Читать книгу Tagebuch eines Überflüssigen - Иван Тургенев - Страница 4

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23. März.

Wiederum Winter! Der Schnee fällt in dichten Flocken. – Ein Ueberflüssiger, ja – ein Ueberflüssiger . . . Ein ausgezeichnetes Wort habe ich da gefunden. Je tiefer ich in mich eindringe, je aufmerksamer ich meine ganze Vergangenheit betrachte, desto mehr überzeuge ich mich von der strengen Wahrheit dieses Ausdruckes. Ein Ueberflüssiger – ja, so ist es. Für andere Menschen als für mich könnte dieses Wort nicht gebraucht werden. Es giebt allerdings mancherlei Menschen, schlechte und gute, kluge und dumme, angenehme und unangenehme – aber Ueberflüssige . . . nein, die giebt es nicht. Daß heißt – ich möchte recht verstanden werden – auch ohne jene Menschen könnte ja das Weltall bestehen . . . das ist schon wahr; aber Ueberflüssigkeit ist doch nicht ihre Haupteigenschaft, nicht das sie auszeichnende Merkmal. Und wenn sie sich über solche Menschen äußern, so kommt ihnen gerade das Wort »Ueberflüssig« nicht zuerst auf die Zunge. Aber ich – von mir kann man sonst nichts Anderes aussagen: ein Ueberflüssiger – und damit abgemacht. Ein außeretatsmäßiger Mensch – das ist Alles. Auf mein Erscheinen hat die Natur, wie mich dünkt, nicht gerechnet, und deshalb hat sie mich auch wie einen unerwarteten, ungerufenen Gast behandelt. Nicht umsonst sagte von mit ein Spaßvogel, ein großer Liebhaber vom Préférence-Spiel, daß meine Mutter, indem sie mich geboren, labet geworden. Ich spreche jetzt von mir in aller Ruhe, ohne Galle . . . Es gilt ja die Vergangenheit! Während der ganzen Dauer meines Lebens habe ich immer meinen Platz besetzt gefunden – vielleicht eben deshalb, weil ich diesen Platz nicht dort gesucht, wo ich ihn hätte suchen sollen. Ich war zweifelsüchtig, schüchtern, empfindlich, wie überhaupt alle kranken Menschen. Dabei – und dies wahrscheinlich in Folge übermäßiger Eigenliebe, oder überhaupt in Folge der Fehlgeschlagenheit meiner Person – lag zwischen meinen Gefühlen und Gedanken und dem Ausdruck dieser Gefühle ein so zu sagen unsinniges, unerklärliches und unüberwindliches Hinderniß; und wenn ich mich je entschloß, mit Gewalt dieses Hinderniß zu bekämpfen, diese Schranke zu durchbrechen, so gewannen meine Geberden, der Ausdruck meines Geistes und mein ganzes Wesen das Aussehen einer qualvollen Spannung; nicht nur schien ich alsdann – nein! ich war in Wirklichkeit unnatürlich und gezwungen. Ich fühlte das selbst, und schnell bemühte ich mich, wieder in mich selbst zurückzukehren. Dann Pflegte sich in meinem Innern eine schreckliche Aufregung zu erheben. Ich analysirte mich selbst haarklein, stellte über mich die subitilsten Betrachtungen an, verglich mich mit Anderen, brachte mir die verschiedensten Blicke, das Lächeln, die Worte der Menschen, in deren Gegenwart ich mir hatte Luft machen wollen, in Erinnerung, deutete Alles von der schlechten Seite, lachte sarkastisch über meine Anmaßung: »zu sein, wie Alle sind«, und plötzlich mitten im Lachen, ließ ich den Muth sinken; ich verfiel in eine thörichte Niedergeschlagenheit – und dann ging das Alte von neuem los – mit einem Worte; ich drehte mich, wie ein Eichhörnchen im Rade. Ganze Tage pflegten in dieser peinlichen, unfruchtbaren Arbeit zu vergehen. Nach Alledem – sagen Sie gütigst – sagen Sie selbst: für Wen und wozu bedarf es eines solchen Menschen? Weshalb wickelte sich dies Alles in mir ab, welcher Grund war vorhanden für dieses grübelnde Umtreiben mit mir selbst? Wer wüßte es? Wer könnte es sagen!

