Читать книгу Assja - Иван Тургенев - Страница 2
II
ОглавлениеVielleicht weiß nicht ein Jeder, was ein solcher Commers bedeutet. Es ist eine besondere Art feierlichen Gelages, zu welchem sich die Studenten eines Landes oder einer Verbrüderung (Landsmannschaft) vereinigen. Fast alle Theilhaber an einem Commers tragen das von Alters her eingeführte Costüm der deutschen Studenten: kurzer Schnurrock, hohe Stiefel und kleine Mütze mit farbigem Rande. Gewöhnlich versammeln sich die Studenten zum Mittage unter dem Vorsitze des Seniors und zechen bis zum Morgen, trinken, singen Lieder, den Landesvater, das Gundeamus; rauchen und machen die Philister herunter; zuweilen miethen sie sich auch ein Musikchor.
Ein solcher Commers wurde nun gerade in der Stadt L. vor einem kleinem Wirthshause, zur Sonne benannt, in einem an die Straße stoßenden Garten abgehalten. Ueber dem Wirthshause selbst und im Garten weheten Flaggen; Studenten saßen an Tischen unter gekappten Lindenbäumen; eine mächtige Dogge lag unter einem der Tische; seitwärts in einer Epheulaube saßen die Musikanten und spielten eifrig auf, indem sie sich von Zeit zu Zeit durch einen Trunk Bieres stärkten. Auf der Straße, vor dem niedrigen Gartenzaune, hatte sich eine große Menge Volkes versammelt: die guten Bürger des Städtchens L. wollten nicht die Gelegenheit vorübergehen lassen, sich die fremden Gäste anzusehen. Ich mischte mich auch unter die Menge der Zuschauer. Es machte mir Vergnügen, die Gesichter der Studenten zu betrachten; ihre Umarmungen, ihre Ausrufungen, das unschuldige Coquettiren der Jugend, die glühenden Blicke, das unbewußte Lachen – das beste Lachen der Welt, – dieses ganze freundliche Brausen des jugendlich frischen Lebens, dieses Ringen und Streben vorwärts – gleichviel wohin, nur vorwärts, – dieses gut müthige ungebundene Wesen, rührte mich und steckte mich an. Soll ich nicht zu ihnen gehen? fragte ich mich . . .
– Assja, hast du genug? fragte plötzlich in russischer Sprache eine Männerstimme hinter mir.
– Warten wir noch etwas, antwortete eine andere, weibliche Stimme, in derselben Sprache.
Ich wandte mich rasch um: . . . Mein Blick fiel auf einen hübschen, jungen Mann in einer weiten Jacke und mit einer Mütze; er führte am Arme ein Mädchen, nicht hoch von Wachse, mit einem Strohhute, der den ganzen oberen Theil ihres Gesichtes bedeckte.
– Sie sind Rassen? brachte ich unwillkührlich hervor..
Der junge Mann lächelte und sagte: – Ja, wir sind Rassen.
– Ich hätte nie erwartet . . . in dieser abgelegenen Gegend, begann ich . . .
– Wir ebenso wenig, unterbrach er mich, – was thut das? Um so besser. Erlauben Sie, daß wir uns vorstellen: ich nenne mich Gagin,« und dieses ist meine . . . er stockte einen Augenblick: – meine Schwester. Und Ihren Namen, dürften wir bitten?
Ich nannte mich und wir knüpften ein Gespräch an. Ich erfuhr, daß Gagin gleich mir zu seinem Vergnügen reise, vor einer Woche in der Stadt L. angekommen sei und sich daselbst niedergelassen habe. Aufrichtig gesprochen, machte ich ungern im Auslande Bekanntschaft mit Russen. Ich erkannte sie sogar von Weitem an ihrem Gange, an dem Schnitt ihrer Kleidung, hauptsächlich jedoch an dem Ausdruck ihrer Gesichter. Der selbstzufriedene und verächtliche, häufig auch befehlende Ausdruck, wechselte plötzlich mit dem der Zaghaftigkeit und Behutsamkeit ab . . . In einem Augenblick stand der ganze Mensch Wache, sein Blick schweifte unstät umher . . . »Hätte ich vielleicht et was Dummes gesagt, lacht man nicht über mich? « schien dieser bestürzte Blick zu sagen. Noch einen Augenblick und das Majestätische der Physiognomie war wieder hergestellt, um nur noch dann und wann mit Stumpfsinn zu wechseln. Ja, ich vermied die Russen, doch Gagin gefiel mir sogleich. Es gibt in der Welt solche glückliche Gesichter; sie anzusehen ist Jedem eine Lust; man fühlt sich durch sie gleichsam erwärmt und geliebkost. Gagin hatte gerade ein solches liebliches, freundliches Gesicht mit großen, sanften Augen und weichem, krausem Haare. Er sprach so, daß, wenn man auch nicht sein Gesicht vor sich hatte, man allein an dem Tone seiner Stimme fühlte, daß er lächelte.
