Читать книгу Parcours d`amour - Jacques Varicourt - Страница 6
Die Familie
ОглавлениеDie eigene Familie hier auch nur zu erwähnen, bringt mich höchstwahrscheinlich um mein Erbe. Aber, wenn ich sowieso schon enterbt bin, mütterlichseits, wie es mir mein Vater im „Voraus“ prophezeit hat, bzw. er es vielleicht auch nur vermutete, er es mir so Stück für Stück beibringen wollte letztes Jahr: Dann scheiße ich natürlich auf alles, natürlich nicht auf meinen Pflichtanspruch, denn der steht mir ja zu. Jener Anspruch ist irgendwann einmal, gesetzlich, Gott sei Dank, so festgelegt worden. Egal wie viel es dann auch sein wird, man nimmt, was man kriegt, und „nicht“ das, was man „verdient“, ich meine damit die Betrachtungsweise aus der Sicht der anderen, die ja immer im Rechten sind, weil sie alles besser wissen, jedenfalls glauben sie das. Welche Familie unterscheidet sich da schon? - Es war im Sommer 1979 als mein Vater, Jürgen Stobbe sen., gegen Mittag, vorzeitig von der Arbeit nach Hause kam, und meine Mutter „Eva“ und deren beste Freundin „Doris“, nur mit einen hauchdünnen Höschen bekleidet, engumschlungen, tanzend, der realen Welt weit entrückt, alles um sich herum vergessend, antraf. Beide hatten gerade einige zärtliche Berührungen, ein paar Liebkosungen der Brüste, ein paar intime Küsse auf die Innenseiten ihrer Oberschenkel ausgetauscht. Nebenbei allerdings Gardinen aufgehängt, sowie dem gut gekühlten Sekt zugesprochen. Sie waren in bester Laune gewesen, bis mein Vater, das Wohnzimmer, vor ohrenbetäubender Discomusik dröhnend, sehr langsam und sehr neugierig betrat, denn er hatte mich, seinen Sohn, mit meiner Freundin erwartet, und nicht seine Ehefrau in den Armen einer „anderen“. Daraufhin, nach dieser Fehlerwartung, platzte meinem Vater der Kragen. „Was ist das denn?“ Hörte man ihn sagen. Doch diese Frage war nur der Anfang vom Ende einer langen, nicht immer leichten Beziehung. Unerträgliches Geschrei auf beiden Seiten entstand. „Mon Papa“ übertönte in seiner sprachlichen Gewalt, in seinem aufflammenden Hass, in seiner Frustration sogar die stampfende Discomusik der schwedischen Popgruppe „ABBA“. Papa war außer sich, kaum noch zu verstehen, so leidenschaftlich, so inbrünstig, so irre, überschlug sich seine, vom Alkohol geformte, tiefe, bisweilen weinerliche, ja sogar bis ins „Animalische“ unerhört laut klingende Stimme. Er war geschockt, zu tiefst getroffen - er war fertig mit der Welt. Dann jedoch, nach einem durchaus plausiblen, logischen, ernsthaften und sachlichen Streitgespräch, welches die drei sichtlich erregt führten - Argumente verschiedener Ursprünge prallten aufeinander-, glätteten sich die aufgeschäumten Wogen wieder. Selbst die streitsüchtige Doris beruhigte sich so nach und nach, denn auch sie war verheiratet. Auch sie hatte somit etwas zu verlieren, in der noch nicht ganz so toleranten Gesellschaft der siebziger Jahre. Doch mein Vater, in diesem Moment einen Ehrenmann, versprach zu schweigen, „zu niemanden ein Wort,“ hieß die Vereinbarung. Alle Beteiligten schworen ihren ganz persönlichen Eid... So also hielt der Alltag, erneut wieder Einzug, in unsere kleine Familie, in Neuwiedenthal, im Wiedauweg, unserer Straße, Nr. 6. Vater und Mutter einigten sich, nicht zuletzt meinetwegen. Man gewährte sich, nach einem sehr langen weiteren Gespräch, ohne Doris, als ich schon schlief, sexuelle Freiheiten. Mutter hatte weiterhin ihre jungen Freundinnen, Vater bevorzugte, wenn er auf Montage war, „Frisches“ von der Seitenstraße. Junge Mädchen, ein wenig verrucht, ein wenig drogenabhängig, ein wenig anlehnungsbedürftig, und zum Sex allzeit bereit, gegen Bezahlung, das war sein Ding. Hier fand er, als Mann, die Bestätigung, die ihm meine Mutter versagte. Eva (meine sonderbare Mutter) wollte nämlich ihre Bisexualität, häufig sehr exzessiv, sehr aggressiv und sehr intensiv ausleben. Sie suchte überall ihre Gespielinnen, im Wohnhaus, im Wohnblock gegenüber, auf der Arbeit; z. B. bei Reynolds Aluminium, auf irgendwelchen Stadtteilfesten, in der Jazztanzgruppe, in Schwimmbädern, auf Kuren, im Urlaub, ja sogar in der eigenen Familie, sie war sexsüchtig. Mutti hatte sich außerdem, in der Vergangenheit, an meine Tante: „Ruth Stobbe“ rangeschmissen, stieß allerdings bei ihr auf ein totales Unverständnis, angewidert, verärgert und irritiert, wies Ruth sie zurück in ihre lüsternen Schranken. Bei Irmgard, auch eine Tante von mir, der Ehefrau von ihrem Bruder Manfred, hatte sie mehr Erfolg. Es kam zwar nicht zum Geschlechtsakt, aber sie fand bei Irmgard, in Zeiten des Kummers, fürsorgliche Hilfe sowie Beistand. Irmgard und Mutti führten ein Verhältnis wie eine „ältere und jüngere Schwester“ - bei der Mutti, die dominierende Rolle gerne für sich in Anspruch nahm. Aber auch ihre beiden Brüder gehören diesbezüglich mit auf den Parcours d`amour. Da wären also: Der bereits erwähnte jüngere Bruder Manfred Kupka sowie der ein Jahr ältere Karl-Heinz Kupka. Diese beiden Brüder zeigten schon in frühster Jugend, Anzeichen von großer, sexueller Aktivität. Meine Oma, genannt „Oma Dicki“, zwangsläufig die Mutter der drei Aktivisten, erzählte mir zu Lebzeiten einmal folgende kleine, aber sehr interessante Geschichte: Es war im Frühjahr 1960, als meine Oma auf dem Hof in der Lassallestraße die Wäsche aufhängte. Manfred, Karl-Heinz und meine Mutter Eva waren unterdessen in der Wohnung zurückgeblieben. Die Brüder, eigentlich stinke faul, machten angeblich „freiwillig“ Schularbeiten. Eva hingegen, machte sich für den bevorstehenden Abend fertig, ein Rendezvous mit einem Verehrer aus der Nachbarschaft stand auf dem Plan. Nichtsahnend, Minuten später, kehrte meine Oma, mit dem leeren Wäschekorb unter dem Arm, zurück in die Wohnung. Sie war gerade im Begriff in die Küche zu gehen, den Korb in die Kammer zu legen, da hörte sie Gekicher und Gestöhne; in der Küche nämlich, befand sich eine Tür, welche mit dem Badezimmer verbunden war, in diesem sich wiederum meine Mutter befand. Wohnungstür und Küchentür standen weit offen, „unvorsichtigerweise“, in Bezug auf Manfred und Karl-Heinz betrachtet. Denn sie hatten, im Eifer des Gefechtes vergessen, wenigstens die Wohnungstür zu schließen. Also, „lugte“ Oma Dicki vorsichtig um die Ecke, - mit weit aufgerissenen Augen sah sie, wie ihr fünfzehnjähriger Sohn Manfred, und ihr sechzehnjähriger Sohn Karl-Heinz, mit herunter gezogenen Hosen, jeder für sich, an seinem, bereits versteiften „Pimmel“ herumfummelte. Abwechselnd gierten die beiden Onanisten durch das Schlüsselloch, um so meine Mutter bei ihrer ausgiebigen Körperpflege zu beobachten. Sie genossen mit großer Freude den Anblick, wie Eva, damals knapp achtzehn Jahre jung, ihre schönen großen Brüste mit dem Schwamm wusch, wie sie ihre Muschi gewissenhaft, mit der ganzen Hand nachmassierte, wie sie sich, sehr aufreizend und sehr provozierend verhielt. Ja, auch Eva wusste, ohne wenn und aber, von dem allzu häufigen Treiben ihrer beiden Brüder hinter der Tür. Sie genoss es ebenso wie die zwei pubertierenden Halbstarken. Nur meine Oma, mittlerweile in Rage, beendete das unmissverständliche Miteinander durch ein paar schallende Backpfeifen rechts und links. Manfred war total erschrocken, Karl-Heinz jedoch, immer schon etwas weich und empfindlich, fing, nach der unfreiwilligen Gesichtsmassage, spontan an zu weinen, und auch Eva bekam, nachdem sie sich fertig gewaschen hatte, einen kräftigen Backs auf die Wange. „So`n Schweinkram hört in meiner Wohnung ab sofort auf“, hörte man meine Oma, laut und energisch, aber eindeutig, sagen. Mein Opa, ein rechtschaffener, fleißiger, zigarrerauchender Familienmensch, erfuhr „nichts“ von derartigen jugendlichen Bedürfnissen und Auslebungen hinter seinem Rücken. Man verschonte ihn ganz einfach damit. Und als er von der Arbeit, Minuten später nach Hause kam, und fragte: „Gab es irgendetwas Besonderes heute?