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Kapitel 3. Das wilde Tier

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Das Raubtier in Buck war lebendig geworden, und es wurde in der wilden, rauhen Umwelt immer stärker und stärker in ihm. Aber noch war es ein verborgenes, geheimes Wachsen. Instinkt und Klugheit verhinderten eine vorzeitige Entfaltung. Buck war sich auch über die Veränderung in ihm noch nicht im klaren, zuerst mußte er sich in die neuen Verhältnisse einleben. Er begann keinen Streit und ging jeder Gelegenheit eines Kampfes aus dem Weg. Selbst der Haß, den er gegen Spitz empfand, verleitete ihn nicht zu einem verfrühten Angriff.

Dagegen versäumte Spitz nie eine Gelegenheit, seine Stärke zu zeigen, vielleicht weil er in Buck einen gefährlichen Rivalen ahnte. Er fiel Buck ständig an und lauerte darauf, den entscheidenden, Kampf zu beginnen, der nur mit dem Tod des einen oder des anderen enden konnte. Dieser Kampf hätte schon ziemlich bald ausgetragen werden können, wenn ihn nicht ein ungewöhnlicher Vorfall verhindert hätte.

Eines Tages schlugen sie am Abend ein elendes, ödes Lager am Ufer des Le-Barge-Sees auf. Schneetreiben, ein Sturm, der wie mit weißglühenden Messern schnitt, und frühe Dunkelheit hatten sie gezwungen, den erstbesten Lagerplatz zu nehmen. Hinter ihrem Rücken stieg eine senkrechte Felsmauer auf. Perrault und François lagerten auf dem Eis des Sees, breiteten ihre Schlafsäcke aus und zündeten ein Feuer an. Das Zelt hatten sie in Dyea zurückgelassen, um die Ladung zu erleichtern. Sie warfen ein paar Treibhölzer auf das bescheidene Feuer, das sich in das Eis einfraß und bald wieder verlöschte. Sie aßen ihr kärgliches Abendbrot im Dunkeln.

Dicht unter dem schützenden Felsen grub sich Buck sein Nest. So gemütlich und warm war es dort, daß er es nur widerwillig verließ, als François die am Feuer aufgetauten Fische verteilte. Als Buck wieder zu seiner Schlafstätte zurückkam, fand er sie besetzt. Ein warnendes Knurren sagte ihm, daß Spitz der Eindringling war. Bis jetzt hatte Buck Zusammenstöße mit seinem Feind vermieden, doch dies war zuviel. Das Raubtier in ihm brüllte auf, und er sprang mit einer Wut auf den Leithund los, die ihn selbst überraschte und noch mehr Spitz, der bisher geglaubt hatte, daß sein Rivale ein furchtsamer Kerl sei, der sich nur durch seine Größe behaupten konnte.

Auch François wunderte sich, als die beiden Hunde plötzlich in einem Knäuel aus dem zerstörten Nest herausschossen. Er ahnte den Grund des Streites und feuerte Buck an. »Faß an«, rief er, »gib’s ihm, bei Gott, dem schmutzigen Dieb!«

Spitz hatte es nicht leicht. Buck ließ ihn nicht an sich herankommen. Sie umkreisten einander und suchten nach einer Blöße, um dann zum tödlichen Angriff überzugehen. Es wäre gewiß zu jenem Kampf auf Leben und Tod um die Vorherrschaft gekommen, wenn nicht ein unerwartetes Ereignis die Entscheidung auf lange Zeit hinausgeschoben hätte.