Das Mädchen, welches er seine Schwester genannt hatte, schien mir gleich auf dem ersten Blick sehr lieblich. Es lag etwas Eigenthümliches, Besonderes in den Zügen ihres bräunlichen, runden Gesichtes, mit der nicht großen, feinen Nase, den fast kindlich abgerundeten Wangen und den dunkelen, klaren Augen. Sie war graziös gebaut, jedoch wie es schien, noch nicht völlig entwickelt. Sie glich ihrem Bruder nicht im Geringsten.
– Wollen Sie zu uns kommen? fragte mich Gagin.
– ich denke wir haben uns die Deutschen genug angesehen. Unsere Landsleute würden freilich wohl Scheiben eingeworfen und Stühle zerbrochen haben, diese hier sind aber doch gar zu anständig. Was meinst Du, Assja, wollen wir nach Hause gehen?
Das Mädchen nickte bejahend mit dem Kopfe.
– Wir wohnen außerhalb der Stadt, fuhr Gagin fort – in einem Weinberge, in einem einzelnstehenden Häuschen, hoch oben. Es ist herrlich bei uns, sehen Sie sich‘s an. Die Wirthin hat versprochen, uns saure Milch zu bereiten. Es wird ja auch jetzt bald dunkel werden und da fahren Sie doch lieber bei Mondlicht über den Rhein.
Wir machten uns auf den Weg. Durch ein niedriges Stadtthor (eine alte Mauer aus Feldstein umgab die Stadt von allen Seiten, selbst die Schießscharten waren noch nicht alle zusammengestürzt) traten wir in‘s Freie und nachdem wir ungefähr hundert Schritte längs einer steinernen Mauer gegangen waren, blieben wir vor einem engen Pförtchen stehen. Gagin öffnete es und führte uns aus einem steilen Pfade den Berg hinan. Zu beiden Seiten waren die Abhänge mit Weinstöcken bepflanzt; die Sonne war eben untergegangen und ein leichter, purpurner Schimmer ruhete auf den grünen Reben, den langen Stöcken, dem trockenen, mit platten Schieferstücken und Steinen dicht bestreuten Boden und auf der weißen Mauer des kleinen Häuschens, mit dem schrägen und dunkelen Fachwerk und den vier hellen Fenstern, welches ganz oben auf dem Berge stand, den wir jetzt hinankletterten.
– Da ist unsere Wohnung! rief Gagin aus, indem wir uns dem Häuschen näherten: – und da bringt auch schon die Wirthin unsere Milch. Guten Abend, Madame. Wir wollen uns gleich darüber hermachen, doch zuvor, fügte er hinzu; – schauen Sie sich einmal um. Was sagen Sie zu dieser Aussicht?
Die Aussicht war in der That reizend. Der Rhein lag vor uns, ein Silberstreif zwischen grünen Ufern; an einer Stelle glühete er im purpurgoldigen Scheine der untergegangenen Sonne. Das am Ufer liegende Städtchen ließ alle seine Häuser und Gassen erblicken; Hügel und Felder breiteten sich weit hin aus. Unten war es schön, oben jedoch noch schöner: einen besonderen Eindruck machten auf mich die Reinheit und Tiefe des Himmels, die glanzvolle Durchsichtigkeit der Luft. Leicht und frisch wiegte sie sich und strich in sanfter Wellenbewegung hin, als fühlte auch sie sich freier auf der Höhe.
– Sie haben sich da einen herrlichen Wohnsitz ausgewählt, sagte ich.
– Assja hat ihn entdeckt, erwiederte Gagin; – nun Assja, ordne Alles an. Laß Alles hierher bringen. Wir wollen im Freien unser Abendessen einnehmen. Hier hört man die Musik besser. Haben Sie‘s nicht auch bemerkt; setzte er hinzu: – in der Nähe taugt ein Walzer oft Nichts – fades und rauhes Getön; aus der Ferne macht er sich aber wunderschön! bringt alle romantische Saiten des Herzens in Bewegung. Assja, (eigentlich war Anna ihr Name, Gagin jedoch nannte sie Assja, und ihr erlaubt mir wohl, sie auch so zu nennen) Assja begab sich in das Haus und kehrte bald mit der Wirthin zurück. Beide zugleich trugen ein großes Theebrett mit einem Töpfe voll Milch, Tellern, Löffeln, Zucker, Beeren und Brot. Wir setzten uns und machten uns an das Essen. Assja nahm den Hut ab; ihr schwarzes, etwas beschnittenes und wie bei Knaben frisirtes Haar, fiel in dichten Locken über Schultern und Nacken. Anfangs hatte sie Scheu vor mir; Gagin sagte ihr aber:
– Assja, fürchte dich nicht, er thut dir nichts zu Leid!
