Читать книгу Der Wüstensklave - J. D. Möckli - Страница 5

Kapitel 2: Holzhof und Sommergrippe

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Besorgt blickt Kai zur Küchentür: Yari ist immer noch nicht zum Frühstück aufgetaucht. Noch zögert er jedoch aufzustehen, um nach ihm zu sehen, denn seit sich Yari so extrem von ihm zurückgezogen hat, weiß er nicht mehr, wie er sich ihm gegenüber verhalten soll. Doch so langsam sollte er wirklich auftauchen, immerhin müssen sie später noch zum Holzhof fahren, um ihren Jahresvorrat Feuerholz abzuholen.

Schließlich hält es Kai nicht mehr aus und steht vom Tisch auf. »Ich gehe mal nachsehen, wo Yari bleibt.« Als sein Großvater nickt, verlässt er die Küche und geht zum Stall.

Als er bei den Pferden ist, sieht er, dass sie noch gar nicht versorgt worden sind. Noch nicht mal Wasser haben sie, geschweige denn Futter. Eigentlich will er gleich wieder reingehen und nachsehen, wo Yari ist, doch die beiden wiehern so ungeduldig, dass er ins Heulager eilt, wo zum Glück gefüllte Netze hängen. Schnell bringt er sie in die Boxen und füllt auch noch die Wassertröge so weit auf, dass die beiden für den Moment genug zu trinken haben.

Dann rennt er fast schon ins Haus und vergisst sogar, sich die Hände zu waschen.

Außer Atem bleibt er vor Yaris Zimmertür stehen. Nun zögert er, weiß er doch nicht, ob sie abgeschlossen ist. Vorsichtig klopft er an, doch bekommt keine Antwort. Da er sich nicht sicher ist, was er tun soll, drückt er probehalber die Klinke nach unten und die Tür schwingt auf.

Langsam, um Yari nicht aus Versehen zu erschrecken, geht er ins Zimmer. »Yari? Bist du wach?«

Doch nur ein leises Stöhnen ist zu hören. Jede Zurückhaltung fallenlassend eilt Kai nun zum Bett, wo er im Licht des Morgens das bleiche und zugleich glühende Gesicht Yaris sieht. Vorsichtig legt er seine Hand sanft auf die schweißnasse Stirn und zuckt zurück, als er die Hitze spürt.

So schnell er kann rennt er in die Küche.

»Kai, was …«, ruft Ren erschrocken.

»Yari! Er … hat hohes Fieber.« Kais Stimme überschlägt sich beinahe vor Sorge.

Wenn sein Enkel so außer sich ist, dann ist es ernst. Trotzdem versucht Ren, äußerlich ruhig zu bleiben, als er mit Kai im Schlepptau die Treppe hinaufeilt.

An Yaris Bett setzt er sich vorsichtig auf die Matratze. »Yari, ganz ruhig. Ich werde dich jetzt ein wenig untersuchen, hab keine Angst«, spricht er betont sanft und ruhig mit Yari. Als er ihm die Hand auf die Stirn legt, bestätigt sich Kais und sein Verdacht, dass er hohes Fieber hat. Langsam schlägt er die Decke von dem zitternden Körper und schiebt das Pyjamaoberteil nach oben. Vorsichtig tastet er erst den Bauch ab und achtet darauf, ob Yari schmerzhaft zusammenzuckt, was zum Glück nicht passiert. Dann tastet er den Hals ab, was Yari endlich zu sich kommen lässt. Er schlägt die glasig wirkenden Augen auf und sieht die beiden Männer an seinem Bett mit einem Aufflackern von Panik an.

»Ganz ruhig, Yari. Du hast Fieber.« Um den Kranken nicht noch mehr zu beunruhigen, lehnt sich Ren zurück und verschränkt dabei seine Finger ineinander. »Hast du Kopfschmerzen?« Aufmerksam beobachtet er, wie Yari versucht zu sprechen, aber wohl kein Wort herausbringt. »Es reicht, wenn du nickst oder den Kopf leicht schüttelst.« Ren lächelt beruhigend.

Daraufhin nickt Yari langsam.

»Gut. Hast du auch Gliederschmerzen?«

Wieder ein Nicken.

»Ich nehme mal an, dass du auch Halsschmerzen hast.«

Als Yari diesmal nicken will, wird er von einem Hustenanfall durchgeschüttelt, der dann auch noch von einem Niesen begleitet wird.

Sorgfältig zieht Ren die Decke über den zitternden Körper. Ihn weiterhin ansehend, steht er von der Matratze auf. »Musst du eventuell auf die Toilette?« Deutlich kann der alte Mann sehen, wie sich eine zusätzliche Röte auf den glühenden Wangen ausbreitet. »Also ja. Gut, ich bringe dir einen Nachttopf, denn in dem Zustand wirst du die Treppe sicher nicht schaffen.« Bestimmt schiebt Ren seinen Enkel nun aus dem Zimmer und zieht die Tür hinter ihnen zu.

»Großvater, was hat Yari denn?« Besorgt sieht Kai den alten Mann an.

»So wie ich das sehe, hat er eine zünftige Sommergrippe erwischt, was mich ehrlich gesagt nicht überrascht, wenn ich daran denke, wie wenig er in den letzten Tagen geschlafen haben muss und wie gestresst er war.«

Kai weiß nicht, ob ihn das nun beruhigen oder beunruhigen soll, macht er sich doch unglaublich große Sorgen um Yari.

