht geändert. Du bist nach wie vor mein Arend. Und hätte ich gewusst, wie sich alles entwickelt, hätte ich die Zeit nicht mit solch kindlichem Schmollen vertan.“

Nun schaute er doch auf, die Augenbrauen zusammengezogen. Er fragte sich sicherlich, was das hier sollte. Die Fliege brummte in seiner Hand, aber er entließ sie nicht in die Freiheit.

Demonstrativ hielt ihm Bertha einen Brief entgegen und ließ diesen dann auf die zahlreichen anderen Schreiben fallen. Oh, wie sollte sie ihm nur eröffnen und ihn dazu bringen, was Heinrich von ihm verlangte? Wahrscheinlich würde er sich sogleich auf seinen Rappen setzen und für lange Zeit in die Wälder zurückziehen, vielleicht auch niemals wiederkehren.

Immer panischer summte die Fliege.

Ganz vorsichtig musste Bertha beginnen, ganz sachte. Sie hüstelte nochmals. „Nun … Es ist nicht ganz so gelaufen, wie Heinrich es sich vorgestellt hat.“

Arends Augen wurden schmal.

Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, sie fürchtete, dass sich dies auch auf ihre Stimme auswirkte, sie unsicher klingen ließ. „Das Reichsaufgebot ist zwar eingetroffen, allerdings nicht so zahlreich, wie Heinrich es sich erhofft hat. Zudem haben Späher berichtet, dass die Sachsen wohl über vierzehntausend Mann verfügen. Darunter befinden sich zwar auch etliche freie Bauern. Doch deren Gesamtzahl ist erdrückend.“

War das ein Aufglimmen von Schadenfreude in seinen Augen? Bertha war sich nicht sicher, denn sein Gesicht blieb weiterhin unbewegt.

Bertha rutschte auf ihrem Stuhl weiter nach hinten, bis sie die Lehne im Rücken spürte. „Erzbischof Siegfried von Mainz hat auf eigene Faust, ohne die Zustimmung des Königs einzuholen, eine Verhandlung zwischen den sächsischen Anführern und den Unterhändlern des Königs für den 20. Oktober in Gerstungen angesetzt. Heinrich konnte dieses nicht ablehnen, damit man ihm nicht vorwerfen kann, rachsüchtig und unversöhnlich zu sein. Jedenfalls will er nicht persönlich an den Verhandlungen teilnehmen, deshalb ist er nach Würzburg aufgebrochen. Dort will er das Ergebnis der Unterredung abwarten. Anno, der Erzbischof von Köln, hat ihm dazu geraten, damit es nicht doch noch zum entscheidenden Kampf kommt, wenn er anwesend ist. Es bestünde die Gefahr, dass die Sachsen sogleich wütend zu den Waffen greifen, wenn sie Heinrich erblicken. In wenigen Tagen also wird nun diese Verhandlung stattfinden. Dein König fordert dich auf – und Anno unterstützt ihn darin –, dass du …“, sie räusperte sich, wusste schon sehr genau, wie er reagieren würde, „bei den Gesprächen anwesend bist.“

„Ich?“ Unvermittelt öffnete er die Hand, und die geschwächte Fliege flog davon, setzte sich auf das Pergament vor dem Fenster und blieb dort sitzen. Energisch schüttelte Arend den Kopf. „Nein!“

Wie ein Felsen stand dieses Nein im Raum. Wie sollte sie diesen nur forträumen? Sie lehnte sich im Stuhl vor, so weit es ihr mittlerweile gewölbter Bauch erlaubte. „Arend“, sie ließ ihre Stimme ganz weich klingen, „es ist gar nicht so töricht, wie du jetzt vielleicht denkst, und es ist gewiss keine Strafe. Heinrich und selbst Anno wissen dich überaus zu schätzen. Siehe es als große Chance an. Dem König ist bewusst, dass du die Brücken zu den Sachsen nicht abgerissen hast. Auf der Harzburg hast du des Öfteren mit Magnus gesprochen und dich darum bemüht, dass er gut versorgt wird. Magnus wird dies gewiss würdigen. Und unter den Anführern der Sachsen befinden sich auch dein Vater Eilbrecht und deine beiden Brüder. Sie werden dir bestimmt Gehör schenken …“

„Nein, werden sie nicht!“, platzte er heraus und erhob sich, ging aufgebracht ein paar Schritte und wandte ihr den Rücken zu.