Sie lächelte und bald darauf redete sie mich selbst einige Male an. Ich habe noch nie ein beweglicheres Wesen gesehen. Nicht einen Augenblick saß sie ruhig; sie stand auf, lief in das Haus, kam wieder heraus, sang mit halblauter Stimme und lachte häufig auf eine sehr seltsame Weise; es schien als lachte sie nicht über das was sie hörte, sondern über verschiedene Gedanken, die ihr gerade in den Sinn kamen. Ihre großen Augen blickten offen, hell und furchtlos, zuweilen jedoch blinzelten die Lider leicht und dann wurde ihr Blick plötzlich tief und sauft.
Wir plauderten so beinahe zwei Stunden. Der Tag war längst erloschen, und der Abend aus Purpurroth in helles Rosa, dann in bleiches Grau übergehend, löste sich endlich in Nacht auf, unser Gespräch aber floß ununterbrochen, friedlich und ruhig, wie die uns umringende Luft. Gagin ließ eine Flasche Rheinwein bringen und wir tranken sie, ohne zu eilen, aus. Die Musik ließ sich noch immer vernehmen; doch weicher und milder dünkten uns die Töne; Lichter wurden in der Stadt und auf dem Flusse angezündet Assja neigte plötzlich den Kopf, so daß die Locken ihr über die Augen herabfielen, verstummte und athmete tief auf; dann sagte sie uns, sie wolle schlafen und ging in das Haus; ich sah jedoch wie sie, ohne Licht anzuzünden, lange hinter dem geschlossenen Fenster stand. Endlich stieg der Mond herauf und ließ seinen Schein auf der Wasserfläche spielen, Alles wurde hell, versank in Schatten, gestaltete sich anders, sogar der Wein in unseren geschliffenen Gläsern erglühte in geheimnißvollem Glanze. Der Wind hatte nachgelassen, gleichsam seine Flügel eingezogen und sich vollständig gelegt; nächtliche, aromatische Wärme stieg vom Boden herauf.
– Es ist Zeit! rief ich aus, sonst finde ich keinen Fährmann mehr.
– Es ist Zeit, wiederholte Gagin.
Wir stiegen den Fußpfad hinunter. Plötzlich rollten Steine hinter uns her, es war Assja, die uns nacheilte.
– Schläfst Du denn nicht? fragte sie ihr Bruder, sie aber ohne ihm Antwort zu geben, lief an uns vorüber. Die letzten ersterbenden Lämpchen, welche die Studenten im Garten des Wirthshauses angezündet hatten, beschienen von unten herauf das Laubwerk der Bäume, was denselben ein festliches und phantastitsches Aussehen verlieh. Wir fanden Assja am Ufer: sie unterhielt sich mit dem Fährmanne. Ich sprang in das Boot und nahm Abschied von meinen neuen Freunden. Gagin versprach, mich am folgenden Tage zu besuchen; ich drückte ihm die Hand und reichte die Meinige Assja hin; sie aber sah mich nur an und nickte mit dem Kopfe. Das Boot stieß ab und glitt auf dem raschen Strome dahin. Der Fährmann, ein rüstiger Alter, tauchte mit Anstrengung die Ruder in die dunkele Fluth.
– Sie sind in den Mondstreifen hinein gefahren, haben ihn zertheilt, rief Assja mir nach.
Ich senkte das Auge; die Wellen plätscherten, in Dunkel gehüllt, um das Boot herum.
– Leben Sie wohl! ertönte noch ein Mal ihre Stimme.
– Auf Wiedersehen, morgen, setzte Gagin hinzu.
Das Boot legte an. Ich stieg aus und blickte zurück. Auf dem entgegengesetzten Ufer war Niemand mehr zu sehen. Der Mondstreifen zog sich wieder wie eine goldene Brücke über den ganzen Strom. Gleichsam als Abschiedsgruß klangen die Töne eines alten Lannerschen Walzers herüber. Gagin hatte Recht gehabt: ich fühlte, daß alle Saiten meines Herzens als Antwort auf jene Klänge erzitterten. Ich ging über die dunkelnden Felder nach Hause, die balsamische Luft langsam einathmend, und erreichte, ganz abgespannt von süßer Erschlaffung zielloser und unendlicher Erwartungen, mein Zimmer. Ich fühlte mich glücklich . . . Aber worüber war ich denn glücklich? Ich wünschte Nichts, ich dachte an Nichts . . . ich war glücklich.
Fast lachend im Vollgefühl angenehmer und wechselnder Eindrücke, sank ich in mein Bett und schloß bereits die Augen, als mir plötzlich einfiel, daß ich im Laufe des Abends nicht ein einziges Mal meiner grausamen Schönen gedacht hatte. »Was bedeutet denn das? fragte ich mich: – »bin ich nicht verliebt?« Doch als ich mir diese Frage vorgelegt hatte, war ich, wie mir däucht, schon eingeschlafen, wie ein Kind in der Wiege.