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Siebentes Kapitel.
Die Indios und das Gold

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Inhaltsverzeichnis

Guanahani hieß die Insel; eine melodiöse Verbindung von Vokalen, wie Urlaute, kindlich, schmeichlerisch, onomatopoetisch. Sie gehört zur Gruppe der Bahama-Inseln: der Streit gelehrter Geographen hat erst spät zu der vorläufigen Feststellung geführt, daß es die heutige Watlingsinsel sein müsse. Nachforschungen an Ort und Stelle kamen nicht in Frage, es gab keine Überlieferung mehr, denn wenige Jahre nach der Entdeckung wurden die gutmütigen und zutraulichen Bewohner des ganzen Archipels wie Schlachtvieh nach Kuba transportiert, um dort nach Perlen zu tauchen oder furchtbare Zwangsarbeit in den Minen zu verrichten, so daß sie in kurzer Zeit insgesamt zugrunde gingen. Schon im Jahre 1520 fanden spanische Schiffe die ehemals blühenden Eilande vollkommen ausgestorben und wüst.

Der Admiral ruft die beiden Kapitäne sowie den Notar der Flotte zu sich und fordert sie auf, Zeugen zu sein, daß er in dieser Stunde die Insel für den König und die Königin rechtskräftig in Besitz nehme. Er zieht sein Schwert, entfaltet das kastilische Banner und entbietet die sämtliche Mannschaft, daß sie ihm als Admiral und Vizekönig den Eid der Treue leiste. Die feierliche Veranstaltung hatte er zweifellos lange vorher in allen Einzelheiten ausgedacht. Sie ist die Verwirklichung des ersten aus einer fortgesponnenen Reihe von Träumen. Ihm geschah, was unter Millionen einmal einem geschieht: Wahrwerden des heimlichsten, inbrünstigsten Traumes. Die Chronisten versichern, die Leute seien vor Begeisterung wie verrückt gewesen; sie drängten sich um den Admiral, sie umarmten ihn, sie küßten seine Hände, und die noch gestern die Widerspenstigsten gewesen, zeigten sich nun als die Demütigsten und Dankbarsten. Nicht zu verwundern. Der Explosionsgewalt dieses Moments war keine Menschenvernunft gewachsen. Es gibt Erschütterungen, unter denen die Bösen aufhören böse zu sein, die Schwächlinge nicht mehr schwach, die Trübsinnigen nicht mehr melancholisch sind, da bricht die elementare Triebnatur hervor, die alles Eigenschaftliche und auf den Zweck Gerichtete überschwemmt und verbrennt. Dieser Auswurf Europas wird sich auch nicht mit harmlosen Freudenbezeugungen begnügt haben; in ihren tollhäuslerischen Rausch mengten sich wahrscheinlich gleich die wildesten Hoffnungen, und die Brunst einer noch wesenlosen Begierde verwandelte jeden einzelnen im Nu in einen heimlichen, zu jeder Untat bereiten Verschwörer.

Ich war ein zehnjähriger Junge, als ich zum erstenmal las, wie Columbus von Guanahani »rechtskräftig« Besitz ergriff. Ich entsinne mich, daß mich der Ausdruck »rechtskräftig« so in Erstaunen setzte, daß ich tagelang darüber grübelte. In meiner Naivität fragte ich mich, wie denn das möglich sei, da doch auf der Insel bereits Menschen lebten und vermutlich von alters her. Mich erstaunte vor allem die Selbstverständlichkeit des Vorgangs, und daß sich die Spanier nicht wenigstens vorher erkundigten, ob das Land bereits jemandem gehörte. In diesem Fall schien es mir höchst seltsam, von Rechtskraft zu sprechen, und die Begriffe verwirrten sich mir. Es war natürlich eine kindliche Auffassung, ich sah es später ein, besonders da die Tatsache in allen Büchern mit der gleichen Selbstverständlichkeit berichtet wurde und ich auf keinen Menschen stieß, der mein Befremden geteilt hätte.

