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6 - DER HALBGÖTTER-STAMMTISCH

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„Aaahhh, auxilium! Non, noooonnnn…“ Voller Angst wachte Mirabella in ihrem Bett auf, starrte die Wand ihr gegenüber an, während sie sich aufsetzte und noch immer diese junge weibliche Stimme in ihrem Kopf hörte. Es war noch dunkel im Zimmer, die Beo-Familie schlief friedlich im nun geschlossenen Käfig, eine Vorsichtsmaßnahme wegen der Kleinen. Mirabella versuchte, sich an ihren Traum zu erinnern, aber sie fand keine Bilder, nur die Stimme eines jungen Mädchens, das um Hilfe schrie. Mirabella hatte erneut versucht, ihre göttliche Hälfte von ihrem Körper zu trennen und zum Vesta Tempel zu schicken, aber es war ihr wieder nicht gelungen, dann war sie eingeschlafen und hatte jene Stimme gehört, die ihr Gänsehaut bereitete.

Es fröstelte sie leicht, Mirabella sank zurück auf ihr Kissen und zog sich die Bettdecke bis ans Kinn. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, Vestalin zu werden. Sie war froh, dass heute Nikolaos zu Besuch kommen würde. Er würde sie auf andere Gedanken bringen, morgen wollten Luk und Toni mit den beiden Halbgöttern Mirabellas Geburtstag nachfeiern. Seufzend schlief sie noch mal ein, traumlos, und wurde erst vom Klopfen an der Tür geweckt.

„Mirabella, aufstehen, wir müssen zum Flughafen!“


Da Nikolaos an Ostern bereits in München zu Besuch gewesen war, mussten sie dieses Mal kein touristisches Programm abarbeiten. Die Geschwister trafen sich oft mit Lukas und Antonia, gingen schwimmen, bladen oder spielten Tennis, unternahmen Radtouren und grillten an der Isar. Das Band zwischen Mirabella und Nikolaos schien eng wie eh und je, sie verstanden sich ohne Worte, tauschten still vergnügt ein Lächeln aus und doch spürte Mirabella, dass sich etwas geändert hatte. Sie hatte sich verändert. Nicht nur, dass in den Sommerferien ihre Tage erstmalig eingesetzt hatten und sie die berühmt-berüchtigte Pubertät nicht mehr länger leugnen konnte, stets begleitete sie das Bewusstsein, Vestalin zu sein. Eine gewisse Distanziertheit ergriff von ihr Besitz, oft war sie mit ihren Gedanken bei der Statue, dem Raub, der Stimme, die ihr immer wieder im Traum erschien, oder der Prophezeiung. Manchmal sah sie Nikolaos nachdenklich an, wenn er ins Gespräch mit ihren Freunden vertieft war, wie gerne hätte sie sich ihm anvertraut, aber sie wollte ihn mit ihren Sorgen nicht belasten, die Vestalin-Geschichte war ganz allein ihre Aufgabe, die sie selbst meistern musste. Jupiter hatte seinem Sohn andere Aufgaben zugewiesen.


„Was macht eigentlich die Arbeit an dem Vertrag?“, fragte sie eines Tages, als sie am Frühstückstisch saßen. Ihre Adoptiveltern waren schon lange in der Arbeit.

Nikolaos stöhnte. „Dieses Vertragswerk ist trockener als die Wüste Gobi. Zu einer Verhandlung kam es noch nicht. Ich hoffe, Jupiter hat noch Spannenderes für mich zu tun!“

Mirabella lächelte leicht.

„Und du? Hattest du schon einen Einsatz als Vestalin?“

Mirabella schüttelte den Kopf. „Seit 1500 Jahren ist die zweite Statue sicher in der ‚Kammer des Schreckens‘, da wird so schnell keiner kommen.“

„Hoffentlich! Der letzten Vestalin erging es ja nicht so gut…“

„Woher weißt DU denn das?“, fragte Mirabella erstaunt.

