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Kapitel 3: Spielenacht
ОглавлениеObwohl es mitten in der Nacht ist, liegt Yari hellwach im Bett. Schon seit einer ganzen Weile liegt er ruhig da und betrachtet durch das Fenster den Vollmond.
Als sich Kai jedoch im Schlaf an ihn kuscheln möchte, setzt er sich auf. Nach einem Moment des Überlegens steigt er schließlich aus dem Bett und verlässt das Zimmer. Auch wenn es erst kurz vor drei Uhr morgens ist, verspürt er das dringende Bedürfnis nach einer heißen Dusche.
So leise wie möglich schleicht Yari durch den dunklen Flur ins Wohnzimmer, um dort die Öllampe zu holen.
Als das warme Licht der Flamme den Raum erhellt, atmet er tief durch, ehe er nach unten geht.
Mit einem Seufzen hält Yari dann endlich sein Gesicht mit geschlossenen Augen in den warmen, ja beinahe heißen Wasserstrahl. Noch immer glaubt er, den Ekel und den Schock von damals zu spüren, nur dass es sich jetzt seltsamerweise um ein Vielfaches schlimmer anfühlt. Zwar kann die Seife sein Inneres nicht reinigen, trotzdem tut es ihm gut, sich zu waschen.
Erst als seine Haut sich schon wund anfühlt, legt er die Seife weg und steigt aus der Wanne.
Als er wieder vor dem Schlafzimmer steht, zögert er. Schließlich geht er ins Wohnzimmer, wo er sich mit hochgezogenen Beinen aufs Sofa setzt.
Als Ren, wie so oft, seinen nächtlichen Gang zur Toilette antritt, flucht er wie immer auf die Schattenseiten des Älterwerdens. Im Flur sieht er dann überrascht, dass im Wohnzimmer wohl eine Öllampe brennt. Allerdings drückt ihn seine Blase inzwischen ziemlich nachdrücklich, weshalb er erst nach unten ins Bad geht. Dort bemerkt er, dass die Wand hinter der Badewanne leicht feucht ist, so als ob jemand vor Kurzem geduscht hat. Aber wer von den beiden Jungs ist denn um diese Zeit schon wach und duscht auch noch?
Als er wieder oben ist, geht er ins Wohnzimmer. »Yari? Was machst du denn hier? Kannst du nicht mehr schlafen?«
Langsam, weil er vollkommen verschreckt angesehen wird, stellt Ren seine Lampe auf die Kommode neben der Tür und geht zum Sofa, wo er die leichte Wolldecke von der Armlehne nimmt. »So fühlst du dich nicht so nackt«, sagt er, als er sie Yari umlegt.
»Was ist los?« Absichtlich fragt Ren nicht genauer nach, um Yari die Möglichkeit zu geben, ihm auszuweichen.
Lange denkt Yari über die Frage nach. Will er sie wirklich beantworten? »Ich war damals geschockt, als ich erfahren habe, wie diese Person mich unter dem Einfluss von Sulave benutzt hat. Bis zu dem Zeitpunkt war es mir nämlich nicht klar gewesen, da ich mich danach immer nur daran erinnern konnte, wie sie mich ans Bett gefesselt und mir das Zeug gespritzt hat.« Yari lacht bitter auf. »Weißt du, die Wirkung tritt nämlich schon nach ein paar Minuten ein und so lange hat sie immer gewartet.« Yari verstummt.
Auch Ren schweigt. Er weiß genau, dass auf irgendeine Reaktion von ihm gewartet wird, aber er verkneift sich absichtlich jeden Kommentar. Seine Geduld wird schließlich belohnt.
»Ich fühle mich so schmutzig und auch schuldig, weil ich damals nichts unternommen habe, weil ich mich nicht gewehrt und einfach zugelassen habe, dass sie mein Kind umbringt.« Yari beginnt wieder zu schluchzen. »Warum? Warum habe ich nicht mehr gekämpft? Wieso habe ich irgendwann einfach aufgehört zu kämpfen und mich ergeben?«
Ren kann nicht anders. Obwohl er nicht weiß, ob es das Richtige ist, schlingt er die Arme um Yaris Oberkörper und zieht ihn sanft an sich. »Ist ja gut. Lass es raus.« Wie ein Kind wiegt er ihn sanft hin und her, spürt er doch instinktiv, dass Yari jetzt den Trost eines Vaters braucht und nicht den eines Freundes oder Geliebten.
