Читать книгу Couscous Crème fraîche - Iris Maria vom Hof - Страница 6

Fuck, es ist nicht einfach

Оглавление

Saint-Jean-Pied-de-Port, Juni 1984 /// Der Vater Ben Ali stirbt nahe der spanischen Grenze. Saint-Jean ist ein weithin bekanntes Städtchen, sehr beliebt bei den Touristen. Zwei Flüsse mit romantischen Brücken, mittelalterliche Häuser mit Holzbalkonen über dem Wasser. Stadtmauer, Zitadelle, Kirche Notre Dame. Die Altstadt traditionell aus rosa und grauem Sandstein erbaut, schön. / „Diese verfickte Scheiße“, meutert Katy biestig, als sie in Saint-Jean eintrifft. Ihre Mutter und die zwei älteren Brüder sind bereits da. Ihr kleiner Bruder wollte nicht zur Beerdigung kommen. Hat sich der bekloppte Kabyle noch was geleistet zum guten Schluss. Ganz freiwillig ist die Sauf-Nase allerdings nicht zu diesem Aufenthalt gekommen, der alte Gauner. Er erholt sich gerade im Schatten hoher Palmen. So jubelten sie als Kinder, wenn der Vater in den Knast einfuhr. Die Einweisung in Saint-Jean kommt dem dummen Spruch ziemlich nahe. Palmen stehen hier tatsächlich ein paar herum. Nur dass es diesmal nicht der Knast ist, sondern das Irrenhaus. Delirium tremens, weiße Mäuse. Der ist so was von ausgetickt, dass sie ihn abholen mussten. Der hat zuletzt nur noch verrück gespielt. Der hat sich in die Ecken geschmissen und den nackten Arsch in die Luft gehoben, Schwein. Seine Kacke hat er an die Wände geschmiert, die Bude vollgepisst. Grobschlächtig gezittert hat er, dass ihm der Löffel öfter im Hals stecken blieb wenn Katy ihn füttern musste. Alles immer nachts, weil sich sein Tag-Nacht-Rhythmus umgedreht hat. Katy stellte sich ganz gemeine Schmarotzer in seinem Hirn vor, die ihn zur Strafe für seine Untaten in den Wahnsinn treiben. Irgendwie war Katy der Krankheit dankbar, die Hilflosigkeit dieses Idioten von einem Vater verschaffte ihr Urlaub von seinen Schlägen. Verkommener Irrer. Am Ende fast ein Glücksfall. Schwein bleibt Schwein. Und Larve bleibt Larve. Die Mutter war wenig beeindruckt von dem Komplett-Absturz ihres Mannes. Schlampe. Fette Larve. Aber so war sie immer. Kein Interesse an nichts, oh nein. In wenigen Stunden wird der alte Sack unter die Erde verfrachtet. Ein Segen das.

