Читать книгу Der Wüstensklave - J. D. Möckli - Страница 7
Kapitel 4: Familienzuwachs
ОглавлениеOhne auf Kai und Ren zu warten, öffnet Jamon die Boxentür und geht langsam hinein. Beruhigend krault er Blacky und schiebt ihn von dem Schatten weg, ehe er sich ins Stroh kniet und die Hand ausstreckt. Nur am Rande nimmt er die leise gesprochenen Worte von Ren wahr, der zu Kai sagt, dass er Blacky festhalten soll. Jamon dreht vorsichtig die offenbar bewusstlose Person im Stroh auf den Rücken und zieht scharf die Luft ein, als er den Bewusstlosen erkennt: »Nino!«, ruft er geschockt aus, als er in das blasse Gesicht sieht.
Mühsam lässt sich Ren neben Jamon ins Stroh sinken und runzelt die Stirn. »Nino? Ist das nicht der Name von Goshos Sklaven?«, möchte er wissen, während er dem Mann die Hand auf die Stirn legt. »Er schwitzt trotz der Kälte und die Haut ist eiskalt. Er muss sofort ins Haus«, stellt Ren voller Sorge fest und steht wieder auf. »Jamon, heb ihn hoch und trag ihn ins Wohnzimmer.«
Ernst nickt Jamon. »Ja, das ist Goshos Sklave«, bestätigt er leise und hebt Nino nun vorsichtig hoch. »Gehen wir rein, bevor er in dieser dünnen Tunika noch erfriert.« Noch immer geschockt verlässt er, gefolgt von Ren, die Box, die Kai hinter ihnen sorgfältig verschließt. So schnell wie möglich eilen sie über den schneebedeckten Hof zur Hintertür, die Ren aufhält, damit Jamon ohne Probleme durchgehen kann.
»Wäre die Küche nicht besser?«, fragt Kai mit einem Blick auf Nino.
»Nein, er darf nicht zu schnell wieder warm werden, sonst fließt das kalte Blut in zu großer Menge wieder zum Herzen und den anderen Organen. Daran könnte er sterben. Darum hoch ins Wohnzimmer, in eine Decke einwickeln und dann den Kamin anfeuern, damit sich der Raum langsam erwärmt«, erklärt Ren ernst.
Unterdessen ist Jamon schon weitergegangen und steigt die Treppe hoch.
»Du bist so erschreckend leicht«, murmelt er leise, als er Nino auf das Sofa sinken lässt und ihn in die Wolldecke einwickelt. Erst danach sieht er zum Kamin, wo sein Sharik schon dabei ist, das Feuer wieder anzufachen. »Er ist nicht weggerannt, sonst würde er das Halsband nicht mehr tragen.«
Leise tritt Kai auf Jamon zu und legt ihm die Hand auf die Schulter. »Aber was macht er dann hier? Ich meine … es ist eiskalt draußen und auch im Stall ist es nicht viel wärmer. Dazu trägt er nur die dünne Sklaventunika.«
Leer schluckend wendet Jamon seine Aufmerksamkeit wieder Nino zu. »Vermutlich hat Gosho ihn verstoßen, was jetzt einem Todesurteil gleichkommt.«
Entsetzt starrt Kai seinen Liebsten an. »Was? Aber wieso denn? Ich meine, wenn er ihn nicht mehr will, dann kann er ihn doch verkaufen?«
Als Jamon das hört, lacht er bitter auf. »Sharik, sieh ihn dir an. Er schwitzt, obwohl er unterkühlt ist. Er leidet an einem Sulaveentzug. In dem Zustand wird ihn kein Händler kaufen. Im Gegenteil, wenn sie ihn übernehmen, dann nur gegen Bezahlung durch Gosho. Dass ein kranker Sklave verstoßen wird, ist leider keine Seltenheit.«
»Dann sollten wir zusehen, dass der Junge wieder gesund wird. Ich werde morgen zu Gosho gehen und ihm ein Angebot machen«, meldet sich nun Ren zu Wort, der kurz zuvor unbemerkt den Raum betreten hat.
Erstaunte Blicke treffen ihn aus zwei Augenpaaren.
»Seht mich nicht so an. Offensichtlich ist er beim Ledergerber nicht mehr willkommen und ein weiteres Maul kriegen wir sicher gestopft.«
Hin und her gerissen beißt sich Jamon auf die Lippen. »Es wird nicht leicht werden. Salave ist nicht günstig und ein kalter Entzug wird uns alle belasten. Darüber müsst ihr euch im Klaren sein.«
»Egal. Großvater hat recht. Nino kann nicht zu Gosho zurück und draußen würde er innerhalb kürzester Zeit erfrieren. Was ist übrigens mit dir los? Du bist doch sonst so hilfsbereit?« Stirnrunzelnd sieht Kai seinen Liebsten verwirrt an, der den Blick senkt und sich auf die Lippen beißt.
»Es ist nichts. Ich wollte es nur gesagt haben. Dann werde ich in der nächsten Zeit wieder zu Yari, bis Ninos Schicksal entschieden ist.« Widerwillig gesteht er sich ein, dass sein Sharik recht hat. Er will Nino nicht hier haben. Einen Moment lang schließt er die Augen, ehe er zu Großvater sieht. »Geht schlafen. Ich kümmere mich um Nino. Ich nehme an, dass du heißes Wasser aufgesetzt hast?«
»Ja, der Krug steht auf dem Herd, falls du ihm Tee geben willst. Mehr wird er momentan kaum vertragen, wenn er überhaupt aufwacht.« Mit einem wissenden Blick legt Ren lächelnd die Hand auf Jamons Oberarm. »Ich werde schauen, dass ich morgen alles geklärt kriege, damit du dich nicht zu lange verstellen musst.« Erst als sein Enkel nickt, zieht er die Hand zurück. »Kai, er hat recht. Wir sollten schlafen gehen. Wenn was ist, dann wird Jamon uns schon wecken«, sagt er mit einem leichten Lächeln. »Ich vertraue darauf, mein Junge, und keine falsche Scheu, mich zu wecken, wenn es Probleme gibt. Verstanden?«
Jamon nickt und schiebt die beiden nun resolut aus dem Wohnzimmer. »Los, ab ins Bett, ihr beiden. Ich habe ja schon geschlafen.«
Kai will protestieren, als er aber das entschlossene Gesicht seines Liebsten sieht, verkneift er sich die Worte. Stattdessen legt er ihm die Hand in den Nacken und zieht ihn zu einem Kuss an sich ran. »Schlaf gut und wenn was ist, dann komme uns wecken, Liebster«, raunt er an dessen Lippen, ehe er sich widerwillig umdreht und in Richtung Schlafzimmer davongeht.