Ren legt ihm die Hände auf die Schultern und sieht ihm fest in die Augen: »Kai, es ist nur eine Grippe. Wenn er Glück hat, hat er sie in einer Woche überstanden. Also mach dir nicht zu viele Sorgen.« Wie eine Puppe dreht er seinen Enkel um und schiebt ihn in Richtung Flur. »Mach ihm jetzt frischen Tee mit viel Honig und bring ihn dann hoch. Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um den Nachttopf und mache ihm dann den guten alten Haferbrei, damit er trotz seiner Halsschmerzen etwas essen kann.«

Kai ergibt sich in sein Schicksal und geht in die Küche, während Ren den alten Nachttopf aus dem Bad holt. Er hofft, dass Yari in seinem Zustand aufstehen kann, sonst weiß er nicht, was er machen soll.

Während sich sein Großvater oben um Yari kümmert, wartet Kai ungeduldig darauf, dass das Wasser beginnt zu kochen. Um sich abzulenken, bereitet er in der Zwischenzeit schon mal alles für den Haferbrei vor.

Noch nie hat es so lange gedauert, bis das Wasser kocht, doch endlich sprudelt es in der Pfanne. Vorsichtig, um sich nicht zu verbrühen, gießt er nun das heiße Wasser in den Krug, bis dieser gut gefüllt ist.

Das mit dem Krug und einer Tasse, sowie einem Glas Honig beladene Tablett balancierend betritt Kai wieder Yaris Zimmer, der schwer atmend daliegt.

»Ah, da bist du ja, mein Junge.« Geschäftig nimmt Ren ihm das Tablett ab und stellt es auf den Tisch. »Kümmere du dich bitte um den Nachttopf, während ich versuche, unseren Patienten zum Trinken zu bewegen.«

Kai ist so froh, dass ihm gesagt wird, was er zu tun hat, dass er nur nickt und mit dem Nachttopf nach unten verschwindet.

Da Ren der Meinung ist, dass der Tee schon genug gezogen hat, füllt er die Tasse bis zur Hälfte und gibt dann eine großzügige Portion Honig in die dampfende Flüssigkeit. Mit der Tasse in der Hand setzt er sich nun neben Yari auf die Matratze, um ihm beim Trinken zu helfen.

Yari fühlt sich einfach nur schrecklich. Nicht nur, dass er vorhin die Hilfe des alten Mannes zulassen musste, obwohl alles in ihm dagegen angeschrien hat, so muss er es jetzt auch zulassen, dass ihm Ren hilft sich aufzurichten und von dem heißen Tee zu trinken.

Erst als die Tasse komplett leer ist, lässt es Ren zu, dass sich Yari wieder hinlegt. Fürsorglich deckt er ihn zu.

Kurzerhand folgt er einer Eingebung und stellt den Stuhl neben das Bett und platziert das Tablett darauf. Er ist gerade dabei, die Tasse neu zu füllen, als Kai mit dem Nachttopf zurückkommt und ihn ans andere Ende des Bettes stellt.

»Danke, Kai«, lächelt er seinen Enkel an. »Und nun gehst du los und kümmerst dich um die Pferde, sodass du dich auf den Weg zum Holzhof machen kannst.«

Kai setzt gleich zum Widerspruch an, wird aber durch die bestimmende Handbewegung seines Großvaters zum Schweigen gebracht. »Wenn du das Holz heute nicht holst, wird es anderen zugesprochen und wir müssen dann später mehr als das Dreifache bezahlen. Du weißt genauso gut wie ich, dass wir uns das nicht leisten können. Ich kümmere mich um Yari, bis du wieder da bist – am besten mit einem Suppenhuhn, damit ich ihm eine gute Brühe kochen kann.« Lächelnd und doch bestimmt, sieht er seinen Enkel an und legt ihm großväterlich die Hand auf die Wange. »Den Laden lasse ich heute ausnahmsweise Mal geschlossen, bis du wieder da bist, also mach dir keine zu großen Sorgen. Und jetzt geh.« Auffordernd drückt er Kais Oberarm, bevor er ihn in Richtung Tür dirigiert.

Mit einem letzten Blick zu Yari lässt sich Kai zur Tür schieben. »Yari …« Nicht wissend was er sagen soll senkt er den Kopf und geht widerstrebend aus dem Zimmer. Natürlich weiß er, dass sein Großvater recht hat, aber das heißt nicht, dass es ihm auch gefallen muss.

Yari hat das Gespräch trotz seiner vierzig Grad Fieber mitbekommen, doch er ist viel zu erschöpft, um jetzt darüber nachzudenken, sodass er schon wieder eingeschlafen ist, als Ren zurück ins Zimmer kommt.

Als der alte Mann sieht, dass Yari schläft, geht er leise wieder raus, lässt aber die Tür offen, um ihn im Notfall auch unten hören zu können.

Es dauert nicht lange, bis Ren den Haferbrei zubereitet hat. Bevor er ihn hochbringt, geht er erst noch in den Laden, wo er mit Kreide auf die schwarze Tafel schreibt, dass dieser heute geschlossen bleibt. Den einen Tag ohne Einnahmen können sie schon verschmerzen. Gleichzeitig nimmt er sich vor, dass er später einen Boten zu Hemingway schicken wird, um ihm zu sagen, dass er morgen doch nicht zu ihrem Treffen kommen kann. Er will die beiden Jungs auf keinen Fall allein lassen.

