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ОглавлениеRue Saint-Honoré
Paris/Frankreich
„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. In Sachen...“
Chantal Trémoille senkte ihre Augenlider, als wollte sie eine Barriere schaffen gegen die ernsten, eindringlichen Worte des Familienrichters.
Ihre Gedanken schweiften ab in die Vergangenheit. Mehr als zwölf Jahre lang war sie mit Louis verheiratet. Sicher, es war nicht immer sanft und ruhig zugegangen in ihrer Ehe, aber sie war glücklich gewesen.
Glücklich bis zu dem Tage, an den Chantal nur ungern denken mochte. Wenn da eine andere Madame gewesen wäre, eine jüngere vielleicht, dann hätte sie kämpfen können um ihr Glück. Aber so?
„Ich muss mit dir reden, Chantal», hatte Louis gesagt.
Sie war mit der Aufstellung eines Geschäftsberichtes befasst gewesen und hatte ihm gar nicht richtig zugehört.
„Chantal, wir werden uns scheiden lassen.“
Das waren seine Worte gewesen. Sie erinnerte sich genau.
„Und warum?“, hatte sie gefragt, die Augen blind vor Tränen.
Louis hatte zuerst geschwiegen, als wäre ihm die Angelegenheit peinlich. Erst als sie keine Ruhe gab, hatte er den Grund genannt: „Ich finde keine sexuelle Erfüllung bei dir, Chantal, habe sie nie gefunden. Ich bin jetzt achtunddreißig Jahre alt und möchte nicht länger mit einer Madame zusammen sein, die gefühlskalt ist!“
Dann war er gegangen!
„Gefühlskalt!“, hämmerte es in Chantals Schädel. Ihre Knie wurden weich, und sie stützte sich schwer auf den Arm ihres Rechtsanwaltes.
„... wird die Ehe im beiderseitigen Einverständnis der Parteien geschieden.“
Der Richter setzte sich. Dankbar nahm Chantal ebenfalls Platz. Geschieden! dachte sie, während die Urteilsbegründung verlesen wurde. Zwölf Jahre meines Lebens ausgelöscht durch ein einziges Wort. Und Louis, dort drüben auf der anderen Seite, lächelt. Er lächelt!
„Es tut mir wirklich leid, Madame Trémoille“, sagte Rechtsanwalt Armagnaken eine knappe Stunde später, „ich hätte Ihnen das gern erspart.“
Er saß hinter seinem aufgeräumten Schreibtisch und sah seine Mandantin mitfühlend an.
„Darf ich Ihnen vielleicht einen Cognac anbieten?“
„Ja, sehr gern.“
Chantal hatte sich immer noch nicht erholt. Wie blass sie ist, dachte Nikolas Armagnaken, während er seiner Sekretärin Bescheid gab. Gar nicht mehr selbstbewusst wirkt sie, nur der kleine herrische Zug um ihre Mundwinkel — der ist auch jetzt noch da. Vielleicht hat ihr Mann gar nicht so Unrecht, wenn er behauptet...
Unsinn, rief er sich selbst zur Ordnung. Aber geringe Zweifel blieben doch zurück. Der Rechtsanwalt hatte die gegnerischen Schriftsätze sehr sorgfältig studiert. Er wusste genau, was Louis Trémoille seiner nunmehr geschiedenen Madame vorwarf. Da war von einem großen „Widerwillen“ die Rede gewesen, mit dem sie ihre ehelichen Pflichten erfüllte. Von „seelischer Grausamkeit“ weil sie sich ihrem Mann so oft verweigert hatte. Vielleicht waren es nur Schlagworte, aber meist war ein Körnchen Wahrheit vorhanden. Natürlich war es auch möglich, dass Louis Trémoille ein junges Schmusekätzchen kennengelernt hatte, das ihm den Kopf verdrehte. Midlife-Crisis. Kam öfters vor.
Es klopfte an der Tür.
„Ja. Kommen Sie herein.“
Eine junge Madame, bekleidet mit einem knappsitzenden Pullover und Minirock, trat ein. Sie trug ein Silbertablett, auf dem zwei Cognacschwenker standen.
