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Vorwort

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Mein Vater interessierte sich für Geschichte, und er liebte die Frauen. Diese beiden Faktoren lenkten seinen Blick auf das Thema Frauenhass, das sich so grundsätzlich von den spezifisch nordirischen Problemen unterschied, mit denen er sich als Journalist vor allem beschäftigt hatte.

2002 begann er an dem Buch zu schreiben. Von Anfang an sorgte das Thema für Gesprächsstoff. Eine Reaktion, die häufig von anderen Männern kam, wenn mein Vater ihnen erzählte, woran er gerade arbeitete, war die Annahme, dass sein Buch irgendeine Art von Rechtfertigung des Frauenhasses werden sollte, was er unbegreiflich fand. Eine andere weit verbreitete Reaktion war die Frage, wie ein Mann dazu kam, ein Buch über Misogynie zu schreiben. Seine Antwort darauf war einfach. »Warum nicht? Sie wurde von Männern erfunden.«

Er war überwältigt von der unvorstellbar langen Liste der Verbrechen, die von Ehemännern, Vätern, Nachbarn und Regierenden gegen Frauen verübt wurden und werden. Meine Mutter und ich hörten schaudernd zu, wenn er sie uns aufzählte: von den aberwitzigen Folterungen angeblicher Hexen im Europa des ausgehenden Mittelalters bis zu den entsetzlichen Grausamkeiten, die Frauen in nordkoreanischen Gefängnissen erleiden müssen. Er sammelte Zeitungsausschnitte, er las unzählige Tatsachenberichte, er suchte in Dichtung und Theaterliteratur nach einer kulturgeschichtlichen Erklärung.

Für meinen Vater war dies sein wichtigstes Werk. Mit ihm richtete er sein journalistisches Interesse auf die deprimierende Frage: Wie ist es zu erklären, dass seit Anbeginn der Geschichte eine Hälfte der Menschheit von der anderen unterdrückt und ihrer menschlichen Würde beraubt wird?

Er ging dieser Frage mit dem Instrumentarium nach, das es ihm auch ermöglichte, seinen Lesern andere Konflikte unserer Zeit begreiflich und erfahrbar zu machen: mit seiner Fähigkeit, schwieriges, unzugängliches Material zu bündeln, seiner gründlichen Kenntnis der westlichen Kultur und Geschichte, seinem Mitgefühl für die Unterdrückten und seinem lyrischen Prosastil. Auf dieser Grundlage zeichnete er eine Geschichte auf, die angesichts ihrer oft grausamen Details erstaunlich leicht zu lesen ist.

Im März 2004, einen Monat, nachdem er das Manuskript zu diesem Buch abgeschlossen hatte, wurde Krebs bei ihm diagnostiziert. Zwei Monate später starb er am NK/T-Zell-Lymphom, einer extrem seltenen Form der Krebserkrankung, die fast immer tödlich verläuft. Auch wenn er bereits geschwächt war durch Krankheit und Therapie, nahm ihn das Projekt doch nach wie vor so in Anspruch, dass er noch im Krankenhaus an den letzten Korrekturdurchgängen arbeitete.

Die Vater-Tochter-Beziehung nimmt einen wichtigen Platz in diesem Buch ein, denn gerade in dieser engsten aller Bindungen wird die folgenschwere Linie des Frauenhasses perpetuiert oder unterbrochen. Sie spielt darüber hinaus eine zentrale Rolle im Leben eines jeden Mädchens – und mein Vater erfüllte seinen elterlichen Auftrag mit heiterer Gelassenheit und ungetrübter Bewunderung. Den Beginn meines Frauseins nahm er mit Würde und wohlwollendem Verständnis hin. Vor allem aber fragte er mich immer nach meiner Meinung. Er ermutigte mich, meine Gedanken zu äußern, ihm zu widersprechen. Manchmal lachte er und zog mich mit meinen jugendlichen Überzeugungen auf; bei anderen Gelegenheiten entwickelten sich hitzige Diskussionen. An dem, was er sagte, merkte ich, dass er meinen Intellekt zu würdigen wusste. An dem weichen Ausdruck in seinen Augen merkte ich, dass er das Weibliche an mir schätzte.

Ich kann dieser vorbehaltlosen Anerkennung gar nicht genug Bedeutung beimessen, insbesondere jetzt, da ich sie nicht mehr habe. Als ich las, was mein Vater über das geschrieben hatte, was Frauen über die Jahrhunderte hinweg auf allen Kontinenten zu erdulden hatten, wurde ich mir einer gewissen Ironie bewusst. Mir selbst blieben die Begleiterscheinungen des Frauenhasses erspart. Ich genoss das Privileg, zumindest zu Hause ein Leben ohne Fesseln dieser Art zu führen.

Der zärtlichste Moment, der mir aus einem ganzen Leben voller liebevoller Erinnerungen im Gedächtnis geblieben ist, war unser Beisammensein, drei Tage bevor er starb. Wir saßen im Aufenthaltsraum eines Krankenhauses in Manhattan und gingen gemeinsam das Manuskript durch. Ich las laut vor, und er wollte wissen, ob ich irgendwelche Änderungsvorschläge habe. Ich fühlte mich geschmeichelt, dass er – der anerkannte Autor und erfahrene Journalist, der Erwachsene und Vater – mich – die Nachwuchsreporterin ohne jede Erfahrung, die junge Frau und Tochter – nach meiner Meinung fragte.