Als er wieder oben bei Yari ist, stellt er die Schüssel mit dem Haferbrei einfach auf den Stuhl und geht wieder. Er holt sich aus dem Wohnzimmer ein Buch und setzt sich dann in Kais Zimmer an den Schreibtisch. Normalerweise würde er ja jetzt Wadenwickel machen, um das Fieber zu senken, aber solange Yari schläft, will er ihn lieber ihn in Ruhe lassen, damit er kein falsches Bild von der Situation bekommt.

Unterdessen hat Kai die Pferde vor die Kutsche gespannt und fährt schweren Herzens durch das große Tor. Allerdings schlägt er nicht gleich den Weg zum Holzhof ein, sondern fährt erst zu Yusaku.

Gerade als er auf den Hof der Schmiede fährt, tritt sein bester Freund aus dem Haus und winkt ihm lachend zu. »He, Mann, was führt dich denn zu mir?« Heftig klopft er Kai auf die Schulter, als dieser vor ihm steht.

Durch die nicht gerade sanfte Behandlung verzieht Kai schmerzvoll das Gesicht. Manchmal vergisst Yusaku einfach, wie viel Kraft er durch die Arbeit in der Schmiede hat.

»Hallo, Yu.« Demonstrativ reibt sich Kai die schmerzende Schulter. »Ich wollte dich fragen, ob ich Rashids Hilfe beim Holzhof haben könnte.« Gespielt vorwurfsvoll sieht er den Blonden an. »Und das nächste Mal schlag nicht so fest zu, das tut weh.«

Verlegen kratzt sich Yusaku am Hinterkopf. »Entschuldige. Natürlich kann dir Rashid helfen. Aber warum nimmst du denn nicht Yari mit? Ist er etwa immer noch am Rumspinnen?« Natürlich hat ihm Kai von dem seltsamen Verhalten Yaris erzählt. Da er aber nicht alles weiß, sondern nur die Panikattacke von ihm mitbekommen hat, kann er noch weniger als Kai verstehen, was mit ihm los ist.

Vorwurfsvoll blickt Kai seinen alten Freund an. »Yu, du hast keine Ahnung, was Yari alles durchgemacht hat.« Bei dem Gedanken daran wird sein Blick traurig. »Aber deswegen frage ich nicht. Yari hat die Sommergrippe erwischt und liegt mit hohem Fieber im Bett.«

»Dann hoffe ich, dass er bald wieder gesund wird und ihr euch wieder vertragt«, sagt Yusaku nun sanft und legt sanft seine Hand auf Kais Schulter. »Ich sage Rashid Bescheid, dass er dich begleiten soll.« Kais Schulter wieder loslassend, dreht er sich zur Schmiede um.

»Das ist nicht nötig, Meister Yusaku«, ruft Rashid aus der Schmiede tretend. »Ich habe es schon gehört.« Wie immer ist er die Ruhe selbst und zeigt keine einzige Gefühlsregung.

Yusaku seufzt. Er hat ihm schon so oft gesagt, dass er ihn nur Yu oder Yusaku nennen soll, aber immerhin sagt er inzwischen nicht mehr ausschließlich Meister oder Herr. »Na dann bis später.« Grinsend zieht er Kai kurz an sich. »Und du sieh zu, dass du das mit Yari endlich klärst. – So wie du in ihn verknallt bist, ist das nämlich dringend nötig«, flüstert er ihm ins Ohr.

Mit roten Wangen löst sich Kai aus der Umarmung. Wieso muss Yu auch immer alles bemerken? »Ja, bis später, ich setze Rashid dann auf dem Rückweg wieder hier ab.«

Hastig klettert Kai auf den Kutschbock.

»Rashid, komm setz dich neben mich«, bietet er dem großen Mann an, der das Angebot ohne mit der Wimper zu zucken annimmt, auch wenn Kai glaubt, Erstaunen in dessen Augen aufflackern zu sehen.

Kai lässt die Pferde vorsichtig wenden und fährt vom Hof.

Unterwegs sieht sich Rashid aufmerksam um, was Kai schmunzeln lässt.

»Was haben Sie denn, Meister Kai?«

Neugierig blickt er Kai an, der von der direkten Frage überrascht wird, denn das hätte er von dem stillen Mann nicht erwartet. Er braucht einen Moment, bis er die Frage beantworten kann: »Na ja, Yari hat sich am Anfang auch so neugierig umgesehen, als ich das erste Mal mit ihm irgendwohin gefahren bin, das ist alles.« Bei der Erinnerung daran wird ihm erst richtig klar, wie sehr sich Yari in den letzten Monaten doch verändert hat.

Nachdenklich mustert Rashid den Mann neben sich. »Das liegt daran, dass wir Sklaven in der Regel nicht wirklich viel rauskommen und wenn doch, dann haben wir meist genug mit uns selbst zu tun, als auf die Umgebung zu achten«, erklärt er vollkommen ruhig.

Nachdenklich blickt Kai auf die Straße. »Verstehe …«

»Es gibt vieles, was Sie nicht verstehen, Meister Kai.« Vielsagend sieht Rashid Kai an. »Darf ich offen reden?«

Erstaunt nickt Kai.

»Also, ich bin ein Arbeitssklave, was zwar auch ziemlich beschissen ist, aber immer noch besser, als ein Lustsklave zu sein. Diese werden so lange bearbeitet und gebrochen, dass sie keinerlei Gefühle mehr empfinden. Darum ist jeder Sklave froh, wenn er … hässlich ist.« Prüfend sieht er Kai an, der mit blassen Wangen neben ihm sitzt. »Das haben sie bestimmt auch mit Yari versucht, aber offensichtlich haben sie es nicht ganz geschafft.«

Kai wird schwindelig. »Wie meinst du das?«

Nachdenklich beobachtet Rashid die Pferde, die in einem fleißigen Trab die Kutsche ziehen. »Auf dem Sklavenmarkt hat er gelächelt, wie es den Lustsklaven beigebracht wird: Egal was ist, lächle und akzeptiere alles, was mit dir geschieht. Als ich ihn dann aber wiedergesehen habe, war er eine komplett andere Person.«

Verwirrt runzelt Kai die Stirn. Wie will Rashid das erkannt haben? Er kennt Yari doch kaum.

