Читать книгу Die Große Mango - Jake Needham - Страница 7
Drei
ОглавлениеEddie saß wartend vor dem Gerichtssaal und versuchte, es sich auf der harten Mahagonibank so bequem zu machen wie es eben ging. Er hatte einen Anhörungstermin bei Richter Ryback und hoffte, dass es nicht allzu lange dauern würde. Diese Art der Anhörungen beherrschte Eddie bereits im Halbschlaf, was meistens auch tatsächlich so war.
Sein Mandant war ein Mann namens Dante Bauer, der einen Limo-Service betrieb. Angeklagt war er aber wegen Zuhälterei. Seine Freundin Shalynn hatte einem Zivilfahnder auf der Toilette des St. Francis Hotels einen Blowjob für fünfzig Dollar angeboten. Shalynn behauptete nun, das wäre alles nur ein Missverständnis. Dante sagte er hätte keine Ahnung davon gehabt, dass seine Freundin eine Nutte wäre und selbst wenn, dass man von den paar Kröten, die Fünfzig-Dollar-Blowjobs einbringen, ohnehin nicht leben könnte.
„Hey Dare, ich dachte immer, dass sich die tollen Strafverteidiger auf dem Golfplatz bei einem netten Spielchen mit dem Staatsanwalt über das Schicksal ihrer Mandanten einigen.
„Sicher, Wuntz, genauso ist das. So machen es die tollen Strafverteidiger.“
Kelly Wuntz drückte sich neben Eddie auf die Bank indem er einen kleinen Ganoven in seiner rotgoldenen San Francisco 49ers Jacke zu Seite schob. Wuntz war ein sogenannter Vice Cop, der sich im Tenderloin District vornehmlich um illegales Glücksspiel und Prostitution kümmerte. Berufsbedingt waren ihm mehr menschliche Widerwärtigkeiten untergekommen als Eddie in seinem Leben je kennen lernen wollte.
„Warum bist du immer so hart gegen dich selbst, Dare? Wenn ich bis zum Hals in der Scheiße stecken würde, wärst du genau der Typ Anwalt, dem ich zutrauen würde, mich da wieder raus zu holen.“
„Sollte das etwa ein Kompliment gewesen sein, Wuntz?“
„Nimm es, wie du willst.“
Zusammen saßen sie eine Weile auf der Bank und beobachteten das geschäftige Treiben, das sich um sie herum im Gerichtsgebäude abspielte. Nachdem er aus seinem schicken Büro am anderen Ende der Stadt hinaus geflogen war, konnte Eddie sich nur langsam an sein neues Arbeitsumfeld zu gewöhnen. Hier gab es keine indirekte Beleuchtung und keine polierten Parkettfußböden mit teuren Perserteppichen darauf. Mittlerweile ging es aber ganz gut. Er hatte erkannt, dass er eine unsichtbare Linie vermutlich für immer überschritten hatte, von dessen Existenz er bis zu diesem Zeitpunkt nichts geahnt hatte. Diese Linie trennte die geordnete konservative Welt von einer anderen, die sich im Verfall befand, in der jeder gegen jeden seinen eigenen kleinen Krieg zu führen schien.
In dieser Welt, in der Eddie sich noch immer wie ein heimlicher Beobachter fühlte, waren Anwälte so etwas wie er die weltlichen Priester. In der stillen Geborgenheit ihrer Kanzleien nahmen sie Beichten ab, die von Verbrechen, von Verfehlungen und von Betrug handelten. Ein wirklicher Priester bekam diese Beichten wohl nur in den seltensten Fällen zu hören. Leute kamen in Eddies Büro und erzählten ihm, was sie nachts dachten, wenn sie nicht schlafen konnten. Diese Geschichten waren meistens nur traurig, manchmal auch peinlich oder brutal und selten auch mal lustig. Aber immer ging es um Gier, Elend, Angst oder um pure Dummheit. Es waren herzzerreißende Geschichten, wenn man sie an sich heran ließ.
Einige Anwälte, die Eddie im Laufe der Jahre kennengelernt hatte, hatten diese Linie ganz bewusst und gewollt überschritten, beseelt von dem irrsinnigen Gedanken, die Welt zu verbessern. Das gelang natürlich nie. Früher oder später kamen sie alle auf dem Boden der Tatsachen an und kümmerten sich fortan vorrangig um ihr eigenes Schicksal und weniger um das ihrer Mandanten. Das Gerichtsgebäude war ein gemeiner und gnadenloser Mikrokosmos. Gute Absichten wurden hier nicht belohnt.