»Trotzdem eine gute Nacht, mein Junge.« Mit einem besorgten Blick sieht Ren noch einmal zum Sofa, ehe auch er sich umdreht und geht.
Erst als die beiden aus seinem Sichtfeld verschwunden sind, geht Jamon runter in die Küche und bereitet einen frischen Kräutertee zu, der nach seiner Erfahrung Nino wenigstens ein wenig helfen wird. In weiser Voraussicht nimmt er auch noch den Putzeimer mit, als er mit dem Teekrug und zwei Tassen wieder nach oben ins Wohnzimmer geht.
Nachdem er den Eimer neben das Sofa gestellt und den Krug und die Tassen auf dem Tisch platziert hat, legt er noch einmal Holz nach und setzt sich dann auf die Kante des Sofas. Vorsichtig, um Nino nicht zu wecken oder zu erschrecken, legt er ihm die Hand auf die Stirn und bemerkt erleichtert, dass sich die Haut schon nicht mehr ganz so kalt anfühlt, wie noch zuvor. »Das wird schon wieder, Nino«, murmelt er leise und zieht die Hand zurück. Er will gerade aufstehen, als sich die Augen flatternd öffnen und ihn erst verwirrt und dann erschrocken ansehen.
Als Nino sich ruckartig aufsetzen will, drückt ihn Jamon sanft wieder zurück in die Kissen. »Bleib liegen. Keine Angst, du bist hier in Sicherheit.« Obwohl ihm nicht danach zumute ist, lächelt er warm, um Sicherheit zu vermitteln.
Es scheint zu wirken, denn Nino wehrt sich nicht mehr gegen den Griff, sondern legt sich zögernd bequemer hin. Dennoch beobachtet er misstrauisch, wie zwei Tassen mit Tee gefüllt werden. »Du … bist Yari?«
Bei der Frage beißt sich Jamon kurz auf die Lippen. »Ja, ich bin Yari«, bestätigt er leise und hält ihm nun eine der Teetassen hin. »Kannst du allein trinken?«
Langsam streckt Nino die Hände nach der Tasse aus, aber sie zittern so stark, dass der Tee überzuschwappen droht, als er sie umfasst.
Sofort festigt Jamon den Griff und nimmt ihm die Tasse wieder aus der Hand. »Ich helfe dir. Sonst verteilen wir den Tee nur auf dem Boden«, sagt er bewusst sanft und hilft Nino, sich aufzurichten. Er setzt sich so hin, dass er ihn stützen kann, während er ihm die Tasse an die Lippen hält. »Vorsicht, der Tee ist heiß«, warnt er ihn, als Nino gierig trinken möchte.
Sofort wird der Jüngere vorsichtiger und beginnt mit nur kleinen Schlucken zu trinken, obwohl er am Verdursten ist.
Erst als die Tasse leer ist, lehnt sich Nino erschöpft zurück. »Warum?«, fragt er leise, während er sich zitternd in die Decke einkuschelt.
»Was meinst du?«, fragt Jamon zurück und stellt die Tasse auf den niedrigen Sofatisch.
»Warum bist du so freundlich? Und darf ich überhaupt hier sein? Haben deine Besitzer das erlaubt, dass du dich um mich kümmerst?« Ninos Worte werden immer undeutlicher, als er langsam wieder wegdämmert.
Obwohl Jamon das bemerkt, lächelt er leicht. »Du brauchst Hilfe. Und ja, Großvater und Kai haben es nicht nur erlaubt, sondern sie bestehen sogar darauf, dass du hierbleibst«, antwortet er mit leisen Worten. »Und jetzt schlaf, solange du es kannst.« Das meiste hat Nino vermutlich gar nicht mehr gehört, ist er doch schon kurz nach seiner Frage eingeschlafen.
Mit einem tiefen Seufzen setzt sich Jamon mit seinem Tee in den Sessel und macht es sich gemütlich.
Jamon schreckt aus seinem leichten Schlummer hoch, als er ein leises Stöhnen hört. Schlagartig hellwach springt er auf und beugt Nino über den Eimer, als dieser sich auch schon krampfend übergibt. Obwohl sein Magen offensichtlich leer ist, würgt er immer wieder und spuckt Galle und Magensäure in den Eimer, bis er sich schließlich schwer atmend erst etwas aufrichtet und dann mit Jamons Hilfe wieder hinlegt. »Tut mir leid«, murmelt er kraftlos und mit geschlossenen Augen.
Den Eimer zur Seite stellend, schüttelt Jamon den Kopf. »Du musst dich nicht entschuldigen. Du bist immer noch unterkühlt und leidest außerdem an Entzugserscheinungen. Wie lange hast du schon kein Sulave mehr bekommen?« Fürsorglich deckt er Nino wieder zu, der beschämt den Kopf zur Seite dreht.