Der Admiral ließ die Eingeborenen um sich versammeln, und folgendes sind seine Worte über sie, die ersten, die über die blumenhaften Wesen dieser Inselwelt von einer Menschenhand niedergeschrieben wurden: »Ich erkannte, daß es Leute seien, die sich eher durch Sanftmut und Überzeugung als durch Gewalt zu unserem heiligen Glauben bekehren lassen würden, und gab darum einigen von ihnen Glasperlen und farbige Kappen und viele andre wertlose Dinge, die ihnen großes Vergnügen bereiteten und uns ihre Freundschaft schnell erwarben. Sie kamen darauf an unsere Schiffe geschwommen, brachten Papageien, Garnknäuel, hölzerne Lanzen und vieles andere, was sie gegen die Dinge austauschten, die wir ihnen boten, Spielzeug und kleine Schellen. Männer und Frauen gehen ganz nackt, sie sind schön gewachsen, haben schöne Glieder und Angesichte. Ihre Bewegungen sind zierlich, sie müssen gute Dienstboten sein, von sehr gutem Charakter, ich glaube auch, daß man sie ohne Schwierigkeit zu Christen machen kann.«

Zwei Tage später, als er sich entschlossen hatte, nach Südwesten zu steuern, wo nach den Andeutungen der Indios (so nannte er sie, da er ja überzeugt war, sich in Indien zu befinden) noch anderes Land war, berichtet er, daß beim Tagesgrauen der Strand von lauter jungen Menschen voll gewesen sei, alle von hohem Wuchs. »Es ist wahrhaftig ein schöner Menschenschlag«, beteuert er »ihre Haare sind nicht gekräuselt, sondern fallen lang herab und sind grob wie Roßhaar. Die Augen sind schön und keineswegs klein. Ihre Hautfarbe ist nicht schwarz, sondern wie die der Leute auf den Kanarischen Inseln, die Füße sind ganz gerade. Ich frug sie aufmerksam aus, um zu hören, ob sie Gold haben. Ich bemerkte, daß einige ein kleines Stückchen Gold in einem Loch tragen, das sie sich in die Nase machen, und es gelang mir, durch Zeichen zu erfahren, daß, wenn ich ihre Insel umschiffe und mich nach Süden wende, ich ein Land finden werde, dessen König eine große Menge von diesem Metall besitze. Ich versuchte sie dazu zu bringen, mich zu diesem Land zu führen, begriff aber bald, daß sie nicht wollten. (Das heißt, er hatte sich einer Anzahl von ihnen mit Gewalt bemächtigt und zwang sie zu Führerdiensten.) Das Gold, das sie in den Nasenlöchern tragen, findet sich wohl im Lande, aber ich lasse nicht danach suchen, um keine Zeit zu verlieren, denn ich will trachten, daß ich an der Insel Zipangu landen kann.«

Derselbe bezeichnende Vorgang wiederholt sich nun immer wieder. Er verläßt Guanahani, dem er den Namen San Salvador verleiht, und entdeckt eine zweite Insel, die er Santa Maria de la Concepcion nennt, eine dritte, die den Namen Fernandina, eine vierte, die den Namen Isabella erhält. Schickliche Ordnung: zuerst der Erlöser und die Mutter Gottes, dann die irdischen Majestäten. Überall begegnen ihm die Indios mit scheuer Freundlichkeit, nachdem sie die tiefe Angst vor den Fremdlingen überwunden haben, in denen sie Götter und Halbgötter erblicken. Niemals das geringste Anzeichen feindseliger Gesinnung, niemals eine boshafte Handlung, höchstens stehlen sie gelegentlich eine Kleinigkeit auf einem der Schiffe, etwas Glänzendes oder Buntes, das ihr naives Verlangen erweckt hat; damit machen sie sich dann eilig aus dem Staub, um es in Sicherheit zu bringen, sind aber, zur Rede gestellt, gern bereit, ihr ganzes Eigentum hinzugeben, wenn man ihnen nur erlaubt, das wunderbare glänzende oder bunte Ding, einen Spiegelscherben, einen Fetzen rotes Tuch, zu behalten. (Dies scheint, in allen Jahrhunderten vorher und nachher, das symptomatische Benehmen der sogenannten Wilden gewesen zu sein: der Kehricht europäischer Zivilisation, der glänzende Scherb und der bunte Fetzen reichen hin, sie in Entzücken zu versetzen und den Geist anzubeten, der dergleichen hervorzubringen imstande ist. Zweihundertsiebzig Jahre nach Columbus macht Kapitän Cook genau dieselbe Erfahrung in der Südsee.)