“ Da sagte meine Oma nicht ohne einen Sinn fürs Spitäische: „Nein Alfons, „alles wie immer“, du kannst gleich mit dem Essen anfangen...“ Ja, und trotz dieser vielleicht, wirklich peinlichen Situation für alle Beteiligten im Frühling des Jahres 1960, die sich übrigens allen Erwartungen zum Trotz „nicht“ wiederholte, entwickelten sich die drei Kinder relativ normal. Der Lebenslauf meiner Mutter, durch eine sehr frühe Heirat mit meinem Vater geprägt, ist sicherlich etwas abweichend in seinen späteren Variationen. Manfred und Karl-Heinz heirateten ebenfalls relativ früh, und meine Oma, ab 1965 Witwe, beschränkte ihre eigene Sexualität, ihre Wünsche und Sehnsüchte, auf das Betrachten von schönen Menschen im Fernsehen und in Zeitschriften. Nach der Trennung „meiner Eltern“ im Jahre 1980, blieb ich aus vielerlei Gründen bei meiner Mutter. Ich wollte so meiner Oma, „Oma Dicki“, näher sein. Beide Elternteile, Mutter wie auch Vater, fanden neue Partner. Meine Mutter wandte sich (dem Hardcore-Bumser und Sex-Experten) Karl Grehn zu, der zeitlebens unter der Homosexualität seines jüngeren Bruders litt, und das immer wieder, und das vor allem, gerne und offen bekundete, also, das Leiden, das Mitfühlen, das Aufgeilen ist in diesem speziellen Fall gemeint. Es ergötzte ihn (Karl Grehn), sich mit der Thematik Homosexualität, Bisexualität, sowie sexuell anders-artig-sein, intensiv auseinander- zusetzen, es mit zu gestalten, ja, es mitzuerleben, heimlich betrachtend, wie auch selbst agierend. Immer wieder fand er einen überraschenden Zugang in so manchem Gespräch, welches eigentlich gar nichts mit seinem Lieblingsthema zu tun hatte. Aber das war eben sein Geschick, seine Art und Weise, das Vertuschen, das Interpretieren, das Umwandeln für sich, aus welchen Gründen auch immer. Er genoss seine Befriedigung in der Vorstellung von diversen sexuellen Praktiken, und wahrscheinlich aufgrund dessen, war er mit meiner Mutter Eva - der langersehnten Partnerin-, dauerhaft zusammen. Er fand, darüber hinaus, in ihr, eine begeisterte Zuhörerin, die seine Perversität, sein Ausleben der Fakten, die in ihm gärend schlummerten, durchaus teilte. Zwei die sich gesucht hatten, waren sich nun endlich eins geworden. Denn Karl Grehn, Arbeit war sein Leben, war bis zu seiner wohlverdienten Rente - Kranführer gewesen. Er war ein, allem Anschein nach, ehrlicher, anständiger, von Leistung und Tugenden gezeichneter einfacher Kerl, der in frühster Jugend mit der „Sünde“ knallhart konfrontiert wurde, nämlich bei der: H. J., zu Adolfs Zeiten. Er erlebte seinerzeit dieses, jenes extreme Empfinden, in Form von Bildern und so manchem Allerlei, fast-pornographischen und verbotenen Heften, die er eifrig sammelte und intensiv studierte - abends im Schlafsaal unter der Decke, mit einer Taschenlampe ausgestattet, still und leise, besah sich der dreizehnjährige Karl Grehn, blanke Busen, endlose Beine sowie rot geschminkte Lippen... eine aller erste, feuchte, Erregung setzte dadurch bei ihm ein. Zeitlebens war er ein Sklave der weiblichen, göttlichen Darstellung, des Pornographischen, des Anstößigen, doch gerade „das“ forderte seine, etwas sehr gestörte Libido, Tag für Tag, aufs Neue heraus. Immer wieder verfiel er in schmutzige Gedanken an Frauen, aber auch an junge, schöne, wohlgeformte Männer, mit denen er den Beischlaf, in Gedanken verübte. - Mal brutal, mal eben weniger heftig. Solche und ähnliche filmreife Sequenzen, begleiteten ihn, in seinem Kopf, neu geordnet, häufig, in späteren Jahren, bei seiner Tätigkeit auf seinem Kran. „So“, und nicht anders, ich vermute das ganz einfach, verging die Zeit auf jenem Kran, wenn er mal nichts zu tun hatte. Er blickte so manchen sonnigen Morgen, wehmütig, einsam und verlassen, nicht zuletzt von sich selbst, in die junge deutsche Vergangenheit zurück, seine Gedanken schweiften dabei über die Stadt Hamburg hinweg, und er erfreute sich am Sexappeal der Männer und Frauen, die auf dem Weg zur Arbeit waren. Für ihn, ich meine, für ihn ganz alleine also, war das so etwas wie Vergangenheits- und Gegenwartsvergleich. Es war ihm, wenn er so da saß, die Hand fest zwischen die Beine geklemmt, in der Mittagszeit zum Beispiel, sicherlich von „Wichtigkeit“, „wen“ er alles von da oben bespannte, für den stummen, schweigsamen und vertraulichen Betrachter jedoch, lediglich eine Perspektive, eine Banalität, eine normale Angelegenheit, mehr nicht, nicht erwähnenswert. Karl seine Sehnsüchte kreisten hingegen unstet umher, sie verharrten nirgendwo, er suchte die Objekte seiner Geilheit ständig und überall. Doch es gab, als man sich besser kennen gelernt hatte, nun, meine Mutter Eva. Sie war das von Karl erwählte Sexualobjekt, für die Lust, mit ihren vielschichtigen Neigungen, die beiden sehr willkommen waren. Eva war ein tyrannisches, herrschsüchtiges, von Rachegedanken und Mordgelüsten getriebenes Weib. Sie hatte mit Karl Grehn die ideale Partie gemacht. Eva, die ihre harte bisexuelle Gangart kompromisslos auslebte, und es auch so wollte, wollte aber auch von einem älteren, väterlichen gestandenen Mann, so richtig rangenommen werden, - und „das“ nach eigenem Bekunden, Zeugen bestätigten mir das einmal. In Karl Grehn hatte sie somit die perfekte Kombination diesbezüglich erstanden. Sie war nun endlich wieder glücklich, nach all den Saufexzessen mit meinem Vater, und der damit verbundenen Zwangsruhe im ehelichen Bett. Bier macht blöde und impotent, denn wer zu viel säuft oder auch kifft, kommt in die Propellerschraube vom sinkenden Schiff der Liebe... Mein trinkfreudiger Papa, Jürgen Stobbe sen., war, aus seiner Sicht betrachtet, aber auch nicht gerade unglücklich. Er hatte im Jahre 1980 ebenfalls eine neue, sechs Jahre ältere Partnerin gefunden und stürmisch lieben gelernt. Helga Winkelbach, eigentlich nur Winkelbach/bzw. Tiedemann, später, durch die Heirat mit meinem Vater - Helga Stobbe. Helga war in gewisser Weise meiner leiblichen Mutter nicht allzu unähnlich. Aber sie hatte, im Gegensatz zu Eva, eine geballte Ladung an krimineller Energie in sich, die sie immer mal wieder in Schwierigkeiten gebracht hatte. Kreditbetrug im größeren, reichhaltigeren, lohnenderen Rahmen, fernab jeder Gesetzesmäßigkeit, war ihre große Leidenschaft, und letzten Endes auch ihr Verhängnis gewesen. Und jeder blaue Gerichtsbrief, der mit ihrer Kriminalität, mit jenen eben geschilderten Aktivitäten verbunden war, in all den Jahren, an der Seite meines Vaters, ließ die beiden, Helga und Jürgen sen., enger zusammenschweißen, und das widererwartend, allen Unkenrufen zum Trotz. Alkohol, Tabletten, anfängliches sexuelles Interesse auf beiden Seiten, ließ auf eine große, vielleicht sogar „ehrliche“ Beziehung hoffen. Doch Helga war Mutter von fünf Kindern gewesen, und das störte