Erst als das Schluchzen verstummt, hört Ren auf, Yari hin und her zu wiegen. »Mein Junge, du hast nichts falsch gemacht. Du hast überlebt. Wenn du damals gekämpft hättest, dann wärst du jetzt nicht hier.«
»Bin ich denn kein schlechter Mensch, weil ich sogar froh bin, dass sie mein Kind umgebracht hat?« Deutlich ist aus seiner Stimme herauszuhören, wie sehr er an sich selbst zweifelt.
Ren seufzt tief auf. »Ach Yari, du bist doch kein schlechter Mensch. Im Gegenteil, es zeigt doch, was für ein guter Mensch du bist. Denn unbewusst weißt du, dass dein Kind als Sklave oder Bastard in diesem Haus kein Leben gehabt hätte.« Leicht drückt er ihn von sich weg und legt dafür die Hände auf Yaris Wangen. Lächelnd blickt er in die Augen, die schon zu viel Leid gesehen haben. »Denk immer daran, dass wir für dich da sind. Du bist ebenso mein Enkel, wie es Kai ist, und ich bin unglaublich stolz auf dich.«
Diese Worte lassen eine schwere Last von Yaris Herzen fallen, von der er bis jetzt gar nicht gewusst hat, dass er sie mit sich herumtrug. »Großvater … Ich hatte noch nie einen Großvater, sondern immer nur Tante Amina.«
Mit wehem Herzen denkt Ren an seine Amara. Wie gern würde er Yari erzählen, was er weiß, aber dafür ist es noch viel zu früh. »Was hältst du von einem kleinen Spiel? Ich denke nämlich, dass wir beide heute Nacht nicht mehr schlafen werden, oder?« Lächelnd sieht er Yari an, als dieser sich mit einem erstaunten Gesichtsausdruck von ihm löst.
»Was willst du denn spielen? Ich glaube nicht, dass ich mich momentan auf Schach konzentrieren könnte.«
Ren steht mit einem breiten Grinsen auf und holt einen Stapel Karten aus der obersten Schublade der Kommode.
Verwirrt blickt Yari auf die Spielkarten, die Ren auf den Tisch legt.
»Also … auch wenn ich jetzt vermutlich das erste Mal im Schach eine richtige Chance gegen dich hätte, spielen wir wohl besser ein ganz einfaches Kartenspiel.« Kurz durchsucht er den Stapel nach den richtigen Karten, um Yari das Spiel zu erklären. »Also, wir haben beide gleich viele Karten in der Hand, sodass wir sie nicht sehen können. Dann decken wir abwechselnd die oberste Karte auf und sobald die erste zehn aufgedeckt wird, legt man sie hin und darf dann weitermachen. Erst wenn die Zehn liegt, darf man die nächsten Karten, aufsteigend oder absteigend, der Reihe nach dazulegen, aber auch nur die Farben, von denen die Zehn schon liegt. Sobald man nicht mehr ablegen kann, ist der andere Spieler wieder dran. Wer zuerst keine Karten mehr hat, hat gewonnen.«
Yari nickt. »Das ist ein reines Glücksspiel, keine Taktik, rein gar nichts. Das sollte ich hinkriegen.«
Als Ren die Karten wieder sorgfältig gemischt hat, bekommt Yari die eine Hälfte des Stapels in die Hand gedrückt. »Du kannst anfangen.«
»Mist, ein Ass.« Enttäuscht, dass er noch nicht ablegen kann, schiebt Yari die Karte unten in seinen Stapel zurück.
Schmunzelnd deckt Ren nun seine Karte auf. »Eine Sechs. Du bist wieder dran.«
Während Ren und Yari spielen, schleicht sich Kai leise in die Küche, um für alle Tee zu kochen. Er ist froh, dass sich Yari bei Großvater erleichtert hat. Lächelnd gibt er einen Extralöffel Honig in dessen Tasse.