Ein Fluch Perraults, der hohle Schlag eines Stockes auf ein Knochengerüst und schrilles Schmerzensgekläff übertönten auf einmal den Lärm des Kampfes. Das Lager wimmelte plötzlich von schleichenden, struppigen Leibern – halb verhungerten Eskimohunden, die das Lager von irgendeinem Indianerdorf aus gewittert hatten. Während Buck und Spitz die Aufmerksamkeit der anderen auf sich gelenkt hatten, waren sie herangekrochen., und als die zwei Männer mit festen Knüppeln unter sie sprangen, zeigten sie ihre Zähne und wehrten sich. Durch den Geruch des Proviants waren die ausgehungerten Köter in Raserei geraten, sie fielen über eine umgestürzte Kiste her und ließen sich auch durch die hageldicht niedersausenden Hiebe nicht eher vertreiben, bis das letzte Stückchen Speck und die letzte Brotkrume aufgefressen waren.

Als die überraschten Zughunde aus ihren Nestern hervorstoben, stürzten sich die grimmigen Eindringlinge sofort auf sie. Niemals hatte Buck je zuvor solche Biester gesehen. So mager waren sie, daß ihre Knochen durch das Fell zu stechen schienen. Sie sahen aus wie mit schmutzigen Häuten behängte Skelette, ihre Augen brannten, und aus ihren Rachen troff Geifer. Ihr wahnsinniger Hunger machte sie schrecklich, unwiderstehlich.

Beim ersten Ansturm schon wurden die Schlittenhunde gegen die Klippe zurückgefegt. Buck allein wurde von drei Huskies umringt, und ehe er noch zur Besinnung kam, hatten sie ihm die Schulter aufgerissen und zerschlitzt. Billie bellte in hohen, schrillen Tönen. Dave und Solleks, denen das Blut aus vielen Wunden floß, kämpften vereint gegen die heillose Bande. Joe biß wie ein Teufel um sich und zermalmte einem Husky das Vorderbein. Pike machte es sich zunutze, sprang auf das verkrüppelte Tier und brach ihm mit einem blitzschnellen Ruck den Hals. Buck erwischte einen seiner Widersacher an der Kehle, und das Blut rann in sein Maul, als sich seine Zähne in die Gurgel gruben. Der fade Geschmack des Blutes stachelte ihn zu noch größerer Wildheit an. Er warf sich auf einen anderen, als er plötzlich Zähne an seinem Hals spürte. Es war Spitz, der ihn verräterisch von der Seite angegriffen hatte. Endlich gelang es Perrault und François, das Lager zu säubern, und sie eilten ihren Schlittenhunden zu Hilfe. Die wilde Woge halbverhungerter Kreaturen wich vor ihnen zurück, und Buck bekam wieder Luft. Aber nur für einen Augenblick. Die zwei Männer mußten zurücklaufen, denn die Huskies warfen sich wieder auf die Verpflegung. Billie sprang, toll in seiner Angst, über die gesamte Meute hinweg und floh, Pike und Dub folgten ihm auf dem Fuß, hinter ihnen die übrigen. Als Buck ihnen nachsetzen wollte, bemerkte er, wie Spitz von der Seite her auf ihn zusprang, um ihn niederzustoßen. Strauchelte Buck und kam er unter die Masse der Wolfshunde zu liegen, dann war er verloren. Aber es gelang ihm, den Stoß abzuwehren, und er stürmte den anderen nach, auf den See hinaus.

Später sammelten sich die neun Hunde des Gespanns und suchten Schutz im Wald. Obwohl sie nicht verfolgt wurden, befanden sie sich in einer traurigen Lage; es gab keinen, der nicht an vier oder fünf Stellen blutete, manche hatten sogar schwere Verletzungen erlitten. Dub hatte ein zerfetztes Hinterbein. Dolly, die jüngste des Gespanns, hatte eine schlimm aufgerissene Kehle, und Joe war einäugig geworden. Billie, der gutmütige, schrie und wimmerte mit seinem zerbissenen Ohr die ganze Nacht hindurch.

Bei Tagesanbruch schlichen sie in ihr Lager zurück. Die Plünderer waren fort, aber die Männer in einer sehr schlechten Laune, denn die Huskies hatten nicht nur fast die gesamten Vorräte vertilgt, sondern sogar ein Paar von Perraults Elchhaut-Mokassins hinuntergewürgt.