meinen, an Ruhe gewöhnten und verwöhnten Vater, vom Anfang bis zum Auszug der allerliebsten Kleinen, die Kinder wurden einfach wegignoriert. Helga und ihre Rotzlöffel auf der einen Seite, mein genervter, labiler Vater, auf der anderen Seite, ja sie arrangierten sich, unerwartet, und nicht uneigennützig, aus der Sicht meines Vaters... Ja, ja so war das in jenen Jahren. Allerdings, für die damals Heranwachsenden - eine absolute Katastrophe. Und für Sven, dem jüngsten Spross meiner Stiefmutter, führte das alles dann, später sogar, vermutlich aufgrund der durchlebten Ereignisse zum Tod durch übermäßigen Heroingenuss. Man hatte ihn, insbesondere ihn „Sven“, ausgestoßen. Aus der Familie sorgsam heraussortiert. Seine Fluchtburg, sein neues Zuhause, sein direkter Bezugspunkt, waren die Drogen geworden, weil der Ersatzvater keine Liebe geben konnte, und die Mutter (Helga) ihm keine Liebe geben durfte. Mein Vater verbot es ganz einfach. Er, mein Vater, war das neue kranke Kind im Hause Winkelbach/Stobbe. Er brauchte rund um die Uhr Aufmerksamkeit, Wärme, Zuneigung, Liebkosungen aller Art, und das von allen, wenn alle mal da waren. Und man spielte mit. Helga war für ihn Mutter sowie Geliebte. Sie nahm ihre Rolle intuitiv an. Sie wusste, dass das Einkommen meines Vaters, welches nicht gerade gering war zu jenem Zeitpunkt, für sie, und auch für die Kinder, wichtig war, wichtiger sogar als ihre eigenen Einkünfte, denn die wurden einfach so mit ausgegeben, sie verschwanden in dunklen, undurchsichtigen Kanälen auf nimmer Wiedersehen. Die störenden Kinder wurden kurzer Hand, ohne großes Aufsehen, auf Bauernhöfe, und sonst irgendwo in der großen Familie Winkelbach, großzügig verteilt. Meines Vaters Anspruch auf Ruhe wurde zu einem heiligen, zu einem gesegneten Akt der Liebe, zwischen ihm und seiner Neueroberung „Helga“. Helga gab untertänigst nach, sie fügte sich, sie verstand zwar nichts, aber sie gehorchte so gut es ging. Ja, und von ihrer bescheidenen Warte aus gesehen funktionierte es in der Tat, es lief besser und besser. Rebelliert haben die Kinder, aufgrund solcher eigenwilligen Entwicklungen, die im Grunde genommen gegen sie gerichtet waren „nicht“, vermutlich, weil die eigene Mutter auch verlegen schwieg. Sie, die Mutter, machte, nur im Nachhinein betrachtet, damit einen Fehler, aber sie machte außerdem, für meinen damals gierigen, geilen, läufigen Vater, auch die Beine breit und ließ ihn gewähren. Helga hatte bereits vor der Zeit mit meinem Vater, sämtliche Anwälte und höher gestellten Persönlichkeiten, des Hamburger Stadtteils „Harburg“ großzügig beglückt. Sie hatte versucht durch hemmungslosen Sex, einen besser situierten Herren für sich zu gewinnen - erfolglos. Nun hatte sie meinen Vater siegessicher sowie erfolgreich eingewickelt, und meine leibliche Mutter Eva war, aufgrund solcher Ereignisse, wie eigentlich „alle“ in der Familie Kupka, glücklich, dass wir unser betrunkenes, psychisch instabiles, weinerliches, wehleidiges Sorgenkind Jürgen Stobbe sen. endlich loswaren, und sich andere, von nun an, als „Leidtragende“ könnte man sie bezeichnen, seiner komplizierten Psyche annahmen, um ihn zu unterstützen und zu verstehen. Die Kupkas und auch ich, atmeten, erleichtert auf, als uns die neue Situation bewusst geworden war, wir waren entspannt, wir waren von einem Irren erster Güte, endlich befreit. Meine Mutter war zwar auch wahnsinnig, aber sie war zu damaliger Zeit, das geringere Übel - Gott sei Dank. Sie veränderte sich erst nach 1981... was auch immer es letzten Endes war, was auch immer es ausgelöst hatte, es steigerte sich, es nahm ganz allmählich Gestalt an. Eva war auf dem besten Wege, meinem Vater, rein medizinisch gesehen, in den Irrgarten des unheilbaren Schwachsinns, stufenweise zu folgen. Meiner Oma (Oma Dicki ist wieder gemeint) fiel die sonderbare Wesensabart ihrer Tochter erstmals auf, als „Eva“ in die schmierigen, von Bauschutt entstellten Hände, von Karl Grehn, für immer hinein geraten war, und er sie nicht mehr losließ. Wer jedoch wem, in dieser Beziehung hörig war, blieb bis zum heutigen Tage ein Rätsel. Oma Dicki behielt, zu damaliger Zeit, ihre Beobachtungen, ihre Eindrücke und Vermutungen, für sich. Erst als wir beide, für die Aussetzer meiner Mutter, keine Entschuldigung mehr fanden, tauschten wir jene seltsamen Einsichten und Wahrnehmungen heimlich, ohne Evas oder Karls Anwesenheit, aus. Es war allem Anschein nach die endgültige sexuelle Freiheit, die meine Mutter, durch die Trennung von meinem Vater, plötzlich genoss, und in exzessiven Nächten, mit dem ihr ebenbürtigen Karl Grehn, in Anspruch nahm. Karl wurde zu Höchstleistungen im Bett gefordert, meine Mutter war unersättlich. Sie wollte alles, sie verlangte alles, und Karl pumpte, was das Zeug hielt, auch „alles“ in sie hinein. Er tolerierte ihre bisexuellen Freundinnen, weil auch er einen latenten Hang zum gleichen Geschlecht, zu mindestens in der stürmischen Nazizeit, gehabt hatte. Er verstand sie, aber er für sich allein, hatte sein Interesse an Männern, trotzdem, zeitlebens immer unterdrückt und zur Seite geschoben, den gleichgeschlechtlichen Liebesakt also nicht versucht, nicht probiert. So etwas überließ er anderen, aber interessiert war er natürlich schon, und theoretisch, hatte er den Sex mit dem eigenen Geschlecht, mit einem ihm gefallenen jungen Mann, ohne jeden Zweifel, des Öfteren durchlebt, vielleicht auch während des Verkehrs mit meiner Mutter. Aber, andererseits war er einfach zu belesen in solchen Dingen, dass er sich der damit verbundenen Gefahr nicht bewusst war. Irgendwie war er ein Sexualforscher, ein Hobbiest, ein rammelnder Springbock, ein Gelegenheitsknaller, der nicht alles ausleben konnte und wollte, um sein Gesicht zu wahren. Aber woher, trotzdem, eigentlich dieses, über alle Maßen, erstaunliche Fachwissen herrührte, welches er meisterhaft besaß? Nein, ich fand auf diese Frage keine plausible Antwort. Meine Oma übrigens auch nicht. Wir ließen Karl erzählen und bildeten uns unsere eigene Meinung zu seinen, von ihm sorgfältig ausgewählten Lieblingsthemen, bei Kaffee und Kuchen am Nachmittag. Während sein jüngerer Bruder, - (Karls ausführliche Erzählungen dienen hier und jetzt als Grundlage), seine Homosexualität auslebte, beschränkte Karl seine homoerotischen Neigungen, auf schmuddelige Hefte und dementsprechende Videokassetten, die er sich unauffällig, durch Zweite, hinten herum besorgte. Daher vielleicht auch das detaillierte Fachwissen, aber festlegen wollte ich mich damals nicht, und möchte ich es auch heute noch nicht, das überlasse ich „gerne“ den anderen. Denn beide, Eva und Karl, hatten ihren Spaß am gemeinsamen Betrachten der sich liebenden Jünglinge, der jungen, geilen, reizenden Lesben, die sich ganz und gar der Liebe und der Lust hingaben, in freier Natur, unter einem blauen, verträumten Himmel. Eva konnte beim Betrachten der Videofilme, ihrer Beglückung kaum Ausdruck geben, ihre Sehnsucht, ihre Triebhaftigkeit, ihr Verlangen wurde unerträglich. Karl hingegen genoss, in sich ruhend, das wilde Treiben der noch unerfahrenen jungen, knusprigen, gut gebauten Burschen und Mädchen, auf der grünen, vom Sonnenschein überfluteten Wiese. Ja, und somit, durch diese Übereinstimmung ihrer Gefühle, ihrer Vorlieben, ihrer Bedürfnisse, trafen sich Eva und