„Hast du das von Richter Bono gehört?“ fragte Kelly.
Eddie schüttelte den Kopf.
„Wir haben den Schweinehund gestern Nacht auf der Presidio Street hoch genommen. Er saß in seinem fetten Mercedes mit einer Sechzehnjährigen, die gerade seinen mickrigen Pimmel in der Hand hielt und verzweifelt versuchte, ihm einen runter zu holen.“
„Ach Wuntz, heutzutage interessiert sowas doch keinen mehr. Würde mich nicht wundern, wenn Bono am Ende an den Obersten Gerichtshof berufen wird.“
„Soso.“
Wuntz liebte seine Anekdoten und mochte es gar nicht, wenn man nicht von ihnen beeindruckt war. Eddie wusste das, sah den Glanz in Wuntz‘ Augen und wusste, dass jetzt der Gegenangriff kommen würde.
„Ich weiß ja, dass ihr Juristen euch über halbwegs rechtschaffende Polizisten lustig macht…“ Wuntz sah den Gang hinunter während er sprach, weshalb Eddie sein Gesicht nicht sehen konnte. „…aber meinst du nicht auch, dass es gerade hier in San Francisco für Bonos Karriere zuträglicher gewesen wäre, wenn er sich wenigstens in einer etwas vornehmeren Gegend einen hätte blasen lassen?“
Wuntz wandte sich wieder zu Eddie und brüllte vor Lachen. Einige Köpfe drehten sich in seine Richtung und waren kurz abgelenkt von ihren eigenen Schicksalen. Gerichtsgebäude sind nicht unbedingt bekannt als Orte, an dem es viel zu lachen gibt.
Auch Eddie musste ein bisschen schmunzeln, es war eine von Wuntz‘ besseren Pointen. Dann klingelte sein Telefon.
„Papa?“
„Hey, Michael. Das ist ja mal eine Überraschung.“
Wie immer, wenn er mit seinem Vater sprach, kam Michael direkt auf den Punkt.
Mum sagt, ich muss mich erst bei dir entschuldigen, bevor sie mir mein Taschengeld gibt.
„Entschuldigen wofür?“
„Sie sagt ich wäre dir gegenüber unverschämt gewesen, als wir letzte Woche telefoniert haben.“
Eddie versuchte, sich an das Gespräches zu erinnern. „Und was denkst du? Warst du unverschämt?“
„Nein. Im Fernsehen lief gerade ein Lakers Spiel, das ich unbedingt sehen wollte. Ich wollte gar nicht mit dir telefonieren.“
„Dann entschuldige dich auch nicht.“
„Okay, dann nicht.“ Es wurde kurz still am anderen Ende der Leitung, offensichtlich dachte der Junge über die möglichen Konsequenzen des Gespräches nach. „Hier ist Mum, sag ihr bitte, sie soll mir mein Taschengeld geben.“
Eddie hörte, wie der Telefonhörer von Michael an Jennifer weiter gereicht wurde.
„Hallo Eddie, es tut mir leid. Im Moment habe ich es nicht leicht mit Michael und ich fand es einfach nicht richtig, wie er letzte Woche mit dir umgesprungen ist. Deshalb habe ich auf eine Entschuldigung bestanden. Mach dir nichts daraus, sein Taschengeld bekommt er jetzt. Du weißt ja, wie die Teenager so sind. Hoffentlich haben wir dich nicht gestört.“
Jennifer redete immer viel wenn sie Eddie etwas sagen wollte, wovon sie vermutete, er wolle es nicht hören. Eddie sagte nichts.
„Eddie? Hallo? Bist du noch da?“
„Ja, Jennifer, ich bin hier.“
Eddie beobachtete Wuntz, der sich bemühte so auszusehen, als würde er nicht zuzuhören.
„Da ist noch etwas, Eddie.“
Wenigstens kam sie gleich zur Sache.