„Jupiter machte eine Bemerkung, er macht sich wohl Sorgen um dich.“

„Hat er gesagt, wie sie gestorben ist?“

„Wohl von Nyx zerfleischt, die Tür stand ja offen und die Statue war weg…“

Mirabella nickte. „Ja, gruselig. Aber jetzt ist das ja fast uneinnehmbar.“

„Pass trotzdem auf dich auf! Du kannst mich immer rufen!“

Ein Lächeln entschlüpfte Mirabella. „Ja, großer Bruder, aber ich muss vor allem Vesta alarmieren.“

„Natürlich, aber schadet ja nicht, mir auch Bescheid zu geben, falls es Probleme gibt.“

„Das ist nicht deine Aufgabe, Nick!“

„Das weiß ich, aber es ist meine Aufgabe, meine Schwester zu beschützen.“

Mirabella verdrehte die Augen. „Die arme Olympia! Nein, also, mit dem darfst du nicht ins Kino!“

„Ach, komm, du weißt, dass ich nicht so bin, außerdem ist das Aufgabe meiner Eltern. Ich dachte, wir passen auf einander auf?“

„Wirst du mich rufen, wenn du in Gefahr bist?“, konterte Mirabella.

Nikolaos lächelte ertappt. „Vielleicht nicht immer. Aber wenn ich eine Feuerwand brauche zum Beispiel…“

„Okay, ich melde mich, wenn ich Suggestion brauche.“

„Na, wenigstens.“ Er grinste ansteckend und Mirabellas Mundwinkel verzogen sich ebenfalls.


Am frühen Abend war Ehemaligen-Treffen im Olymp. Die Klasse vom letzten Jahr hatte sich verabredet, um weitere gemeinsame Treffen und Aktivitäten zu besprechen. Die Trainingseinheiten mit Mars würden in zwei Wochen beginnen, regulärer Unterricht würde jedoch nicht mehr stattfinden. Als Nikolaos und Mirabella mit einer von Greta kreierten Blase eintrafen, saßen schon Delphine und Lorenzo auf dem Boden. Delphine schien sichtlich erfreut, Mirabella zu sehen. Lorenzo hatte einen Ruf als Flirter und Sprücheklopfer erworben und speziell Delphine war schnell von ihm genervt. Mirabella versuchte diese Seite von Lorenzo zu ignorieren, da sie ihn mittlerweile ein wenig zu schätzen gelernt hatte. Sein mit Intelligenz gepaarter Witz brachte sie oft zum Lachen und er war durchaus einfühlsamer als sein oft oberflächliches Geschwätz vermuten ließ. Er ähnelte äußerlich seinem Vater Apoll, dem schönen Gott der Künste und der Medizin mit vollendetem Körper, strahlend blauen Augen und blonden Locken, nach Lorenzos Surf-Urlaub unterstrich die gebräunte Haut seine hellen, von der Sonne ausgebleichten Haare. Mirabella fand zwar Nikolaos‘ dunkelbraune Locken schöner, aber sie konnte nachvollziehen, dass Terra an dem Jüngling Gefallen gefunden hatte. Sie war schon sehr gespannt, ob die beiden miteinander gingen oder die Knutscherei bei der Aufnahmefeier eine einmalige Sache war.

Delphine umarmte Mirabella zur Begrüßung, die ihre neue Muschelkette von Delphine trug. Das blonde Mädchen trug ebenfalls eine Muschelkette und einen Armreif ihres Vaters Neptun, der Mirabellas Aufmerksamkeit erregte. Nikolaos nickte Delphine freundlich zu und fragte Lorenzo nach seinem Surf-Urlaub, als Leon, der Sohn des Vulcanus, auftauchte. Vulcanus, der Gott der Schmiedekunst, war ein Sohn des Ehepaares Jupiter und Juno, und Bruder des Mars. Vulcanus war von Geburt an leicht behindert, was sich darin zeigte, dass er nur bei sehr hohen Temperaturen, wie in seiner Werkstatt, formwandeln konnte. Auf der Erde oder in den anderen Zwischenwelten war er auf seine Energieform angewiesen. Er spendete seinen Samen, damit das kinderlose Vulkanologenpaar Leon empfangen konnte. Vulcanus war mit Venus einst vereinigt gewesen, die ihn jedoch für Mars verlassen hatte, was die Bruderliebe nicht gerade förderte.