Ihr ganzes Gefühl gegen die Ankömmlinge ist Bewunderung und Verehrung. Uralte Sage, die in allen Stämmen von hier bis nach Mexiko, Guatemala und Peru lebendige Tradition ist, hat die Erwartung göttlicher Wesen in ihnen erregt, von Söhnen der Sonne, die aus dem Osten kommen und unermeßliche Freude und Schönheit spenden werden: ein Erlösungsmythos, der die Menschheit durch alle Formen ihres frühen Bewußtseins begleitet. »Sie dankten Gott«, notiert Columbus am vierzehnten Oktober, »warfen sich auf die Erde nieder, erhoben die Hände zum Himmel und luden uns ein, an Land zu kommen.« Aber das erste, was er am andern Morgen unternimmt, ist, einen Ort zu bestimmen, wo er eine Festung bauen kann. Etwas beschämt fügt er dem Bericht hinzu; es sei vielleicht doch nicht nötig, da die Leute in bezug auf den Krieg äußerst einfältig seien. In dieser Feststellung tritt eine nicht geringe Verachtung des zivilisierten gegen den unzivilisierten Menschen, des kriegerischen frommen Katholiken gegen den friedfertigen Heiden zutage, und so läßt sich auch seine Sorge über ihren Unglauben begreifen und wie man sie möglichst rasch zu Christen machen könne. Er hat Angst um ihr Seelenheil, soviel herrenloses Gut der Kirche bedrückt sein Gemüt. Doch weiß er sich am Anfang nicht zu stellen; er und seine Sendlinge sind im Befragen der »Wilden« nicht geschickt, es ergeben sich wunderliche Mißverständnisse, aber der Admiral hört nur, was er zu hören wünscht, d. h. er hört überhaupt nicht. Nur mit seinem fertigen Traumbild beschäftigt, erwartet er alsbald, daß die Schiffe des Groß-Chans in den von ihm entdeckten Häfen erscheinen werden und daß er das asiatische Festland in zehn Tagen erreichen muß. Da er an dieser Überzeugung nicht rütteln läßt, werden alle Auskünfte der Indios falsch gedeutet, umgedeutet und in seinem Sinn übersetzt, und was die Dolmetscher wie der sprachgelehrte Jude Luis de Torres, den er an Bord hat, hierin versäumen, besorgt er selbst. Wenn sie von einer Gegend namens Cami sprechen, glaubt er, sie reden vom Grandchan, und wenn sie von der großen Insel Kuba erzählen, versteht er Zayton und Quinsay. Sie bringen ihm Gemüse und Früchte, er aber will Gold. Er bemerkt und anerkennt ihre Zutraulichkeit und Sanftmut, ihren Diensteifer und ihre Bereitschaft, ihn als Gott anzubeten, jedoch ihre vollkommene Armut übersieht er gänzlich, er konstatiert nur mit Verwunderung, daß sie sich aus Gold nichts machen, was ihn noch mehr in der Meinung befestigt, daß jedes dieser kleinen Gartenparadiese von verborgenem Golde starrt. Und eine tiefe grüblerische Unruhe bemächtigt sich seiner: wie kann man des Goldes habhaft werden? wie die Indios zwingen, daß sie es herausgeben?

