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Vorbemerkung der Herausgeber

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Das Seminar, das Jacques Derrida der Todesstrafe widmete, verteilte sich auf zwei Studienjahre (1999-2000 und 2000-2001). Im vorliegenden Band veröffentlichen wir die zehn Sitzungen des zweiten Jahres. Wie das Seminar des Vorjahres1 wurde auch dieses zunächst an der Pariser École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) auf Französisch gehalten und anschließend in den Vereinigten Staaten an der University of California in Irvine und an der New School for Social Research in New York auf Englisch wiederholt.

Die ersten neun Sitzungen waren wie gewohnt vollständig redigiert. Ausgangspunkt unserer Arbeit war das Typoskript, das Jacques Derrida während der Seminarsitzungen verwendete und das im Institut Mémoires de l’édition contemporaine (IMEC, Caen) archiviert ist, die entsprechende Computerdatei sowie die begleitenden Dossiers (Zeitungsausschnitte, Fotokopien der zitierten Texte). Es existieren zwei Exemplare des Typoskripts, von denen das eine, das in den Vereinigten Staaten verwendet wurde, einige handschriftliche Zusätze enthält. Sofern diese nicht ausschließlich für die Übersetzung bestimmt waren, die Derrida vom französischen Text ausgehend vor seinen amerikanischen Hörern improvisierte, haben wir sie berücksichtigt. Darüber hinaus verfügten wir über eine Tonbandaufnahme aller Sitzungen. Die zehnte und letzte Sitzung (die viel Zeit für die Diskussion mit den Hörern ließ) wurde improvisiert. Was sie betrifft, konnten wir unserer Arbeit die Tonbandaufzeichnung zugrunde legen, die bis auf zwei oder drei Ausnahmen, die in Anmerkungen verzeichnet sind, bezüglich der Transkription keine Unsicherheiten zurückließ.

Hinsichtlich der Zitate haben wir uns im Allgemeinen auf die Ausgaben bezogen, die Jacques Derrida selbst benutzte und die wir in seiner persönlichen Bibliothek in Ris Orangis konsultieren konnten, bevor diese im Winter 2014 an die Universität von Princeton übersiedelte.

Darum bemüht, den mündlichen Charakter dieses Schreibens zu bewahren, geben wir auch alle Didaskalien beziehungsweise „Regieanweisungen“ wieder, die im Typoskript enthalten sind, wie auch die Erinnerungen, die Jacques Derrida an sich selbst adressierte, wie „Lesen und Kommentieren“, die ein Zitat ankündigen und oft auch weitere Ausführungen, die während der Sitzung improvisiert wurden: Diese Hinzufügungen haben wir, wenn möglich, ausgehend von der Tonbandaufnahme immer in Anmerkungen integriert.2

Wie bei den vorangegangenen Bänden des Seminars waren wir bestrebt, unsere Eingriffe in das Typoskript auf ein Minimum zu begrenzen. Wo diese aus Gründen der Verständlichkeit nötig waren, haben wir jede Hinzufügung oder Modifikation systematisch angezeigt. Wenn es sich um ein fehlendes Wort handelt, wurde dieses in spitzen Klammern ( < > )3 in den Text eingefügt.

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Die beste Präsentation dieses Seminars ist die, die Jacques Derrida selbst auf zwei sehr unterschiedliche Weisen vorgelegt hat, zunächst im Jahrbuch der EHESS, und dann in den wenigen einleitenden Worten, die er an der New School in New York sprach, einige Tage nach den Ereignissen des 11. September 2001. Wir geben sie hier wieder:

Wir haben die Untersuchungen, die wir im vergangenen Jahr begonnen hatten, fortgesetzt, indem wir dieselben Fragen (um drei Begriffe herum: Ausnahme, Souveränität, Grausamkeit) weiter entwickelten und denselben Leitfäden folgten. Zunächst einmal dem der onto-theologisch-politischen Filiation, die mit zahlreichen Unterschieden, aber ohne Ausnahme alle im eigentlichen Sinne philosophischen Diskurse über die Todesstrafe, das heißt zugunsten der Todesstrafe dominierte: von Platon bis Rousseau, Kant, Hegel und darüber hinaus, bis in die jüngste Moderne hinein.

Wir haben also versucht, die Gründe und die Gedankengänge zu analysieren, die eine derart unerschütterliche Dauerhaftigkeit, eine derart bemerkenswerte und bislang wenig bemerkte tief gründende Einmütigkeit gewährleisten konnten (ob es nun darum geht, das „Leben“, das „menschliche Lebende“ zu denken, oder darum, die „Souveränität“, den „Staat“, das „Politische“ im Allgemeinen zu denken).

Die Diskurse Kants und Hegels standen in dieser Hinsicht im Fokus unserer Arbeit, ob es nun um die Debatten mit Beccaria ging oder um jene im Zusammenhang mit der Französischen Revolution, dem Königsmord, der Schreckensherrschaft oder der großen Tradition des Gesetzes der Wiedervergeltung. In Bezug auf Letzteres haben wir einige biblische Texte wiedergelesen und die Bemühungen untersucht, es zu rechtfertigen und in ihm gar – gegen eine gewisse traditionelle Doxa – das Prinzip selbst und den Ursprung der Gerechtigkeit zu erkennen, von Kant oder Hegel bis hin zu Levinas (einschließlich).