Le Havre, Oktober 1979 /// Von Anfang an macht das Delirium des Vaters Katys Leben zur Hölle. Noch schlimmer als sowieso. Einmal steht es ihr so im Hals dass sie ihre Mutter stinkig anbrüllt. „Kümmerst du dich überhaupt jemals um irgendwas? Du rufst doch noch nicht mal jemand an, wenn der verrückte Idiot nachts durchknallt!“ „Was soll denn der Scheiß jetzt?“, stänkert die Mutter zurück, „du, mach mir hier nicht die Dramaqueen! In dieser Wohnung habe immer noch ich das Sagen, verstanden! Koch mir was, ich hab’ Hunger!“ „Willst du ihn auf kleiner Flamme verrecken lassen oder wie?!“ „Mach du lieber deine Arbeit! Wie es hier schon wieder aussieht!“ In Katys Kindertagen war es nicht viel anders. Oh ja, Katy schrubbte und kochte und räumte auf, während sich die fette Larve vor dem Fernseher den nächsten Fotoroman reinzog. Diese Mutter war schon immer das Allerletzte. Das Maul gehalten, wenn der Alte um sich schlug. Und immer brav die Schenkel breit gemacht, wenn er ankam. Klar hörte die kleine Katy alles, wenn der Alte mit seiner Morgenlatte auf die Larve drauf stieg. Rein, raus, rein, raus, schönes Wetter heute. Und wenn es mal nicht sofort hinhaute, dann tanzte der Vater den Twist mit der Mutter und schallerte ihr ein paar. Katy durfte selten zur Schule weil irgendjemand die Hausarbeit machen musste. Die fette Larve hat noch nie irgendetwas gemacht. Höchstens wenn sie wegen neuer Klamotten zur Fürsorge mussten. Dann war die Larve gezwungen ihren fetten Arsch zu lüften. Sonst war die schöne Kohle futsch, die sie als Kindergeld einsackte. /// „Armeleutepack! Melonenfresser!“ Die Mitschüler waren gnadenlos, wenn die Bande Ben Ali mit haargenau den gleichen Schuhen ankam. Von der Beihilfe, konnte jeder sofort sehen. Ätzend, die blöden Dinger an den Füßen sahen nicht nur beschissen aus, die passen keinem, nie. Wie die Klamotten. Zu klein oder zu groß. Katy kam immer mit kaputten Füßen zur Schule. „Hinkefüße! Klumpfüße!“ Den Brüdern war es schnuppe, aber Katy stank das gewaltig. Auch, wenn sie keine Unterhosen anhatte. War doch zu peinlich. Dieser Stress, dass alle ihren Hintern sahen wenn sie an die Tafel musste. Deshalb klaute Katy Wäsche. Wenn sie alleine auf dem Heimweg war, streifte sie unter den Wäscheleinen vor den Sozialwohnungen durch und zisch, das Einsammeln von Unterhosen und Unterhemden begann. Ein notwendiges Übel. Katy hatte es schwer genug. Ausgeschlossen sein, stinkend in der Scheiße verkommen, das war kein Leben für zarte Gemüter. Die Jungs schlugen sofort zu und verpassten jedem eine fette Abreibung, der ihnen auf die Füße trat. Und wie sie aussahen, war denen scheißegal. Aber wie sollte Katy damit klar kommen? Ihr war es nicht egal, wie verdreckt oder verlaust sie oft ankam. Ihr war es nicht egal, dass die anderen über sie herfielen und sie verspotteten. Katy wollte so gern ihr Leben auf die Kette kriegen. Einmal verweigerte sie aus Protest den Küchendienst. „Lass mich zur Schule Mutter dann koch ich wieder!“ „Streik?“, blaffte die Larve zurück, „spinnst du! Das hast du von den Kommunisten. Ich wusste es gleich, unser linker Bürgermeister bringt nichts als Aufstand!“ Die Mutter ließ Katy nicht aus dem Haus. „Schule hilft dir einen Dreck!“, schrie sie ihr ins Gesicht. „Noch so ein Putsch und ich zerstückele dich in mehrere Teile!“ Alles zusammen gerechnet besuchte Katy die Schule ungefähr sechs Monate im Jahr. Mehr war nicht drin. Logo, dass sie nie nichts folgen konnte. Schulpflicht, pah, nicht bei ihrer Mutter. Die fette Larve holte den Arzt und behauptete, Katy hätte wieder die ganze Nacht gekotzt. Zack und die Krankmeldung war in ihrer Hand.