Rashid ahnt, was Kai denkt: »Seine Augen, seine ganze Körperhaltung – alles war anders. Und dann noch sein Verhalten nach der Panikattacke. So wie ich das sehe, lernt er bei Ihnen wieder zu fühlen. Dass er dazu überhaupt noch in der Lage ist, grenzt meiner Meinung nach an ein Wunder.«

Nun wird Kai klar, warum sich Yari immer wieder so widersprüchlich verhält. Es bricht ihm das Herz, doch sie fahren gerade auf den Holzhof und Kai muss sich zusammenreißen.

Vor der großen Lagerhalle lässt er Blacky und Rocky anhalten. Da es hier keine Möglichkeit gibt, die Pferde anzubinden, wickelt er die Zügel um die Querstange vor seinen Füssen und zieht die Handbremse an, damit die beiden nicht einfach so davonlaufen können.

»Rashid, bleib hier beim Wagen. Ich hole dich, sobald ich weiß, wo unser Holz liegt.«

Mit weit ausholenden Schritten geht Kai zum Büro des Verwalters, der ihn wohl schon erwartet hat, denn er kommt ihm entgegen.

»Herr Mutsuo. Es freut mich wie immer, Sie hier begrüßen zu dürfen. Ich sehe, Sie sind diesmal nicht allein gekommen?« Neugierig blickt er auf den großgewachsenen Sklaven, der neben der Kutsche steht.

»Guten Tag, Herr Kino. Es freut mich auch jedes Mal Sie zu sehen«, erwidert Kai mit einem falschen Lächeln die Begrüßung. Er kann den grobschlächtigen Schwarzhaarigen einfach nicht leiden. »Das ist der Sklave eines guten Freundes. Er hat ihn mir heute netterweise überlassen.« Bewusst betont er den Umstand, dass Rashid nicht ihm gehört, da sich die Leute dann interessanterweise eher von den Sklaven fernhalten.

Als Kino ihm endlich gesagt hat, wo sie das Holz finden werden und wieder in sein Büro verschwunden ist, geht Kai zurück zur Kutsche, wo er eilig die Handbremse löst und die Pferde zu dem großen Holzstapel führt.

»Rashid, du reichst mir das Holz hoch und ich staple es auf.«

Mit einem Nicken macht sich Rashid an die Arbeit und sie finden schnell zu einem guten Rhythmus, sodass sie in Rekordzeit den ganzen Stapel auf den Wagen geladen haben.

Mit einem schmerzhaften Aufstöhnen beugt sich Kai nach hinten und drückt dabei seine Hände ins Kreuz. Da schleppt er lieber den ganzen Tag schwere Stoffballen hin und her oder bedient nervige Kunden, als Holz zu stapeln.

»Rashid, führ die Pferde wieder vor das Lagerhaus. Ich gehe unterdessen die Ladung bezahlen und treffe dich dann da«, weist Kai den großen Mann an. Dabei achtet er peinlichst darauf, nicht zu freundlich zu klingen, da sie sowieso schon neugierig beobachtet werden, weil er selbst mit angepackt hat.

Ohne auf eine Bestätigung zu warten geht Kai zum Büro von Kino.

Natürlich wird er schon von Kino erwartet, der sich hinter seinem Schreibtisch aufrichtet und sogar schon das Formular für ihn vorbereitet hat. »Herr Mutsuo, wie ich sehe, sind Sie schon fertig. So ein Sklave ist ja schon was Praktisches. Sie sollten sich überlegen, ob Sie sich nicht einen eigenen Sklaven anschaffen.« Nun grinst der Mann ganz eindeutig dreckig. »Immerhin sind Sklaven nicht nur zum Arbeiten gut, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Bei diesen Worten dreht sich Kai beinahe der Magen um. Wie er es doch hasst, wenn jemand so über diese armen Menschen spricht. Unauffällig schielt er aus dem großen Fenster und sieht erleichtert, dass Rashid in Ruhe gelassen, wenn auch neugierig beäugt wird.

Irgendwie schafft er es, seine Mundwinkel nach oben zu zwingen: »Ich werde es mir überlegen, Herr Kino, aber nun muss ich mich beeilen.« Er schaut auf das Formular, das den gleichen Betrag wie jedes Jahr aufweist: dreihundert Silbermünzen für eine Jahresration Holz, wenn er sie heute abholt.

Nachdem er seine Unterschrift geleistet hat, holt er seinen Stoffbeutel hervor, in dem er die Münzen schon fertig abgezählt aufbewahrt. Zur Not hätte er auch noch einen zweiten dabeigehabt, nur für den Fall, dass sich der Preis seit dem letzten Jahr erhöht haben sollte. »Hier bitte, dreihundert Silbermünzen.« Gut sichtbar zählt Kai die Münzen ab und legt sie dabei in den dafür vorgesehenen Behälter.

Erst dann unterschreibt auch Kino das Formular und hält ihm danach die Hand hin. »Herr Mutsuo, ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt.« Beinahe zu stark drückt er Kais Hand, der den Händedruck aber ohne eine Miene zu verziehen erwidert.