Dieses Gesetz der Wiedervergeltung ist auch ein grundlegender Bezugspunkt in der Debatte, die sich zwischen der Psychoanalyse und dem Strafrecht entspann. In dieser Hinsicht haben wir die Projekte einer Transformation des Strafrechts durch die Psychoanalyse befragt (insbesondere die Schriften von Reik und die Erklärungen gegen die Todesstrafe, die dieser 1926 im Namen Freuds abgab.

Bei all diesen Lektüren haben wir versucht, die Aktualität des Problems nicht aus den Augen zu verlieren, insbesondere das, was gerade in den Vereinigten Staaten geschieht, während und nach der Wahl des neuen Präsidenten. Die Figur des „Präsidenten“, das heißt einer Souveränität, die der demokratischen Wahl unterworfen ist, hatte besondere Aufmerksamkeit verdient. Wir haben also auch auf das Bezug genommen, was im letzten Buch von Robert Badinter, L’Abolition („Die Abschaffung [der Todesstrafe]“), unter anderem über den „Präsidenten“ und die jüngste Geschichte der Todesstrafe in Frankreich gesagt wird.

Am Kreuzungspunkt der die Vereinigten Staaten betreffenden Analysen und einer psychoanalytischen Problematik, und während wir gleichzeitig eine gewisse „Geschichte des Blutes“ verfolgten (Sichtbarkeit oder nicht der Exekution, Übergang zur Injektion eines tödlichen Gifts, Weisen der Sichtbarkeit, der Öffentlichkeit, der Theatralität, opferhafter Ritualität – Lektüre Foucaults und Diskussion seiner These über die fortschreitende Ent-Spektakularisierung der Strafe; aber auch Lektüre von Donoso Cortés über das blutige Opfer und die Todesstrafe [1859]), haben wir uns auch von folgenden drei Fragen leiten lassen, denen wir einen Sinn zu geben versuchten, der ebenso neu wie spezifisch auf die Geschichte aller „Verbrechen und Strafe“ abgestimmt ist: 1. Was ist eine Tat/ein Akt [acte]? 2. Was ist ein Alter? 3. Was ist ein Begehren?4

Im Folgenden nun unsere Übersetzung der wenigen, auf Englisch verfassten Sätze, die Derrida an seine Zuhörer in der New School < for Social Research > zur Eröffnung seines Seminars richtete:

Der „11. September“ (9/11) wird jetzt zu einem Namen – nicht nur ein Datum, sondern ein Name, der unauslöschliche Name eines Ereignisses, für das (und das ist, wie ich behaupten werde, nicht nur eine Frage der Ökonomie der Bezeichnung, auch nicht nur eine Frage der Rhetorik), eines Ereignisses also, für das kein anderer Name, kein anderer Begriff geeignet, adäquat, verlässlich zu sein scheint. So als ob man, zumindest implizit oder unbewusst, die gängigen Begriffe zur Benennung dieser unaussprechlichen Erfahrung für inadäquat hielte: solche wie „Tragödie“, „schreckliches Ereignis“, „Kriegshandlung“, und sogar „Terrorakt“. Wir werden, so hoffe ich jedenfalls, im Laufe des Seminars oder in den Diskussionen auf diese Begriffe Krieg und Terrorismus zurückkommen. Kürzlich sah ich mir im Fernsehen die Debatten vor der UNO an, und obwohl zahlreiche Erklärungen und zahlreiche vorausgehende einmütige Vereinbarungen, zahlreiche offizielle Abkommen in der Vergangenheit und auch heute noch das, was man internationalen Terrorismus nennt, verurteilt haben, spielte der Generalsekretär auf Diskussionen an, die hinter den Kulissen über den Begriff des Terrorismus im Gange seien. Dieses schwierige Problem ist natürlich nicht zu trennen von den Problemen, die von klassischen Begriffen wie „Krieg“, „Staatssouveränität“ usw. aufgeworfen werden, die im Zentrum unseres Seminars über die Todesstrafe stehen sollten.

Am 11. September, dem Tag des unaussprechlichen Ereignisses, war ich in Shanghai, und ich war nicht sicher, nach Europa und in die Vereinigten Staaten zurückkehren zu können. Zurück in Paris habe ich Richard Bernstein angerufen, um ihm zu sagen, dass ich, falls es technisch (in Sachen Flug usw.) möglich wäre, gerne wieder hierher kommen würde, so als ob ich zu mir nach Hause käme, um mit meinen Freunden und Kollegen in New York, vor allem an der New School, mit Ihnen die Traurigkeit und die Trauer zu teilen, aber auch das Nachdenken, welches das einfordert, was wir in Ermangelung einer geeigneteren Beschreibung „der 11. September“ nennen. Ich hoffe, dass sich das Sujet des Seminars stets darauf beziehen wird, mag diese Bezugnahme auch indirekt oder implizit bleiben.

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Es ist uns ein großes Anliegen, Marguerite Derrida herzlich zu danken, des weiteren Thomas Dutoit für seine Beteiligung an der ersten Entzifferung des Typoskripts, Jean-Luc Nancy, Cécile Bourguignon, sowie Michael Naas, Elizabeth Rottenberg und Pascale-Anne Brault für ihre Hilfe bei der Erstellung des Texts der letzten Sitzung.

Geoffrey Bennington

Marc Crépon

Die Todesstrafe II

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