Karl, mit ihren Wünschen, in der Mitte der immer wiederkehrenden sexuellen Triebe. Es war eine Art wildester Leidenschaftskult, ein endloses Rennen der Geilheit, der Sexsucht, der totalen Befriedigung, der Vorstufe zur Abhängigkeit, bis hin zu abartigen, unzeitgemäßen, teilweise ekelhaften, perversen Phantasien. Karl sein Bücherregal bog sich diesbezüglich, vor erotischer, vor extremer nicht zugelassener Literatur, und meine Mutter fügte immer wieder, das eine oder auch das andere Werk, von so manchem verpönten Schreiberling hinzu. Das Immerwiederkehrende, gemeinsame, gemeinsam erregende Betrachten der Bilder, das Lesen der kleinen versauten Geschichten, das Gleichgeschlechtliche als solches, ausschließlich auf den Körper fixierte „Wollen“, ja das alles faszinierte Eva und auch Karl in ungeahnter Stärke. Es wurde zum festen Bestandteil ihres Vorspiels, ihrer eigenartigen Liebe, ihrer großen sexuellen Anziehung aufeinander - bekundete meine Mutter mir einmal, an einem vom Sekt übermäßig geprägten Abend, in ihrer, und „nur“ in ihrer, „Eigentumswohnung“ in Ottensen, (Altona, Holstenring 18), gleich neben Familie Prawitz – Parterre. Es ist bemerkenswert, dass die Familie Kupka (mein mütterlicher Familienzweig) derartige sexuelle Energien freisetzen konnte. Die Familie Stobbe (mein väterlicher Familienzweig) war in dieser Hinsicht weitaus weniger aktiv und eher „normalartig“ veranlagt. Es wurde mehr gesoffen, mehr gefeiert, mehr gelebt, mehr erlebt. - Thomas Stobbe, mein Cousin war, um einmal ein Exklusivbeispiel zu nennen, Anfang der achtziger Jahre, während seines Dienstes bei der Polizei, derartig besoffen Auto gefahren, dass er einen prallenden, verhängnisvollen Unfall hatte. Durch diesen Unfall wurde er zum Frührentner, denn seine Kollegen deckten ihn, durch eine Falschaussage, sie behaupteten: „Er sei stocknüchtern und unschuldig in den dramatischen Unfall verwickelt gewesen.“ Das rettete ihm die finanzielle Zukunft, er verlor zwar ein Auge, das andere Auge wurde ebenfalls erheblich in Mitleidenschaft gezogen, aber eine Rente von damals 3800 DM, „beruhigt“ jede angeknackste Seele, und nicht nur der feierliche Alkohol hinterher ist damit gemeint. Ja, wenn die Polizei hilft, bei einem Kollegen, dann aber auch richtig. Die Polizei - Dein Freund und Helfer. Allerdings konnten sie (die loyalen Polizeikollegen) Thomas Stobbes Arroganz, seine Borniertheit, sein Getue und Gehabe, nicht ändern. Thomas blieb, was er eigentlich immer war, ein unbedeutender Schlumpf, der es versäumt hatte aus seiner Situation das Beste zu machen. Er war, wenn man ihn mal auf der Straße antraf, immer aufgeregt, getrieben von der Unattraktivität seiner Person, natürlich bedingt durch den schweren Unfall. Er suchte im Dunkel des hereinbrechenden Abends Unterschlupf in einer Kneipe, er verabscheute den Tag, weil der Tag alles Entstellte zum Vorschein bringt. Thomas kam mit sich selber nicht mehr klar. Geld hatte er ohne Ende, aber der Preis den er dafür bezahlt hatte, war zu schmerzlich gewesen. Ihm wurde das mit zunehmendem Alter immer bewusster. Was allerdings, konkret, in seinem Kopf so vor sich ging, - ich habe es nie hinterfragt, nie untersucht, es war auch nie wirklich wichtig für mich, denn die beiden Familien Stobbe/Kupka unterscheiden sich zu sehr, als dass man Vergleiche anstellen sollte. Einerseits Suff, Drogen, Selbstmordversuche, Tablettenabhängigkeit, Tablettenmissbrauch und andererseits: Quartals-Suff, sexuelle Perversion, Selbstmord, Geistesgestörtheit sowie sich gegenseitiges anscheißen. Aber, um es noch einmal auf den Punkt zu bringen, auf den „Parcours d`amour“ gehört in erster Linie das Sexuelle, das Leidenschaftliche, das Unersättliche, und da waren die Kupkaner (meine mütterliche Abstammung) eben „federführend“, wenn nicht sogar „wegweisend“ für andere, die ebenso fühlten und lebten, bzw. immer noch leben. Ich weiß, ich schreibe in der Gegenwart und in der Vergangenheit, ich tue das, weil ich, während, ich diese Zeilen zu Papier bringe, immer wieder neue Ereignisse geschehen, die ich dann, ganz aktuell, mit einfüge, mitlaufen lasse, auf den Parcours d`amour. So erhalte ich, auch für mich selber, eine gewisse Spannung, ein Prickeln, ein Kribbeln, ein Erwarten auf eine neue unbekannte Entwicklung, innerhalb der einzelnen Kapitel, an denen ich mich, gelegentlich sogar noch nachhaltig orientiere. Als Beweis dient an dieser Stelle, der Sieg von Gesangstalent „Alexander“, bei: „Deutschland sucht den Superstar (2003),“ obwohl ich auf die liebreizende Juliette gewettet habe. Sie hat den wirklichen Glamour einer frischen, unverbrauchten, anziehenden jungen Frau, den die Männer, mich besonders, in den Bann zieht. Ihre Beine sind die Marmorsäulen eines Kolosseums der Antike, man wird unweigerlich scharf, man möchte ihre Beine berühren, sie mit Honig bestreichen und dann langsam, bis hoch in den Schambereich ablecken. Ihre Brüste sind einfach nur sexy - geil und schön, und ihre Augen, sowie ihr Lächeln verzaubern jeden „immer noch strammen Hengst“, der sich leider schon in den späten Dreißigern seines Lebens befindet... Ach die Jugend, ihr ewig jungen Mädchen, ihr seid so schön, so versaut, so hemmungslos, so ohne jeden Anstand, wenn man mit euch mal alleine ist und es richtig genießt. Das beziehe ich nicht auf die eben von mir beschriebene Juliette, oh nein, sie ist für mich unerreichbar, ich beziehe es auf alle jungen Mädchen, die hinter dem durchsichtigen Tuch der ersten Liebe, an einem lauen Abend, von einer erhitzten Stimmung begleitet, sich der Lust eines Mannes hingeben, um ihn für eine Nacht glücklich zu machen, vielleicht auch für immer. Liebe ist so viel, manchmal so ungreifbar, so weit weg, plötzlich so nah, man darf sie nicht loslassen, sie ist empfindlich, sie könnte zerbrechen und einen verlassen. Käufliche, vom Gesetzgeber erlaubte Liebe, gaukelt zwar viel vor, aber, sie kann kein Ersatz für Entgangenes sein, für unerreichbare Träume und Sehnsüchte, die in jedem von uns, mal mehr, mal weniger häufig auftauchen. Nicht jeder, vor allem nicht jeder verheiratete Mann von mir aus, sei er auch in festen Händen, gibt seinem sexuellen Instinkten nach. Es ist erziehungsbedingt. Die Freiheit, mit Sexualität offen und ohne Hemmungen umzugehen bestimmt den Blickwinkel von Menschen, gerade, wenn der religiöse Glaube eine entscheidende Rolle spielt. Aber wer so wie mein Onkel Karl-Heinz Kupka, sich nimmt, was er braucht, derjenige, also er, Karl-Heinz, geht überhaupt keine Verpflichtungen ein. Karl-Heinz und seine Frau Jutta, meine Tante, waren das wohl seltsamste Paar in unserer Familie, und auch in unserem weitesten Umkreis. Kalli, wie ihn alle nannten, hatte sich Ende der achtziger Jahre sterilisieren lassen, weil Jutta angeblich die Pille nicht vertrug. Aber das war alles erstunken und erlogen. Kalli sein vielseitiges Sexleben war offenkundig geworden, weil die Ehefrau ihm nicht mehr genügte, deshalb musste so manche ältere Prostituierte herhalten, um Kallis ausgefallene Wünsche zu befriedigen. Er, der Geschäftsmann aus der zweiten Reihe, Jutta führte nämlich den Edeka-Laden in Hamburg/Harburg, war von dem Gedanken des totalen Sexrausches erfasst gewesen. Was er speziell suchte, bei den käuflichen Damen, war, anfangs, noch nicht sicher zu deuten, aber er ging, nach vielen