»Danke, Herr Kino. Auf Wiedersehen.«

Erleichtert, dass er nun endlich den Holzhof verlassen kann, geht Kai zur Kutsche, wo er schon von Rashid erwartet wird. »Aufsteigen. Wir fahren nach Hause.«

Mit einem Schnalzen lässt er die Pferde anziehen, die sich wegen des zusätzlichen Gewichts ziemlich ins Geschirr legen müssen. Als sie dann etwas Schwung haben, ziehen sie die große Last deutlich leichter.

Diesmal lässt Kai sie das Tempo bestimmen, indem er die Zügel deutlich lockerer lässt, als bei leerer Ladefläche oder leichterer Ladung. Da Rocky und Blacky das schon kennen, traben sie nach kurzer Zeit an, fallen dann aber von selbst wieder in einen zügigen Schritt, als es ihnen dann doch zu anstrengend wird.

Diesmal schweigen die beiden Männer, da Rashid an Kais Körpersprache deutlich sehen kann, dass dieser jetzt nicht mehr reden möchte.

Am liebsten würde Kai nun direkt nach Hause fahren. Aber zuerst steuert er einen kleinen Laden an, von dem er weiß, dass er dort gute Suppenhühner zu einem annehmbaren Preis kaufen kann.

Vor dem kleinen Geschäft lässt er die Pferde anhalten und drückt Rashid die Zügel in die Hand. »Warte bitte hier, ich muss nur schnell ein Suppenhuhn kaufen und dann fahre ich dich nach Hause.«

Erstaunt blickt Rashid erst auf die Zügel in seiner Hand und dann zu Kai, der mit schnellen Schritten in den Laden geht.

In Rekordzeit kommt Kai mit einem Beutel zurück, den er unter der Sitzbank verstaut, damit er ein wenig vor der Sonne geschützt ist. Dann nimmt er Rashid die Zügel wieder aus den Händen und lässt die Pferde wieder anziehen.

»Entschuldige, dass ich etwas hektisch bin, aber ich will möglichst schnell nach Hause, damit ich nach Yari sehen und Großvater die Hühnerbrühe für ihn machen kann.« Entschuldigend sieht Kai zu Rashid, der erstaunt nickt.

»Kein Problem. Wenn sie wollen kann ich das letzte Stück auch allein laufen, Meister Kai.«

Entschieden schüttelt Kai den Kopf. »Nein, du hast mir geholfen und zum Dank werde ich dich wieder sicher nach Hause fahren.« Zwar muss er sich nun auf die Straße konzentrieren, da inzwischen ziemlich viel los ist, trotzdem kann er kurz zu Rashid rüberschielen. »Weißt du, ich habe oft genug gesehen, dass es auch für Sklaven, die so groß sind wie du, ein richtiger Spießrutenlauf sein kann, wenn sie allein in der Stadt unterwegs sind.« Konzentriert sieht er nun nach vorn und lenkt die Pferde durch die beinahe verstopften Straßen.

Trotz des starken Verkehrs kommen sie gut voran, sodass Kai noch vor der Mittagszeit auf den Hof der Schmiede fährt. Diesmal bleibt er auf dem Kutschbock sitzen, während Rashid runtersteigt.

»Also, Rashid. Ich danke dir ganz herzlich für deine Hilfe. Grüße Yu noch von mir und erkläre ihm bitte, warum ich nicht mit reinkomme.«

»Nichts zu danken, Meister Kai. Ich werde es ihm ausrichten. Und sagen Sie Yari bitte eine gute Besserung von mir.«

Lächelnd sieht Kai den großen Mann an. »Ja, das werde ich machen. Also dann, wir sehen uns.«

Während er den Pferden das Kommando zum Wenden gibt, winkt er Rashid und Yusaku, der gerade aus der Schmiede kommt, zu und fährt dann so schnell wie möglich weiter nach Hause.

Dort angekommen kümmert er sich erst mal um die erschöpften Pferde, schließlich dürfen sie nicht darunter leiden, dass er sich Sorgen um Yari macht. Erst als sie zufrieden ihr Heu fressen und die Wassertröge gefüllt sind, geht er mit dem Suppenhuhn ins Haus. Das Holz lässt er einfach mit einem Öltuch abgedeckt auf der Ladefläche der Kutsche liegen, die er so unter dem Dach geparkt hat, dass sie dort ruhig noch ein paar Tage beladen stehen kann.

Kaum hat er die Tasche in der Küche auf den Tisch gelegt, rennt er schon nach oben, wo er Ren in seinem Zimmer am Tisch sitzen sieht.

»Großvater, wie geht es Yari?« Besorgt blickt er zur offenen Tür.

Erleichtert, dass sein Enkel wieder da ist, schließt Ren sein Buch. »Gut, dass du wieder da bist. Vielleicht kannst du Yari ja dazu bringen, dass er etwas isst oder trinkt und sich Wadenwickel machen lässt.« Ziemlich verzweifelt sieht Ren zu Yaris Zimmer. »Seit du weggegangen bist, lässt er mich nicht mehr an sich ran.«

Verwirrt folgt Kai Rens Blick und hört dann auch gleich einen unterdrückten Aufschrei. Er stürzt in Yaris Zimmer und lässt sich neben dem wild um sich Schlagenden auf die Matratze sinken.

Vorsichtig nimmt er das heiße Gesicht in seine Hände. »Yari, ich bin’s, Kai. Ganz ruhig. Du bist in Sicherheit.«

Zu seinem Erstaunen wird Yari augenblicklich ruhig. Zwar atmet er immer noch schwer, aber ist nun doch deutlich entspannter.