Mehr noch: Die Schlittenriemen waren angefressen, und François’ Peitsche war durchgebissen. Als dieser die erbärmlich zugerichteten Hunde erblickte, fing er zu klagen an:

»Ah, ihr braven Burschen«, sagte er weich, »wer weiß, ob diese verdammten Biester nicht toll waren. Und ihr alle werdet dann auch toll. Sacredam! Was glaubst du, eh, Perrault?«

Der Kurier schüttelte verstimmt seinen Kopf. Noch vierhundert Meilen waren es bis Dawson, und er konnte sich keine größere Katastrophe vorstellen als tollwütige Hunde im Gespann. Nach zwei Stunden Fluchen und harter Arbeit war das Geschirr wieder in Ordnung, und die Hunde zogen mühselig los. Es war der gefährlichste Teil der Fahrt nach Dawson. Der Dreißigmeilenfluß war auf weite Strecken offen. Seine wilde Strömung verhinderte das Zufrieren, und nur an einigen Stellen hatte sich Eis ansetzen können. Sechs Tage furchtbarer Plackerei bedurfte es, jene schrecklichen dreißig Meilen zurückzulegen. Jeder unbedachte Schritt konnte Hunden und Menschen das Leben kosten. Wohl ein dutzendmal brach Perrault beim Aufspüren des Weges durch die dünne Eisschicht und rettete sich vor dem Versinken nur mit Hilfe einer langen Stange, die er geschickt quer über die Einbruchstelle hielt. Zu allem Unglück waren sie gerade mitten in eine Kältewelle geraten – das Thermometer zeigte fünfzig Grad Fahrenheit unter Null – und jedesmal wenn er einbrach, mußte ein Feuer angemacht werden. Es hätte ihm das Leben gekostet, wenn er seinen vor Kälte erstarrten Körper nicht erwärmt und die steifgefrorenen Kleider nicht wieder aufgetaut hätte. Perrault hatte vor nichts Angst, er war geschickt und mutig, und diese Eigenschaften befähigten ihn, seinen wichtigen und gefahrvollen Beruf auszuüben. Er nahm jedes Risiko auf sich, streckte entschlossen sein verwittertes dürres Gesicht der schneidenden Kälte entgegen und kämpfte unermüdlich vom fahlen Morgengrauen bis in die dunkle Nacht hinein. Sie führten ihren Schlitten hart am Rand des Ufers, das Eis schwankte und krachte verdächtig, und sie wagten nicht anzuhalten, um nicht einzubrechen. Aber einmal geschah es doch, und als man Buck und Dave halb erfroren herauszog, mußte sofort ein Feuer angezündet werden. Eine feste Eisschicht bedeckte die beiden Hunde, und die zwei Männer jagten sie so lange um das Feuer herum, bis das Eis auftaute und sie wieder trocken waren. Sie versengten sich dabei ihr Fell, aber blieben am Leben.

Etwas später versank Spitz und riß die anderen Hunde nach bis auf Buck, der sich mit seinen Vorderpfoten aus Leibeskräften nach rückwärts stemmte. Das Eis ringsum zitterte und krachte und brach berstend. Aber hinter Buck hielt Dave stand und am Schlittenende zog François und brach sich fast die Knöchel. Aber er konnte das Gespann halten.

Ein anderes Mal zerbrach das Eis vor und hinter ihnen. Es war ein Wunder, daß es Perrault gelang, sich auf einen Felsen zu retten. Peitschen und Riemen wurden aneinandergeknotet und Perrault zog die Hunde und den Schlitten einzeln zum Kamm der Klippe empor. Als letzter folgte François. Der Abstieg gestaltete sich fast noch schlimmer, und die Nacht war schon hereingebrochen, als sie wieder an einer sicheren Stelle des Flusses landeten. An diesem Tag hatten sie nur eine Viertelmeile zurückgelegt.