»Vor fünf Tagen war ich … bei einer Sklavenparty, da hat mir mein Meister Sulave gespritzt. Normalerweise … geht es mir dann nur ein … oder zwei Tage lang schlecht, aber diesmal wollte … es nicht aufhören. Er hat mich … davongejagt und da ich gehört habe, dass die Mutsuos Sklaven gut behandeln, bin ich … hierher gekommen. Aber ich habe es dann nicht gewagt zu klopfen, weil … ich bin doch nur ein Sklave und es war schon spät … und darum habe ich mich in die Box gelegt.«
Nur stockend kann Nino sprechen und fängt schließlich an zu schluchzen. Als er starke Arme um sich spürt, verspannt er sich, doch dann merkt er, dass es nur Trost ist, der ihm angeboten wird. So lässt er sich fallen und lehnt sich an die starke Brust. Immer wieder wird er von Schluchzern durchgeschüttelt, während er seine Hände in den Stoff krallt und das Gesicht in dem Oberteil vergräbt.
Trotz seines Widerwillens, wegen des engen Körperkontaktes, hält Jamon Nino fest mit den Armen umschlungen. Dabei wiegt er ihn wie ein Kind leicht hin und her. Bewusst sagt er nichts, hat er doch am eigenen Leib erfahren, dass stummer Trost in solchen Momenten viel besser ist als Worte.
Geduldig wartet er ab, bis sich der Jüngere wieder beruhigt hat und sich von selbst von ihm löst. »Du bist hier sicher. Großvater und Kai werden dir helfen. Nun versuch wieder zu schlafen. Wenn es dein Magen am Morgen mitmacht, kannst du etwas Brot oder so essen.«
»Du nennst einen deiner Meister Großvater? Ist er darüber nicht böse?«, fragt Nino verunsichert, als er sich langsam wieder hinlegt und die Decke bis zum Kinn hochzieht.«
»Er hat es mir sogar angeboten. Jetzt versuch wieder zu schlafen. Dein Körper braucht die Ruhe, damit er gesund werden kann.« Er will schon aufstehen, als eine kalte und zugleich schweißnasse Hand seinen Arm umfasst. »Bitte bleib.« Mit einem flehenden Blick sieht Nino ihn an.
Lächelnd streicht Jamon sanft mit den Fingerspitzen über dessen Stirn. »Keine Sorge, ich setze mich nur wieder in den Sessel. Ich gehe nicht weg.« Vorsichtig löst er sich aus dem Griff und setzt sich wieder auf seinen vorherigen Platz. »Wenn die Sonne aufgegangen ist, werde ich in den Stall müssen, um die Pferde zu versorgen, aber bis dahin werde ich hierbleiben.«
Nino nickt zögernd. Obwohl es im Raum warm ist, zittert er vor Kälte und zieht sich die Decke noch enger um die Schultern.
Müde schließt Jamon die Augen, als er bemerkt, dass Nino wieder eingeschlafen ist.
Er weiß nicht, wie lange er gedöst hat, als er eine Hand auf seiner Schulter spürt. Leicht zusammenzuckend öffnet er die Augen und sieht ihn Rens lächelndes Gesicht.
»Ich übernehme jetzt. Der Kleine hat Fieber, ich passe auf ihn auf, bis du wieder da bist.« Als er den besorgten Blick seines Enkels sieht, der zum Sofa wandert, drückt er die Schulter noch ein bisschen fester. »Keine Sorge, er schläft tief und fest und das ist auch gut so. So bemerkt er den Entzug nicht so stark und sein Körper kann sich besser erholen.«
Zwar immer noch besorgt, aber doch erleichtert, nickt Jamon. »Gut. Er wird ein paar Wochen schwer zu kämpfen haben. Er scheint Sulave ja wirklich regelmäßig bekommen zu haben.« Langsam steht er auf und streckt den Rücken durch. »Dann gehe ich schnell zu den Pferden. Soll ich nachher noch das Frühstück machen?«
Lächelnd schüttelt Ren den Kopf. »Danke, aber das ist nicht nötig. Kai kann sich darum kümmern. Er sollte ja auch gleich aufstehen.«
»Gut. Danke, Großvater.« Kurz zieht Jamon den alten Mann in eine lockere Umarmung, ehe er aus dem Wohnzimmer eilt.
Als er weg ist, geht Ren zum Kamin und legt noch einmal Holz nach. Nachdenklich blickt er in die Flammen, als er vom Sofa ein Geräusch hört. Langsam dreht er sich um und lächelt beruhigend, als er das verschreckte Gesicht von Nino sieht. »Guten Morgen, Junge. Keine Angst, ich tue dir nichts.« Bewusst ruhig spricht er die Worte aus und setzt sich auf den Sessel. »Ich heiße Ren. Und du bist Nino, richtig?« Geduldig wartet er darauf, dass das Häuflein Elend vor ihm sich entspannt und zögernd nickt. »Wie lange warst du gestern im Stall? Du warst eiskalt, als wir dich gefunden haben.«
Unsicher beißt sich Nino auf die Lippen und verkriecht sich zitternd unter der Decke. »Ich weiß nicht. Meister Gosho hat mich nach Sonnenuntergang aus dem Haus gejagt, nachdem er mit einem neuen Sklaven wiedergekommen ist.« Er spricht so leise, dass er kaum zu verstehen ist. »Irgendwann habe ich den Weg hierher gefunden und mich in der Box versteckt. Ich habe gehört, dass Sie gut zu Sklaven sind.« Mit jedem Wort verkriecht sich Nino noch weiter unter der Decke.