Als Kai seine Hände zurückzieht, öffnet Yari sogar die Augen und sieht ihn ernst an.

Lächelnd erwidert Kai den Blick. »He, du.« Sanft streift er ihm eine der verschwitzten Strähnen aus dem Gesicht. »Hast du Durst?« Bewusst hält er seine Stimme ganz ruhig und sieht Yari die ganze Zeit lächelnd in die Augen.

Nach einer Weile nickt Yari kaum merklich.

»Gut, dann helfe ich dir.«

Mit langsamen Bewegungen gießt Kai Tee in die Tasse und gibt auch eine großzügige Portion Honig in die inzwischen nur noch lauwarme Flüssigkeit. Dann hilft er Yari, sich aufzurichten. Als sich dieser schwer atmend an ihn lehnt, hält er ihm die Tasse an die Lippen.

»Langsam, Yari. Nicht dass du dich noch verschluckst.«

Von der Tür aus sieht Ren kopfschüttelnd zu, wie sich Yari von Kai versorgen lässt.

Schwer atmend lehnt sich Yari mit geschlossenen Augen an Kai und weiß gar nicht wirklich, wie ihm geschieht, denn zum ersten Mal, seit er weiß, was Kai für ihn fühlt, hat er in dessen Gegenwart keine Angst. Im Gegenteil, er spürt eine Ruhe in sich, die einfach nur guttut. Nur entfernt hört er, dass Kai mit seinem Großvater redet.

»Dann mache ich mich mal an die Arbeit, damit Yari heute Abend schon etwas Suppe essen kann«, sagt Ren und von der Tür aus. »Versuch du bitte mal, ob du ihm gegen das Fieber Wadenwickel anlegen und auch dazu bringen kannst, etwas zu essen. Ach ja … seit heute Morgen hat sich Yari nicht mehr erleichtert.« Trotz der ernsten Situation muss er breit grinsen, als er sieht, wie sein Enkel doch tatsächlich errötet.

Mit glühenden Wangen sieht Kai seinem Großvater nach und wendet sich dann wieder Yari zu, der sich immer noch halb sitzend an ihn kuschelt und beinahe wieder eingeschlafen ist.

»Yari, komm, du musst etwas essen, und wenn es nur ein paar Löffel sind.« Sanft streichelt er ihm mit seiner freien Hand über die Wange, bis sich die himmelblauen Augen wieder öffnen.

Mit angewidertem Blick sieht Yari den Haferbrei an, schüttelt matt den Kopf und drückt sein Gesicht wieder in Kais Shirt.

Schmunzelnd sieht Kai ihn an. »Na komm, du musst etwas essen und der Haferbrei von Großvater ist gar nicht so schlecht. Versuch wenigstens einen Löffel«, bittet er Yari sanft aber nachdrücklich.

Widerstrebend dreht Yari seinen Kopf in Richtung der Schüssel. Irgendwie sieht der Brei gar nicht so eklig aus wie der, den er als Sklave jahrelang essen musste. Kai nimmt die Schüssel mit dem Haferbrei vom Stuhl und hält ihm einen gefüllten Löffel so hin, dass Yari nur noch den Mund öffnen muss. Wenn er nicht so schwach wäre, würde er ja massiv dagegen protestieren, aber stattdessen öffnet er ergeben seinen Mund.

Erleichtert, dass Yari nun endlich isst, hält ihm Kai geduldig einen Löffel nach dem anderen hin, bis beinahe die halbe Schüssel geleert ist. Erst dann weigert sich Yari endgültig, noch mehr zu essen.

Damit er die Schüssel sicher wegstellen kann, muss Kai aufstehen. Sanft schiebt er sich hinter Yari hervor, der es murrend zulässt. Da er nun schon steht, kann er ja auch gleich weitermachen: »Also, äh, Yari … musst du mal aufs Klo?« Fragend und zugleich peinlich berührt sieht er ihn an und hofft dabei, dass er um diese Aufgabe herumkommt.

Doch leider nickt Yari, weshalb Kai mit einem ergebenen Seufzen den Nachttopf so hinstellt, dass er ihm nur wieder beim Aufsitzen helfen und ihn dann von hinten stützen muss.

»Entschuldige, ich mache das zum ersten Mal«, gibt Kai leise zu, während er hinter Yari auf dem Bett sitzt und krampfhaft versucht, nicht hinzusehen, als dieser sich erleichtert.

Froh, auch diese peinliche Sache hinter sich gebracht zu haben, hilft Kai ihm anschließend, sich wieder richtig hinzulegen. Dann stellt er den Nachttopf beiseite und holt die Schüssel mit dem Essigwasser, damit er nun die Wadenwickel in Angriff nehmen kann.

Doch als er am Fußende die Decke zurückschlägt, weicht Yari unwillkürlich zurück und beginnt sich erstaunlich kräftig dagegen zu wehren, dass Kai ihn an den Beinen anfasst.

»Yari, bitte! Ich will dir nur Wadenwickel gegen das Fieber machen. Mehr nicht«, versucht er, ihn zu beruhigen. Aber wieder wird seine Hand weggetreten.

»Halt jetzt gefälligst still!«, sagt Kai schließlich genervt.

Schlagartig erlahmt jede Gegenwehr und im gleichen Moment tut es Kai leid, dass er so mit Yari geredet hat.