Seine Aufzeichnungen lassen keinen gültigen Schluß darüber zu, wie er sich in seinem Innern zu den Indios wirklich verhielt. Meines Wissens hat auch noch niemand diese Frage zum Gegenstand der Forschung gemacht, obwohl sie sicherlich geeignet wäre, manche Unergründlichkeiten seines Charakters aufzuhellen. Man kann ihn nicht beim Wort nehmen, es gibt auch keines, bei dem er zu fassen wäre. Der Mensch des fünfzehnten Jahrhunderts hat im Hinblick auf soziale Konvention und humane Regelungen eine Verstellungsfähigkeit, für die dem heutigen Menschen jeder Begriff fehlt, und wenn man meint, die Insulaner seien für ihn nichts weiter als die lebendige Staffage in einer fremdartig-anmutigen Landschaft gewesen, so wäre das ebenso falsch, als wenn man im sentimentalen Geist des achtzehnten Jahrhunderts annähme, er habe einfache Naturgeschöpfe in ihnen gesehen, die er aus dem Dunkel der Unwissenheit befreien wollte. Voraussetzen darf man nur die absolute Fühllosigkeit, und nicht bloß die des Menschen seiner Zeit gegen den Nichtchristen, den nackt gehenden Gottlosen und in Glaubensfinsternis vegetierenden Wilden, sondern noch viel mehr die Taubheit und Blindheit des von seiner Idee besessenen Menschen gegen alle Erscheinung auf Erden, es sei denn, er bedarf ihrer, damit sie von der Idee zeuge und sie fördere. Aus diesem Grund kann man auch nicht von der Habsucht des Columbus reden, wie es oft geschehen ist; sein unstillbares Verlangen nach Gold hat eine andere Wurzel als die gemeine Gier. Don Quichote ist nicht habsüchtig, wenn er von den Schätzen des Kaisers von Trapezunt phantasiert; er betrachtet sie als Tribut, den ihm das Schicksal schuldig ist, er braucht sie zu seiner Bestätigung.

Seine Haltung gegen die Indios ist von Anfang an feig, verräterisch und unsicher. Einerseits kann er ihre Naturhaftigkeit und Unverdorbenheit nicht genug rühmen, andererseits zerbricht er sich fortwährend den Kopf, wie er möglichst viel Profit aus ihnen ziehen kann, denn er betrachtet sie ja als sein Eigentum, in erster Linie als seines und dann erst als das der spanischen Krone. Am liebsten möchte er durch die Folter aus ihnen herausfragen, was er zu wissen begehrt; oder vielmehr, er will von ihnen hören, was er zu wissen vermeint, so behauptet er zum Beispiel, sie hätten ihm von hundsköpfischen Menschen und von anderen mit einem Auge mitten auf der Stirn erzählt, oder von Inseln, die nur von Amazonen bewohnt seien; er bezweckt dadurch, die Fabeleien antiker Schriftsteller, die für ihn ein scholastisch-wissenschaftliches Gepräge haben, mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Andererseits ist er klug genug, sie nicht einzuschüchtern, ehe sie ihm nicht ihre Goldlager (die nur in seiner Einbildung existieren) und den Weg nach der Hauptstadt des Groß-Chans verraten haben (der ebenfalls nur in seinem Wahn besteht). »Wenn es unserm Herrn gefällt, werde ich bei meiner Abreise sechs von ihnen für Eure Hoheiten mitnehmen, damit sie sprechen lernen«, schreibt er, ganz wie ein Entomologe, der eine Sammlung merkwürdiger Käfer heimzuschicken verspricht.