„Merci, Madame Preuilly.“
Chantal nahm ihr Glas entgegen und tat einen tiefen Schluck. Während sie trank, warf sie einen etwas abfälligen Blick auf die Sekretärin. Bestimmt treibt er es mit ihr, überlegte sie. Vielleicht sogar hier im Büro. Wie sie ihn anlächelt, als könne sie es kaum erwarten, mit gespreizten Beinen unter ihm zu liegen. Chantal schüttelte sich angewidert.
„Was werden Sie nun tun, Madame Trémoille?“
Rechtsanwalt Armagnaken nippte ebenfalls an seinem Glas.
„Weiterleben!“ Chantals Stimme klang fest, aber der Ausdruck in ihren grünen Augen bewies, dass sie den Tränen nahe war. „Ich habe meinen Beruf und die Wohnung.“
„Bezüglich der Wohnung war ihr Mann wirklich sehr großzügig, Sie sollten ihm dafür dankbar sein.“
„Dankbar? Ich? Nachdem er mich nach zwölf Jahren Ehe abgeschoben hat wie eine abgenutzte Hure?“
Tränen der Fassungslosigkeit rollten über Chantals Wangen. Nikolas Armagnaken stand auf und legte impulsiv seinen Arm um die schmalen Schultern seiner Mandantin.
„Das dürfen Sie nicht sagen, Madame Trémoille. Sie sind eine reizvolle Madame, und ich kann Ihren Mann wirklich nicht verstehen.“
Trotz ihrer seelischen Beklemmung trat ein stolzes Lächeln in Chantals Gesicht.
„Das dürften Sie kaum beurteilen können, Monsieur Avocat. Wenn Sie bitte Ihren Arm...“
Der Anwalt zuckte mit den Achseln und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. Er war ein sportlicher Typ von knapp vierzig Jahren mit kantig-männlichen Gesichtszügen. Er hatte Erfolg bei Frauen und kannte sich aus. Aber mit Chantal Trémoille kam er einfach nicht klar. Seitdem das Scheidungsverfahren lief — und das waren schon einige Monate —, war sie ihm kühl und unnahbar gegenübergetreten. Nicht, dass er besondere Anstrengungen unternommen hätte, um sie zu persönlichen Zugeständnissen zu bewegen oder wie man einen Verführungsversuch auch immer nennen wollte. So etwas hätte seiner Berufsauffassung widersprochen. Trotzdem, selbst eine Einladung zum Essen, die bei vermögenden oder wichtigen Mandanten keineswegs unüblich war, hatte Chantal rundheraus abgelehnt.
Wirklich, eine spröde Schönheit, dachte Armagnaken. Aber kalt?
„Danke für den Cognac, Monsieur Armagnaken. Es geht mir bereits viel besser. Sie senden mir Ihre Rechnung zu, ja?“ Chantal stand auf.
„Ich richte mich ganz nach Ihnen, Madame Trémoille“, erwiderte ihr Rechtsanwalt kühl. „Falls Sie in den nächsten Tagen Hilfe brauchen sollten, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung. Natürlich, soweit es meine Termine erlauben“, schränkte er sofort ein.
„Natürlich.“ Chantal reichte ihm die Hand. „Au revoir, Monsieur. Vielen Dank für alles.“
Da wie üblich sämtliche Parkplätze am Straßenrand besetzt waren, fuhr Chantal ihren Kleinwagen gleich in die Tiefgarage. Dass die Parkbuchten ziemlich eng waren, machte ihr nichts aus. Durch ihren Beruf konnte sie mit Autos umgehen.
Leider sind Männer keine Autos, seufzte sie in Gedanken, während sie in den Aufzug zu ihrer Eigentumswohnung stieg. Irgendwie war sie Louis wirklich dankbar, dass er ihr die Wohnung gelassen hatte. Sie war sehr komfortabel und lag verkehrsgünstig in der Rue Saint-Honoré, nicht weit von der Seine entfernt.
Es wäre sehr schwierig gewesen, etwas Ähnliches zu bekommen. Bezahlbare Wohnungen waren in Paris beinahe ebenso rar wie Parkplätze. Mit einer tausendfach geübten Bewegung schloss Chantal die Wohnungstür auf.