Versuchen, seinen Weg. Ältere, etwas reifere Damen, hatten es ihm angetan. Hier lebte er seine Gefühle, seinen zerrenden Mutterkomplex aus, hier wurde er wieder zu einem Jugendlichen, zu dem Halbstarken schlechthin, und hier konnte er in abgewetzten Lederhosen den wilden Rocker-Macho raushängen lassen. Die Damen nahmen ihn so wie er sich gab, wild und ungestüm, und sie gaben ihm das Gefühl von Männlichkeit. Kalli hasste es allerdings, älter, und damit impotenter zu werden. Er ertränkte seinen ständigen Wochenendfrust, seine gelegentlichen sexuellen Niederlagen, in Unmengen von Scotch und Wodka, und warf alle möglichen, pflanzlichen sowie chemischen Medikamente ein, aber, der Alterungsprozess verschonte auch ihn nicht. Selbstmitleid, Selbstzweifel, Weinkrämpfe und fürchterliche Kontrollverluste wurden zu seinem ständigen Begleiter. Kalli war auffällig geworden. Die Umgebung registrierte, in Bezug auf ihn, sonderbare Veränderungen. Denn, teilweise war Kalli, im Geschäft, schon am frühen Morgen, derartig dichtgesoffen gewesen, dass er unter den typischen alkoholbedingten Niesanfällen litt. Und zwar so laut, so unglaublich heftig, dass ihn selbst die treue, und „ach so“ tolerante Stammkundschaft, mit verächtlichen und mitleidigen, eisigen Blicken, herhabdisqualifizierte. Aber Kalli war, im Laufe der Jahre, an der starken Seite von Jutta, auch hinfällig geworden. Ihn interessierte gar nichts mehr, und er ließ sich deshalb nichts mehr sagen, von niemanden. Er erbrach sich manchmal, ohne Vorankündigung, und das nicht selten, im Vollsuff, jenseits des geringsten Schamgefühls, vor den Augen der Lieferanten, sowie seines Personals. Jutta stand in solchen Momenten, hilflos, mit glimmender Zigarette, kopfschüttelnd daneben. Die Lieferanten schwiegen anstandshalber oder sie sahen peinlich berührt zur Seite. Sie wunderten sich allerdings über den zunehmenden Verfall eines Mannes, der sein Leben lang, nach eigenen Angaben, hart gearbeitet hatte, der sich etwas aufgebaut hatte, der doch glücklich sein musste, der es aber dennoch nicht war. Den Höhepunkt erreichte das ganze Drama, als Kalli, nach durchzechter Nacht im Puff, am frühen Morgen, vor die Tür seines hart erarbeiteten Hauses trat, und wildfremde, zur Arbeit gehende Menschen, auf der Straße sowie in ihren Autos, aggressiv anpöbelte. Er erging sich in Kraftausdrücken, er schrie dabei wie ein Verrückter, und er fuchtelte, drohend, mit einem spitzen Gegenstand herum. Sekunden später brach er, betrunken, entkräftet und röchelnd zusammen. Jutta schleifte ihn anschließend, nachdem der Krach den er ausgelöst hatte, und sie erwachen ließ, ins Haus zurück. Dort versuchte sie ihren Kalli, durch leises Sprechen zu beruhigen, und somit zum Einschlafen zu bringen. Tage danach, nach solchen Störungen, folgten für Kalli Depressionen, Unruhezustände, Neurosen, sowie wirre Selbstgespräche über den schlechten Zustand der Zuchtbetriebe und Bauernhöfe in der Umgebung – „von vor über hundert Jahren“. Außerdem zeigte Kalli, bei der Polizei in Jesteburg, den, auch von ihm rechtmäßig gewählten Bürgermeister an, - weil er ihn für das miese Wetter, das Herumlungern von Wegelagerern, das mangelnde Interesse an Tischfußball, das Missachten seiner Person mitverantwortlich machte, das... usw. usw. usw. - Anschließend, nach der Anzeige, beobachteten Nachbarn, dass Kalli, volltrunken, im Garten seines Hauses, einen Karton mit kleinen Wodkaflaschen vergrub, und wie er sich im Anschluss daran, mit einem abschiednehmenden, schmerzlich berührten Gesichtsausdruck, erschüttert von den großen Gefühlen der Welt, mit langsamen Schritten, innerlich gebrochen, abwandte, - Kalli war am Ende. Der Wahnsinn hatte sich auf seine kaputt gesoffenen Nervenbahnen gelegt, und jedes sinnvolle Handeln im Keime erstickt. Und, aufgrund solcher Ereignisse, die für die Kleinstadt „Jesteburg“ eher untypisch waren, verließ er nur noch selten, das durch Fleiß und Anstand erschaffene Haus, welches ihm und Jutta soviel bedeuteten. Einsam, von konfusen Gedanken gequält, mit starrem Blick, am Fenster sitzend, schaute er den Vögeln hinterher. Und manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, und Jutta nicht da war, dann sprach er zu ihnen, zu den Spatzen und zu den Drosseln. Kalli hatte sich heimlich, also ganz allein für sich, eine Geheimsprache ausgedacht, die aber nur er und die Vögel verstanden, andere, z. B. Jutta, wurden in jene ominöse Geheimsprache nicht mit eingeweiht! Hier war nun ein zentraler Punkt erreicht, wo man durchaus hätte sagen können: „Der Alkohol hat ihn „fast“ besiegt, doch eben nur fast.“ Jutta suchte verzweifelt nach Hilfe, und sie fand sie. Und zwar gleich um die berühmte Ecke herum - in Drehstedt. Es war Kallis jüngerer Bruder Manfred, der Kalli, in seinem Haus in Jesteburg, durch Erinnerungen an die Kindheit, und an die stürmische Jugendzeit, wieder einmal aufrichtete, somit seelisch neu aufbaute, neu zuordnete, in die grausame Realität der heutigen Gesellschaft. Kalli „halfen“ ganz zu Anfang die Erinnerungen an die guten, alten fünfziger und sechziger Jahre. Seine Phantasie war angeregt, sie arbeitete wieder - zwar nur auf Sparflamme, aber es regte sich doch etwas in seinem Kopf. Und so gelobte er, an einem trockenen Tag, feierlich: „Besserung“, er wollte nur noch „normal saufen“, wenn überhaupt jemals noch mal. Jutta, die Ehefrau und der Hausdrachen in „Persona“, war eine logische, eigenbrötlerische, knallharte Geschäftsfrau, sie litt damals, wirklich, ohne jeden Zweifel, unter der zunehmenden, totalen Verweichlichung ihres Mannes aufgrund seiner Saufexzesse. Die vermuteten Rückfälle seitens Kalli, waren sicherlich vorprogrammiert gewesen, und sie trafen auch gelegentlich ein, aber Jutta ließ sich nichts anmerken. Kalli hatte sich zwar immer schon etwas mehr als der deutsche Durchschnittsmann gehen lassen, aber, was er ihr (Jutta) in den letzten Jahren geboten hatte, überstieg alles bisher da gewesene. Auch die direkten Nachbarn in Jesteburg bekamen unwillkürlich mit, wie es um Kalli wirklich stand. Ein hilfloser, vom Alkohol erkrankter Waschlappen, der meinem leiblichen Vater (Jürgen Stobbe sen.) in nichts, in gar nichts, nachstand: „Das war aus unserem Kalli geworden.“ Ärztliche Hilfe lehnte er trotzdem grundsätzlich ab. Er tankte sich, nach allzu großen Alkoholexzessen, im Laufe einer Woche, sehr langsam, ganz behutsam wieder „runter“ so wie es im Fachjargon heißt, und bekanntermaßen, immer noch gemacht wird. In seinen sogenannten depressionsfreien Trockenphasen widmete er sich dennoch weiterhin, immer mal wieder, der käuflichen Liebe, zugegeben sehr selten, „aber so ist das nun mal“, denn der regelmäßige Alkohol, belastete seine angeschlagene Libido ganz erheblich. Und seine, sonst so gut gefüllte Brieftasche, wurde immer leichter, Geld bekam über Nacht Flügel. Selbst im gemütlichen, heimischen, im Bauernstil gestaltetem Ehebett, daheim in Jesteburg, kam es zu unerwarteten Phasen, der totalen, der absoluten Trockenheit, obwohl Jutta, selbst noch im Geschäft, die kürzesten Miniröcke der Welt trug, welches die tägliche Kundschaft aus der Ferne begutachtete, meine Stief-Oma „Oma Betty“, sei hier als Zeugin genannt! Trotzdem, kam der gute, alte Kalli nicht mehr auf Touren. Erst ein langfristiges konsequentes Einschränken, seines außergewöhnlichen Hanges zum Alkohol, versprach eine sinnvolle, eine dauerhafte Besserung. Und diese alkohollose Zeit bewirkte, dass die reiferen Prostituierten wieder zu regelmäßigen Einkünften kamen. Jutta wusste das, aber auch sie war ein erotisch denkender Mensch, und der wöchentliche Sex mit Kalli hatte für sie, genauso eine Bedeutung, wie die Zigarette in der Mittagspause. „Lieber nur „etwas“ Sex als gar keinen, und, was Kalli so nebenher treibt ist mir egal, wir führen eine moderne Ehe!