Ich erinnere mich – eines Tags fuhr ich aus der Stadt – aus Moskau – in der Diligence. War der Weg schon gut, so spannte der Fuhrmann neben den vier Pferden noch ein fünftes an. So ein unglückliches fünftes Pferd, so ein unnützes Pferd, das schlechterdings mit einem kurzen, dicken Stricke angebunden wird, welcher unbarmherzig in seinen Schenkel einschneidet, den Schwanz reibt, es in der allerunnatürlichsten Art zu laufen nöthigt und seinem Körper fast die Form eines Kommas verleiht – erweckt in mir immer das tiefste Mitleiden. Ich bemerkte dem Fuhrmann, daß man, nach meiner Ansicht, das fünfte Pferd ganz entbehren könnte. Er schwieg ein wenig, zuckte mit den Schultern, versetzte dem Pferde einige Peitschenhiebe über den magern Rücken und den aufgedunsenen Leib – und sagte schmunzelnd: »Hm! Auch wirklich komisch, wie es sich noch dazu geschleppt hat! Weiß der Teufel!« . . . Und auch ich habe mich noch dazu geschleppt . . , Ja, so ist’s; die Station war übrigens nicht weit gelegen.

Ein ueberflüssiger . . . Ich versprach, die Richtigkeit meiner Meinung zu beweisen, und ich werde mein Versprechen erfüllen. Ich erachte es für unnütz, tausenderlei Kleinigkeiten, alltägliche Ereignisse und Begebenheiten zu erwähnen, welche übrigens in den Augen eines jeden richtig denkenden Menschen als unwiderlegbare Beweise zu meinen Gunsten, das heißt, zu Gunsten meiner Ansicht, dienen könnten. Ich beginne lieber sogleich mit einem sehr wichtigen Falle, nach dessen Kenntniß wahrscheinlich schon kein Zweifel mehr zurückbleiben wird in Bezug auf die Begründung des Wortes: »Ueberflüssig«. Ich wiederhole: ich habe nicht die Absicht, in unbedeutende Dinge einzugehen. Aber ich kann nicht umhin, eines vielleicht doch interessanten und bemerkenswerthen Umstandes zu gedenken, nämlich des eigenthümlichen Benehmens meiner Freunde (ich habe auch Freunde gehabt), das sie jedesmal an den Tag legten, wenn ich ihnen begegnete oder sie besuchte. Es war, als ob sie sich alsdann unheimlich fühlten: sie lächelten ganz unnatürlich, sie schauten mir nicht in die Augen oder auf die Füße, wie es doch so Mancher zu thun pflegt, sondern sie sahen aus meine Wangen, drückten mir hastig die Hand, sagten dabei in Eile: »Ah, guten Morgen, Tschulkaturin!« (das Schicksal beschenkte mich nämlich mit diesem Namen), oder: »Ah, da ist ja Tschulkaturin!« – entfernten sich sofort wieder und verblieben manchmal nachher einige Zeit ohne Bewegung, als ob sie sich anstrengten, irgend Etwas in der Erinnerung aufzufrischen. Ich bemerkte dies Alles; denn es fehlt mir nicht an Scharfsinn und an der Fähigkeit, Beobachtungen anzustellen. Ich bin überhaupt nicht dumm: es kommen mir dann und wann manche eigenthümliche Gedanken in den Sinn – nicht ganz gewöhnliche. Da ich aber ein überflüssiger Mensch bin, und vor meinem Innern ein Schlößchen hängt, so wird mir bange, meine Gedanken auszusprechen, um so mehr, da ich im Voraus weiß, daß ich dieselben sehr schlecht ausdrücken würde. Manchmal erscheint es mir sogar seltsam, daß Menschen überhaupt reden, und so einfach, so frei . . . Welche Gewandtheit! – denke ich mir dann. Das heißt, um die Wahrheit zu sagen, auch mit mir ereignete es sich oftmals, daß trotz des Schlößchens meine Zunge den Kitzel bekam. Aber in Wirklichkeit brachte ich nur in meiner Jugend Worte hervor; dafür gelang es mir jedoch in den reiferen Jahren immer, mich zu bezähmen. Ich pflegte mir im Falle der Versuchung halblaut vorzusagen: »Nun, wir wollen lieber ein wenig schweigen« – und ich beruhigte mich alsdann – Zum Schweigen haben wir Alle Lust. Besonders zeichnen sich hierin unsere Frauen aus: manches hohe russische Fräulein schweigt oft mit solcher Energie, daß dabei sogar ein geübterer Mensch in leichtes Fieber und kalten Schweiß gerathen kann. Doch – es handelt sich hier um etwas Anderes, und ich bin am allerwenigsten berufen, Andere zu kritisiren. – Ich schreite zur versprochenen Erzählung. Vor einigen Jahren ereignete es sich durch ein Zusammentreffen von an sich zwar unbedeutenden, für mich aber verhängnißvollen Umständen, daß ich etwa sechs Monate in der Kreisstadt O . . . zubringen mußte.