Als sie endlich zum Hootalinqua kamen, der eine sichere Eisdecke hatte, war Buck völlig ausgepumpt. Die übrigen Hunde waren in einer ähnlichen Verfassung. Perrault aber trieb sie von früh bis spät vorwärts, um die verlorene Zeit einzubringen. Am ersten Tag schon legten sie fünfunddreißig Meilen bis zum Großen Lachsfluß zurück; noch weitere fünfunddreißig Meilen, und sie waren beim Kleinen Lachsfluß. Der dritte Tag mit vierzig Meilen brachte sie hinauf zum Fünffingergebirge.

Bucks Sohlen waren nicht so fest und hart wie die der Eskimohunde oder wie die seiner Ahnen, die die Höhlenmenschen auf ihren Wanderungen begleitet hatten. Den ganzen Tag über hinkte er unter rasenden Schmerzen, und wenn abends Rast gemacht wurde, fiel er wie tot hin. Er rührte sich nicht einmal vom Fleck, um seine Fischration zu holen, und François mußte sie ihm bringen. Jeden Abend massierte der Hundeführer eine halbe Stunde lang Bucks Beine, und Perrault opferte sogar das Oberteil seiner eigenen Mokassins und stellte für Buck vier kleine Schuhe her. Das war für den abgerackerten Hund eine große Erleichterung. Eines Morgens verzog sich sogar das sonst so ernste Gesicht Perraults zu einem Grinsen, als François vergaß, Buck seine Schuhe anzuziehen. Buck lag auf dem Rücken und streckte flehend alle vier Beine in die Luft und weigerte sich, ohne seine Mokassins an die Arbeit zu gehen. Später wurden seine Sohlen hart, und die zerfetzten Hundemokassins konnten weggeworfen werden.

Eines Morgens, gerade beim Anschirren, zeigte Dolly, die damals von den Wolfshunden in die Kehle gebissen worden war, ein ganz merkwürdiges Benehmen. Sie brach in ein langgezogenes, schreckliches Wolfsgeheul aus, so daß sich jedem Hund vor Furcht die Haare sträubten, und sprang dann pfeilgerade auf Buck los. Buck hatte noch nie einen tollen Hund gesehen, aber ein panisches Entsetzen jagte ihn fort. Er floh blindlings, und hinter ihm raste die keuchende und schäumende Dolly. Er rannte über den bewaldeten Hügel der Insel, überquerte einen Kanal, den Eisblöcke bedeckten, wechselte auf eine andere Insel hinüber, auf eine dritte, drehte zum Hauptarm des Flusses zurück und schoß in seiner Verzweiflung gerade aus, fort vom Lager. Und immer spürte er dicht hinter sich das Hecheln der tollgewordenen Hündin und hörte ihr fauchendes Knurren. Plötzlich hörte er François mit gellender Stimme seinen Namen rufen, warf sich herum und rannte auf ihn zu. Als er an ihm vorbeigesaust war, ließ der Hundeführer seine Axt auf den Schädel des tollen Köters niederfallen. Buck taumelte, erschöpft und hilflos rang er nach Atem und blieb halb bewußtlos neben dem Schlitten liegen.

Jetzt sah Spitz seine Stunde gekommen. Er sprang auf Buck los, und zweimal gruben sich seine Zähne in das Fell des wehrlosen Hundes. Sie rissen und schlitzten das Fleisch bis auf die Knochen auf. Doch François’ Peitsche sauste nieder, und Buck erlebte zu seiner Genugtuung, wie Spitz die ärgsten Prügel erhielt, die der Hundeführer jemals ausgeteilt hatte.