Leon war wie sein Vater von ausgeglichener und gütiger Natur, sein Körper war stämmiger als der der anderen Halbgötter, die athletischer wirkten, Haare und Augen waren dunkel. Er hatte etwas von einem Bären. Sie stand auf und umarmte Leon zur Begrüßung, er drückte sie freundschaftlich zurück. Er war schwer verliebt in Delphine gewesen und hatte Mirabella sein Leid geklagt. Zu Mirabellas Bedauern hatte Delphine jedoch einen Meerjungen zum Freund gewählt. Leon begrüßte Delphine mit einem Nicken, Mirabella bemerkte ein ganz leichtes Erröten, dann wandte er sich den Jungen zu. Plötzlich stand jedoch Lorenzo vor ihr. „Und ich werde als einziger nicht umarmt, bella Mira?“ Dieses Wortspiel mit ihrem Namen liebte er.

„Womit hast du das verdient?“, konterte Mirabella frech, die merkte, dass sie so langsam Spaß am Flirten entwickeln könnte, nachdem sie anfangs bei Lorenzos Bemerkungen nur stumm errötet war.

„Du schuldest mir sogar noch einen Tanz, holde Mira. Erinnerst du dich nicht?“

Lorenzo spielte auf die Abschlussfeier an, als er sie zum Tanzen aufgefordert hatte, Jupiter sie jedoch zu einem Treffen herbeordert hatte.

„Wir tanzten doch.“

„Aber nicht zu Ende. Darf ich bitten?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, schlang Lorenzo seinen linken Arm um Mirabella, ergriff mit der Rechten ihre Hand und wirbelte sie herum, dann hob er sie hoch und sie nahm eine grazile Ballettpose ein.

„Bravo!“, rief Delphine unerwartet amüsiert und Leon klatschte, nur Nikolaos lächelte nicht.

„Gut, dann begrüßen wir uns demnächst immer so?“, schlug Mirabella scherzhaft vor.

Lorenzo ließ sie lächelnd auf den Boden zurück, hielt sie aber noch fest im Arm. Er wollte gerade etwas sagen, als Mirabella spürte, wie sein Griff sich lockerte und sein Blick an ihr vorbeistarrte. Sie drehte sich um, Terra war erschienen. Schön wie immer stand die junge Göttin in ihrer weißen Tunika und goldenen Bändern im schwarzen Haar. Ihre blauen Augen funkelten kurz, schließlich lächelte sie leicht gequält. „Seid gegrüßt!“

Mirabella wand sich aus Lorenzos losen Armen und ging auf Terra zu. Sie freute sich ehrlich, ihre göttliche Freundin zu sehen. „Hi, Terra!“, grüßte sie freundlich, bereit sie zu umarmen. Terra schien mit sich zu kämpfen, neigte dann ihr Haupt zum Gruße und ließ ihre Freundin einfach stehen, um Delphine zu begrüßen. Mit Umarmung. Mirabella sah ihr irritiert hinterher, dann fiel ihr Blick auf Nikolaos, der sie beobachtet hatte. Er machte eine ‚Tja, Pech!‘-Geste und begrüßte Terra, die jeden außer Mirabella und Lorenzo demonstrativ umarmte.

Sie und ihr offensichtlich ehemaliger Flirt nickten sich nur zu und es entstand ein peinliches Schweigen.