Als der Tee endlich fertig ist, füllt er die drei Tassen und geht wieder nach oben.
Schon im Flur kann Kai seinen Großvater jubeln hören.
Kopfschüttelnd beobachtet Yari, wie Ren sich darüber freut, dass er als erster keine Karten mehr in der Hand hält. Dabei kommen ihm auf einmal die Worte seines Vaters in den Sinn: In deiner Position kannst du es dir niemals erlauben zu verlieren. Du musst immer auf den Sieg hinarbeiten, was er dich auch kosten mag. Sich die Nasenwurzel reibend, versucht sich Yari daran zu erinnern, wann er diese Worte gehört hat und, was noch wichtiger ist, warum ihm diese sein immer noch namen- und gesichtsloser Vater gesagt hat.
Auf einmal bemerkt er Kai an der Tür, was ihn unwillkürlich lächeln lässt. »Sharik, was machst du denn hier?« Als Kai mit den drei Tassen zu ihnen kommt, rutscht Yari sofort zur Seite, damit dieser sich neben ihn setzen kann.
»Hier. Wenn wir schon mitten in der Nacht zusammensitzen und spielen, dann können wir auch Tee trinken.« Bewusst erwähnt er nicht, dass er das Gespräch der beiden mitangehört hat.
Mit der Tasse in der Hand gibt ihm Yari einen hauchzarten Kuss. »Danke. Willst du auch mitspielen? Großvater schuldet mir eine Revanche.« Schmunzelnd sieht er zu Ren, der gerade einen Schluck Tee nimmt und dann die Stirn runzelnd in die Tasse blickt.
»Sag mal, Kai, hast du das Tee-Ei wieder ins kalte Wasser getan, um Zeit zu sparen? Du weißt doch, dass der Tee langsam im heißen Wasser ziehen muss, um wirklich gut zu schmecken.« Eine Augenbraue tadelnd hebend, mustert er seinen Enkel, der ertappt den Kopf einzieht.
»Ja, aber sonst dauert es doch immer so lange und ich wollte schnell hier sein, um euch Gesellschaft zu leisten.«
Neugierig nimmt Yari nun auch einen Schluck von seinem Tee, der zu seiner Freude mit Honig gesüßt ist. »Ja, es schmeckt etwas anders als sonst, aber trotzdem lecker.« Wieder gibt er Kai ein Küsschen. »Danke für den Honig.«
Mit leicht geröteten Wangen nimmt Kai nun auch einen Schluck und muss leider zugeben, dass sein Großvater recht hat. Trotzdem trinkt er die Tasse leer, bevor er sie auf den Tisch stellt und sich dann an seinen Liebsten lehnt. Erst jetzt fällt ihm auf, dass um dessen Schultern die leichte Wolldecke liegt, obwohl es im Zimmer ziemlich warm ist.
Natürlich bemerkt Yari den erstaunt fragenden Blick seines Shariks. »Großvater war so nett und hat sie mir um die Schultern gelegt, weil ich sonst nur in meinen Shorts hier sitzen würde …«
Um sich irgendwie zu beschäftigen, stellt er seine Tasse neben Kais und schiebt die Karten zusammen, um sie für eine weitere Spielrunde zu mischen.
Erst, als er der Meinung ist, dass die Karten wirklich gut gemischt sind, verteilt er sie.
»Kai, du fängst an«, bestimmt Yari dann einfach, was sowohl Kai als auch Ren zum Schmunzeln bringt.
Immer wieder drehen sie nun die Karten um und legen sie nach Möglichkeit ab, bis sich der Tisch deutlich gefüllt hat.
Je weniger Karten Yari in der Hand hält, desto mehr spannt er sich an, weil er nur darauf wartet, dass er wieder ablegen kann. Er weiß ganz genau, dass von den anderen beiden nur noch eine bestimmte Karte abgelegt werden muss, damit er in der nächsten Runde gleich mehrere Karten hintereinander loswerden kann.