„Alles in Ordnung, Herrin?“, rief Benno durch die verschlossene Tür.

„Ja, danke, alles bestens“, beruhigte sie ihren grauhaarigen Bewacher.

Kopfschüttelnd drehte sich Arend zu ihr um, seine Augen waren schmale Schlitze. „Meine Familie hat mich verstoßen, und Magnus hat mir auf der Harzburg angedroht, seine Klinge gegen mich im Kampf zu erheben, falls wir auf unterschiedlichen Seiten stehen würden – so wie es sicherlich jeder andere Sachse auch gern tun würde. Es würde nichts nützen, wenn ich dort auftauchte, im Gegenteil! Meine Anwesenheit würde die Gemüter erhitzen. Ich bin Euer Türwächter und ganz bestimmt kein verdammter Unterhändler des Königs. Niemals werde ich seine Position vor den Sachsen vertreten!“

„Das sollst du ja auch gar nicht! Die Erzbischöfe Siegfried von Mainz und Anno von Köln, die Bischöfe Hermann von Bamberg und Hermann von Metz und die Herzöge Gottfried IV. von Niederlothringen, Berthold von Zähringen und Rudolf von Rheinfelden werden die Seite des Königs vertreten. Sie wollen sich anhören, was die Sachsen gegen den König vorzubringen haben. Da du beide Seiten kennst, könntest du bei einer Eskalation beschwichtigend einwirken. Du könntest eine weit größere Rolle bei alldem spielen, als lediglich meine Tür zu bewachen. Bedenke: Du bist von altem sächsischen Adel, und deine Sippe rühmt sich, einst mit Widukind gegen Karl den Großen gekämpft zu haben. Versuche doch zu begreifen, welch bedeutende Chance dir hier geboten wird! Du könntest mithelfen, weiteres Morden zu verhindern und Frieden zu stiften.“ Oh ja, sie sah, wie er bei diesen Worten ins Grübeln geriet. „Wenn du schlichtest, hätten die Kämpfe um die Burgen vielleicht bald ein Ende, und auch die Raubzüge der schwäbischen Burgbesatzungen würden aufhören. Wenn dir dein Volk etwas bedeutet, so tue es! Du kannst ein glaubhafter Zeuge sein bei den Angelegenheiten, die die königlichen Unterhändler versprechen. Seit fast vier Jahren bist du schon am Hofe, könntest List und Tücke erkennen und dein Volk schützen.“ Sie erhob sich und stellte sich vor ihn hin. „Sei klug und tue es“, flüsterte sie eindringlich und näherte sich ihm weiter, ersehnte sich eine Umarmung, die er ihr wohl verweigern würde.

Sein forschender Blick war auf sie gerichtet, und seine Lippen zuckten unentschlossen. Er schaute zur Fliege hinüber, die noch immer auf dem Pergament krabbelte. „Ist es auch Euer persönlicher Wunsch?“

„Wenn es gelänge, eine blutige Schlacht auf sächsischem Boden zu verhindern, wäre dies ein Gewinn für alle Seiten.“

Matt nickte er und schaute sie gleichzeitig wehmütig und enttäuscht an.

Ganz sachte lehnte sie ihre Wange an seinen starken Arm, genoss diesen Augenblick. Sie liebte ihn und kam sich elendig vor, weil sie ihn zuvor gemieden und nun mit solch einer leidigen Bitte zu sich geholt hatte.