»Verstehe. Möchtest du denn hierbleiben, wenn du wieder gesund bist?«, fragt Ren mit möglichst sanfter Stimme. Als er sieht, wie sich die schwarzen Haare, die er als Einziges noch sehen kann, bewegen und er so ein Nicken erahnt, reibt er sich nachdenklich das Kinn. »Gut, das sollte möglich sein. Ich mache mich nach dem Frühstück auf den Weg zum Ledergerber und rede mit ihm. Da er dich ja offensichtlich loswerden wollte, sollte es ja kein Problem sein, dass er dich uns überlässt.«
Ungläubig wagt es Nino, ein wenig unter der Decke hervorzukommen. »Ihr werft mich nicht raus?«
»Du darfst bleiben. Wir werden zwar etwas zusammenrücken müssen, aber das geht schon.« Langsam beugt er sich vor und legt die Hand auf Ninos Stirn. »Du hast Fieber. Vermutlich hast du dir gestern in der Kälte was eingefangen. Ich mache dir noch einen Tee und eine Brotsuppe.« Natürlich hat er bemerkt, dass Nino zusammengezuckt ist, als er ihn berührt hat. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, zieht Ren die Hand zurück und steht auf. »Ich bin gleich wieder da.« Unter den aufmerksamen Blicken Ninos verlässt er das Wohnzimmer und geht nach unten in die Küche, wo Kai schon den Tisch deckt.
Dieser blickt sofort hoch und mustert Ren aufmerksam. »Guten Morgen, Großvater. Wie geht es unserem Gast?«
»Er hat sich wohl etwas eingefangen, wenn das Fieber nicht vom Entzug kommt. Psychisch ist er wohl besser dran, als Jamon damals, aber er wird trotzdem Zeit brauchen, bis er sich erholt hat.«
Ernst nickt Kai und beobachtet seinen Großvater, wie dieser einen großen Topf auf den Herd stellt und die Zutaten für eine Brotsuppe aus dem Vorratsraum holt. »Warum hast du ihn allein gelassen? Sollte nicht immer jemand bei ihm sein?«
Tief seufzt Ren auf. »Eigentlich schon, aber ich hatte das Gefühl, dass er sich wohler fühlen würde, wenn ich ihn allein lasse.«
Leicht runzelt Kai die Stirn. »Willst du heute wirklich zum Ledergerber gehen? Ich meine, es schneit wie verrückt und morgen ist doch auch noch Zeit dafür.«
»Gosho hat Nino zwar aus dem Haus gejagt, aber wenn er nun zu den Behörden geht, dann kann er ihn als entlaufen melden und dann wird Nino zum Freiwild und kann froh sein, wenn sie ihn nicht direkt umbringen, sondern zu Gosho zurückbringen. Und auch das wäre über kurz oder lang sein Todesurteil«, beantwortet Jamon die Frage, als er die Küche betritt. »Im Prinzip geht es nun darum, dass wir schneller sind als Gosho – der kann erst morgen zu den Behörden gehen.«
Kai starrt seinen Liebsten ungläubig an. »Aber warum sollte er das tun? Er hat Nino doch in die Kälte gejagt, damit dieser erfriert.«
Bitter lacht Jamon auf. »Wenn Nino getötet oder tot aufgefunden wird, dann bekommt Gosho eine Entschädigung für den Verlust seines Sklaven.«
Sprachlos lässt sich Kai auf den Stuhl sinken. »Das ist einfach unglaublich. Wie kann man nur so skrupellos sein?«, keucht er geschockt.
»Du glaubst nicht, wie viele so sind, wenn ihre Sklaven nicht mehr an einen Händler verkäuflich sind, sie die aber loswerden wollen. Immerhin beträgt die Entschädigung fünf Silbermünzen.«
Mit großen Augen sieht Kai seinen Liebsten an und schüttelt dann den Kopf. »Unglaublich. Aber gut, dann begleite Großvater bitte zu Gosho. Ich will ihn nicht allein losziehen lassen.«
Leicht legt Jamon nun die Hand auf die Schulter seines Shariks. »Ich hatte nichts anderes vor, also mach dir keine Sorgen.«
Leise schnaubt Ren. »Aber dann wirst du ab und zu nach Nino schauen müssen, bis wir wieder da sind.« Er nimmt den Teekrug vom Herd und füllt alle Tassen auf. »Jetzt wird aber erst einmal gefrühstückt.« Streng sieht er seine beiden Enkel an, die synchron nicken.
»Ja, Großvater«, erwidern sie gleichzeitig.
Nachdem sich alle hingesetzt haben, beginnen sie hungrig zu essen, und Jamon gönnt sich gleich zwei Tassen heißen Tee, um sich nach seiner Arbeit im Stall wieder ein wenig aufzuwärmen.
»Wann willst du denn los?«, möchte Kai zwischen zwei Brötchen wissen, während er nach der Marmelade greift.
»Sobald die Suppe fertig ist und ich Nino eine Schale davon hochgebracht habe. Ich schätze mal, direkt nachdem wir die Küche aufgeräumt haben.«
»Du meinst, nachdem Kai und ich die Küche aufgeräumt haben«, korrigiert Jamon breit grinsend und als Ren ihn unschuldig ansieht, lacht er laut auf. »Versuch es gar nicht erst. Ich kenne dich inzwischen gut genug, um dich zu durchschauen.«
»Erwischt. Ich will sichergehen, dass Nino etwas isst, aber auch nicht zu spät losgehen.«
»Alles klar, Großvater«, lacht nun auch Kai, ehe er einen herzhaften Bissen von seinem Brötchen nimmt.
Nach dem Frühstück kontrolliert Ren die Suppe und probiert sie zur Sicherheit, bevor er eine Schale füllt und diese mit einem frischen Krug Tee nach oben zu Nino bringt.
Als er das Wohnzimmer betritt, springt Nino erschrocken vom Kamin weg, wo er gerade ein neues Holzscheit ins Feuer geworfen hat. »Tut … tut … mir leid. Ich … mir war kalt und ich … wollte …«, stottert er los, bricht aber ab, als Ren lächelnd den Kopf schüttelt.