Es war ein strahlender Augenblick, verklärt noch in der Erinnerung. Ich hatte das Gefühl, dass die stille Beschäftigung, in die wir vertieft waren, stärker war als die Krankheit. In dem sonnendurchfluteten Raum hoch über dem Hudson River konnten wir für kurze Zeit den Schmerz und die Angst vergessen, die auf dieser Krebsstation allgegenwärtig waren.

Wir saßen noch nicht lange über das Manuskript gebeugt, als ich merkte, dass der Arzt meines Vaters, ein freundlicher, sanfter Mann, der kaum zwei Wochen zuvor meiner Mutter und mir mitgeteilt hatte, dass das Ende bevorstand, in der Tür stand und uns, sichtlich bewegt, ansah. Seinem Gesichtsausdruck entnahm ich, dass er Szenen wie diese nicht sehr oft beobachten konnte.

Mein Vater erlebte seine Kindheit und Jugend in Nordirland in den Fünfzigern und den gesellschaftlich und politisch turbulenten Sechzigern des letzten Jahrhunderts. Von klein auf war er von patenten Frauen umgeben. Er wuchs hauptsächlich bei seiner Großmutter Kate Murphy Holland, einer echten Matriarchin aus der wild-verwegenen Landschaft von Down, auf, sowie bei seiner Tante »Cissy« Martha Holland, einer sehr schönen Frau, die nie verheiratet war und in einer der vielen Leinenwebereien in Belfast gearbeitet hatte. Die Familie seiner Mutter Elizabeth Rodgers Holland war so arm, dass das Mädchen nur unregelmäßig die Schule besuchen konnte. In seiner beruflichen Laufbahn war sie eine Quelle der Inspiration für ihn. Sein Ziel als Autor und Journalist war es, Menschen wie ihr, die im herkömmlichen Sinne ungebildet waren, aber einen klugen Kopf hatten, den Zugang zu komplexen Gedankenzusammenhängen zu öffnen.

Die Erfahrungswelt der Frauen hat ihn immer beschäftigt. Als er sein erstes Sachbuch über den Nordirlandkonflikt schrieb, der zu dieser Zeit seinen blutigen Höhepunkt erreicht hatte, griff er unter anderem auf Briefe und mündliche Erzählungen seiner Mutter und seiner Tante zurück. Entstanden ist ein bewegendes Dokument, das Buch Too long a Sacrifice: Life and Death in Northern Ireland since 1969, das 1981 erschien. Sein erster Roman, The Prisoner’s Wife (1982), handelte von dem Leid, das Frauen erdulden, wenn Männer Kriege führen.

Die wichtigste Frau im Leben meines Vaters war meine Mutter Mary Hudson, eine begnadete Sprachwissenschaftlerin und Lehrerin mit scharfem Verstand. Die beiden, die sich persönlich und beruflich auf wunderbare Weise ergänzten, führten eine erfüllte und glückliche 30-jährige Ehe. Als Kind und Jugendliche habe ich zahllose Gespräche bei Tisch erlebt, in denen es darum ging, wie dieser oder jener Aspekt eines Buches, an dem er gerade schrieb, herausgearbeitet werden könne. Bei allen seinen Büchern sorgte ihre redaktionelle Bearbeitung für den letzten Schliff.

Der Hartnäckigkeit meiner Mutter ist es zu verdanken, dass dieses Buch überhaupt erscheinen konnte. Der US-amerikanische Verlag, mit dem mein Vater einen Vertrag abgeschlossen und während des Schreibens enge Verbindung gehalten hatte, erklärte das Manuskript nach seinem Tod unbegreiflicherweise für nicht veröffentlichbar. Meine Mutter wusste, dass das nicht stimmte, und sie setzte es sich in den Kopf, eine Heimat für das Buch zu finden, weil sie der Meinung war, dass die Geschichte, von der es handelt, erzählt werden muss. Und mit ihrer Unbeirrbarkeit schaffte sie es, dass das Buch mit seiner wichtigen und nachdenklich stimmenden Botschaft nun seine Leserschaft erreicht.

Wir leben heute in einer einigermaßen aufgeklärten Zeit, in der Misogynie nicht nur als Ursache für Unterdrückung und Ungerechtigkeit, sondern auch als Hindernis für die menschliche Entwicklung und den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt erkannt worden ist. Dennoch werden Frauen für die gleiche Arbeit immer noch schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, wird das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, das in den USA vor Jahrzehnten errungen wurde, wieder verwässert. Eine echte Gleichberechtigung ist noch in weiter Ferne, und in vielen Teilen der Welt, in denen die Geschlechterfrage durch Armut, Unwissenheit, Fundamentalismus und Krankheit überlagert ist, hat sich die Lage der Frauen in den letzten Jahrhunderten kaum verbessert.

Natürlich war sich mein Vater darüber im Klaren, dass diese Probleme nicht durch ein Buch und auch nicht durch viele Bücher zu lösen sind. Aber dieses sein letztes Werk ist ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen die älteste Diskriminierung der Welt.

Jenny Holland

Misogynie

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