»Dieser Spitz ist ein verdammter Teufel«, bemerkte Perrault. »Er wird einmal umbringen diesen Buck.«

»Dieses Buck zwei Teufeln in sich«, erwiderte François. »Ick beobachten dieses Buck ganze Zeit, ick weiß sicker. Eines ssonnen Tag’ er wird verzweifelt wild werden, und dann er werden zerkauen dies Spitz und spucken auf den Schnee. Ssicher. Ick weiß.«

Seither lebten die Hunde in offener Feindschaft. Spitz als Leithund und anerkannter Herr des Gespannes fühlte seine Vorrangstellung durch diesen merkwürdigen Südländer gefährdet. Für ihn war jeder Südländer ein minderwertiges Geschöpf, er hatte noch keinen gefunden, der lange vor dem Schlitten gegangen wäre; früher oder später war jeder von ihnen bei der Plackerei, der beißenden Kälte und dem Hunger eingegangen. Buck war eine Ausnahme. Er allein hielt durch, gedieh und war den Huskies an Kraft, Wildheit und Schlauheit ebenbürtig. Er war ein herrischer Hund, aber das wilde Draufgängertum hatte ihm der Stock des roten Mannes herausgeschlagen. In zäher Geduld konnte er seine Zeit abwarten.

Der Kampf um die Vorherrschaft im Gespann mußte kommen. Buck war dazu bereit, denn Stolz und Ehrgeiz hatten ihn gepackt, jener Stolz, der den Hund bis zum letzten Atemzug anhält, der ihn bereit macht, mit Freuden im Geschirr zu verrecken. Es war der Stolz, der Dave bei der Stange hielt, der Solleks mit aller Kraft ziehen ließ, der Stolz, der sie alle ergriff, wenn das Lager abgebrochen wurde, und der aus verdrießlichen, schläfrigen Tieren angespannte, eifrige und ehrgeizige Geschöpfe machte; der Stolz, der sie den ganzen Tag anspornte und der erst nachließ, wenn sie sich abends müde und noch voller Unruhe in ihren Schneenestern verkrochen. Dieser Stolz war es, der Spitz in Wut brachte, wenn die Schlittenhunde unterwegs Fehler machten, sich drückten oder sich morgens zur Zeit des Anspannens versteckten. Und um dieses Stolzes willen fürchtete Spitz den Südländer, in dem er den zukünftigen Leithund ahnte. Buck zeigte immer offener, daß er diese Vorherrschaft anstrebte.

In einer Nacht trat heftiger Schneefall ein, und am Morgen fehlte Pike wie schon öfters. Er schlief geborgen in seinem Nest unterm Schnee. François rief und suchte ihn vergeblich. Spitz wurde wild vor Zorn. Er raste durch das Lager, schnüffelte und grub an jeder verdächtigen Stelle und knurrte so wütend, daß Pike, als er ihn hörte, sich in seinem Versteck noch tiefer verkroch.

Als man ihn endlich doch entdeckte und Spitz auf ihn zuschnellte, um ihn zu züchtigen, warf sich Buck dazwischen. Er war es, der den Ungehorsamen strafen wollte. Der Angriff kam so überraschend, daß Spitz das Gleichgewicht und den Halt verlor. Pike, der gerade noch kläglich gezittert hatte, gewann angesichts dieser offenen Meuterei seinen Mut zurück und stürzte sich auf den am Boden liegenden Leithund. Buck hatte längst alle Regeln des »fair play« vergessen und sprang ebenfalls auf Spitz. François lachte zwar über den Vorfall, war jedoch so gerecht, daß er mit aller Macht auf Buck einhieb und ihn vertrieb. Jetzt erst konnte Spitz dem Übeltäter die wohlverdiente Strafe geben.