„Wann soll ich aufbrechen?“

Noch erwiderte er ihre Zuneigung nicht, und sie fürchtete sich davor, diese verwirkt zu haben. „Noch heute.“

Endlich umarmte er sie sachte und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Gut, ich gehe.“ Nach ihrem Empfinden ließ er sie viel zu früh los, verneigte sich und verließ mit eiligen Schritten den Raum. Er schaute nicht mehr zurück.

* * *

Es widerstrebte ihm, hier zu sein. Das königliche Heer hatte das Lager ein wenig entfernt aufgebaut, in direkter Nähe zum Ort Gerstungen, um zu verhindern, dass die Sachsen sogleich hitzköpfig darauf zustürmten. Die Sachsen waren mit ungefähr vierzehntausend Bewaffneten angerückt. Eine Flut von Kämpfern, die die Ebene überschwemmte und bis zum Waldrand reichte. Das Heer des Königs verfügte nur über etwa viertausend Mann, war zahlenmäßig gänzlich unterlegen und schon allein deshalb nicht kampfwillig. Lauernd standen sie sich in größerer Entfernung gegenüber.

Auf einer freien Wiese hatte man ein großes Zelt zwischen den Heeren aufgestellt, wo sich die Vertreter der feindlichen Parteien treffen sollten. Es war außerhalb der Reichweite von Bogenschützen, und Attentäter konnten sich nicht unentdeckt nähern.

Ein heftiger Wind war aufgekommen und zerrte an den Planen, beulte diese deutlich ein. Tische und Stühle waren beschafft und den Fraktionen entsprechend angeordnet worden.

Arends Stuhl stand ein wenig abseits von den anderen. In der Reihe der Königstreuen vor ihm saß in der Mitte der hagere Erzbischof Anno von Köln. Daneben hatte der Endvierziger Erzbischof Siegfried von Mainz seinen Platz gefunden. Neben ihm befand sich Gottfried IV. von Niederlothringen, dessen Nacken aufgrund eines Buckels geneigt war, weshalb er seltsam steif wirkte. Er war der Sohn des verstorbenen Gottfrieds III. des Bärtigen von Niederlothringen, der einst bei einem Streit zwischen Papst Alexander II. und den Normannen eingegriffen und dadurch verhindert hatte, dass der junge König dem Papst zu Hilfe eilen konnte. Heinrich wäre damals als Gegenleistung zum Kaiser gekrönt worden. Gottfried IV. – der Buckelige –, wie man ihn nannte, war mit der überaus einflussreichen Mathilde von Tuszien verheiratet und besaß somit Ländereien in Norditalien, durch die der König ziehen musste, wenn er nach Rom wollte. Er tuschelte gerade mit Berthold I. von Zähringen, dem Herzog von Kärnten, der, alt und robust wie er war, seine Flucht mit Heinrich von der Harzburg erstaunlich gut verkraftet hatte.

„Unverschämt, dass sie uns hier warten lassen!“, warf der ungefähr fünfzigjährige Bischof Hermann I. von Bamberg ein. Er war klein, im Gegensatz zu dem Bauch, den er vor sich hertrug und der sich kaum von dem einer Schwangeren unterschied. Er war listig und berechnend, und ihm unterstanden die Finanzen des Reiches. Der König hatte ihn einst in sein Amt eingesetzt, und das Gerücht von Simonie umwaberte ihn.

„Was anderes erwartest du von den Sachsen!“, spottete Werner von Metz, der gut dreißigjährige arrogant wirkende Kerl, der erst vor Kurzem von Heinrich als Bischof investiert worden war. Er warf einen Blick über seine Schulter zurück zu Arend.