Doch dann legt Kai eine Karte nach der anderen ab und platziert sogar als letztes das Ass am Ende der Herzreihe. »Ha, ich habe gewonnen.« Kai klatscht vor Freude in die Hände, ehe er sich grinsend zurücklehnt. »Jetzt bin ich aber gespannt, wer von euch beiden den zweiten Rang belegt.« Zu seiner Überraschung sitzt sein Liebster nur ruhig da. »Yari? Du bist dran.«
Da lässt Yari die Karten fallen und rennt aus dem Zimmer.
»Was?« Erschrocken sehen sich Kai und sein Großvater an.
»Geh ihm nach, ich räume hier auf«, meint Ren nur.
Sofort springt Kai auf, schnappt sich eine der Lampen und geht rüber in das Schlafzimmer, weil er vermutet, dass sich sein Liebster da aufhält.
Tatsächlich findet er Yari in dessen eigenem Zimmer im Dunkeln auf dem Bett sitzend vor und klettert, nachdem er die Lampe auf den Tisch gestellt hat, neben ihm auf die Matratze. Sich mit dem Rücken an die Wand lehnend, mustert er ihn.
»Was hast du denn? Es war doch nur ein Spiel.« Leicht umgreift er eine von Yaris Händen, was zu seinem Erschrecken dazu führt, dass dieser sich komplett verspannt.
Angespannt sitzt Yari da und versucht, die Bilder aus seiner Kindheit wieder loszuwerden. »Ich durfte nie gegen andere verlieren!«, bricht es plötzlich aus ihm heraus. In dem Versuch, die Bilder zu vertreiben, schließt er die Augen, nur sieht er sie jetzt noch deutlicher und spürt nun auch ein Brennen auf seiner Wange. Unwillkürlich legt Yari die Hand auf diese Stelle. »Ich habe es darum immer vor meinem Vater verheimlicht, weil ich damals Angst hatte, dass ich dann nicht mehr spielen darf. Aber er hat es wohl herausgefunden. Er hat getobt und mir eine Ohrfeige verpasst, weil ich im Schach gegen jemanden verloren hatte.«
Geschockt hört Kai zu und kann nicht glauben, was er da gerade hört. »Wie alt warst du da?«, rutscht es ihm nach ein paar Sekunden heraus.
»Vielleicht so neun oder zehn. Ich weiß es nicht mehr genau. Ich weiß nur eins: Ich durfte nur gegen meinen Lehrer oder meinen Vater verlieren, wenn dieser denn mal Zeit für mich hatte, weil sie mir Schach ja beigebracht haben.«
Auf einmal wird er von den Armen seines Shariks umschlungen. Sich an ihn lehnend, seufzt er traurig auf. »Wenn mein Leben vor meiner Versklavung auch so scheiße gewesen ist, wie danach, dann will ich mich gar nicht daran erinnern und nur mit dir und Großvater im Hier und Jetzt leben.«
Tröstend hält Kai seinen Liebsten im Arm und krault ihm sanft den Nacken. »Ach, Yari. Es war doch sicher nicht alles schlecht. Denk nur an deine Tante Amina. So wie du es mir erzählt hast, war sie immer wie eine Mutter zu dir. Willst du dich wirklich nicht noch mehr an sie erinnern? Oder an deine Schwester?«
Kaum hat Kai die Worte ausgesprochen, beginnt Yari zu schluchzen. Über die Reaktion erschrocken, verstärkt Kai sofort die Umarmung.
Seine Tränen nicht mehr zurückhaltend, lässt Yari seiner Wut über seinen Vater freien Lauf. Wieso hat ihm dieser Mann nur all das angetan? Wieso durfte er nicht wie ein normales Kind aufwachsen? Dann lässt er seine Gedanken zu Tante Amina und Ciana schweifen. Ja, er will sich wieder richtig an diese beiden Menschen erinnern und nicht nur so bruchstückhaft, wie es bis jetzt der Fall ist. »Kai, darf ich wirklich verlieren, ohne dass es Konsequenzen hat?« Mit einem fragenden Blick hebt er den Kopf von der Schulter seines Shariks und sieht ihn aus verweinten Augen an.