Schließlich unterbrach Nikolaos die Stille. „Vielleicht mag jeder berichten, was er seit der Aufnahmefeier unternommen hat? Olympische Aktivitäten und Urlaub oder so. Okay?“

Alle nickten einverstanden, Mirabella sah dankbar zu ihrem Bruder und gesellte sich zu ihm. Terra ließ einen runden Tisch und sechs Stühle materialisieren. Nikolaos nahm Platz, Mirabella setzte sich links von ihm, an ihrer anderen Seite ließ sich Delphine nieder. Terra wählte die rechte Seite von Nikolaos, daneben Leon und schließlich Lorenzo zwischen Leon und Delphine. Nikolaos erwähnte kurz die USA Reise, das Treffen der Jupiterkinder und das Zwischenweltabenteuer mit Mirabella. „Interessant war, dass wir unsere telekinetischen Kräfte vereinigen konnten.“

Da Terra keine Anstalten machte, fuhr Mirabella fort und berichtete von Afrika und dem Amazonen-Treff bei den Pterippus, von Palatina und ihrer Entscheidung, Vestalin zu werden.

„Ist das nicht gefährlich?“, fragte Delphine.

„Falls jemand die Statue klauen will, aber das wurde seit 1500 Jahren nicht versucht.“

„Aber das Orakel verspricht nichts Gutes!“, erinnerte Lorenzo.

Mirabella nickte schwer. „Deswegen hat sich Vesta entschlossen, wieder eine Vestalin zu haben.“

„Und das mit der Jungfräulichkeit ist ernst?“, fragte, wer sollte es anderes sein, natürlich Lorenzo.

Mirabella errötete leicht. „Es geht darum, ungebunden und unabhängig zu bleiben.“ Sie erwartete einen seiner dummen Sprüche, aber seltsamerweise sagte er nichts, sondern sah nur kurz zu Terra. Delphine erzählte von ihrem Urlaub auf Mayotte und einigen Unterwassermissionen für Neptun. Sie hatte sich freiwillig gemeldet, bei der Anti-Walfang-Gruppierung zu helfen. Immer wieder gerieten auch Delphine, ganze Schwärme, in Fangnetze, die Meermenschen bemühten sich, diese zu retten. Hier erwähnte Mirabella kurz ihr Delphinerlebnis bei Sansibar.

Lorenzo hatte mit Apoll, der auch der Gott der Heilkunst war, gemeinsam die Pterippus-Weiden besichtigt und andere medizinische Projekte mitbetreut. Er hatte vor, wie seine Mutter Medizin zu studieren. Gerade wollte er an Leon weitergeben, als er von Delphine an seinen Atlantikurlaub erinnert wurde.

„Ach ja, ich war surfen bei Bordeaux.“

Vier Augenpaare richteten sich abwechselnd auf ihn und auf Terra, welche auf ihre zusammengefalteten Hände starrte. Lorenzo sah zu ihr und zögerte. Schließlich sah sie auf. „Von mir aus, erzähl, es scheinen alle vor Neugier fast zu platzen.“

Lorenzo lächelte schief. „Terra begleitete mich am Anfang, aber… wir haben festgestellt, dass es nicht so ganz passt. Wir sind also nicht zusammen. Das wollt ihr doch wissen, oder?“

„Schade“, rutschte es Delphine raus, „sonst hätten wir mit Iros etwas zu viert unternehmen können.“

Lorenzo verdrehte leicht die Augen und Mirabella musste ein Grinsen unterdrücken. „Echt? Will man das als Pärchen? Will man nicht alleine sein?“ Mirabella gab offen ihre Unkenntnis preis, als Vestalin musste sie das nicht wissen.

„Schon, aber nicht immer. Und wenn man etwas unternimmt, ist es schöner mit einem anderen Paar, als mit jemandem, der solo ist. Fünftes Rad am Wagen und so…“, erklärte Delphine.

„Man kann ja auch was in der Gruppe unternehmen, wir alle zusammen zum Beispiel“, gab Leon zu bedenken.

„Stimmt“, bekräftigte Nikolaos und fragte Leon nach seinen Erlebnissen. Dieser war von seinem Vater Vulcanus in die göttliche Schmiede und Werkstatt mitgenommen worden und hatte eine Lehre begonnen. Vulcanus hatte den Olymp und Neptuns Palast, Jupiters Sonnenwagen und viele Waffen und Schmuck hergestellt. Leon war, wie auch Terra, von Architektur und Schmiedekunst begeistert.