»Du musst dich nicht entschuldigen, mein Junge. Wenn dir kalt ist, dann fache das Feuer ruhig an«, erklärt er sanft und stellt den Teekrug sowie die Suppenschale auf den niedrigen Tisch. »Nun iss und trink erst mal etwas. Oder musst du erst ins Bad?«
Sich die Lippen leckend, blickt Nino auf die Suppe. Er zögert. »Ich müsste mal aufs Klo«, gibt er kaum hörbar zu, woraufhin Ren sich lächelnd umwendet. »Dann komm mit. Ich zeige dir das Bad.«
Langsam, damit Nino ihm gut folgen kann, geht Ren nach unten und öffnet für ihn die Badezimmertür. »Wenn du im Bad bist, dann drehe das Schild auf Rot. Dann stört dich niemand aus Versehen«, erklärt er und dreht das Schild um. »Ich gehe mal schauen, ob wir für dich noch eine Zahnbürste haben. Komm nachher einfach wieder hoch ins Wohnzimmer und fang ruhig auch schon an zu essen, wenn ich noch nicht da sein sollte. Verstanden?«
Unsicher nickt Nino und geht ins Badezimmer. Dort sieht er sich mit großen Augen um und kann es nicht glauben, dass er das gleiche Bad wie die Mutsuos benutzen darf. Nervös und immer darauf gefasst, dass die Tür aufgerissen und er bestraft wird, setzt er sich auf die Toilette.
Während Nino im Bad ist, geht Ren in den Vorratsraum und schaut nach, was er noch so da hat. Er findet tatsächlich eine Zahnbürste und eine kleine Schale mit Zahnpasta. Nur Kamm und Rasierzeug fehlen, aber das kann er ja beim nächsten Einkauf besorgen.
Mit den Sachen geht er zurück zum Bad und wartet darauf, dass Nino rauskommt.
Als dieser die Tür öffnet, zuckt er zusammen und duckt sich instinktiv, in Erwartung einer Bestrafung, weil er zu lange gebraucht hat. Doch dann tauchen in seinem Blickfeld die Zahnbürste und das Döschen mit Zahnpasta auf. Verwirrt hebt er den Blick, greift aber nicht nach den Sachen.
»Wenn du die Sachen jetzt nicht nehmen willst, dann lege ich sie in das Spiegelschränkchen über dem Waschbecken«, sagt Ren mit besonders sanfter Stimme, um Nino nicht noch mehr zu verängstigen. Dennoch macht dieser überhaupt keine Anstalten, ihm die Sachen abzunehmen. Leise seufzt Ren auf. »Geh schon mal nach oben und iss deine Suppe. Ich lege die Sachen in dein zukünftiges Fach.« Besorgt blickt er Nino nach, als dieser unsicher zur Treppe geht. Immer wieder scheinen dem Jungen die Beine versagen zu wollen.
Erst, als er sich sicher ist, dass Nino die Treppe sicher geschafft hat, geht er ins Badezimmer und räumt das Spiegelschränkchen so um, dass er nun fünf Fächer zur Verfügung hat, und beschriftet eins mit dem Namen Nino. »Wer hätte gedacht, dass ich das so schnell noch einmal machen muss«, murmelt er vor sich hin, als er die Türen des Schränkchens wieder schließt.
Unsicher sitzt Nino mit der Suppenschüssel auf dem Sofa und isst zögernd. Nervös blickt er zu Ren, der langsam auf ihn zu kommt und sich in den Sessel setzt. Leer schluckend sieht er auf seine Suppenschüssel und weiß nicht, ob er weiteressen darf.
»Iss ruhig. Ich gehe mit Jamon gleich los, um dich von Gosho wegzukaufen«, erklärt Ren leise, beißt sich dann aber auf die Lippen, als er den verwirrten Blick von Nino sieht. »Yari heißt eigentlich Jamon. Wir nennen ihn nur noch in der Öffentlichkeit Yari«, erklärt er.
»Verstehe«, murmelt Nino, obwohl er es nicht wirklich versteht, und wagt es langsam wieder zu essen, hört aber sofort auf und springt auf, als sich Ren erhebt.
»Setz dich wieder hin. Ich gehe jetzt mit Jamon zu deinem Besitzer. Wenn etwas sein sollte, dann zögere nicht, Kai um Hilfe zu bitten.« Lächelnd sieht er den Jungen an, bevor er das Wohnzimmer verlässt.
Im Flur sieht er noch einmal zu Nino und lächelt erleichtert, als er sieht, dass sich dieser nicht nur wieder hingesetzt hat, sondern auch die Suppe isst.
Schnell geht Ren in sein Zimmer und zieht sich noch einen zweiten Pullover an, ehe er nach unten geht, wo Jamon schon auf ihn wartet. »Ich komme gleich, ich muss nur noch ein paar Münzen aus dem …«
»Nicht nötig. Kai hat mir schon einen Beutel mit dreißig Silbermünzen und euren Wappenstempel gegeben«, fällt ihm Jamon ins Wort und deutet auf die Tasche in seiner Hand. »Wir können also los.«
Erstaunt hebt Ren eine Augenbraue. »Na wenn das so ist, dann ab in die Kälte.« Schon bei dem Gedanken fröstelnd, geht Ren zur Tür und nimmt dort die dicke Winterjacke vom Haken. Nachdem er sich auch noch eine Mütze, Schal und Handschuhe angezogen hat, sieht er zu dem ebenso warm eingepackten Jamon, der ihm leicht zunickt.
»Gehen wir«, meint dieser.
Gemeinsam treten sie durch die Hintertür und ziehen trotz der Mützen die Köpfe ein, als der kalte Wind sie trifft.