„Franklin und ich gehen nächsten Monat nach Australien.“
Jennifer war jetzt verheiratet mit Franklin Pierce, der unglaublich erfolgreich auf der ganzen Welt Einkaufszentren plante und baute. Natürlich gefiel Eddie das alles ganz und gar nicht, aber er musste sich im Interesse seines Sohnes eingestehen, dass Franklin einen ganz passablen Stiefvater abgab.
„Franklin will am Great Barrier Riff tauchen.“
„Aha.“
„Naja, und da Michael ja nächsten Monat Ferien hat wollen wir, dass er mit kommt.“
Daher wehte der Wind also.
„Das Problem ist dann natürlich, dass er in den Ferien nicht zu dir kommen kann.“
Jennifer machte eine Redepause.
„Michael will wirklich mit uns nach Australien, Eddie. Mach‘ ihm das nicht kaputt, wenn es dir nichts ausmacht.“
Es machte Eddie aber eine ganze Menge aus.
„Es wäre wirklich besser gewesen, Ihr hättet das vorher mit mir besprochen, Jennifer. Jetzt kann ich ihm ja schlecht die Reise nach Australien vermasseln und ihn in den Ferien zu mir kommen lassen, oder?“
„Eddie, das ist eine einmalige Gelegenheit für den Jungen. Ich wusste, du würdest das verstehen.“
„Ja. Aber du musst verstehen, dass ich auch ab und zu ganz gern ein bisschen Zeit mit meinem Sohn verbringen würde, Jennifer.“
„In den nächsten Ferien, Eddie. Versprochen.“
Eddie legte eine Gedankenpause ein, obwohl es eigentlich nicht viel gab, worüber er hätte nachdenken können.
„Ich vermute mal, dass es Michael ohnehin nichts ausmacht, mich für eine Weile nicht zu sehen.“
„So darfst du das nicht sehen, Eddie. Es ist einfach nur alles so aufregend für ihn. Bist du jetzt einverstanden?“
Eddie atmete einmal tief durch: „Was immer der Junge will.“
„Wunderbar, Eddie. Ich denke wir machen genau das Richtige.“
Eddie wusste, dass das Gespräch beendet war und nachdem sie noch ein paar Höflichkeiten ausgetauscht hatten entschied Jennifer, dass es an der Zeit war, aufzulegen.
Als Eddie sein Telefon zuklappte und langsam wieder in der Jackentasche verschwinden ließ bemerkte er, dass Wuntz ihn ansah.
„Theater mit der Ex, Partner?“
„Mit einer von ihnen, die andere wartet noch auf ihre Chance.“
Oh Gott. Eddie erinnerte sich plötzlich, dass er Kathleen gar nicht zurück gerufen hatte. Nicht gut, das könnte Ärger geben.
„In Familiensachen hattest du wohl kein sehr glückliches Händchen, Dare?“
Eddie pflegte eine andere Sicht der Dinge. Eine Mitschuld am Scheitern seiner Ehen konnte und wollte er sich nicht eingestehen, er hatte eben nur Pech gehabt. Sonst hätte er sein Privatleben konsequenterweise wegen Beziehungsunfähigkeit gleich ganz an den Nagel hängen können und das wollte er ganz und gar nicht.
„War das Jennifer oder dein Junge?“ hakte Wuntz nach.
„Nicht der Rede wert.“ Eddie wollte das Thema beenden. „Michael ist eben in der Pubertät.“
„Lass dir nichts von ihm gefallen.“ Sagte Wuntz mit einer Nachdrücklichkeit, die Eddie aufhorchen ließ.
„Mein Junge hat sich dafür geschämt, dass sein Vater ein Polizist ist. Als er fünfzehn war, beschimpfte er mich als alten Nazi. Wenn ich ihm was sagen wollte brüllte er nur ‚Sieg Heil!‘ Ich hab‘ mir eingeredet, dass es schon wieder vorbei gehen würde und versucht es nicht zu ernst zu nehmen.“
Wuntz sah sehr unglücklich aus als er fortfuhr. „Das ist schon einige Jahre her und gar nichts hat sich geändert. Der Junge denkt immer noch sein Vater sei nichts als ein mieser kleiner Bulle.“ Wuntz kaute eine Weile auf seiner Unterlippe herum. Schließlich richtete er sich ein wenig auf und zuckte mit den Schultern „Der weiß gar nichts über seinen Vater und das ist hauptsächlich meine eigene Schuld. Jetzt ist es wohl zu spät. Wir haben so gut wie keinen Kontakt mehr.“
Wuntz’ plötzlicher Gefühlsausbruch kam ziemlich unerwartet für Eddie. Sie kannten sich jetzt zwar schon sein fünf oder sechs Jahren, hatten aber noch nie miteinander über private Dinge gesprochen. Eddie hatte auch nie das Bedürfnis dazu gehabt und wunderte sich jetzt darüber, dass ein eher belangloses Telefongespräch mit seiner Exfrau bei Wuntz eine solche Reaktion hervorgerufen hatte. Wuntz musste ein sehr einsamer Mann sein.