„Würdest du mich wirklich einmal mitnehmen?“, fragte nun Terra kühn. Ihr Vater Mars hatte ihr verboten, in die Werkstatt zu gehen, zumindest alleine, aber Leon hatte ihr angeboten, sie zu begleiten.

„Aber natürlich, gerne!“

Nachdem Leon seine Reise durch Chile erwähnt hatte, wurde Terra gefragt, was sie unternommen hatte.

„Nachdem mich Lorenzo abserviert hatte…“, alle blickten zum Angeklagten, der leicht vorwurfsvoll zu Terra sah, „bin ich wieder in den Olymp gegangen und habe meine Fertigkeiten geübt. Teleportation, Materialisation von Dingen. Außerdem, nachdem ich endlich den Olymp verlassen darf, bin ich etwas gereist und habe die Veden“, die indischen Gottheiten, „besucht.“

„Cool, hast du Ganesha getroffen?“, fragte Mirabella neugierig. Der Elefantengott hatte starken Eindruck auf sie gemacht, er war als Abgesandter bei der Aufnahmefeier dabei gewesen.

Terra nickte, ohne Mirabella anzusehen. „Außerdem war ich natürlich mit Energiebeschaffung beschäftigt… Ich bin eine Symbiose mit einer Sängerin eingegangen.“

„Aber nicht von Terra Fottuta? Timos Band?“, rief Mirabella.

„Doch. Woher? Ah, klar, Timo ist ein Jupiterkind!“

„Nick hat Karten für ein Konzert besorgt, wir gehen in drei Wochen hin, da bin ich ja gespannt!“

„Du warst mit auf Sansibar, bist jetzt in München, ihr habt zusammen trainiert und geht auf das Konzert. Seid ihr jetzt eigentlich zusammen?“, fragte Lorenzo plötzlich Nikolaos mit Blick auf Mirabella. Ihr Halbbruder errötete erstaunlicherweise, während sie vor Überraschung lachte. „Wir sind Geschwister!“ Mehr wollte sie dazu nicht sagen.

„Also ich mag meine Schwester, aber in niedrigen Dosen…“, kommentierte Lorenzo, dann wurde das Thema jedoch fallengelassen. Leon begann mit Terra einen Besuch der Schmiede zu planen und Mirabella ließ sich von Delphine weiter über die verschiedenen Meeressäuger aufklären, während Lorenzo und Nikolaos sich über die Cottidiana unterhielten, die Tageszeitung der Nymphen, welche über Ereignisse in den Zwischenwelten berichtete. Es gab auch die Albenpost aus dem Norden. Mirabella hatte von Vesta erfahren, dass sie die Nachrichten künftig zu studieren hatte, damit sie auf dem Laufenden war, was die Politik der Zwischenwelten betraf. Seit der Rückkehr aus Sansibar versorgte Greta sie mit den beiden Medien, die eine Mischung aus abrufbarer Datenbank und moderierten Nachrichten waren. Greta als Nymphe erhielt die Nachrichten über die fließenden Gewässer. Um sie empfangen zu können, bedurfte es eines Mediums. Früher waren dies spezielle Karaffen oder auch sprechende Vögel gewesen. Heutzutage konnte die Energie in ein Handy eingespeist werden. Nur selten kam es zu einer Überladung der Geräte. Die Sprache war frei wählbar und Mirabella fragte sich, welche Horden von Nymphen mit der Nachrichtenherstellung beschäftigt sein mussten.