»Immerhin schneit es nicht mehr«, murrt Ren, als sie losstapfen. »So einen kalten Winter hatten wir schon ewig nicht mehr.«
Die Stirn runzelnd sieht Jamon zu Ren rüber. »Das kann ich nicht beurteilen. Aber in den letzten fünf Jahren war es wirklich nicht so kalt«, stimmt er zu und zieht sich den Schal noch mehr über die Nase. Trotz der Kälte fühlt er sich hier draußen gerade sehr wohl und sogar beinahe normal, da durch den Schal niemand das Sklavenhalsband sehen kann.
Schweigend gehen sie durch die menschenleeren Straßen. Nur ab und zu hören sie Stimmen aus den Häusern am Straßenrand, während sie sich langsam dem Viertel nähern, in dem Gosho lebt und arbeitet.
»Irgendwie scheint die Luft heute besser zu sein«, stellt Jamon erstaunt fest, als sie durch das heruntergekommene Viertel gehen und nur ein leichter Gestank in der Luft liegt.
Daraufhin lacht Ren leise auf. »Das ist um diese Jahreszeit immer so. Die meisten Gerber sind jetzt in ihren Häusern außerhalb des Viertels. In der Zeit zwischen den Jahren und in der ersten Woche des neuen Jahres wird hier so gut wie nicht gearbeitet.«
»Hmmm. Werden wir den Kerl dann überhaupt hier antreffen?« Besorgt, dass sie umsonst hergelaufen sind, sieht er zu seinem Großvater.
»Wir werden ihn antreffen. Er macht sich nichts aus der Zeit und arbeitet durch. Das hat er von seinem Lehrmeister damals übernommen, als er die Gerberei von ihm geerbt hat.«
»Verstehe, dann bereite ich mich mal vor«, murmelt Jamon und zieht Mütze und Handschuhe aus. Obwohl es ihm sofort kalt wird, zieht er auch den Schal aus und stopft alles in die Tasche. Zur Sicherheit legt er den Beutel mit den Münzen und den Wappenstempel oben drauf, ehe er den Deckel wieder umklappt. Den Kopf einziehend geht er nun ein paar Schritte hinter Ren her, der sich nicht anmerken lässt, dass es ihm überhaupt nicht gefällt, dass sein Enkel nun noch mehr der Winterkälte ausgesetzt ist.
Je mehr sie sich Goshos Gerberei nähern, desto intensiver wird der Gestank nach Harnstoff, was sowohl Ren als auch Jamon leicht die Nase rümpfen lässt.
Schließlich kommen sie vor dem Haus an, aus dessen Kamin eine helle Rauchwolke steigt und vor dem ein nur leicht bekleideter junger Sklave sitzt und das Leder mit einem Schaber bearbeitet.
Als Jamon das sieht, verfinstert sich sein Blick. »Er könnte ihm wenigstens eine Jacke geben oder ein Feuer«, murrt er tonlos, senkt aber sofort den Blick, als Gosho aus der Tür tritt.
»De’ alt’ Mutsuo. Was führt dich de’ her?«, ruft dieser aus und kommt breit grinsend auf sie zu. Als er vor Ren steht, ergreift er dessen Hand und schüttelt sie heftig.
»Ledergerber Gosho. Es freut mich, dich bei guter Gesundheit anzutreffen.« Freundlich, aber dennoch reserviert lächelnd zieht Ren seine Hand zurück. »Mich führt etwas Geschäftliches hierher«, erklärt er und nimmt den Beutel mit den Münzen aus der Tasche, die über Jamons Schulter hängt.
»G’schäftlich’s? Was könnt’ de’ das sein?« Verwirrt aber doch mit einem Blitzen in den Augen sieht Gosho auf den Beutel in Rens Hand. »Woll’n wir reingeh’? Da is’ es wärmer.«
Ren zögert kurz. »Gut, aber Yari kommt mit rein. Er trägt immerhin die Tasche.«
Erst jetzt sieht Gosho zu dem Sklaven neben dem alten Mann. »Ach, de Sklav’ hab i’ gar nicht’ b’merkt. Gut, wenn du unb’dingt willst, kann er mit rein komm‘n.« Mit diesen Worten dreht er sich um und geht zurück zum Haus. Als er an dem Sklaven vorbeigeht, duckt sich dieser mehr über seine Arbeit, dennoch schlägt ihm der Ledergerber auf den Kopf und fährt ihn an, dass er gefälligst schneller arbeiten soll.
Nur mit Mühe kann sich Jamon zurückhalten, als er das sieht. Er kann deutlich das Zittern des Jungen erkennen, das von der Kälte und der Angst vor Gosho kommt. Zu gern würde er ihm wenigstens den Schal geben, aber das Wissen, dass dieser nicht lange in dessen Besitz sein und er dafür noch bestraft werden würde, hält ihn davon ab.
Mit gesenktem Kopf folgt er Ren in das relativ warme Innere des Hauses und muss sich zusammenreißen, nicht zu würgen, als ihn der Gestank der Gerbflüssigkeiten beinahe erschlägt. Ohne den Kopf zu heben, schielt er zu Ren. Dieser sieht mit ausdrucksloser Miene nach vorn, während sie Gosho in einen angrenzenden Raum folgen, der wohl einst eine Küche gewesen ist, nun aber eher einem schmutzigen Abstellraum mit einer Feuerstelle gleicht.
»So, was kann i’ für di’ mache’?«, fragt Gosho, als er sich auf einen wackligen Stuhl setzt und mit der linken Hand auf einen anderen Stuhl deutet.
Ren lässt sich nicht anmerken, dass er lieber stehen bleiben würde, als er sich hinsetzt. Er mustert Gosho genau. »Ich will dir deinen Sklaven Nino abkaufen.« Er kommt gleich zur Sache und scheint Gosho damit überrumpelt zu haben, denn der starrt ihn eine ganze Weile lang nur an.