Lächelnd erwidert Kai den Blick, während er Yari sanft über die immer noch feuchten Wangen streichelt. »Natürlich darfst du verlieren. Das tue ich gegen Großvater und dich doch andauernd. Weißt du, es muss immer Gewinner und Verlierer geben und das ist doch auch gut so. Denn nur das macht die Spiele interessant.«
Nachdenklich senkt Yari den Blick, widersprechen die Worte seines Shariks doch denen, die er als Kind verinnerlichen musste und die ihm mit der Zeit die Freude an Spielen genommen haben. – An so vieles erinnert er sich inzwischen, aber noch immer ist es ihm ein Rätsel, wer er wirklich gewesen ist. Nur bei den Erinnerungen, die mit Tante Amina zusammenhängen, ist er wenigstens bei seinem Vornamen genannt worden. Sonst nie! Was hat das nur zu bedeuten?
Sich seine Überlegungen nicht anmerken lassend, hebt Yari den Blick wieder und lächelt Kai schwach an. »Die Sonne wird gleich aufgehen. Was hältst du davon, wenn wir uns das Schauspiel auf der Hintertreppe ansehen?« Er neigt den Kopf ein wenig zur Seite und sieht seinen Sharik so verführerisch an, dass dieser ihm den Wunsch nicht abschlagen kann, obwohl er lieber etwas ganz anderes machen würde, als sich diesen blöden Sonnenaufgang anzusehen. Trotzdem nickt er und lässt sich von seinem Liebsten aus dem Bett ziehen.
Kaum stehen sie neben dem Bett, schlingt Yari die Arme um seinen Sharik und zieht ihn an sich. »Danke, dass du immer für mich da bist, wenn ich dich brauche.« Einem Schmetterling gleich haucht er einen Kuss auf Kais Lippen und greift nach dessen Hand. »Na komm, bevor wir den Sonnenaufgang noch verpassen.«
Auf der Hintertreppe lehnt sich Kai an Yari, der daraufhin lächelnd den Arm um ihn legt. So genießt Kai das erste Mal den Anblick des Sonnenaufgangs, hat er doch sonst nicht wirklich ein Auge für dieses Naturschauspiel, da er sich zu dieser Zeit in der Regel aus dem Bett kämpfen muss. Doch so mit Yari ist es schon etwas ganz anderes, weshalb er den Kopf nun auf dessen Schultern legt und genüsslich seufzt, als er spürt, wie sich Fingerspitzen leicht über seine nackte Haut bewegen.
Yari liebt diese ruhige Zeit, in der die Nacht in den Tag übergeht. Jetzt hier mit seinem Sharik gemeinsam zu sitzen, macht diesen magischen Moment noch schöner. Besonders weil er weiß, dass Kai sonst nicht viel für Sonnenaufgänge übrig hat. Den Blick auf den nun in einem leuchtenden Rot erstrahlenden Himmel gerichtet, lässt er seine Finger immer wieder über Kais nackten Oberkörper gleiten.
Im Flur lehnt sich Ren erleichtert an die Wand. Er verflucht in Gedanken den Vater des jungen Mannes. Wie kann man ein Kind nur bestrafen, weil es in einem Spiel verliert? Allerdings wird ihm jetzt auch klar, weshalb Yari so perfekt Schach spielt, dass nicht einmal Rebecca, die schon seit Jahren nicht mehr in diesem Spiel besiegt worden ist, eine Chance gegen ihn hatte. Der Junge muss auf Perfektion getrimmt worden sein.
Auf einmal kommen ihm die Worte wieder in den Sinn, die Amara einst zu ihm gesagt hat: »Jamon war schon mit sechs Jahren oft so ernst wie ein Erwachsener. Viel zu selten habe ich ihn lachen oder entspannt spielen gesehen. Nur wenn ich ihm vorgelesen habe, war er immer wie der kleine Junge, der er eigentlich hätte sein sollen. Dann haben seine Augen immer geleuchtet.«
Mit einem traurigen Blick auf seine beiden Enkel geht Ren in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten.