Auch an den folgenden Tagen hörte Buck nicht auf, Spitz die Führerschaft streitig zu machen, aber er tat es nur dann, wenn François nicht in der Nähe war. Die Auflehnung gegen den Leithund zerstörte die Disziplin des Gespanns. Nur Dave und Solleks blieben davon unberührt, aber alle anderen wurden immer ungehorsamer und rebellischer. Es gab fortwährend Zank und Streit, und François hatte keine Ruhe mehr. Er bemühte sich vergeblich, die Ordnung aufrechtzuerhalten, aber er wußte, daß die Auseinandersetzung zwischen Buck und Spitz unvermeidlich war und mit dem Tod des einen enden mußte. Er versuchte, diesen Kampf hinauszuschieben, und mehr als einmal trieb ihn mitten in der Nacht der Lärm streitender Hunde aus seinem Schlafsack, aus Angst vor dem tödlichen Zweikampf der Rivalen. Aber noch war die Zeit dazu nicht gekommen. An einem düsteren, verhangenen Nachmittag zog das Gespann in Dawson ein, und der Kampf hatte noch nicht stattgefunden.

In Dawson waren viele Männer und zahllose Hunde, und Buck sah, daß alle arbeiteten. Es schien zur festgesetzten Ordnung der Dinge zu gehören, daß Hunde arbeiten sollten. Den ganzen Tag zogen sie Brennholz und Balken, und bis in die Nacht hinein bimmelten die Schellen an den Schlitten. Hier in Dawson hatten die Hunde die Aufgaben der Pferde übernommen. Buck begegnete ein paar Hunden aus dem Süden, aber fast alle gehörten der wilden, wolfsähnlichen Nordlandrasse an. Jede Nacht stimmten sie pünktlich um neun, zwölf und drei Uhr ein infernalisches Geheul an, und Buck fiel in diesen unheimlichen, geisterhaften Gesang mit ein.

Unter dem kaltflammenden Nordlicht, wenn das eisige Licht der Sterne an dem frostdurchschauerten Himmel zu tanzen schien, saßen sie im Kreis und sangen das uralte Lied, das so alt war wie das Geschlecht der Hunde selbst, das Lied von den Leiden und Schmerzen der Welt. Aus der Kehle Bucks schrie der Geist seiner Vorfahren, und der traurige Gesang war erfüllt von dem Weh unzähliger Generationen. Wenn er stöhnte und klagte, so war es die ewige Klage der leidenden Kreatur, jene Klage, in die schon seine wilden Väter ausgebrochen waren; und seine Angst vor dem schrecklichen Geheimnis der Kälte und der Finsternis war schon ihre Angst gewesen.

Sieben Tage nach ihrer Ankunft in Dawson fuhren sie die Abhänge zum Yukon Trail zurück und zogen gegen Dyea und dem Salzwasser zu. Perrault führte Depeschen mit sich, die noch dringender waren als jene, die er gebracht hatte. Der Ehrgeiz hatte ihn gepackt, und er wollte diese Fahrt zur schnellsten des Jahres machen. Die Voraussetzungen waren günstig. Die einwöchige Rast hatte den Hunden ihre Kraft wiedergegeben, und sie waren in bester Verfassung. Die Spur, die sie so mühsam gebahnt hatten, war von den nachfolgenden Gespannen gut ausgefahren worden, auch hatte die Polizei an zwei oder drei Stellen Proviantdepots errichtet, und die Schlitten mußten nicht übermäßig beladen werden.

Am ersten Tag legten sie über fünfzig Meilen zurück, und schon am zweiten Tag erreichten sie den Yukon. François aber hatte mit den Hunden nur Verdruß und Ärger. Die geheime Rebellion Bucks hatte das Gemeinschaftsgefühl des Gespanns zerstört, und Spitz fehlte die Macht, sich Geltung zu verschaffen. Er war kein Führer mehr, dem sich alle unterwarfen. Die Aufrührer fanden bei Buck Unterstützung, die frühere Scheu vor Spitz wich, und die Hunde fühlten sich ihm ebenbürtig. Pike raubte offen dem Leithund seine halbe Fischration, und Buck beschützte den Dieb. Ein anderes Mal lehnten sich Dub und Joe gegen eine wohlverdiente Strafe auf, drehten den Spieß um und gingen auf Spitz los. Selbst Billie, der sonst so gutmütige, winselte weniger erbarmungswürdig als früher und zeigte rebellische Gelüste. Wenn Buck in die Nähe des Leithundes kam, knurrte er drohend, und seine Nackenhaare sträubten sich. Buck war ein Unruhestifter geworden, und immer öfter forderte er Spitz prahlerisch heraus.