»Nino ist weg. Er ist gestern abg’haun und ich werd’ ihn morg’n bei den Behörd’ melde’.«
Ren grinst. »Nino haben wir gestern Nacht in unserem Stall gefunden und wie ich sehe, hast du ja schon einen neuen Sklaven.«
Schweigend sieht Gosho den alten Mann vor sich an. »Wieso willst de’ Sklav’hab’n? Er ist krank und zu nichts zu gebrauch’n.«
Ren zuckt gespielt gelangweilt mit den Schultern. »Er gefällt mir und da sich Yari hauptsächlich um Kai kümmert, würde ich ihn für mich wollen. Weißt du, Kai hat mir einen Sklaven meiner Wahl geschenkt und wollte mich nächsten Samstag zum Sklavenmarkt begleiten.« Ohne mit der Wimper zu zucken erzählt Ren die Lüge. »Also, da du Nino offensichtlich nicht mehr brauchst, wie viel willst du für ihn?«
Mit zusammengekniffenen Augen mustert Gosho Ren. »Ich hätt’ nie ‘dacht, dass du mal’n Sklav’ willst«, meint er nachdenklich. »Ich will für de’ Nino fünfzehn Silbermünz’ hab’n.«
Bei dem Preis schüttelt Ren nur den Kopf. »Du würdest von den Behörden fünf Silbermünzen bekommen, wenn sie ihn tot auffinden und in dem Zustand wird dir kein Händler den Sklaven abkaufen.« Ernst sieht er den Ledergerber an. »Ich biete dir die fünf Silbermünzen an. Dafür hast du keine Rennerei zu den Behörden, wenn wir gleich hier alles erledigen. Das Überschreiben des Sklaven auf mich übernehme ich morgen auch gleich.«
Trotz des doch guten Angebots schüttelt Gosho den Kopf. »Nein. De Sklav’ is’ mehr wert. Du kriegst ihn für zehn Silbermünz’.«
Laut lacht Ren auf. »Vergiss es. Du hast selbst gesagt, dass Nino krank und zu nichts zu gebrauchen ist. Ich gehe auf sieben Silbermünzen hoch, aber dafür will ich direkt hier ein neues Lederhalsband für ihn haben. Ich weiß, dass du welche herstellst.«
Mit sich ringend beißt sich Gosho auf die Lippen. »Acht Silbermünz’. Keine Münz’ weniger.«
Nachdenklich reibt sich Ren das Kinn. »Na gut. Hol die Papiere und das Lederhalsband. Ich habe den Wappenstempel hier.«
Leise murrend steht Gosho auf. »Wart’ hier. I’ bi’ gleich z’rück’.«
Als Gosho weg ist, lehnt sich Ren zurück. »Das ging leichter als gedacht. Jetzt noch schnell alles erledigen und dann ab an die frische Luft«, raunt er Jamon zu, der blass hinter ihm steht und nickt.
»Ja, so langsam wird mir wirklich schlecht«, antwortet er leise.
Da kommt Gosho schon mit einer Mappe und einem braunen Lederhalsband zurück. »Ich hab nur’n braun’s Halsband.« Er legt die Papiere auf den Tisch und sieht Ren auffordernd an.
Dieser nimmt nun den Wappenstempel aus der Tasche und überreicht ihn Gosho. »Zähl du die Silbermünz’ ab. I’ mach des Halsband fertig.«
»Als ob das so schwer zu zählen wäre«, murrt Jamon tonlos, während Ren die acht Münzen auf den Tisch legt und die Papiere an sich nimmt.
Kurz darauf kommt Gosho mit dem frisch gebrannten Lederhalsband zurück und legt es mit dem Wappenstempel vor Ren hin. »So, de’ Nino g’hört jetz’ dir. Prügel in reg’lmäss’g, sonst hat er kei’ Respekt.«
Ohne sich seine Gedanken anmerken zu lassen, steht Ren auf und nimmt das Lederhalsband an sich. »Danke, Gosho. Es ist wie immer ein Vergnügen gewesen, mit dir ein Geschäft zu machen.«
»Ich bi’ de’ Nichtsnutz los. Ich wünsch der viel Spaß mit ihm«, erwidert dieser nur und führt die beiden wieder nach draußen.
Nachdem sich Ren von ihm mit einem Handschlag verabschiedet hat, gibt er Jamon ein Zeichen und sie machen sich auf den Rückweg.
Tief zieht Jamon die deutlich frischere Luft ein. Obwohl sie auch hier draußen noch deutlich nach den Gerbstoffen riecht, kommt sie ihm nach dem Gestank in Goshos Haus unglaublich rein vor.
»Die Gerber nehmen den Geruch schon gar nicht mehr wirklich wahr. Sie sind ihn gewohnt«, erklärt Ren, während sie an den Häusern vorbeilaufen.
»Kaum zu glauben. Ich dachte, ich ersticke da drin«, murrt Jamon und holt den Schal aus der Tasche. Eilig schlingt er ihn um seinen Hals und zieht sich dann noch die Mütze und die Handschuhe an.
Von nun an schweigend, gehen sie durch die nur minimal belebteren Straßen. Kaum einer wagt sich heute aus dem Haus, obwohl die Sonne inzwischen kalt vom Himmel scheint.
Endlich haben sie es geschafft. Unter dem lauten Wiehern von Rocky und Blacky betreten sie den Hinterhof.