Als das Rot des Sonnenaufgangs schon beinahe verblasst ist, steht Yari auf. »So langsam sollte ich mich wohl anziehen.« Sanft hilft er Kai auf die Beine und gibt ihm einen zarten Kuss. »Es war schön, hier mit dir zu sitzen. Wenn du wieder einmal so früh wach bist oder abends Zeit für den Sonnenuntergang hast, würde ich mich freuen, wenn wir dieses kleine Date wiederholen könnten.«
Erst jetzt wird Kai wirklich bewusst, was dieses Zusammensitzen bei Sonnenaufgang für seinen Liebsten bedeutet hat. »Ja, das war es wirklich.« Die Hand in Yaris Nacken legend, zieht er ihn ein wenig zu sich runter und verwickelt ihn in einen liebevollen Kuss.
Als sie sich wieder von einander lösen, lächelt er ihn an. »Mein Herz gehört dir.« Die Hand nun auf die nackte Brust seines Liebsten legend, sagt er: »Ich wiederhole das gern mit dir und so ein Date ist wirklich schön.« Dabei stolpert er beinahe über den ungewohnten Ausdruck, den er zwar kennt, aber selbst noch nie benutzt hat.
Lange versinken sie in den Augen des jeweils anderen, bis sich Yari bedauernd abwendet. »Ich muss mich jetzt wirklich fertig machen und um die Pferde kümmern.« Schnell gibt er Kai noch einen Kuss, bevor er sich umwendet und ins Haus geht.
Kai folgt ihm nach einem Blick in den Himmel deutlich langsamer ins Haus. Dabei fragt er sich, wie es ihm bis jetzt nicht bewusst sein konnte, auf was sie alles verzichten müssen, was für andere Pärchen selbstverständlich ist. Schon eine einfache Verabredung ist ihnen verwehrt, weshalb er in Zukunft wirklich diese kleinen Momente, wie es jetzt der Sonnenaufgang gewesen ist, für sie beide bewusst ermöglichen muss und will.
Während des Frühstücks unterhalten sie sich darüber, was sie noch alles erledigen müssen. Mit keinem Wort werden die Ereignisse des frühen Morgens erwähnt, worüber Yari wirklich dankbar ist, denn auch wenn er es vom Verstand her begriffen hat, was ihm Großvater und Kai alles gesagt haben, so braucht er noch Zeit, um diese Erkenntnisse auch wirklich zu verarbeiten.
Deswegen zieht er sich danach auch gleich wieder in den Stall zurück, um in Ruhe nachdenken zu können und natürlich auch, um die Pferde zu versorgen, die er ja am Vortag schändlich vernachlässigt hat.
Auch Kai denkt über das, was er heute von Yari erfahren hat, nach. Dabei fragt er sich immer wieder, wieso es so schlimm gewesen ist, wenn sein Liebster in einem Spiel verloren hat. Verlieren gehört doch zum Spielen ebenso dazu wie das Gewinnen und nur, wer ein guter Verlierer ist, der ist seiner Meinung nach auch ein guter Sieger.
Selbst als er dann im Laden steht, denkt er in ruhigen Momenten über die Ereignisse des Morgens nach, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Erst die Erkenntnis, dass sein Liebster wohl durch eine sehr strenge Erziehung gegangen ist, und dann dieses unglaublich schöne kleine … Date, das sie auf der Hintertreppe hatten.
Beim Mittagessen will Kai mit Yari reden und diesen auch bitten, ihm wieder beim Zuschneiden der Stoffe zu helfen. Als er jedoch dessen nachdenkliches Gesicht sieht und ihm auf seine Fragen nur einsilbig geantwortet wird, lässt er es schweren Herzens bleiben.
Auch Ren ist es aufgefallen, dass es in Yari arbeitet, weshalb er sich eigentlich schon darauf eingestellt hat, Kai zu bremsen, wenn es nötig sein sollte. Doch zu seiner Erleichterung ist das nicht nötig, da dieser die Zeichen diesmal wohl selbst richtig deutet. Er ist in diesem Moment unglaublich stolz auf Kai.