Delphine brach als erste auf, sie war mit Iros verabredet. Man beschloss, sich alle vier Wochen zu treffen, verbunden waren sie sowieso via Handys. Die Jungs diskutierten gerade die Teilnahme an den Olympischen Fünfkämpfen für Halbgötter dieses Jahr, als Mirabella zu Terra blickte. Nachdem diese dem Blick nicht auswich, stand Mirabella auf und ging zu ihr. Sie beugte sich zu ihr und flüsterte leise. „Sollen wir eine Runde spazieren gehen?“

Die beiden Mädchen schlenderten aus dem Raum, einen Korridor entlang. Mirabella überlegte, wie sie beginnen sollte, als Terra seufzend stehenblieb. „Entschuldige, dass ich dich vorhin nicht begrüßt habe, es war nur ein kleiner Schock, dich mit Lorenzo zu sehen.“

Mirabella überlegte kurz, ja, richtig, sie befand sich in Lorenzos Armen, auch wenn das für sie selbst völlig anders ausgesehen hatte, und sie verstand plötzlich. „Tschuldige, wir hatten nur rumgeblödelt, weil ich alle außer ihm zur Begrüßung umarmt hatte.“

Terra nickte. „Ich muss mich daran gewöhnen, dass er andere in den Arm nimmt.“

„Was? Im Urlaub? So ein Arsch!“ Mirabella war ernsthaft empört, auch wenn das für sie alles sehr theoretisch war.

„Nein, das nicht, aber… Naja, er hatte nie gesagt, dass er sich mit mir vereinigen möchte. Es war für ihn nicht ernst.“

„Und für dich schon?“

„Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob ich… verliebt bin. Er sieht toll aus, aber wir haben uns nicht viel zu sagen. Außerdem hat er ein Problem damit, dass ich Vollgöttin bin.“

„Dann ist es vielleicht besser so?“, versuchte Mirabella vorsichtig.

„Wahrscheinlich.“

Mirabella umarmte spontan Terra. „Vergiss ihn einfach, du bist so schön und klug und eine richtige Göttin, du wirst bestimmt irgendwann jemand Tolles kennenlernen!“

„Die Auswahl an Göttern ist nicht sehr groß…“

„Bei den Veden gibt es doch bestimmt viele!“

„Eigentlich gibt es keine Vereinigungen mit den Veden…“

„Aber mit denen sind wir doch nicht verfeindet?“

„Das nicht, aber es besteht auch kein richtiger Kontakt.“

„Dann müssen wir das ändern, ich finde sowieso, dass hier einiges schiefläuft.“

Terra grinste. „Das kann man wohl sagen!“

Dieser Art vereint, kehrten die beiden Mädchen zurück in den Saal. Lorenzo hatte sich schon verabschiedet, daher verließen nun auch die Jupiterkinder den Olymp und ließen Leon und Terra zurück.


„Und hat dir Terra verziehen?“, fragte Nikolaos schmunzelnd.

„Sehr witzig… Ja, war echt blöd, dass sie gerade kam, als wir da rumturnten.“

„Er hielt dich im Arm.“

„Naja, nach der Tanzfigur.“

„Die hatte sie nicht gesehen. Es sah aus wie eine enge Umarmung.“

„Ich weiß, aber ich habe alle umarmt“, verteidigte sich Mirabella.

„ICH weiß das. Ich denke, es war aber besonders ungünstig, dass gerade du es warst.“

„Wie meinst du das?“

„Ach, Mira, du bist echt so ein Baby. Es ist so offensichtlich, dass Lorenzo auf dich steht.“

„Was?? Seit wann denn das?“

„Schon länger.“

„Ach, Quatsch!“, entgegnete sie leicht genervt. „Wieso sollte er auf der Aufnahmefeier mit Terra rumknutschen, wenn er auf mich steht?“

„Erinnerst du dich, dass wir in ein Séparée abgehauen sind. Wer weiß, was er dachte...“

„So ein Blödsinn!“, mehr fiel ihr dazu nicht ein.

Nikolaos schüttelte den Kopf. „Du merkst echt null, wenn jemand auf dich steht.“

„Wer denn noch alles?“

Er wandte sich kopfschüttelnd ab. „Keine Ahnung.“

Mirabella beäugte ihn misstrauisch. „Du bildest dir das nur ein, denke ich. Und wenn nicht, es spielt keine Rolle, ich bin Vestalin.“

Mirabella und die Neun Welten

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