Immer wieder heißt es: »Ich war sehr aufmerksam und gab mir viele Mühe, zu erfahren, ob Gold vorhanden sei«; oder: »Ich vernahm, daß im Süden ein König sei, der große Gefäße aus Gold besitze.« Auf Haiti bringt ihm ein Kazike ein handgroßes Stück Gold; er ist hochbeglückt und wendet sich im Gebet an Gott: »Möge der Allmächtige nach seiner Barmherzigkeit mir beistehen, daß ich die Minen finde, aus denen dieses Gold gewonnen ist.« Er verkauft den Indios kupferne baskische Trommeln: für Gold; er läßt ihnen Sirup verabreichen: für Gold; das meiste Ergötzen bereiteten den verspielten Naturkindern die kleinen Schellen aus Messing, die die Spanier als Tauschartikel mit sich führten; der Admiral überschwemmte die Bahama-Inseln, Kuba, Española und später die Küste des Kontinents zu Tausenden mit Klingelschellen: und bekam Gold dafür. Er schreibt: »Meine Leute sahen einen Indio, der ein Goldstück von der Größe eines kastilianischen Talers trug, und ich machte ihnen Vorwürfe, daß sie es nicht gekauft hatten.« An anderer Stelle: »Ganz gewiß ist es Gold, was ich sah, und ich hoffe mit Hilfe unseres Heilands den Ort zu finden, wo es wächst.« Oder: »Ich werde den König dieser Insel sehen, dessen Kleider, wie ich höre, mit Gold bedeckt sind.« Oder: »Ich werde auf dem Weg nach Bohio alle Eilande besuchen und, je nachdem ich Vorräte von Gold und Spezereien finde, beschließen, was ich zu tun habe.« Am 23. Oktober: »Ich sehe davon ab, die Insel Kuba zu besuchen, die ganz gewiß Zipangu sein muß, weil ich glaube, daß es dort keine Goldminen gibt.« (Er ändert aber dann seinen Entschluß.) Am neunundzwanzigsten kommen sechzehn Kanoes auf das Schiff zu, beladen mit gesponnener Baumwolle; der Admiral schärft seinen Leuten ein, nichts davon zu nehmen, damit sie merken, er suche nichts als Gold (wörtlich). Am 6. November: »Die mich begleitenden Indios sagen, auf der Insel Baneque sei so viel Gold, daß man es unter einer dünnen Erdschicht erkennen könne.« Am 25. November: »Der Admiral ging an den Fluß und sah dort viele goldgefleckte Steine glänzen.« Die gierigen Sinne täuschen ihn, es ist gewöhnlicher Kalkspat oder Glimmerschiefer, wie sich später bei der Untersuchung in Spanien erweist.

Er denkt und träumt nichts anderes als Gold. Es ist seine Qual, sein Stachel, seine Manie, seine Hoffnung. Ich habe von der Bestätigung gesprochen, nach welcher Don Quichote verlangt und nach der Art seines aller Wirklichkeit zutiefst entfremdeten Geistes schmerzlich verlangen muß. Ein Mittel zur Bestätigung ist auch das Gold, aber es öffnet sich da noch ein Abgrund: Ein Mann, der mit solcher Besessenheit vom Gold spricht, nach Gold lechzt, ein Mann von reifen Jahren, verrät damit, daß er sein bisheriges Leben in Dürftigkeit und Entbehrung hingebracht hat, und nicht allein das, auch die allgemeinen sozialen Bedingungen müssen die engsten, bedrückendsten, kümmerlichsten gewesen sein, die höfischen, die bürgerlichen, die des ganzen Volkes, ja des ganzen europäischen Kontinents. Und das trifft kulturgeschichtlich zu. Da ist keine Lockerheit, kein Behagen, nicht der schüchternste Lebensgenuß, und für die Kargheit und Strenge, die das private Dasein in Fesseln schlug, entschädigten nur prunkvolle Massenaufzüge, religiöse Ekstasen und blutige Orgien.