Je mehr die Disziplin nachließ, um so streitsüchtiger wurde das Gespann, und manchmal glich das Lager einem Tollhaus. Selbst Dave und Solleks, die sich um alle diese Dinge wenig kümmerten, wurden reizbar und empfindlich. François’ Fluchen half nur wenig, und wenn er auch oft in ohnmächtiger Wut auf den Boden stampfte und seine Peitsche mitten in die Meute niedersausen ließ, nützte es nichts. Sobald er ihr den Rücken kehrte, ging es von neuem los. François wußte genau, daß Buck hinter diesem Aufruhr steckte, aber er konnte ihn nie auf frischer Tat ertappen. Vor dem Schlitten erfüllte Buck gewissenhaft seine Pflichten, die Plage im Gespann war ihm längst zum Vergnügen geworden. Aber noch größer war die versteckte Lust, Verwirrung zu stiften und die Stränge in Unordnung zu bringen.

An der Mündung des Takhenaflusses, abends nach dem Essen, stöberte Dub einen Schneehasen auf, verfehlte ihn aber. Innerhalb einer Sekunde beteiligte sich das ganze Gespann an der Jagd, und etwa fünfzig Hunde aus einem nahegelegenen Lager der Nordwest-Polizei schlossen sich an. Der Hase rannte den Fluß hinunter, bog in einen kleinen Bach ein, auf dessen Eis-und Schneedecke er weiterlief. Er sprang leichtfüßig über den Schnee, während die schweren Pfoten der Hunde tief einsanken. Buck lief an der Spitze des Rudels. Im fahlen, weißen Mondlicht fegte sein machtvoller Körper über die weiße Schneedecke, aber er kam dem Hasen nicht näher.

Jener Instinkt, der die Menschen von Zeit zu Zeit aus ihren lärmerfüllten Städten hinaus in die Wälder auf die Jagd treibt, die gleiche Mordlust, die gleiche Freude am Töten ergriff auch Buck, nur war sie ihm unendlich vertrauter, seinem Wesen zutiefst entsprechend. Er stürmte und hetzte das Wild, das lebende Fleisch, um es mit seinen Zähnen niederzureißen und die Schnauze im warmen Blut baden zu können.

Spitz, der auch in so aufregenden Momenten kalt und berechnend blieb, verließ das Rudel und schnitt den großen Bogen ab, den der Bach machte. Buck hatte nichts gemerkt. Er stürmte um die Biegung, als sich plötzlich ein weißer Schatten vom höhergelegenen Ufer herab auf seine Beute warf. Es war Spitz. Der Hase konnte nicht mehr wenden, er schrie wie ein Mensch in Todesnot auf, als die weißblitzenden Zähne sein Rückgrat brachen. Seinen Todesschrei beantworteten die Hunde mit einem höllischen Freudengeheul.

Das war zuviel für Buck. Wie besessen fuhr er auf Spitz los, verfehlte aber seine Kehle. Sie überschlugen sich und stürzten beide in den aufstiebenden Pulverschnee. Spitz kam sofort wieder auf die Beine und riß Buck die Schulter auf. Zweimal schnappten seine Zähne zusammen wie die Stahlbügel einer Falle, dann sprang er mit verzerrten Lippen und einem heiseren Knurren zurück.