Nur mit Mühe kann sich Yari dazu zwingen still zu halten, als sich Kai wieder an seinen Beinen zu schaffen macht, schreit doch nun alles in ihm danach, die Hände wegzuschlagen, die die Hosenbeine nach oben schieben und dann kühle Tücher um seine Waden wickeln. Sein rasender Herzschlag beruhigt sich erst, als die Decke wieder seine Füße bedeckt und Kai sich neben ihn auf die Matratze setzt.

»Entschuldige, dass ich dich so angeschnauzt habe, aber die Wadenwickel sind wichtig, damit dein Fieber sinkt.« Entschuldigend lächelt Kai. »Aber das müssen wir nun auch regelmäßig wiederholen. Glaubst du, dass du das aushältst?« Fragend sieht er Yari an, der nach einem Moment des Zögerns schwach nickt.

Kai lächelt zufrieden. »Nun versuch, ein wenig zu schlafen. Ich bin nebenan.«

Er will aufstehen, doch Yari hält ihn fest. »Bleib …«

Sich seine Überraschung und Freude nicht anmerken lassend streicht Kai ihm wieder eine der schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. »Wenn du willst, bleibe ich natürlich, aber ich müsste selbst mal kurz aufs Klo und etwas trinken. Ich komme aber gleich wieder zurück, versprochen.«

Nur widerwillig lässt Yari zu, dass Kai aufsteht. Darauf hoffend, dass Kai wirklich schnell wieder zurückkommt, kämpft er gegen die Müdigkeit an, die ihn in einen von Albträumen geplagten Schlaf zwingen will.

Als er im Bad fertigt und auch der Nachttopf ausgespült ist, geht Kai in die Küche, wo Ren die Hühnersuppe kocht.

»Na? Hast du es geschafft, dass Yari etwas isst und die Wadenwickel zulässt?« Fragend sieht Ren seinen Enkel an, der sich einen Becher mit Wasser füllt.

»Ja, er hat fast die halbe Schüssel leer gegessen und Wadenwickel konnte ich zum Glück auch machen, aber ich muss gleich wieder nach oben, da er nicht allein sein will.« Er bemerkt ein Paket, das vorher nicht da war. Neugierig nimmt er es in die Hand und liest den Absender. »Das ist bestimmt deine Asthmamedizin«, sagt er. Zur Sicherheit öffnet er das Paket und tatsächlich liegen da gut verpackt Asthmasprays für ein ganzes Jahr drin. Mit dabei ein Brief, dass er bei den Takeshis vorbeikommen muss, wenn sie mehr brauchen sollten. »Ja, es ist wirklich deine Medizin.«

»Gut, denn ich habe erst gestern das letzten Spray angebrochen.« Aufmerksam mustert er seinen Enkel, der sich immer noch suchend umsieht. »Sag mal, suchst du etwas?«

Verlegen kratzt sich Kai am Kopf. »Na ja, ich habe Hunger …«

»Geh nach oben, ich bringe nachher etwas hoch. Und nimm was zu trinken mit.« Grinsend drückt er Kai eine volle Flasche in die Hand und sieht dann seinem Enkel nach, der jetzt beinahe aus der Küche rennt., um schnell wieder bei Yari zu sein.

Als Kai ins Zimmer kommt, sieht er Yari lächelnd an. »Na? Immer noch wach?« Deutlich kann er sehen, wie dieser gegen den Schlaf ankämpfen muss. »Versuch ein wenig zu schlafen.« Sanft streicht er ihm wieder die hartnäckige Strähne aus dem Gesicht, während er sich zu Yari auf das Bett setzt und lässt zu, dass sich zwei schwache Arme um ihn schlingen.

Den Kopf auf Kais Bauch ablegend gibt Yari endlich seiner Müdigkeit nach und schläft ein.

Da kommt auch schon Ren und bringt Kai ein Sandwich. »Ich übernehme morgen den Laden. Du kannst also ruhig bei Yari bleiben«, flüstert er.

Dankbar sieht Kai seinen Großvater an, der ihm kurz die Hand auf die Schulter legt, ehe er wieder nach unten geht.

Erst am Abend wird Kai durch eine Bewegung neben sich von dem Buch abgelenkt. Yari erwacht aus seinem Schlaf, der so tief gewesen ist, dass er nicht mal bemerkt hat, wie Ren mehrmals vorsichtig die Wadenwickel ausgetauscht und Kai ein Buch gebracht hat.

»Na? Gut geschlafen?«

Verschlafen kuschelt sich Yari an Kai, den er die ganze Zeit über nicht losgelassen hatte. Dann meldet sich aber seine volle Blase: »Ich müsste mal …« Verlegen vermeidet er es, nach oben zu sehen. Stattdessen versucht er sich aufzurichten, was allerdings erst klappt, als ihm Kai dabei hilft.

»Na komm, dann assistiere ich dir wieder. Das muss dir nicht peinlich sein«, versucht Kai, seine eigene Verlegenheit zu überspielen. Dabei schlägt er die Decke zurück und wickelt mit schnellen Bewegungen die Wadenwickel von Yaris Unterschenkeln und hilft ihm, sich auf die Bettkante zu setzen.

Vor Anstrengung schwer atmend, zitternd und zu allem Übel auch noch hustend sitzt Yari auf der Bettkante und wartet darauf, dass Kai ihm den Nachttopf hinstellt. Erst als er spürt, dass Kai sich wieder hinter ihm befindet, löst er seine verkrampften Hände von der Bettkante und zieht den Saum seiner Schlafanzughose so weit nach unten, dass er sich ohne größere Probleme erleichtern kann.