Der ergraute Rudolf von Rheinfelden glättete mit den Händen seine Haare, die er um seine Stirnglatze drapiert trug. Er verhielt sich erstaunlich zurückhaltend. Rudolf hatte einst Heinrichs Schwester Mathilde aus einem Kloster entführt und geheiratet, um so Schwager des Königs zu werden. Und durch die Schwäche von Heinrichs Mutter Agnes war er sogar zum Herzog von Schwaben geworden. Doch er hatte Mathilde schlecht behandelt, sie sogar geschlagen, und sie war früh gestorben. Daraufhin hatte dieser Mann Berthas jüngere Schwester Adelheid zum Weib genommen, um nochmals der Schwager des Königs zu werden. Auch sie hatte er misshandelt, ihr später Ehebruch vorgeworfen und die Scheidung verlangt, die der Papst jedoch verboten hatte. Arend empfand eine starke Abneigung gegen ihn.

In dieser Runde fühlte er sich ohnehin äußerst unwohl. Eigentlich hatte er hier gar nichts zu suchen, und dies ließen ihn die Adligen auch mit deutlicher Missachtung spüren.

Dann hörte man die Stimmen der Sachsen, die sich dem Zelt näherten. Arend erkannte sofort Otto von Northeim, Magnus, seinen Vater Eilbrecht und seine Brüder Giselher und Suidger.

Die Plane am Eingang wurde zurückgeschoben, und die Sachsen traten ein. Außer denen, deren Stimmen er schon vernommen hatte, war noch der kleine Markgraf der Nordmark, Lothar Udo II. von Stade, dabei, zudem der leicht untersetzte Gebhard von Süpplingenburg. Mit ihnen hatte Arend vor vier Jahren in der Burg seines Vaters verschwörerisch an einem Tisch gesessen. Begleitet wurden sie vom Bischof Burchard II. von Halberstadt – dem schlanken, streng dreinblickenden Neffen Annos –und dem hageren Erzbischof Werner von Magdeburg, dem Bruder von Anno. Und schließlich trat noch der ergraute Dedi I., der etwas über sechzigjährige Markgraf der Lausitz, ein.

Die Sachsen wechselten rasche Blicke, verständigten sich, wo sie sitzen wollten. Otto von Northeim nahm in der Mitte Platz, rechts neben ihm Magnus. Der junge Billunger hatte sich erholt, sah wieder blendend aus. Er hatte ordentlich an Muskeln zugelegt und war besonders prächtig herausgeputzt und mit Gold behangen, vielleicht, um die Zeit im Schmutz seiner Gefangenschaft in der Harzburg abzuschütteln. Magnus war ein auffallend schöner Mann, groß, mit weißblondem Haar und einem Bart von derselben Farbe. In ihm floss königliches Blut, denn seine Mutter war die Tochter des norwegischen Königs Olav II. Haraldsson. Der damalige Herzog der Sachsen, Ordulf, hatte Wulfhild einst geheiratet, um ein Bündnis gegen die Wenden zu bekräftigen.

Die gegnerischen Parteien grüßten sich nicht, lediglich Anno nickte seinen Verwandten zu.

„Was will das Frettchen hier?“, blaffte Eilbrecht und deutete mit einer verächtlichen Kopfbewegung auf seinen Sohn. Er und seine beiden anderen Söhne waren wie Arend hochgewachsen, hatten alle diese leuchtend blauen Augen und das braune Haar – das seines Vaters war allerdings von silbernen Strähnen durchsetzt.

Beschwichtigend winkte Magnus ab. „Was soll’s, schaden kann er ja nicht.“

Otto von Northeim strafte Arend ebenfalls mit einem geringschätzigen Blick. Er fuhr sich mit der Hand über sein scharf geschnittenes, markantes Gesicht und ordnete dann sein welliges, an der Stirn schütteres Haar. „Warum sitzt er da? Steht er entgegen allen Beteuerungen auf Heinrichs Seite?“

Anno wandte sich kurz zu Arend um, der sich wünschte, dass ihn eine Windböe aus dem Zelt fegte.

„Nein. Er ist – auch wenn ihr es vielleicht nicht glauben mögt – neutral. Er soll lediglich schlichtend eingreifen, und der König hofft, dass er die Aufrichtigkeit unserer Absichten bekräftigen wird“, sagte der Erzbischof von Köln.