Buck erkannte blitzschnell: Die Stunde der Entscheidung war da. Jetzt ging es um Leben und Tod. Als sie sich jaulend, mit zurückgelegten Ohren umkreisten und angespannt die Bewegungen des anderen belauerten, empfand es Buck wie etwas längst Vertrautes. Uralte Instinkte wurden in ihm wach. So war es immer schon gewesen: die weißen, schweigenden Wälder, das weiße, schweigende Land im Mondlicht und die Schauer wilder Kampflust. Eine geisterhafte Stille lag über dem fahlen Schnee. Nicht der leiseste Lufthauch bewegte sich, kein Blatt zitterte, nur der Atem der Hunde stieg langsam in die frostige Luft auf. Sie hatten längst mit dem Schneehasen kurzen Prozeß gemacht und umkreisten nun erwartungsvoll die beiden Rivalen. Diese Köter waren im Grunde nichts anderes als gezähmte Wölfe, lautlos zogen sie den Kreis enger, ihr heißer Atem hing in der kalten Luft wie eine große Wolke, und das grüne Licht ihrer Augen zeigte unverhohlene Gier. Für Buck war dies alles weder neu noch seltsam. Seit jeher spielten sich die Dinge so ab, so und nicht anders.

Spitz war ein erfahrener Kämpfer. Von Spitzbergen bis Kanada hatte er sich gegen alle Hunde behauptet und war ihrer Herr geworden. Niemals wurde er blind in seiner Wut. Er wollte seinen Gegner in Stücke reißen und unschädlich machen, aber er vergaß nicht, daß auch sein Gegner dasselbe wollte. Niemals griff er an, ohne sich gleichzeitig zu decken, er wehrte den Ansturm ab und ging dann erst selber los.

Vergeblich suchte Buck seine Zähne in den Nacken des Gegners zu graben, Spitz gab ihm keine Chance. Wenn immer Buck nach der Kehle des weißen Hundes fuhr, mußte er sich blutend zurückziehen, und er entschloß sich, seine Taktik zu ändern. Er versuchte, Spitz in die Flanken zu kommen, aber nur seine eigenen Schultern wurden zerfetzt und aufgerissen. Noch immer war Spitz unverletzt, Buck aber schon blutüberströmt und wild hechelnd.

Schweigend, regungslos wartete um sie der Kreis wölfischer Hunde.

Als Buck immer erschöpfter wurde, warf sich Spitz auf ihn. Er griff seinen Gegner so hart an, daß Buck taumelte. Schon fuhr der Kreis der Zuschauer auf, aber noch einmal gelang es Buck, das Gleichgewicht zu halten, und die Hunde sanken wieder nieder.

Aber Buck hatte eine Eigenschaft, die seine zukünftige Größe bedingte. Er kämpfte nicht nur aus Instinkt, er gebrauchte seinen Kopf und seine Klugheit.

Der Kampf wurde verzweifelt, und Buck wußte, daß er nicht mehr lange durchhalten konnte. Wieder fuhr er an die Kehle seines Feindes, im letzten Augenblick ließ er sich aber auf den Schnee niederfallen, seine Kiefer schlossen sich um das linke Vorderbein des Leithundes, und der Knochen brach knirschend. Spitz heulte auf, er besaß nur mehr drei heile Pfoten. Aber auch auf drei heilen Pfoten hielt er sich, er strauchelte nicht einmal. Dreimal sprang ihn Buck vergebens an, dann wiederholte er den Trick und brach auch das rechte Vorderbein. Die Hunde kamen näher und näher, der Kreis verengte sich mehr und mehr. Spitz wußte, was dies bedeutete, er wußte, daß er keine Hoffnung mehr hatte, schon fühlte er den Atem der Meute und hörte das gierige Hecheln ringsum. Er raffte sich auf, und Buck griff sofort an. Spitz konnte nicht mehr ausweichen und keinen Widerstand mehr leisten. Der Kampf war entschieden, Spitz hatte ihn verloren.

Der dunkle Kreis wurde zu einem schwarzen Knäuel sich drängender Hunde inmitten der mondbeschienenen, weißen Ebene. Buck stand abseits, einsam, allein: Er war der Sieger.

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