Wieder versucht Kai krampfhaft, nicht hinzusehen, und fixiert dafür den elegant geschwungenen Nacken von Yari. – Was auch nicht viel besser ist, würde er doch zu gern mal die Haut an dieser Stelle kosten.

Kai ist erleichtert, als ihm Yari leise sagt, dass er fertig ist. Langsam lässt er ihn los und klettert von der Matratze.

Nachdem er den Nachttopf weggestellt hat, dreht er sich wieder zu Yari um, der gerade versucht, nach dem Teekrug zu greifen. »Warte, ich mach das.« Lächelnd gießt Yari den Kräutertee ein, den Ren vor einer Weile hochgebracht hat. Den Honig darin verrührend setzt er sich neben Yari aufs Bett. »Hier. Ich helfe dir. Das ist Kräutertee mit Ingwer. Großvater meint, dass der besser für dich ist als Schwarztee.«

Mit Kais Hilfe schafft es Yari, die Tasse zu leeren. Der Kräutertee schmeckt nach Holunder und Lindenblüten aber auch leicht scharf wegen dem Ingwer.

Fix und fertig lehnt Yari sich wieder an Kai, der ihn sanft hinlegt. Erleichtert kuschelt er sich unter die Decke, die von Kai fürsorglich um seine Schultern festgedrückt wird.

Als Yari dann die kühle Hand auf seiner Stirn fühlt, ist er schon beinahe wieder eingeschlafen.

Zufrieden, dass die Stirn inzwischen nicht mehr ganz so heiß ist, zieht Kai seine Hand zurück. »Das Fieber ist schon ein wenig gesunken. Ich bringe schnell den Nachttopf runter und schaue mal nach Großvater.« Aber Yari ist schon eingeschlafen.

Nachdem er sich im Bad wieder frisch gemacht hat, geht Kai zu Ren in die Küche. »Das riecht ja lecker.« Mit knurrendem Magen beugt er sich über den kleinen Topf, in dem ein Eintopf am Blubbern ist.

Erstaunt blickt Ren von seinem Buch auf. »Danke, das Essen ist auch gleich fertig. Gehst du vorher noch in den Stall? Ich habe die Pferde schon gefüttert, aber die Boxen müssen noch ausgemistet werden.« Mit einem leisen Ächzen steht er auf und sieht in den großen Suppentopf. »Nach dem Essen kannst du dann Yari etwas Hühnersuppe hochbringen.«

Kai nickt. »Ist gut, aber wenn was ist …«

»… dann rufe ich dich sofort«, unterbricht ihn Ren und sieht lächelnd seinem Enkel nach, der eilig aus der Küche verschwindet.

In Rekordzeit mistet Kai die Boxen aus und stellt den Mistkarren auf die Straße, sodass dieser von Monok bei Sonnenuntergang abgeholt werden kann. Eigentlich ist es ja ein Glück, dass die Sonne nun viel später untergeht, als noch vor zwei, drei Monaten. Nun nur noch schnell das frische Stroh in den Boxen verteilen und die Wassertröge auffüllen. Kurz überlegt Kai, dann stopft er im Heulager die Netze für den nächsten Morgen und stellt dabei fest, dass sie bald nachbestellen müssen. Wieso muss auch immer alles auf einmal kommen!

Trotz seiner Eile wäscht sich Kai sorgfältig die Hände, ehe er wieder in die Küche geht, wo der Eintopf nun auf dem Tisch steht.

»Oh Mann, ich bin am Verhungern.«

»Na dann setz dich hin und schlag dir den Bauch voll«, lacht Ren und füllt die Teller.

Es ist nicht zu übersehen, dass Kai möglichst schnell wieder zu Yari möchte, denn er schlingt in Rekordzeit zwei Portionen hinunter. Dann füllt er eine große Tasse mit der Hühnersuppe und entschuldigt sich hastig.

Ren hofft, dass sich Kai nicht bei Yari ansteckt. Er selbst ist seit der asiatischen Grippe, die vor fünfzig Jahren viele Opfer gefordert hat, gegen jeden Grippevirus immun, weshalb es ihm eigentlich lieber wäre, wenn er sich selbst um Yari kümmern könnte, aber das lässt sein Enkel sich sicherlich nicht nehmen, also hofft Ren einfach das Beste.

Mit der Tasse und dem wieder sauberen Nachttopf geht Kai zurück zu Yari, der sich gerade unruhig im Bett hin und her wälzt. Als Kai sich auf die Matratze setzt, öffnen sich auch sofort die himmelblauen Augen.

»Yari, Großvater hat dir die gute alte Hühnersuppe gemacht. Am besten isst du sie, solange sie noch warm ist.«

Müde und frierend nickt Yari ergeben. Er richtet sich mit Kais Hilfe auf und trinkt ganz langsam die überraschend leckere Suppe, während Kai ihn dabei stützt. Er schafft es sogar, die ganze Tasse zu leeren, ehe er sich mit geschlossenen Augen wieder ins Kissen zurückfallen lässt. »Danke«, schafft er gerade noch zu sagen, ehe ihm wieder die Augen zufallen.

Lächelnd sieht Kai ihn an. »Nichts zu danken.«

Nachdem er die leere Tasse weggestellt hat, drückt er die Decke um Yaris Schultern fest, bevor er sich wieder mit dem Rücken zur Wand neben dem Schlafenden hinsetzt.

Sofort wird er von Yari wieder als Kopfkissen benutzt, was ihn trotz seiner Sorge um ihn schmunzeln lässt. Offensichtlich wird er die Nacht wohl nicht in seinem eigenen Bett schlafen können.

Der Wüstensklave

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