Neutral? Arend fragte sich, ob er dies überhaupt noch war. Hatte er nicht bereits Sachsen getötet?

„Wie bitte? Schlichten? Da ist er ja wohl absolut der falsche Mann!“, belferte sein ältester Bruder Giselher und warf ihm einen giftigen Blick zu.

Arend erhob sich und wollte gehen. Er hatte gleich gewusst, dass seine Anwesenheit ein gewaltiger Fehler war.

„Setz dich!“, forderte Magnus. Dann erklärte er den verdutzten Sachsen: „Wie gesagt: Schaden kann er nicht!“

Missmutig ließ sich Arend wieder auf den Stuhl sinken. Der Gedanke, nach Frankreich zu gehen, wurde ihm immer sympathischer. Dort könnte er sich von einem Buhurt in den nächsten stürzen, wäre niemandem durch einen Eid verpflichtet und könnte sich allen Schwierigkeiten hier im Reiche entziehen. Er hasste es, in diesem Zelt zu sein, denn er gehörte weder zu der einen Partei noch zur anderen. Zur Seite des Königs hatte er nie gehören wollen, war aber trotzdem permanent von ihr in Anspruch genommen worden, und die andere Seite, zu der er sich mit ganzem Herzen hingezogen fühlte, wollte ihn nicht mehr.

Anno erhob die Stimme, erklärte die Bereitschaft der hier versammelten Königlichen, sich die Klagen der Sachsen anzuhören.

Sofort sprang der kleine gedrungene Udo von Stade auf, und aus seinen tief liegenden Augen sprangen zornige Flammen hervor. „Sowohl der König als auch ihr alle kennt unsere Anklagen zur Genüge. Sollen wir diese bis zum Erbrechen wiederholen? Zudem hatten wir diese dem König im Juni nochmals vortragen wollen. Aber da hat er uns schändlich vor der Goslarer Pfalz in der sengenden Hitze warten lassen, während er sich lauthals lachend zur Harzburg verpisst hat! Eine Provokation höchsten Maßes war dies!“

Bischof Hermann I. von Bamberg sprang ebenfalls auf. „Du provozierst doch selbst! Hast du nicht eine Gegenburg zur königlichen Hasenburg im Eichsfeld bauen lassen?“

„Selbstverständlich habe ich dies getan! Für mich war es einfach zu erkennen, was der König mit dem Bau der Burgen bezweckt. Daher habe ich notwendige Maßnahmen ergriffen.“

Empörung entbrannte aufseiten der Königlichen und ebenfalls bei den Sachsen.

Der hagere Erzbischof Anno von Köln schlug mit der flachen Hand mehrmals auf den Tisch. „So geht das nicht! Schluss damit!“

Die Streithähne setzten sich wieder, warfen sich aber weiterhin böse Blicke zu.

Fast beschwörend schaute Anno die Männer an. „Wir werden folgendermaßen vorgehen: Wir hören uns eure Klagen an und werden im Namen des Königs dazu Stellung nehmen. Können wir uns darauf einigen?“

Vereinzeltes Brummen signalisierte allgemeine Zustimmung.

„Gut so!“ Anno nickte zufrieden und erteilte den Sachsen das Wort. Sie erklärten Otto zum Sprecher, welcher die zahlreichen Vorwürfe und Forderungen redegewandt vorbrachte: Heinrich sollte seine Burgen im Harz abreißen und konfiszierte Güter wieder herausrücken. Zudem sollte er nicht so oft in Goslar verweilen, um das Volk nicht übermäßig mit den Kosten seiner Hofhaltung zu belasten. Außerdem verlangten sie, dass er sich nicht zu sehr mit Ministerialen, sondern mit würdigen Adligen umgeben sollte.