Diese Stadt ist sehr unbequem an einem Abhange gelegen und zählt etwa achthundert Einwohner. Die Armuth ist hier zu Hause, alle Häuschen sehen bis zur Unbeschreiblichkeit elend aus. Auf der Hauptstraße lagen an manchen Stellen, als wollten sie Einem an ein Pflaster glauben machen, weibliche, häßliche Platten von unbehauenem Kalkstein – ein Grund, weshalb Lastwagen dieselbe gewöhnlich vermieden. Grade in der Mitte eines zum Erstaunen schmutzigen freien Platzes erhebt sich ein kleines, gelblich angestrichener Bau mit dunkeln Löchern, und in diesen Löchern sitzen Menschen in großen Mützen und machen eine Miene, als ob sie sich mit Handelsgeschäften abgaben. Auf demselben Platze ist eine ungewöhnlich hohe, bunte Stange aufgepflanzt; neben der Stange ist, der Ordnung halber, auf Befehl der Behörde ein Wagen mit fahlem Heu angefahren, und dabei schreitet ein der Krone angehöriges Huhn umher. Mit einem Worte, in der Stadt O . . . ist der Aufenthalt ergötzlich. In den ersten Tagen fürchtete ich vor Langeweile um den Verstand zu kommen. Ich muß gestehen, daß, wenn ich auch ein überflüssiger Mensch bin, ich nichtsdestoweniger alles Krankhafte nicht auszustehen vermag . . . Ich hatte ja auch dem Glücke nicht abgeschworen, und habe mich bemüht, es von rechts und von links anzupacken – und deshalb ist es wohl nicht zu verwundern, daß auch ich mich langweilen kann, wie andere Sterbliche. – Ich hielt mich in O . , . in Dienstangelegenheiten auf . . .

Aber Terentjewna scheint sich unbedingt vorgenommen zu haben, mich zu Tode zu quälen. Hier eine Probe unserer Unterhaltung.

Terentjewna. – Ei, ei, mein Väterchen! Was schreiben Sie denn da in einem fort? Es ist nicht gesund, gar nicht gesund für Sie zu schreiben.

Ich. – Aber ich vergehe vor Langeweile Terentjewna!

Sie. – Nehmen Sie nur etwas Thee zu sich, und gehen Sie dann zu Bett! Sie werden mit Gottes Hilfe schwitzen und dabei ein wenig schlafen.

Ich. – Ich will nicht schlafen.

Sie. – Aber Väterchen, wo denken Sie denn hin? Gott sei mit Ihnen! Gehen Sie zu Bett, gehen Sie ja nur schlafen: es ist für Sie besser.

Ich. – Ich werde ja ohnedies sterben, Terentjewna!

Sie. – Der Himmel soll uns behüten und bewahren! . . . Nun! Befehlen Sie den Thee aufzutragen ?

Ich. – Ich halte kaum noch eine Woche aus, Terentjewna!

Sie. – Ei, ei, Väterchen! Was schwatzen Sie da? . . . Also ich werde den Samowar aufsetzen . . .

O Du hinfälliges, gelbes, zahnloses Geschöpf! Bin ich auch für Dich schon kein Mensch mehr!

Tagebuch eines Überflüssigen

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