Von seiner Umwelt bekommt Yari wirklich nur am Rande etwas mit, weil er tatsächlich immer noch damit beschäftigt ist, all die Eindrücke des Morgens zu analysieren und in seinen immer größer werdenden Erfahrungsschatz einzuordnen. So kommt es, dass er nach dem Mittagessen einfach ohne ein Wort zu sagen aufsteht und die Küche verlässt.
»Yari …« Besorgt will Kai ihm folgen, wird jedoch von Ren zurückgehalten.
»Mach dir keine Sorgen, er hat heute viel erfahren und das muss er jetzt verarbeiten. Wenn du Glück hast, wird er heute Abend schon wieder der Alte sein. Es kann aber auch sein, dass er ein paar Tage an dem, was gestern und heute passiert ist, zu knabbern hat.« Beruhigend sieht er seinen Enkel an, der sich seufzend auf den Stuhl sinken lässt.
»Ich mache mir aber Sorgen um ihn.«
»Das ist ja auch gut so, nur ist es diesmal meiner Meinung nach nicht nötig. Yari geht es soweit gut, er muss das Ganze einfach nur in Ruhe verarbeiten. Also gib ihm die Zeit. Wenn er dich oder mich braucht, dann wird er schon kommen.«
Kai nickt nachdenklich. »Ich hoffe, dass du recht hast.«
Unterdessen stopft Yari die Heunetze. Nach einem missbilligenden Blick auf den Lagerboden schnappt er sich den Besen und beginnt zu fegen. Auch wenn das hier nur das Lager ist, so kann er doch dafür sorgen, dass es sauber bleibt.
Während er dies macht, lässt Yari seine Gedanken wieder zu seinem Gespräch mit Ren wandern. Je länger er darüber nachdenkt, desto mehr wird ihm bewusst, dass dieser mit seinen Worten wirklich recht gehabt hat: Er hat überlebt und wenn er zu sich selbst ehrlich ist, hat er auch nie wirklich aufgehört zu kämpfen. Er hat nur auf eine andere Art gekämpft, indem er, anders als die meisten, die in seiner Situation waren, überlebt hat und jetzt sogar dabei ist, sich selbst wiederzufinden.
Auf einmal fängt Yari an zu grinsen. Ja, er hat sich seinen Besitzern immer auf seine Art und Weise subtil widersetzt, schon allein dadurch, dass er keinen einzigen von ihnen mit Meister oder Mistress angesprochen hat, sondern immer nur mit Sir oder Miss, was Sklaven ja eigentlich nur bei Fremden tun. Nun wandern seine Gedanken zu Rashid. Warum nennt der auch Kai und Ren Meister? Das ist schon wieder ungewöhnlich demütig.
Während Yari in Gedanken versunken ist, fegt er den gesamten Boden des Lagers, ohne wirklich zu registrieren, wie die Zeit vergeht, weshalb er plötzlich überrascht feststellt, dass der Boden so sauber ist wie noch nie und schon die Zeit für die nächste Fütterung der Pferde gekommen ist.
Sich wieder auf das Hier und Jetzt konzentrierend, hängt er die frischen Heunetze in die Boxen der beiden Wallache und holt dann den Mistkarren, um die Boxen auszumisten. Weder Blacky, noch Rocky lassen sich davon stören, dass er nun mit der Mistgabel vorsichtig das alte Stroh aus den Boxen befördert. Sie fressen in aller Ruhe ihr Heu und machen immer nur dann einen Schritt zur Seite, wenn sie von Yari dazu aufgefordert werden. Dafür beobachten sie dann sehr aufmerksam, wie das frische Stroh in ihren Boxen verteilt wird. Doch diesmal scheint Yari es für Blacky nicht richtig zu machen, denn er beginnt, das Stroh mit den Hufen selbst in seiner Box zu verteilen.
»Ach, Blacky, du bist mir ja einer.« Lachend krault er ihn zwischen den Ohren, ehe er sich daran macht, den vollen Mistkarren zum Tor zu schieben.