Anschließend rechtfertigten die Königlichen Heinrich und erklärten, dass er sich schließlich nur zurückholte, was ihm einst unrechtmäßig von den Sachsen an Land, Münz- und Zollrechten sowie Vogteien gestohlen worden wäre. Auch Rudolf von Rheinfelden verteidigte die Grenzen der Königslande scharf und impulsiv. Seine Vehemenz wunderte Arend, der nicht den geringsten Wunsch verspürte, sich hier irgendwie einzubringen.

Bald darauf entflammte erneuter Streit, bei dem sie sich allerlei gegenseitige Beschuldigungen um die Ohren warfen. Dass es nicht in einem handfesten Gemenge endete, war nur Anno, seinem Neffen und seinem Bruder zu verdanken, die energisch eingriffen. Die Sachsen waren erbost, als sie begriffen, dass hier gar keine Klärung stattfinden sollte, sondern die Königlichen die Anklagen lediglich entkräften wollten.

Die Fronten waren verhärtet, und es war alsbald zu erkennen, dass dieses Treffen nichts bewirkte. Erzbischof Siegfried von Mainz sprach sich inbrünstig dafür aus, diese Auseinandersetzung beim nächsten Hoftag zu klären und dort eine Entscheidung herbeizuführen. Seit seiner Palästinareise vor ungefähr acht Jahren, bei der nach einem Überfall von siebentausend Christen nur zweitausend Pilger mit dem Leben davongekommen waren, war er ohnehin kein Freund von unnötiger Waffengewalt mehr.

„Wer garantiert uns, dass wir dort nicht wieder in Gefangenschaft geraten?“, warf Magnus ein.

Siegfried redete mit Engelszungen, und auch Rudolf von Rheinfelden schwenkte um, sprach gegen einen Kampf, der nur dazu führen würde, dass die Truppen des Königs sächsische Ländereien verwüsteten.

Dann riss Anno das Wort an sich: „Ich sage euch Sachsen zu, eine Lösung zu finden, die auch euch zufriedenstellen wird. Deshalb haltet Frieden! Ich warne euch: Wenn ihr unüberlegt mit eurer Übermacht unser Heer angreift, habt ihr nichts gewonnen und nichts erreicht. Ihr habt lediglich ein Heer geschlagen, jedoch nicht den König, der sich gerade in Würzburg aufhält. Was meint ihr, ihr edlen Herren, was würde dann geschehen? Heinrich und das gesamte Reich würden sich über euch empören und euch mit aller Macht angreifen und zermalmen. Und dies alles nur, weil ihr vielleicht nicht bereit seid, auf eine diplomatische, vernünftige Lösung zu warten.“

„Es wird doch ohnehin keine Lösung geben! Der König entzieht sich jedes Mal dieser sogenannten diplomatischen Entscheidung!“, rief Gebhard von Süpplingenburg bärbeißig aus und verschränkte seine Arme über dem leichten Bauchansatz.

Er erntete den lauten Zuspruch der Sachsen.

Gebieterisch breitete Anno seine Arme aus. „Es wird eine diplomatische Lösung geben! Lasst uns bis dahin Frieden halten! Nun, was sagt ihr?“

Die Sachsen wechselten misstrauische Blicke, dann erhob sich Otto. „Wir werden uns draußen beraten und euch anschließend unsere Entscheidung mitteilen.“

Anno zeigte sich durch ein ruckartiges Nicken einverstanden, während Siegfried von Mainz wie zum Gebet die Hände faltete. Die anderen Königlichen bekundeten ihr Einverständnis zurückhaltender.

Die Sachsen gingen hinaus, entfernten sich so weit, dass man ihre Stimmen kaum noch vernehmen konnte.

Immer heftiger zerrte der Wind an den Planen, und die Holzstützen schunkelten. Arend spürte, dass auch die Verbliebenen sich gern ausgetauscht hätten, sich aber wegen Arend zurückhielten.