Aber auch das genügt nicht zur Erklärung, man muß noch tiefer gehen. Zuallertiefst ist immer die Angst.

Gewiß, den handgreiflichen Beweis muß er haben, daß er nicht der sterile Phantast gewesen, als den ihn seine Gegner verhöhnen; mit einem Schlag kann er die Zweifler zum Schweigen bringen, die ihm soviel Kummer und Zurücksetzung verursacht haben und deren Stimmen, Mienen, störrische Widerrede und boshafte Nachrede seinen Schlaf mit Unruhe erfüllen; er braucht nur ein Dutzend Säcke Gold vor ihre Füße zu schütten, und sie müssen an ihn glauben, sie müssen gestehen, daß er ein überlegener Geist ist, ein Mann, dem sie bitteres Unrecht zugefügt haben. Er genießt schon zum voraus ihr Erstaunen, ihre Beschämung, ihre demütigen Entschuldigungen, denn arme Schlucker, wie die meisten von ihnen sind, können sie nur durch den Augenschein des Goldes, dieses unwiderleglichsten aller Argumente, zur Anerkennung seiner Verdienste gezwungen werden. Seine Vergangenheit, sein Charakter und alle seine Äußerungen lassen annehmen, daß er ein Mensch der unausrottbaren kummervollsten Ressentiments war.

Die aber, die ihm Beistand geleistet und Opfer gebracht haben, die müssen erst recht überzeugt werden. Käme er mit leeren Händen, so würden sie seinen Erfolg allerdings nicht leugnen, seine Tat sicherlich preisen und ihm die schuldige Ehre nicht versagen, aber womit soll er ihnen lohnen? Nur wenn er sie schadlos halten, das aufgewendete Kapital mit Zins und Zinseszins zurückerstatten, ihnen solchen Überfluß zeigen kann, daß das, was sie beigesteuert, zu einem unbedeutenden Scherflein wird gegen den Ertrag, den sie dafür einheimsen, nur dann kann er ihnen als gleichgeordnet entgegentreten, Herr gegen Herr, Hofmann und Grande wie sie selbst.

Da steht vor allem groß und heischend das königliche Paar vor seinem inneren Auge. Es ist von dringlichster Wichtigkeit, ihnen zu beweisen, daß sie Gunst und Vertrauen an keinen Unwürdigen verschwendet haben. Die kalte Geringschätzung des Königs hat er noch nicht verwunden. Er kann stundenlang kauern und sich ausmalen, wie der Monarch ihm freundlich zunicken, sich von seinem Sitz erheben und ihm sagen wird: Ich habe mich in Euch geirrt, Don Cristobal Colón, Ihr seid wahrhaftig ein großer Mann. Und ihr, der Königin, der hochherzigen Helferin, treuen Magd der Kirche, unermüdlichen Gottesstreiterin, der er die Befreiung des Heiligen Grabes zugelobt, der schwesterlichen Beschützerin, als die er sie trotz seiner sklavischen Demut insgeheim empfindet, deren Gnade ihm den Lebenstriumph ermöglicht hat: ihr muß er mit Schätzen danken können, wie sie kein Fürst der Christenheit sonst aufzuweisen vermag, schon damit sie noch unbedingter an ihn glaube, sich noch inniger ihm verbünde.