“ So oder so ähnlich, lauteten ihre devoten Argumente, in einem Gespräch, mit einer, nur allzu neugierigen Freundin, aus dem zur Heimat gewordenen Jesteburg. Manfred, der bereits erwähnte jüngere Bruder, lebte mit seiner Frau Irmgard in Drehstedt. Drehstedt? Drehstedt ist ein Kuhdorf vor den Toren Hamburgs. Unbehaglich anzusehen, mit Schweinescheiße verdreckte Nebenstraßen, Dunstglocken von ungeahnten Ausmaß, „eine“ Hauptstraße existiert mit viel Einbildungsvermögen ebenfalls. Bestialischer Gestank, seltsame kleinköpfige, hässliche Landeier schlürfen schon am frühen Sonntagmorgen, lärmend durch das Dorf, und beäugen jeden Fremden, so als wollten sie ihn aufhängen, weil er keiner von ihnen ist. In dieser Atmosphäre, in dieser Gegend, an diesem unheimlichen Ort der Widersprüche und Grundsätzlichkeiten, lebten und leben Manfred und Irmgard Kupka. Zwei Westhighland Terrier gehören mit zu ihrer intakten, soliden, auf Vertrauen aufgebauten, Familie. Sie sind auf ihre Art ebenfalls glücklich und zufrieden, aber sie sind ausgestiegen, nicht nur aus dem Mief der Großstadt Hamburg, nein, sie wollten Natur und Modernes miteinander verknüpfen. Zwischen Kuhgebrüll, angestochenen Schweinen, knatternden Traktoren und zunehmenden Berufsverkehr, fanden sie ihre wohlverdiente Ruhe. Sie pflegten ihre Hobbys. Manfred war außerdem noch, trotz Zukunftsangst „berufstätig“, und darauf war er am meisten stolz, die Arbeit war für ihn alles. Lange hatte er für seinen Job gekämpft und gebüffelt. Sein ganzes Leben lang hatte er hart an sich, und an anderen gearbeitet, ja, er hatte es weit gebracht, dickes Haus, dickes Portemonnaie, dicker Bauch, fettes, aufgedunsenes Gesicht, was will man mehr? Irmgard hingegen döste, wenn Manfred mal nicht da war, so in den langen, monotonen Tag hinein. Sie hatte viel Zeit für sich und ihre belanglosen Belange. Sie hörte gerne, alleine, die CD`s von Erika Pluhar. Irmgard verschwand, wenn die Stimme der Sängerin erklang, mit ihren Gedanken, in der Weite der Verwundbarkeit ihrer sensitiven Gefühle. Teilweise, ergriffen von den wienerisch gehauchten Worten der Sängerin, bewegte sie ihre Hand zum Takt der Musik mit. Leise, melancholisch vereint, wesensverwandt mit der Harmonie der Töne, summte Irmgard die traurigen Melodien, sichtlich betroffen mit. Und irgendwie war sie dann völlig abwesend, halb-träumend, halb-schlafend, geistig nicht mehr gegenwärtig. Ein etwas sonderbarer stiller Blick, fernab der Hauptstraßen und Nebenstraßen der ländlichen Idylle, sowie vom Zigarettenrauch eingehüllt und angetrunken, lag sie mit den beiden Hunden zusammen, auf der schon zu sehr abgenutzten, schäbigen Couch im überdimensionalen Wohnzimmer, gegenüber dem ebenso gewaltigen Bücherregal. Manfred hingegen, der dem Tennissport leidenschaftlich, bis hin zur totalen Selbstaufgabe verfallen war und ist - ähnlich wie Ingo Wilff, bewegt seinen massigen, von Cola und Chips gezeichneten, Körper, immer noch regelmäßig in die Arena der alten Herren, auf den sogenannten: Tennis-Court. Das Wochenende bedeutet für ihn Sport, Sport, Sport etc. Bäuerliche, etwas anspruchslosere Tennisturniere waren/sind sein Lebensinhalt, körperliche, vorübergehende Höchstleistungen, anschließende, ausgiebige, magenüberladende Fressorgien und Branntweinexzesse, die dem Trinkverhalten seines Bruders - Kalli, und meines Vaters - Jürgen Stobbe sen., in nichts nachstehen, weder damals noch heute, gehören mit zum guten, ländlichen Ton - jedem das Seine. Was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall, heißt es doch? Ich habe mich häufig gewundert, mit welcher Gleichgültigkeit, mit welchem Humor, mit welcher Ausdauer, eine schöne, eine derartig elegante, verträumte Frau wie Irmgard, das alles meistert, wie sie es ohne großartige Schwierigkeiten, mit einem leichten Wesen bewältigt - bewundernswert. Aber man, also sie (Irmgard), muss wohl anders mit derartigen, offenliegenden Gesetzesmäßigkeiten, mit derartigen radikalen Veränderungen, auf Dauer umgehen als ich es könnte. Vielleicht ist einzig und allein die Fäkaliengeschwängerte Landluft daran schuld, denn reine Landluft, soll ja angeblich sehr gesund sein. Und, die Landluft könnte in der Tat, für einen Stadtmenschen wie mich, berauschend sein, wenn dieser permanente, eigentliche Gestank, nicht wäre, aber das hängt wohl mit den verschiedenen Örtlichkeiten zusammen, und es sollte nicht verallgemeinert werden. Aber, wenn die Gülle, und irgendwelche Chemiepräparate, so durch die Gegend spritzen, wenn die Rinder sich, um ihre und „unsere“ Gesundheit Sorgen machen müssen, dann bin ich doch lieber Stadtmensch. - Obwohl das eine mit dem anderen, ohne jeden Zweifel, nichts zu tun hat. Die ländliche Ruhe hat „natürlich“ etwas für sich, aber, wenn aus der Ruhe Einsamkeit, Verlassenheit, Flucht aus der Gegenwart wird, nein, dann bin ich eben unverbesserlich. Ich liebe Hamburg, mit all seinen Merkwürdigkeiten, seiner Korruption, seinen bestechlichen Beamten, den angeblich politisch Verfolgten, den Machtanspruch der Vollzeit-Spießer die einen, ein ganzes Leben lang begleiten, ob man nun will oder nicht. Sicherlich, das alles ist „meine“ Sicht der Dinge, ich bin eben teilweise zu einseitig, geht ja auch gar nicht anders, aber meine Familie ist durch Spießigkeit, Intoleranz, Anscheißen, Bezichtigungen aller Art usw. - zu Ruhm, Geld und zu Ehren gekommen, tja, so ist das nämlich. Vielleicht meint es ja, irgendwann einmal, irgendjemand mit mir auch noch gut? Oder bin „ich“ zu wehleidig? Vielleicht zu uneinsichtig? Oder lebe ich zur falschen Zeit im falschen Jahrhundert? Ach, ich weiß eigentlich gar nichts mehr. Ich bekämpfe auch niemanden, ich schildere lediglich, ich vollziehe nach, ich erzähle in erster und in entscheidender Linie einen Verlauf - mehr nicht. Also drehe ich das Rad der Familiengeschichte, jetzt, in diesem Moment, einmal in die Zeit des tausendjährigen Reiches zurück. Sagen wir: „Es war im Jahre 1942“. Meine Oma war in den dreißiger und vierziger Jahren eine schöne, knackige, begehrenswerte junge Frau. Sie hatte im heißen Sommer 1942 Verwandte in Ostpommern besucht, und befand sich nun wieder im Zug nach Hause. Sie trug ein schönes, teures, luftiges Sommerkleid, sowie Stöckelschuhe, einen bunten Hut, und sie war darüber hinaus geschminkt wie ein berühmter Filmstar - das auch noch obendrein, oh ja. Ach, und sie war in so einer Stimmung,... na, ja,... es könnte nicht heißer sein. Sie fing an zu träumen, sie dämmerte ein wenig dahin, sie wirkte allein mit sich und den schönen Dingen des Lebens. Irgendetwas fehlte, ein starker Arm, ein langer Kuss, ein Mann kurz und gut. - Die nun geschilderten Erlebnisse haben sich, laut meiner Oma, genauso, und nicht anders, seinerzeit zugetragen. Etwa eine halbe Stunde vor Hamburg, betrat ein uniformierter, schneidiger, junger