Читать книгу Ketzerhaus - Ivonne Hübner - Страница 19
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ОглавлениеDie Sterbenden werden von alledem gelöst und sind für die Bußsatzungen bereits gestorben,
haben somit Kraft derselben Befreiung erlangt.
Druckermeister Ignatius Weidner lauschte dem Widerhall der Stiefelabsätze auf den buckligen Steinplatten in der obigen Wohnhalle, folgte ihnen durchs Haus, ins kleine Ladenlokal, das sein Vater seinerzeit zur Nikolaigasse hinaus eingerichtet hatte. Dann war es totenstill. Die Geräusche der Gasse hallten nicht bis hier herunter. Ignatius brauchte noch ein, zwei Momente, bis er von der Gewissheit beseelt war, die Stadtdiener seien verschwunden.
Er hastete hinüber in den angrenzenden Raum, ging vor der Hochdruckpresse in die Knie und schaute unter den Drucktisch. „Alles in Ordnung?“, fragte er unter die Tischplatte.
„Ja, aber das Seil schneidet allmählich ein“, kam die Antwort unter dem Tisch hervor.
Ignatius nickte, was sein Sohn nicht sehen konnte, weil er von unten an den Tisch geschnürt war. Der Alte schnitt Matthes vom Tisch ab. Der krabbelte unter der Presse hervor, blieb aber auf dem Boden sitzen. „Ich kann hier nicht bleiben, Vater. Das wird zu gefährlich.“
Ignatius nickte. Er hatte so viele Fragen an seinen Sohn. Er begriff nicht, wie es so weit hatte kommen können, dass man Matthes als Geächteten suchte. „Wieso?“, war das Einzige, was er herausbrachte. Wieso ward ihr so leichtsinnig? Was ist nur in euch gefahren?, wollte er fragen, schüttelte aber den Kopf. Sein Sohn war schon immer der Hitzkopf gewesen, dem die Druckerei zu klein, die Welt aber zu groß war.
Matthes zeigte ein unsicheres Lächeln. „Weil es sein musste, Vater … Ich muss Carolina finden.“
Carolina, das Mädchen, aus dem Anhaltischen. Ignatius hatte in einem von Matthes Briefen von ihr erfahren, wollte sie aber nicht wahrhaben, wollte nicht, dass Matthes mit einer Küchenmagd anbandelte, wo sein Weg für die Bürgerstöchter oder allemal für Gottes Werk geebnet war. Ignatius erwiderte nichts. Es war nicht an der Zeit, seinen Sohn wegen seiner Wahl zu ermahnen. Er nickte nur und rang Matthes das Versprechen ab, achtsam zu sein.
„Es ist vermutlich tagsüber ungefährlicher als nachts“, sagte er und war schon fast aus der Druckerei verschwunden. Und doch drehte sich Matthes noch einmal um. „Ich hoffe, Andres hat es überlebt. Sie haben ihn halb tot geprügelt. Um ihn müssen wir uns sorgen, nicht um mich. Bitte, finde heraus, wie es ihm geht.“
Ignatius nickte. Andres war ihm wie ein Mitglied der Familie, wie ein Sohn, seit er damals gemeinsam mit Matthes die Lateinschule besucht hatte. „Ich schließe ihn in meine Gebete ein, genau wie dich und …“, gib dir einen Ruck, alter Knochen! „… Carolina.“
Matthes zeigte ein Lächeln, kam die wenigen, sie voneinander trennenden Schritte zurück und umarmte seinen Vater fest. Mit flatternder Schaube und tief ins Gesicht gezogenem Barett lief er auf die Gasse. Ignatius blieb zurück und wusste nicht, wann er wieder von seinem Jungen hören würde. Sein Gefühl sagte ihm, dass die Gefahr nicht vorüber war und dass irgendetwas Unheilvolles auf sie alle zurollte. Aber er hätte nicht in Worte fassen können, was es war.