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21. März.

Heute ist ein merkwürdiges Wetter. Warm, klar. Die Sonne spielt lebhaft auf dem schmelzenden Schnee. Alles glänzt, dampft, tröpfelt. Die Sperlinge schreien wie Verrückte um die dunkeln Zäune umher. Die feuchte Luft reizt süß und unwiderstehlich meine Brust. Der Frühling – der Frühling kommt! Ich sitze am Fenster und schaue über das Feld hinaus. O Natur, Natur! Ich habe dich so lieb, und doch ging ich aus deinem Schoße hervor, untauglich für das Leben. Da hüpft ein Sperling mit ausgebreiteten Flügeln; er schreit, und jeder Ton seiner Stimme, und jedes zerzauste Federchen an seinem kleinen Körper athmet Gesundheit und Kraft.

Was folgt aus Alledem? – Nichts. Er ist gesund und hat das Recht zu schreien und rauflustig zu sein. Und ich – ich bin krank und muß sterben – das ist Alles. Mehr hiervon zu sprechen verlohnt sich nicht. Das weinerliche Appelliren an die Natur erscheint lächerlich bis in’s Komische – kehren wir zur Erzählung zurück.

Ich wuchs, wie schon gesagt, sehr kümmerlich und trübe heran. Geschwister besaß ich nicht. Erzogen wurde ich zu Hause. Was hätte denn sonst meine Mutter zu thun gehabt, wenn man mich in eine Pension oder eine Kroneanstalt abgegeben hätte? Dazu sind ja eben die Kinder da, daß die Eltern sich nicht langweilen – Wir lebten größtentheils im Dorfe; manchmal gingen wir nach Moskau. Ich hatte Hofmeister und Lehrer, wie es die Sitte erforderte. Besonders blieb mir ein kränklicher und sentimentaler Deutscher, Nickmann, in Erinnerung, ein überaus trauriger und vom Schicksale getroffener Mensch, der in einer vergeblichen, drückenden Sehnsucht nach seiner fernen Heimath brannte. Gewöhnlich am Ofen, inmitten der drückenden Schwüle des engen Vorzimmers, welches durch und durch vom saueren Geruch des gegorenen Kwaß1 getränkt war, da sitzt mein unrasirter, verwachsener Diener Wassily, mit dem Zunamen: die Muttergans, in seinem unverwüstlichen Halbrock aus grobem Gewebe – er sitzt und spielt Karten mit dem Kutscher Potap, der seinen neuen schaumweißen Schafpelz und seine unzerstörbaren Schmierstiefel zum ersten Male anhat – und Nickmann singt hinter dem Verschlage:

Herz, mein Herz, warum so traurig?

Was bekümmert dich so sehr?

’s ist ja schön im fremden Lande —

Herz, mein Herz, was willst du mehr? . . .


Nach dem Ableben meines Vaters siedelten wir ganz nach Moskau über. Ich zählte damals zwölf Jahre. Mein Vater starb des Nachts an einem Schlaganfall. Ich werde diese Nacht nicht vergessen. Ich schlief fest, wie Kinder gewöhnlich schlafen; aber ich erinnere mich, daß es mir sogar im Schlafe schien, als vernehme ich ein schweres und gleichmäßiges Schnarchen. Plötzlich spüre ich, daß mich Jemand an die Schulter faßt und rüttelt. Ich öffne die Augen: vor mir steht mein Diener. »Was ist los?« – »Kommen Sie nur, kommen Sie! Alexej Michajlowitsch liegt im Sterben.« Wie ein Wahnsinniger springe ich aus dem Bett – nach seinem Schlafzimmer – ich sehe . . . der Vater liegt da mit zurückgeworfenem Haupte, das Gesicht blutroth und athmet mit der größten Anstrengung. In die Thür drängen sich Leute mit erschrockenen Gesichtern. Im Vorzimmer fragt eine heisere Stimme: »Hat man nach dem Arzt geschickt?« Im Hofe wird das Pferd aus dem Stalle gezogen; das Thor knarrt – ein Talglicht brennt im Zimmer am Boden. Die Mutter, die auch anwesend ist, ergiebt sich dem Schmerze, ohne jedoch dabei den Anstand und das Bewußtsein ihrer Würde zu verlieren. Ich warf mich dem Vater an die Brust, umarmte ihn und stammelte: »Papa! Papa!« . . . Er lag unbeweglich und blinzelte eigenthümlich. Ich sah ihm in’s Gesicht – ein unerträgliches Grauen preßte meinen Athem zusammen. Ich schrie auf vor Schreck, wie ein rauh angepackter Vogel – man schleppte mich von ihm und führte mich weg. – Noch am Tage zuvor – als ob er seinen nahen Tod geahnt hätte – hatte er mich heiß und schwermuthsvoll geliebkost. – Man brachte einen verschlafenen und widerstrebenden Arzt, der stark nach Liebstöckelgeist koch. Mein Vater starb unter seiner Lanzette, und am andern Tage stand ich, vollständig stupid vor Gram, mit einer Kerze in der Hand vor dem Tische, auf welchem der Verblichene lag, und hörte sinnlos den dumpfen Gesang des Diakonus an, den von Zeit zu Zeit die schwache Stimme des Geistlichen unterbrach. Die Thränen hätten nicht auf über meine Wangen, über meine Lippen, den Kragen und das Vorhemd zu rieseln. Ich zerfloß in Weinen und schaute unverwandt und starr auf das unbewegliche Antlitz des Vaters, als ob ich von ihm Etwas erwartete. Meine Mutter machte inzwischen langsam ihre tiefen Kniebeugungen, erhob sich jedesmal wieder langsam und berührte, sich bekreuzend, mit Nachdruck Stirn, Schulter und Brust. In meinem Hirn lebte kein einziger Gedanke; ich war ganz in Lethargie verfallen, fühlte aber doch, daß in mir etwas Schreckliches vorging: der Tod blickte mir damals in’s Gesicht und zeichnete mich.