Offizier, das Abteil meiner Oma. Seine lüsternen Augen erfassten sofort, ohne Umschweife, die einsamen Augen meiner Oma. Meine Oma, die nach eigenen Angaben, keine Kostverächterin war, nutzte die Gelegenheit, um ein bisschen Süßholz zu raspeln, ein bisschen Konversation zu betreiben - die langweilige Bahnfahrt dadurch angenehmer zu machen. Und der kleine raffinierte Trick funktionierte „selbstverständlich“, denn der heiße Offizier hatte in der Tat begriffen, was das Geraspel, allen Anschein nach, bedeuten sollte. Offizier und Maria/-Oma waren also alleine im Abteil, man unterhielt sich sehr angeregt, man rückte näher zusammen, man mochte sich, man verschloss das Abteil und Man(n) verdunkelte es. Und dann, nach all diesen Vorkehrungen, trieben es beide mit einer Leidenschaft, dass meiner Oma, auch in späteren Jahren noch, die Wangen anfingen zu glühen, wenn sie mir davon erzählte. Maria ließ sich, nach den heißesten Küssen der Welt, von hinten nehmen, denn dadurch, dass sie aufgrund der Hitze keine Unterwäsche trug, machte sie es dem geilen und aufgeheizten Offizier leichter, gleich, sofort, ohne großes Vorspiel, zur Sache zu kommen. Nachdem Maria sich also auf die Sitzbank hingehockt hatte, und sich am geöffneten Fenster festhielt, riss der Offizier seine Hose runter, schob ihr den Rock hoch, und drang, heftig, wild, fast schon brutal, in sie ein, aber Maria wollte es so und nicht anders. Sie keuchte bei jedem Stoß rhythmisch mit, der Fahrtwind verlieh dem Ganzen etwas aufregend Wildes, etwas Leidenschaftliches, etwas in der Erinnerung Bleibendes. Der Offizier gab, ausgehungert wie er war, sein Bestes, und er war wirklich gut, er war ein Offizier wie er im Buche stand, Hitler konnte wirklich stolz auf das Ergebnis seiner Lebensborn-Politik sein. Und meine Oma (Maria), schloss ihn, als er mit einem das: Knochen-Mark-Erschütternden Schrei, gekommen war, herzlich, verschwitzt und selig in die Arme. Er küsste sie zum Abschied, und gab ihr einen Klaps auf den Hintern. Keiner von beiden wusste den Namen des anderen als sie sich am Hamburger Hauptbahnhof trennten, man hatte einfach mal etwas Spaß gehabt, mitten im, vom Krieg gezeichneten Europa. Es war eben damals die schlechte Zeit. Männer waren rar, Essen wurde knapp, und Maria ließ sich für den spontanen Liebesdienst ihrerseits, im Zug, mit einer goldenen, wahrscheinlich erbeuteten Taschenuhr, vom Offizier bezahlen, das darf man in jenem Zusammenhang nicht außer Acht lassen. Wie gesagt: „Es war eben die schlechte Zeit.“ Und als Alfons (mein Opa), der anscheinend treue, rechtschaffene Ehemann, Fronturlaub hatte, verschwieg Maria ihm das amouröse, kleine, wilde Abenteuer, auf der Zugfahrt von Pommern nach Hamburg. Denn auch Alfons war kein Kind von Traurigkeit, jeder wusste das. Aber er, Alfons, war der Ernährer im Hause Kupka, und genoss somit, gewisse Sonderrechte, die er auch gerne für sich in Anspruch nahm. Meine Oma wusste ganz genauso, wo der Hase lief, sie war zu ausgekocht, als dass jemand, wie Alfons, sie anscheißen konnte. Aber er kam dennoch seinen ehelichen Pflichten nach, wenn er mal da war, wenn er die Lust und die Zeit hatte, Maria in Bezug auf Nachwuchs, erfolgreich zu beglücken. Seltsamerweise sahen sich die drei Kinder meiner Oma, also Eva, Karl-Heinz und Manfred, selbst in den ganz jungen Jahren ihrer Kindheit, überhaupt nicht ähnlich. Als ich meine Oma einmal auf derartige Nichtigkeiten vorsichtig ansprach, sagte sie zu mir: „Tja, es war eben die schlechte Zeit,... also ist somit ein Kind vom Bäcker, ein Kind ist vom Schlachter und ein weiteres ist, vom: Damaligen „Gauleiter“ des Bezirks Harburg, höchst persönlich gezeugt worden.“ „Ach so, so, so ...,“ sagte ich still und leise, und erneut, zu mir. Dass die, - jene eben, gegebene Antwort Marias war ihre Eigenart mit Dingen, mit Erlebnissen, mit Tatsachen, eventuell sogar mit Lügen, direkt umzugehen. Na, ja nun... Aber am wichtigsten ist, trotz allem, sie überlebte den Krieg, mit drei kleinen Kindern, einem untreuen Ehemann, ständigen Hunger und Durst, und „trotz“ all der Angst in den Bunkern, wenn Tieffliegerangriff war, wenn die Alliierten Vergeltung übten, wenn es also unangenehm wurde. Erst in den Fünfzigern, als sich die allgemeine Armut langsam zu wandeln begann, führte sie mit ihrem Ehemann, - Alfons, ein offenes Gespräch, allerdings nur von ihrer Seite aus. Alfons wollte nämlich eigentlich „gar nichts“ wissen, von dem, was seine Ehefrau so trieb, so getrieben hatte, während der uns wohlbekannten „schlechten Zeit“ des zweiten Weltkrieges. Alfons nämlich, nutzte die fünfziger Jahre, als er auf Montage war, um Entgangenes, gnadenlos nachzuholen. Und das - also diese „Gnadenlosigkeit“, während meine Oma mit ihren drei, immer hungrigen Piepmätzen, die Wohnung hütete... Aber, in jener Zeit schaffte Alfons Geld heran, viel Geld sogar, und Maria verwaltete und haushaltete gut damit. Die Kupkas kamen zu Wohlstand, und gehörten bald schon zur oberen Schicht, in ihrem, leider immer noch, etwas sehr zerbombten Stadtteil - Hamburg/Harburg. Maria schuftete, unermüdlich, mit Hilfe von ein paar Aufputschtabletten, in der Reifenabteilung bei der Phönix. Gelegentlich, verbotenerweise sogar in zwei Schichten. Die Frauen wechselten sich, nach Absprache, untereinander, ab. Man bezahlte schwarz, diejenige, die einen vertreten hatte, Vertretungsgründe gab es damals, in der schlechten Zeit, viele. Man zahlte und man schwieg. So lief es auch bei Maria immer wieder mal ab. Und er, Alfons der Weltenbummler, überwies sein verdientes Geld, regelmäßig und zuverlässig, aus dem europäischen Ausland „direkt“ nach Hamburg/Harburg, damit die vier hungrigen Mäuler, ohne Sorge zu haben, leben konnten. Maria war damit einverstanden gewesen, mit dieser Art der Ehe die beide führten, sie hatte ihren Spaß, und sie genoss es, in ungeahnter, vielfältiger Weise. Alfons ging aber auch weiterhin, unbeeindruckt vom Verhalten seiner Frau, seine eigenen Wege. Jedoch aus welchem Grund er/sie so war/waren? Es bleibt auch hier ein Rätsel. Der Krieg hatte jeden Menschen irgendwie, nachhaltig verändert; auch Maria und ihre Rasselbande waren, indirekt, von der Veränderung der heimkehrenden Männer betroffen gewesen, also psychisch stark belastet. Aber Maria und Alfons trennten sich nicht, erst der dramatische Selbstmord von Alfons im Jahre 1965 beendete ihre, nicht immer ganz ehrliche Ehe - abrupt, und ohne großartige Vorankündigung... auch hier, bei dieser durchaus extremen Partnerschaft, hatten sich beide Charaktere, auf stumme Art und Weise, geeinigt. Nicht zuletzt der Kinder wegen. Schließlich sollte aus ihnen einmal etwas Besseres werden, sie sollten es einfacher im Leben haben, als Alfons und Maria es gehabt hatten. Die Wunden des Krieges hatten allerlei Hierarchiestörungen bewirkt, aber man wollte jetzt, „jetzt gerade“, auch innerhalb der Familie, demokratischer sein, sich mehr Freiheiten zugestehen, behutsamer miteinander umgehen, denn der Pulverdampf hatte sich noch nicht ganz verzogen. Es roch fast überall in den Straßen nach einem weiteren, also den zweiten, verlorenen Krieg in Folge, es roch nach völliger Zerstörung, aber es roch auch nach Neubeginn, nach ein bisschen Hoffnung. Trümmer und Geröll störten das einst so symmetrische, farbenfrohe, heimische, pflichtstrotzende, großdeutsche