Da sind unermeßliche blühende Länder: wahrhaftig Geschenke, die einer Königin durchaus würdig sind. Wie soll man ihr aber einen Begriff von der Schönheit und dem natürlichen Reichtum der Gebiete geben, die nun ihr gehören? Durch das Wort, die armselige Beschreibung? Verzweifeltes Beginnen. Er versucht es ja, er findet kein Ende mit entzückter Schilderung: »Es war ein wunderbares Ding um die köstliche Luft, die Herrlichkeit der Bäume, die beide Ufer des Flusses umsäumten, um die klaren Wasser und die von einer Menge von Vögeln belebte Landschaft. Alles bot einen so wunderbaren Anblick, machte den Ort so bezaubernd, daß der Admiral sich kaum loszureißen vermochte. Er sagte zu seiner Umgebung, es wären tausend Zungen nötig, um dem König und der Königin einen kleinen Begriff von diesem Feenreich zu geben.« Oder beim Anblick des Hafens von Baracoa: »Der Admiral kann die Schönheit des Landes nicht genug rühmen. Die Ebene breitet sich gegen Südost aus, und große Flüsse entströmen ihr, was ganz herrlich anzusehen ist.« Und später, über die Insel Española: »Aller Boden ist bepflanzt und das Tal von einem Fluß durchzogen, mit dessen Wassern die ganze Insel getränkt werden kann. Die Bäume sind grün und voller Früchte, die Gräser von Blumen untermengt und sehr hoch, die Luft balsamisch wie in Kastilien im April. Der Gesang der Nachtigall ist so lieblich wie das Klima, allerorten hört man Grillen und Frösche. Ich flehe Eure Hoheiten an, zu glauben, daß die Insel so gut und fruchtbar ist, daß nur der davon sprechen kann, der sie mit Augen gesehen.« Oder: »Ich versichere Eure Hoheiten, daß es in der ganzen Welt kein besseres Land und keine besseren Leute gibt. Sie lieben ihren Nächsten wie sich selbst, sie haben eine wahrhaft gewinnende Art zu reden und stets ein freundliches Lächeln bereit.«

Armseliges Gestammel, armselige Augen, die nur die roheste Materie sehen, nicht die Seltsamkeit der neuen Formen, die exotische Üppigkeit der Farben, die Penetranz des Lichts, die silberne Flüssigkeit der Atmosphäre, arme Feder, die keine Worte hat für das Glück der Erstmaligkeit, traurig abhängiger, in niedrigen Erwägungen befangener Geist, der diese neue Menschenwelt denkfaul ins Schema seiner engsten Begriffe preßt und während er ihr Leben, ihre Seele, ihr Tun und Lassen platt schematisiert, nichts von ihrer geheimnisvollen Kompliziertheit, ihren uralten sozialen und religiösen Regelungen und sittlichen Gesetzen begreift und wahrnimmt. Das ist ein Kaufmann, der seine Ware anpreist und keine Möglichkeit sieht, sie dem Besteller zu zeigen, damit er auch wisse, was er bekommt. Immerhin ein phantasievoller Kaufmann, der seinen Kredit überspannt hat und den die Erwartung des Gewinns nicht mehr schlafen läßt. Er sehnt den Augenblick herbei, wo er sein Glück verkündigen, wo er sich Glauben verschaffen kann, denn ihm selbst, ob er es gleich lebt, ist alles noch so sonderbar unglaubhaft. Ungeduld mündet stets in die Angst; er hat Angst, der europäischen Welt könne seine Entdeckung vorenthalten bleiben; der Ozean ist noch zu durchfahren; die Stürme, denen er auf der Herreise entgangen ist, werden ihn vielleicht auf der Rückreise vernichten; aber auch wenn sie ihn verschonen, wenn er glücklich heimgelangt, ist alles unsicher, alles lediglich auf Mitteilung gestützt; kann die neue Erde, die er der Menschheit aufgedeckt hat, nicht eine Fata morgana sein, wird sie nicht in Wesenlosigkeit zerrinnen, wenn er den Rücken kehrt, so wie sie wesenlos war, ehe er sie gefunden hatte? Das ist seine Angst, Realitätsangst, die schrecklichste Erschütterung des Geistes; darum scharrt er Gold zusammen mit allen Mitteln, auf allen Wegen, denn Gold ist die einzige sinnfällige Wirklichkeit, mit der er sich legitimieren und verständlich machen kann, Herzextrakt des entschleierten Mysteriums und Inbild seiner Tat.

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann

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