Wir siedelten also nach dem Ableben meines Vaters bald nach Moskau über, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde. Unser Gut kam unter den Hammer und wurde vollständig verkauft, mit Ausnahme eines kleinen Dörfchens – dasselbe, in welchem ich eben jetzt die letzten Tage meines großartigen Daseins ablebe. Ich gestehe, daß ich trotz meines jugendlichen Alters den Verkauf unseres Restes sehr bedauerte – richtiger, es war mir blos um unsern Garten leid. An diesen Garten sind fast einzig meine lichten Erinnerungen geknüpft. Dort begrub ich an einem ruhigen Frühlingsabende meinen besten Freund, einen alten Hund mit abgestuztem Schwanze und krummen Pfoten – Trix hieß er. Dort pflegte ich, im hohen Grase verborgen, die geraubten Aepfel, rothe, süße Nowgorodische, zu verzehren. Dort endlich erblickte ich zum ersten Male zwischen den Sträuchern reifer Himbeeren das Stubenmädchen Klawdia, die trotz ihrer Stutznase und der Gewohnheit, in ihr Kopftuch hinein zu lachen, in mir eine so zärtliche Leidenschaft erweckte, daß ich in ihrer Gegenwart, kaum athmend, zu erstarren pflegte und verstummte, und einst, an einem Ostersonntage, als an sie die Reihe kam, mein Herrenhändchen zu küssen. auf dem Punkte war, auf ihre ausgetretenen bockledernen Schuhe – einen Kuß zu drücken. Du lieber Gott! Sind denn seitdem wirklich nur zwanzig Jahre verstrichen? Wie lange ist es denn her, daß ich auf meinem braunen, zottigen Pferdchen um den alten Zaun unseres Gartens herumritt und, in den Steigbügeln mich emporhebend, die doppelfarbigen Pappelblätter abriß? – Der Knabe, selbst der Jüngling fühlt nicht, daß er lebt: gleich einem Tone wird sein eigenes Leben dem Menschen nicht sogleich wahrnehmbar.

O mein Garten – o ihr überwachsenen Wege um den flachen Teich! O du sandiges Plätzchen unter dem baufälligen Damme, wo ich so oft Grundlinge und Schmerlen fischte! Und ihr, ihr hohen Birken mit den langen, herabhängenden Zweigen, wo von der Landstraße her das traurige Lied des Bauern sich vernehmen ließ, holperich unterbrochen durch die Stöße seines Fuhrwerks – ich sende euch Allen mein letztes Lebewohl! . . . Indem ich vom Leben scheide, strecke ich nur zu euch allein meine Arme aus. Ich möchte mich noch einmal satt athmen an der bitteren Frische des Wermuths, an dem süßen Duft des abgemähten Buchweizens auf den Feldern meiner Heimat. Ich möchte noch einmal aus der Ferne den bescheidenen gedehnten Klang der gesprungenen Glocke unserer Pfarrkirche hören; noch einmal eine Zeit lang im kühlen Schatten weilen, unter dem Eichenbusche, am Abhange der bekannten Schlucht; noch einmal mit den Augen begleiten die bewegte Spur des Windes, der mit dunklem Strome längs des goldglänzenden Grases unserer Wiese dahinläuft . . . Ach! wozu das Alles? – Doch ich kann heute nicht mehr weiter. – Morgen!

1

Ein säuerliches russisches Nationalgetränk, ans Roggenmehl und Malz bereitet.

Tagebuch eines Überflüssigen

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