Lediglich dem buckeligen Herzog Gottfried IV. von Niederlothringen entwich ein „Verdammtes Sachsenpack!“

Jemand näherte sich und schob die Plane am Eingang ein wenig beiseite. Es war Arends Bruder Giselher, der ihn griesgrämig anblickte. „Los, komm raus! Magnus wünscht deinen Rat!“, schnauzte er.

Aller Augen richteten sich auf Arend, dem das Blut schlagartig ins Gesicht schoss. Magnus wollte seinen Rat?

Arends fragender Blick wanderte zwischen Anno und Siegfried hin und her.

Die beiden Erzbischöfe tuschelten kurz miteinander, daraufhin erhob Anno seine Stimme: „Bedenke, dass du unparteiisch bist. Ich vertraue auf deine Ehre.“ Sein bohrender Blick warnte ihn jedoch deutlich.

Mit weichen Beinen erhob sich Arend, verließ das Zelt und ging auf die Gruppe Sachsen zu, an deren Umhängen der kalte Wind riss. Arend war ganz heiß, gleichzeitig fror er. Er wagte es nicht, den Blicken der Männer zu begegnen, sondern schaute vor sich auf das mit Klee durchsetzte Gras.

Magnus trat näher an ihn heran. „Wir haben uns schon einmal in der Burg deines Vaters in ähnlicher Konstellation zusammengefunden. Leider ist es nicht mehr wie damals, du gehörst nicht mehr zu uns. Dennoch bezweifeln wir nicht deine Ehrbarkeit …“

„Ich sehr wohl!“, warf Giselher ein.

„Ich sprach von Ehrbarkeit, nicht von Klugheit“, sagte Magnus. „Und Ehre wird ihm niemand von uns absprechen, denke ich.“

„Herrgott!“, wetterte Giselher. „Wie viele Gelegenheiten hatte er bereits, diesen verfluchten Franken abzustechen? Doch stattdessen bewacht er treu wie ein Hund sein königliches Weibchen. Arend, Jesus hätte nicht auf Petrus’ Schultern seine Kirche bauen sollen, sondern auf den deinigen. Ich bin mir sicher, es hätte so etwas wie Simonie, Priesterehen und Bischofskinder nie gegeben!“

Er erntete empörte Blicke der Bischöfe von Halberstadt und Magdeburg.

Magnus zeigte ein beschwichtigendes Lächeln und strich sich eine Strähne seines Haares hinter sein Ohr. „Arend, wir wollen von dir nur einen Rat. Uns allen verlangt es inbrünstig nach Krieg. Ich würde am liebsten mein Schwert ziehen und diesen Speichelleckern dort drinnen die Schädel spalten. Auch die anderen Sachsen brennen auf einen Kampf, da wir in der Überzahl sind. Was sagst du?“

Arend rieb sich kurz die Stirn und schaute auf die Flut gerüsteter Sachsen, die in einiger Entfernung auf den Angriffsbefehl lauerte. Ihre Unruhe war bis hierher zu spüren.

„Wäre der König hier, hättet ihr ihn und seine Truppen aufreiben können. Aber er befindet sich nicht ohne Grund in Würzburg, außerhalb eurer Reichweite. Anno hat die Wahrheit gesagt. Schlagt ihr dieses Heer, obwohl euch eine Klärung versprochen wurde, wird sich Heinrich empören und die Unterstützung aller Reichsfürsten einfordern, die ihm im Moment viele verweigern. Aber wollen diese nicht ihr Gesicht verlieren, werden sie ihm diese nach eurem Angriff nicht untersagen. Also rate ich euch: Kämpft nicht, wartet auf eine bessere Gelegenheit.“

Störrisch stemmte Gebhard von Süpplingenburg die Fäuste in die Hüften. „Lasst uns die Maden angreifen und Heinrichs Truppen eine schwere Niederlage zufügen. Ja, lasst uns jedes weitere Heer, das in unser Stammesgebiet eindringt, zermalmen.“

„Schön gesagt, und ich weiß deine Inbrunst zu schätzen, aber so wird es nicht sein. Arend hat recht, wenn wir uns derart verhalten, werden die Reichsfürsten dem König, schon allein aus Angst vor uns, große Truppenkontingente zur Verfügung stellen“, meinte Otto nachdenklich.