»Was meinst du? Sollten wir für Nino eine Liege in die Küche stellen?«, schlägt Jamon nachdenklich vor. »Dann hat er es schön warm und muss nicht die Treppe runter, um ins Bad zu kommen. Außerdem sparen wir dann Feuerholz.«
»Das wäre unfair. Du hast dein eigenes Zimmer und Nino soll in der Küche schlafen? Ich werde das kleine Zimmer neben meinem Schlafzimmer ausräumen, dann kann er da schlafen.«
»Ich meine nur. Seine Entzugserscheinungen werden sicher noch schlimmer werden und dann könnte es sein, dass er mit der Treppe Probleme bekommt. Außerdem wird er sicher Schüttelfrost bekommen und über die Wärme in der Küche froh sein.«
»Verstehe. Dann machen wir es so, bis er den schlimmsten Entzug hinter sich hat. Bereitest du alles vor und hilfst mir dann beim Ausräumen des Nebenzimmers?«
»Natürlich. Ich habe auf dem Dachboden eine alte Liege gefunden, die hole ich runter. Außerdem brauche ich mein Bett ja nicht mehr. Ich werde es Nino überlassen.«
»Danke. Es wird sich einiges ändern.« Leicht lächelnd sieht Ren zu seinem Enkel, als er die Hintertür öffnet und sie das Haus betreten.
»Sharik, wir sind wieder da!«, ruft Jamon laut, als er die Jacke und die Schuhe auszieht.
»So schnell?«, ertönt es aus dem Lager. Kai streckt den Kopf heraus. »Ihr wart doch nur zwei Stunden weg. Gabs Probleme?«
»Nein, Nino gehört jetzt uns. Oder besser gesagt: mir. Gosho hat schon einen neuen Sklaven und schien nicht böse zu sein, ihn loszuwerden.«
Erleichtert atmet Kai auf. »Gut. Ich hatte schon befürchtet, dass er Probleme machen könnte. Musstest du hart verhandeln?«
Grinsend schüttelt Ren den Kopf. »Nein, da er sich mit seinen eigenen Worten ein Eigentor geschossen hat, konnte ich ihn ohne Probleme auf acht Silbermünzen inklusive Halsband runterhandeln. Die Papiere habe ich auch bekommen und werde ihn morgen gleich bei den Behörden auf unseren Namen ummelden. Nicht dass Gosho doch noch auf dumme Gedanken kommt und ihn als entlaufen meldet.«
»Das wird besser sein. Aber ich werde zu den Behörden gehen. Ich will nicht, dass du dich überanstrengst, indem du morgen schon wieder durch den Schnee und die Kälte läufst. Es reicht mir schon, dass ich dich nicht davon abhalten kann, zum Markt zu gehen.«
Ren öffnet schon den Mund, um etwas zu sagen, als Jamon ihm die Hand auf die Schulter legt. »Kai hat recht. Er sollte das erledigen, damit du dich erholen kannst.«
Murrend verschränkt der alte Mann die Arme. »Jaja … ich bleibe morgen zu Hause. Aber du gehst gleich nach Sonnenaufgang los, mein Junge.« Streng sieht er Kai an, der seufzend die Augen verdreht und dann nickt.
»Ja, ich gehe dann gleich los. Zur Not auch vor dem Frühstück.«
»Braver Junge«, neckt Ren seinen Enkel und drückt ihm die Papiere in die Hand. »Hier, mach dich mal schlau, auf was wir uns bei Nino einstellen müssen. Ich gehe jetzt zu ihm hoch und gebe ihm das neue Sklavenhalsband.« Die beiden Jungs zurücklassend geht Ren die Treppe nach oben.
Als er das Wohnzimmer betritt, springt Nino vom Sofa auf, muss sich dann aber gleich festhalten, weil er das Gleichgewicht zu verlieren droht. »Meister Ren, ich … tut mir leid, dass ich nicht unten bin und mitarbeite. Ich …«
Lächelnd hebt Ren die Hand. »Niemand hat von dir verlangt, dass du schon mitarbeitest. Werde erst mal gesund und dann sehen wir weiter.« Bewusst hat Ren mit sanfter Stimme gesprochen. Erst als sich Nino etwas entspannt, geht er auf ihn zu und hält ihm das neue Sklavenhalsband hin. »Hier, du gehörst ab heute uns«, sagt er lächelnd und wartet geduldig ab, bis Nino zögernd das neue Halsband nimmt und es misstrauisch ansieht. »Komm, ich ziehe dir das alte Halsband aus. Das neue musst du im Haus nicht tragen, nur wenn du in den Laden gehst oder das Grundstück verlässt, musst du es anziehen. Jamon trägt es hier im Haus auch nicht.« Vorsichtig öffnet Ren die Schnalle an dem alten Halsband und zieht es ihm aus. »Oh, die Haut ist ganz wund. Also lass das neue Halsband wirklich erst einmal ganz weg.«
»Das würde ich auch sagen. Es ist unsinnig, wenn du das Halsband hier im Haus trägst. Besonders, wenn du dabei Schmerzen hast«, mischt sich Jamon ein, der gerade ins Wohnzimmer kommt. »Großvater, hast du noch eine Decke und ein Kissen übrig? Ich will die Sachen gleich mit der Liege in die Küche schaffen.«
»Ja, schau mal in meinem Schlafzimmer im Schrank nach. Dort solltest du alles finden, was du brauchst.«
Verwirrt sieht Nino von einem zum anderen. Er versteht gerade die Welt nicht mehr.
»Du wirst noch heftigere Entzugserscheinungen bekommen. Mit starkem Schüttelfrost und so. Darum wirst du die erste Zeit in der Küche schlafen, da dies momentan der wärmste Raum im Haus ist und du dann die Treppe nicht benutzen musst. In der Zwischenzeit werden wir dir ein eigenes Zimmer herrichten.«
Vollkommen überfordert nickt Nino und muss sich gleich darauf hinsetzen, da ihm schwarz vor Augen wird.
Fürsorglich legt ihm Jamon die Decke um die Schultern. »Das wird schon wieder. Hier bei den Mutsuos bist du sicher«, sagt er leise und hilft Nino sich hinzulegen, der dann auch sofort wieder einschläft.
»Lassen wir ihn erst mal in Ruhe«, murmelt Ren und verlässt zusammen mit Jamon das Wohnzimmer.