Weil er für den Moment alles erledigt hat, setzt sich Yari auf die Treppenstufen und schließt die Augen. Die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht genießend, lehnt er sich nach hinten, bis er sich mit den Armen auf der oberen Stufe abstützen kann.
Auf einmal spürt er, wie ihn zwei Arme von hinten umschlingen. Lächelnd öffnet er die Augen und sieht direkt in Kais Gesicht, das sich direkt über dem seinen befindet.
»Na du? Genießt du das schöne Wetter? Großvater meinte, dass es morgen oder in den nächsten Tagen einen Wetterwechsel geben wird.« Leicht drückt Kai seine Lippen auf Yaris Stirn, ehe er sich so hinsetzt, dass sich sein Liebster bequem mit dem Rücken an ihn lehnen kann.
Die Hand seines Shariks in der seinen haltend, kuschelt sich Yari an dessen Körper. Um die schöne Stille, die durch das Zwitschern der Vögel und die Geräusche der Pferde lebendig wirkt, nicht zu zerstören, sitzen sie schweigend da und betrachten, eng umschlungen, die vorbeiziehenden Wolken.
Erst als sie hören, wie sich der Wagen des Mistsammlers nähert, löst sich Yari von Kai und steht auf. »Ich gebe den Pferden mal ihr letztes Futter für heute. Bis nachher, Sharik.« Als dieser lächelnd nickt, küsst er ihn kurz, bevor er sich umwendet und zum Heulager geht.
Nachdem Kai sich noch einmal in dem blitzsauberen Hinterhof umgesehen hat, steht auch er auf und geht zurück ins Haus, um seinem Großvater noch ein wenig bei den Vorbereitungen fürs Abendessen zu helfen.
Während des Abendessens mustert Ren Yari unauffällig und bemerkt erleichtert, dass sich dessen Ausstrahlung im Vergleich zu vorher wieder deutlich gebessert hat, was für ihn bedeutet, dass dieser wieder zu seinem fragilen inneren Gleichgewicht zurückgefunden hat.
Später, als sie im Bett liegen, kuschelt sich Kai an seinen Liebsten und streichelt ihm hauchzart über die Brust und die Seiten. Doch auf einmal werden seine Hände festgehalten, was ihn fragend in Yaris Gesicht blicken lässt.
Dieser atmet tief durch. »Kai, ich … bist du mir böse, wenn wir nur kuscheln? Mir ist im Moment nicht wirklich nach mehr.« Um das enttäuschte Gesicht seines Shariks nicht sehen zu müssen, senkt Yari den Blick. Hebt ihn jedoch sofort wieder an, als er eine Berührung auf seiner Wange spürt.
Liebevoll lächelt Kai seinen Liebsten an. »Natürlich bin ich dir nicht böse. Wieso sollte ich, Liebster? Niemand sagt, dass wir heute miteinander schlafen müssen.« Leicht lässt er seine Fingerspitzen über Yaris Wange gleiten, der ihn mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen mustert. »Weißt du, mit dir zu kuscheln oder einfach nur zusammen zu sein, ist genauso schön und für mich, sogar noch wichtiger, als alles andere. Also setz dich nicht unter Druck. Du musst dich auch ganz sicher nicht schuldig fühlen oder dich entschuldigen, nur weil du keine Lust auf mehr hast.« Langsam beugt er sich nun vor, um ihre Lippen in einem Kuss zu vereinen.
Vollkommen überrascht braucht Yari einen Moment, bis er den langsamen Kuss seines Shariks zu erwidern beginnt. Deutlich spürt er in diesem, dass Kai jedes seiner Worte ernst meint, was in ihm ein angenehm warmes Gefühl auslöst, das sich bis in jeden noch so kleinen Winkel seines Körpers auszubreiten scheint.
Als sich ihre Lippen wieder voneinander trennen, zieht er seinen Sharik an sich und hält ihn so fest, wie es ihm nur möglich ist. »Mein Herz gehört dir, Sharik.« Kaum hat er diese Worte ausgesprochen, wird er auch schon umschlungen.
»Ich dich auch, Liebster.«