Le Havre, August 1967 /// Seit er fünfunddreißig ist geht der Vater Ben Ali keiner regelmäßigen Arbeit mehr nach - soweit er das überhaupt mal getan hat. In Le Havre jedenfalls nicht mehr. In viel früheren Jahren vielleicht, bevor er verheiratet war. Klauen tut er auf jeden Fall immer noch. Besonders jetzt, bei den Gelegenheitsjobs, wo er auftaucht und am nächsten Tag wieder abhaut. Bei seiner letzten Anstellung als Holzarbeiter hat er einen Unfall gebaut, das brachte dem faulen Sack geschenkte hundert Prozent Invalidität ein, super. Ab da hat er einen Freifahrtschein für die tägliche Dreierwette beim Pferdelotto. / Zu der Sozialwohnung, in der sie hausen, gehört eine Gartenparzelle mit einem kleinen Betonpavillon statt Keller. Katys Vater züchtet Kaninchen und baut Gemüse an. Damit vertreibt er sich die Zeit, wenn er nicht gerade zocken geht. Und natürlich verbessert sein Hobby die Ernährungslage der Familie, insbesondere seine eigene. Katy ist achteinhalb Jahre alt und ganz verschossen in Poupette, ihr liebes graues Hasentier! Ein richtiger Schnuffel. Den nimmt sie beim Füttern in den Arm süß wie der ist. Und wie der mit der Nase schnüffelt, zu niedlich. Katy schiebt ihm zu gerne ein Salatblatt zwischen die weichen Backen, das Poupette dann genüsslich zerkaut. Ein echter Nimmersatt der kleine Kerl. „Mama, darf Poupette heute bei mir schlafen? Bitte, bitte!“ Ein Haustier ist Katys innigster Wunsch. „Kommt überhaupt nicht infrage!“, kreischt die Larve, „so ein Drecksvieh bringt nur Allergien ins Haus!“ „Der ist so lieb...“ protestiert Katy und schiebt ab in den Garten. Dann geht sie eben zu ihm, wenn er nicht zu ihr kommen darf. Als einige Tage später der Vater mit Poupette in der Wohnungstür erscheint, glaubt Katy an ein Wunder. Wow, ihr Vater macht ihr Poupette zum Geschenk? Da wird die Larve schön blöd aus der Wäsche schauen. Der Vater kommt näher, starrt Katy verständnislos an. Katy kreischt vor Vergnügen und klatscht aus Vorfreude in die Hände, jubelnd streckt sie ihrem Vater beide Arme entgegen. „Ja, ja, gib ihn mir. Gib ihn mir!“ „Welche Begeisterung?“, grunzt der Vater, „was glaubst du, kleine Kröte, was das wird?“ Er verpasst Poupette einen beinharten Karateschlag in den Nacken, hängt ihn kopfüber in den Fensterrahmen. Katy schreit auf, stürzt sich auf den Vater und schlägt mit beiden Fäusten wild auf ihn ein. Da hat sie voll einen ausgewischt bekommen. „Mörder du!“, Katy überkommt ein Weinkrampf, dass sie fast keine Luft mehr kriegt, während die Larve ungerührt eine Seite ihres Liebesromans umblätter,. Dann muss Katy mit ansehen, wie der Vater einen Eimer aufstellt. Wie er dem armen Tier ein Auge herausreißt. Das Blut pisst nur so aus Poupette heraus und nicht ein Spritzer landet auf dem Fell. Danach zieht der Vater Poupette die Haut ab und schneidet ihn in Stücke. In der Nacht träumt Katy von Poupette und seinem Auge. Der Vater hat eine grausame Art, Tiere zu schlachten. Er bringt auch Igel um und frisst sie auf, oh ja. Eine kabylische Tradition. Und es ist nicht einmal leicht, einen Igel zu töten, weil man Igel hinter ihren Stacheln so schlecht erwischt. Der Vater stößt sein Jagdmesser hinein und dreht es herum bis der Igel tot ist. Wenn die Stacheln ab sind, bleibt fast nichts über. Katy hasst die Kabylen für diese Morde. Ihr Vater ist ein echter Wilder. Und trotzdem kommt es vor, dass sie ihm Sachen abschaut. Zum Beispiel dass sie sich das Gesichtchen mit seinem Rasierschaum einpinselt. Das darf keiner mitkriegen, Katy ist ja nicht blöd. Als sie sich einmal unbeaufsichtigt an seinen Ricard vergreift, holla, eine scharfe Nummer. Zu bescheuert! Katy schenkt sich zwei Tassen des gelblichen Likörs ein und merkt zu spät, dass auf der Flasche Markierungsstriche sind, verflucht! Katy kippt einen kleinen Rest zurück und streckt die fehlende Menge mit Wasser. Scheiße, der Ricard wird fast weiß! Voll ins Klo gegriffen madre mio. Was jetzt? Und natürlich tritt ein, was kommen muss. „Wer hat meinen Ricard geklaut?“, grölt der Vater, „wer von euch hat das verbrochen?“ „Die Mutter, die Mutter...“ feixt Katy und kichert angeschickert. „Du Miststück. Du verkommene Schlampe! Dem eigenen Gatten den Likör weg saufen!“ Der Vater holt wutentbrannt aus. Aber bevor seine Faust im Kreuz der Mutter landet ertönt ein zitterndes Stimmchen. „Sie war es nicht. ich war es, ich.“ Wumm, der Vater packt Katy bei den Haaren und knallt sie mit Karacho vor die Wand. Er greift sich die Kleine nochmal und schleudert sie in einem Schwung ins Schlafzimmer. Wie ein Stück Scheiße, paff. Über den rauen Boden geschrappt und massig Staub geschluckt - jetzt muss sich Katy erst wieder einkriegen. Schluchz. /// Das wird wieder, Kleine, das wird. Katy, das Herzchen, die liebe Seele. Zum Trost nimmt sie sich selbst in den Arm. Dabei fällt ihr ein, wie sie noch ganz klein war, hat sie mit dem Löffel ein Loch unter dem Fenster aufgekratzt, um von ihrer Drecksfamilie abzuhauen. Sie wollte sich einfach durchgraben. Bis zum Fenstergriff reichte sie noch nicht hoch. Da war ich doch recht schlau, denkt Katy, aber nicht schlau genug. Die Larve hat die Aktion natürlich geblickt und die Katy für zwei Tage in den Schrank gesperrt. Wenn es bei der Familie Ben Ali kracht, dann bleibt kein Auge trocken. Die fette Larve hat ihre Methoden. Weil sie dick ist und hinkt, hängt sie meistens rum wie eine Bettwurst. Aber ab einem bestimmten Punkt kocht sie hoch. Das Geschrei und Gejohle ihrer Brut macht sie fertig. Und je mehr sie hoch kocht, umso verrückter wird sie. Und wenn sie schließlich komplett durchknallt, schmeißt sie ihre Hausschuhe durch die Gegend oder was sie sonst zu fassen bekommt: Pantoletten, Gabeln, Messer, Nippes. Und die zielt noch nicht mal schlecht, irgendeinen erwischt das Weib immer mal. Besonders gemein ist, wenn die Alte Katy mit dem Besen am Kopf trifft - das gibt eine dicke Beule, groß wie ein Kinder Schoko-Ei.

Couscous Crème fraîche

Подняться наверх