Wuntz‘ Blick richtete sich jetzt auf das Stück Fußboden zwischen seinen Füßen und Eddie, dem die entstandene Situation nicht gefiel, rutschte unbehaglich auf seinem Platz hin und her.
„Deine Kinder halten dir den Spiegel vor. Ob du das nun willst oder nicht.“ Wuntz sprach so leise, dass Eddie ihn kaum hörten konnte. Dann blickte er auf und sah sehr traurig aus. „Mach was du willst, Eddie. Aber pass auf, dass du deinen Jungen nicht verlierst – so, wie ich meinen verloren habe. Wenn er einmal weg ist, ist es vorbei, für immer.“
Wuntz Schmerz ging Eddie nahe, aber noch bevor er irgendetwas Tröstendes erwidern konnte öffnete sich eine Seitentür des Gerichtssaales und Richter Rybacks Sekretär kam mit einem Stapel Papier unter dem Arm direkt auf ihn zu.
„Es tut mir leid, Mr. Dare. Wegen des scheußlichen Carnotolli Falles ist alles andere auf den nächsten Montag verschoben worden.
Pissey Carnotelli war ein ziemlich schriller Italiener und Besitzer einiger zwielichtiger Lokale in der Hafengegend mit so schönen Namen wie ‚Hide-A-Bed’s Galore‘. Außerdem war als Moderator einer nächtlichen Dauerwerbesendung im Fernsehen bekannt, in der er nichts anhatte außer einer Riesenwindel. Nun war er wegen Mordes an seiner Frau verhaftet worden. Die Ermittler konnten nachweisen, dass er dafür extra einen Auftragskiller aus New York eingeflogen hatte. Eddie war sich sicher, hätte Pissey den Mord bei einem lokalen Dienstleister in Auftrag gegeben wäre er wohl nie geschnappt worden. San Francisco war eben ein riesiges Dorf.
„Ich habe aber noch etwas für Sie.“ Der Sekretär wühlte in seinen Papieren und zog einen Umschlag heraus. „Der kommt von Joshua. Er sagte, dass Sie den sicher sofort haben wollten.“
Es war noch einer dieser altmodischen Luftpost-Briefumschläge, identisch mit dem, in dem sich das Foto befunden hatte. Eddie zögerte einen Augenblick, als sei er sich nicht sicher, ob er den verdammten Umschlag überhaupt in die Hand nehmen wollte. Dann griff er zu und drehte ihn langsam um. Genau wie der erste war er an ihn persönlich adressiert, in der gleichen, sorgfältigen Handschrift und mit denselben exotischen Briefmarken frankiert.
Eddie riss den Umschlag auf und heraus fiel wieder ein einzelnes Foto. Er faltete den Umschlag zusammen und steckte ihn ein.
Wuntz hatte sich inzwischen wieder etwas gefangen und blickte neugierig auf das Foto in Eddies Hand.
„Was zum Teufel ist das?“
Eddie antwortete ihm nicht, denn diesmal erkannte er es sofort.
Es war noch ein Foto von ihm mit all den anderen jungen Soldaten. Auch die Mädchen waren dieselben. Der einzige Unterschied zu dem ersten Bild bestand darin, dass diese Aufnahme aus einem etwas anderen Blickwinkel gemacht wurde. Dadurch wurde der Bursche sichtbar, dessen Gesicht auf dem ersten Bild zum größten Teil von Eddie verdeckt wurde.
Und diesmal hatte genau dieser Bursche den roten Kreis um sein Gesicht gezogen.
Eddie betrachtete das Foto eindringlich doch eigentlich brauchte er das gar nicht, denn er hatte das Gesicht sofort erkannt.
Es war Winnebago.