Louis war nicht da! Er würde nie wieder da sein, wenn sie nach Hause kam. Gedankenverloren ging Chantal ins Bad und wischte sich die von den Tränen zerlaufene Wimperntusche ab. Dann trat sie ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Es gab nichts. Lediglich ein Liebesfilm lief, aber das war weiß Gott nicht die Ablenkung, die Chantal brauchte.
Rasch schaltete sie das Gerät ab. Während sie sich nervös nach einer anderen Beschäftigung umsah, fiel ihr Blick auf die offene Schlafzimmertür. Die Betten waren nicht gemacht. Besser gesagt: ein Bett. Louis schlief schon lange nicht mehr hier.
„Gefühlskalt“, murmelte sie vor sich hin, als sie das Zimmer betrat. „Ich bin gefühlskalt!“
Ein schlimmes Wort!
Es klang noch hässlicher als »geschieden«, das ihr Leben verändert hatte. Automatisch stellte sich Chantal vor den Kleiderschrank, der eine einzige große Spiegelfläche war.
Stand dieser Makel nicht in ihrem Gesicht geschrieben?
War deshalb ihr Mund eine Spur zu klein und ihr Kinn zu spitz?
Aber nein, das war einfach lächerlich. Chantal strich die Kostümweste über ihrer Brust glatt. War es das, was Louis vermisst hatte? Üppige Brüste? Damit konnte sie nun wirklich nicht dienen.
Sie zog die Weste aus und warf sie auf das Bett. Die buntgemusterte Bluse wölbte sich nur leicht. Chantal öffnete zwei Knöpfe und zog den knisternden Stoff über ihren Kopf.
Dann warf sie das Kleidungsstück achtlos auf den Boden. Der weiße Halbschalenbüstenhalter bereitete ihr erheblich mehr Mühe. Aber schließlich gelang es ihr doch, die winzigen Häkchen zu lösen.
Chantal sah an sich herab. Ihre Brüste waren klein und rund, wie rosige Pfirsiche sahen sie aus. Die hellbraunen Aureolen saßen im oberen Drittel, sodass die Brustwarzen schräg nach oben aus ihnen herauslugten. Quer über die beiden vorwitzigen Klümpchen verlief ein weißer Streifen Haut. Es war der »Anstandsstreifen«, wie ihn Chantal nannte. Er verriet ihre beharrliche Weigerung, völlig nackt zu baden.
Vor einem Jahr, während ihres Urlaubs auf Fuerteventura, hatte es deswegen einen Riesenkrach mit Louis gegeben. Er hatte gewollt, dass sie mit ihm an den Nacktbadestrand ging. Sie hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Erfolgreich zwar, aber Louis war zwei Tage lang ungenießbar gewesen. Chantal hatte seine Zurückhaltung zwar als angenehm empfunden, aber vielleicht war das der Anfang vom Ende gewesen. Vielleicht.
Chantal öffnete den Gürtel, der sich um ihre schmale Taille schlang. Raschelnd rutschte der karamellfarbene Faltenrock auf ihre Fersen hinab. Jetzt trug sie nur noch den weißen Slip und den rutschigen Strumpfhalter, an dem die Nylons befestigt waren. Sie starrte auf die Stelle hoch oben zwischen ihren langen Beinen, wo sich der Slip stark aufbauschte.
Die hastigen, unergiebigen Vereinigungen mit Louis fielen ihr ein. Nie hatte sie etwas dabei empfunden. Sie hatte stillgehalten, das war alles.
Aber war das denn nur ihre Schuld?
Wie oft hatte sie sich nach Zärtlichkeit gesehnt. Wie oft hatte sie Louis gebeten, doch einmal zu tun, was sie wollte, sie dort zu liebkosen, wo sie sich die Berührung wünschte. Vergeblich.
Die wenigen Höhepunkte hatte sie nur dadurch erreicht, dass sie sich heimlich selbst befriedigte. Chantal starrte in den Spiegel. Ein kühles, beherrschtes Antlitz, eingerahmt von schulterlangen, kupferroten Haaren, blickte ihr entgegen.
Plötzlich fühlte sie sich leer und ausgebrannt!
Betroffen schlug sie ihre Hände vors Gesicht. „Nein“, schluchzte sie haltlos. „Ich will das alles nicht. Ich muss aufhören, daran zu denken!“
Zum zweiten Mal an diesem Tage rannen Tränen über ihre Wangen.