Stadtbild. Also, musste man wenigstens im Kleinen, im ganz privaten und intimen Bereich, so etwas wie einen Garten der Ruhe anlegen, mit einem Springbrunnen und einer Bank zum Sitzen, irgendwo auf dem gemeinnützigen Hinterhof der heimatlichen Lassallestraße in Harburg. „Es“ (die Idee) sprach sich herum, es war nämlich eine gute Idee, und alle packten sofort mit an, denn es sollte ein Gemeinschaftswerk werden, es sollte die neue demokratische Einheit verdeutlichen: Auf die man plötzlich soviel Wert legte. Selbst alte Streitereien, „in“ und „mit“ der empfindlichen Nachbarschaft von, „vor“ dem Krieg, gehörten von nun an, in das Reich der Legenden. Man grüßte sich sogar wieder freundlich, wenn man sich zufällig traf, beim Schlangestehen vor irgendeinem Einkaufsladen. Und man half sich gegenseitig so gut es ging. Das errungene und so lang entbehrte, demokratische Gemeinschaftsgefühl tat allen gut. Aber, viele sogenannte „Ausgebombte“, sowie die Rückkehrer, die einstigen Flüchtlinge, hatten fast alles verloren. Insbesondere ihren Glauben, ihr Vermögen, ihre Zuversicht, ihre Kraft. Und sie hatten darüber hinaus, einen großen Makel mit sich herumzuschleppen - den Tod, den sie einst bis zur Perfektion entwickelt hatten, den sie nun mitverantworten mussten, vor sich und vor anderen, und auch vor Gott. Von dem Tod selber aber, sprach man nicht mehr, denn der Tod, die Schuld, das Mitmachen, all das war Tabu, es wurde, vielleicht sogar verständlicherweise, kollektiv totgeschwiegen. Niemand hatte etwas gewusst oder geahnt, niemand fühlte sich wirklich mitverantwortlich, niemand dachte mehr an die jüngste, grausige und blutige Vergangenheit gerne, ohne Schönfärberei, zurück. Allerdings die KZ-Bilder, mit den Toten und den Überlebenden, schockierten bis aufs Entsetzlichste die große, breite Masse der Unwissenden. Sie, die unbestechlichen Zeitungsbilder, von einem unbekannten jüdischen, vor dem Krieg emigrierten, jetzt amerikanischen, national denkenden Soldaten und Fotografen, brannten sich auch in die Seelen derer ein, die dem nationalsozialistischen Regime bis zuletzt die Treue gehalten hatten. Obwohl sich meine Familie, wenn man schon mal drüber spricht, mütterlicherseits zumindest, diesbezüglich nichts vorzuwerfen hat. Väterlicherseits, die Stobbes, waren da bewusst ganz anders gelagert, denn sie solidarisierten sich zu dem Zeitpunkt der Reichstagswahl mit den neuen Machthabern aus Eigennutz, aus Angst, aus Neugier und Perspektivlosigkeit. Die Mutter meines Vaters, Minna, war eine glühende und überzeugte, leidenschaftliche NS-lerin gewesen. Ja, und die auffällige Hakenkreuzfahne hing, wann immer sie benötigt wurde, frisch gewaschen und gebügelt, aus dem Fenster in der Schorchstraße in Harburg, hinaus. Aber, gekotzt haben sie alle am Ende, die Treuen wie die Untreuen, die Harten wie die Weichen, die Schlauen wie die Dummen, als die Filme, in zusammengeschusterten, arschkalten Kinos, gezeigt wurden, mit der Wahrheit, die in sie, in die Deutschen hinein, für immer, verewigt werden sollte. Und dieser Schock zeigte natürlich Wirkung...
„Aber man kann trotzdem, denn ich habe wirklich nichts verbrochen, national eingestellt sein, ohne gleich mit den schlimmsten Verbrechern des Regimes, der Nazizeit, auf eine Stufe gestellt zu werden,“ sagte meine andere Oma, Oma Dicki einmal zu mir. Und wahrscheinlich hatte sie sogar recht. Nicht alles, was missbraucht wurde, ist von vornherein schlecht, und muss somit verteufelt werden, weil es einer schlimmen, einer unverrückbaren Zeit zugeschrieben wird. Unsere Nationalhymne ist das beste Beispiel, ich meine das Geschrei wegen der dritten Strophe. Gibt es denn wirklich keine schlimmeren, keine wichtigeren zu lösenden Probleme auf der Welt, als ein Musikstück, eine Komposition, mit Dreck zu beschmeißen? Warum darf man nicht so sein wie es einem beliebt, z. B. deutsch national gesinnt, so wie Maria es zeitlebens war, im positivsten Glauben? Ich meine, ohne gleich mit Kriegs- und Verbrechensabsichten in Verbindung gebracht zu werden? Denn es hat ja damit sowieso nichts zu tun. Es wird nur gerne von den „Überempfindlichen“, die selber ewig gestrig sind, so hingestellt. Die Berufslinken werden immer, und darüber hinaus, Probleme mit Dingen haben, die sie im Vorfeld mitgestaltet haben, nämlich - Armut. Die Erzeugung, vorwiegend durch falsche Toleranz hervorgerufen, von Arbeitslosigkeit, die Begünstigung der schleichenden Armut, das Sich-ent-wickeln von Extremen auf mehreren gefährlichen Seiten, all das, muss sich auch eine moderne Linke als Vorwurf gefallen lassen, denn zur christlich demokratischen Rechten, gibt es kaum noch wesentliche Unterschiede - wenn man diese Parteien vergleicht. Innerhalb der Familie, beide Familienzweige kritisch betrachtet, waren die Positionen erst recht nicht immer eindeutig - in ihren sexuellen Gierigkeiten schon eher. Aber wer sich, im Einzelnen, wohin ganz genau zuordnen ließ, die Richtung, also die sexuelle Ausrichtung, das war sicherlich klarer, als bei so manch anderem verfeindeten Familienclan. Auch diese Erkenntnis gilt für beide Familien, die, jede für sich, die von mir mehrfach erwähnte schlechte Zeit, positiv gemeistert haben. Warum aber ist Deutschland so extrem, im Guten wie im Bösen? Warum ist alles immer von korrupten, demokratischen Politikern und von deren Parteien abhängig, die nur an sich denken, und die alles gerne und geschickt verdrehen? Sind die dummen Wähler wirklich mal wieder selber Schuld? Oder haben längst kriminelle Kräfte, das eigentliche Sagen durch Bestechung übernommen? So etwas: „Permanente Bestechung“, gibt es laut Bildzeitung, und die muss es ja wissen, die ist überparteilich, nur in Italien oder in besonders armen Ländern. Wie gut, dass es uns in Deutschland immer noch so gut, und so „unauffällig“ bergab geht. Oder übersehe ich hier zurzeit die Veränderungen, will ich sie „gar“ übersehen? Warum zum Teufel ist das so? Brauchen wir vielleicht eine echte Veränderung? Ich glaube die Monarchie wäre eine willkommene Abwechslung, vielleicht auch die damit verbundene, von mir erwünschte Romantik, die Liebe, die schönen Frauen in pompösen, teuren, historischen Kleidern, ach ja, ich bin halt ein Träumer, ein verlorener Sohn, der nur noch in der Literatur die einzelnen Jahrhunderte durchwandern, miterleben und genießen kann. Es wäre so schön, wenn man so einfach aussteigen könnte, wie Irmgard und Manfred. Wenn man so sorglos leben könnte wie meine Mutter, - wenn, wie bei ihr, der ganze Lebensinhalt nur SEX wäre, ja dann könnte man sagen: „OK, wirtschaftlich bin ich abgesichert, also hoch mit den Röcken, ich will nicht zu kurz kommen. Ich muss mich befriedigen, sonst drehe ich durch. Denn ich will nicht so sein wie diejenigen, die mir meine Familienmitglieder immer vorenthalten haben, die ganz Normalen also,... im rein sexuellen Vergleich gesehen natürlich nur - ein Schelm wer Böses dabei denkt? Denn die Normalen werden bald eine Minderheit bilden. Also, vom Wesen her, insbesondere die männlichen Vertreter unseres Familienclans sind gemeint, bin ich doch in bester Gesellschaft, auch ich bin exzessiv und arbeite bis zum Umfallen. Allerdings „schreibe“ ich vorwiegend, auch wenn das „allzu Vielen“ nicht passt, ich mach` es dennoch. Ja, ich tue eben auch, was ich will...“