„Können wir dir noch trauen, Arend?“ Udos kleine Augen wurden zu Schlitzen.

„Im Herzen stehe ich noch immer zu unserer Sache“, offenbarte Arend.

Unsere Sache? Deine ist es ja wohl nicht mehr!“, knurrte Giselher. „Ich glaube dir nicht!“

„Ich schon“, mischte sich Suidger, Arends zweitältester Bruder, ein und betrachtete ihn wehmütig.

Otto hatte seinen Kopf zur Seite geneigt, und seine Lippen waren abschätzend gespitzt. „Ich muss dir ehrlich sagen, Arend, dass du seit der Sache mit Egeno I. mein Vertrauen verloren hast. Du warst mit Heinrich in Northeim, als Egeno I. von Konradsburg behauptet hat, dass ich ihn beauftragt hätte, mit meinem Schwert den König zu ermorden. Ich war bitter enttäuscht, als du keine Partei für mich ergriffen hast, und ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob du wirklich nichts von der Intrige wusstest. Dennoch haben wir dich gerade aus dem Zelt gebeten, um deine Meinung zu hören.“

Arend senkte betreten den Blick und konnte nichts entgegnen.

„Geh wieder hinein! Wir brauchen noch etwas Zeit allein“, meinte Magnus und fügte hinzu: „Du hast auf der Harzburg nicht nach einem Weg gesucht, mich zu befreien, aber ich halte es dir zugute, dass du dich wenigstens beim König dafür eingesetzt hast, dass ich besser behandelt wurde. Doch, Arend, mein Wort gilt weiterhin: Sollten wir uns je auf gegnerischen Seiten auf einem Schlachtfeld begegnen, werde ich den Kampf mit dir aufnehmen.“

„Ich weiß“, entgegnete er, wandte sich ab und verließ unwillig die Männer, denen er sich zutiefst verbunden fühlte.

Als er das Zelt betrat, erstarben augenblicklich die Gespräche, die dort hitzig geführt worden waren, und er setzte sich, von argwöhnischen Blicken begleitet, auf seinen Platz.

„Sachse!“, hörte er Herzog Gottfried IV. von Niederlothringen leise wie einen Fluch zischen.

Erzbischof Anno von Köln hingegen nickte Arend vertrauensvoll zu.

Dann kamen die Sachsen wieder herein, blieben jedoch hinter den Stühlen stehen, statt ihre Plätze einzunehmen.

Otto hakte seine Daumen in den Waffengürtel, richtete sich auf und räusperte sich. „Wir nehmen Annos Vorschlag an. Es wird hier und jetzt keinen Kampf geben. Wir werden unsere Truppen fortführen.“

„Was ist mit den königlichen Burgen? Enden die Belagerungen?“, warf der Bischof von Bamberg ein, befürchtete vielleicht einen enormen finanziellen Verlust für die Reichskasse.

„Nein! Natürlich werden wir die uns so überaus verhassten Burgen weiterhin bestürmen und auch erobern, um unsere Lage für die nächsten Gespräche erheblich zu verbessern“, verkündete Otto.

Udo von Stade konnte sich ein Auflachen gerade noch halbwegs verkneifen, als er die erbosten Gesichter der Königlichen sah.

„Wir wünschen euch noch einen angenehmen Tag!“, sagte Otto und führte die Sachsen aus dem Zelt.

Und schon brach lautstarke Empörung der Königlichen hervor. Arend mochte sich dies gar nicht anhören. Er erhob sich und wollte hinausgehen, da bemerkte er den seltsamen Blick, mit dem Rudolf von Rheinfelden auf die leeren Stühle der Sachsen starrte. Es lag etwas Lauerndes, etwas Verschwörerisches darin.

Königin im Schatten - Sachsenkrieg

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