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Elftes Kapitel.
In Ketten

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Inhaltsverzeichnis

Indessen waren die Kolonie und alle mit ihr zusammenhängenden Unternehmungen in einen so üblen Ruf geraten, daß kein ehrlicher Mensch mehr willens war, in Indien ein fragwürdiges Glück zu suchen. Man verfiel also auf denselben Ausweg wie vor der ersten Reise und öffnete dem Admiral die Pforten der Zuchthäuser. Abermals sollte er unter Banditen und Dieben seine Wahl treffen, und er wußte doch schon, was damit seiner harrte; zudem wurde ein Generalpardon für alle Übeltäter erlassen, die sich der Strafe durch die Flucht entzogen hatten; wenn sie sich bereit erklärten, übers Meer zu gehen, sollten sie frei und ledig sein, nur Ketzer, Hochverräter, Brandstifter, Majestätsverbrecher, Falschmünzer und Sodomiter konnten der Amnestie nicht teilhaftig werden. Die sich zum Dienst anboten, waren immerhin noch schlimm genug, und von dieser Räude der europäischen Menschheit erwarteten die Majestäten und ihre geistlichen Minister allen Ernstes, daß sie »ihr Augenmerk vornehmlich auf die Bekehrung der Indios zum katholischen Glauben richten sollten«.

Colón konnte sich, durfte sie nicht wehren. Er hatte weder das Volk auf seiner Seite noch den Hof noch den Klerus. Seine Sache war in heillosen Mißkredit gebracht, dafür hatten der Bischof Fonseca und seine Günstlinge gesorgt, zu deren geschäftigsten Antonio de Torres gehörte, der dem Admiral alles zu verdanken hatte. Die Absicht war, ihn in Hader mit den Beamten zu verstricken und gesellschaftlich zu isolieren. Nichts ging seinen geraden Weg, alles mußte erschlichen, errafft, erzwungen, mit unwürdigen Mitteln durchgedrückt werden. Die Abreise verzögerte sich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, der Hauptgrund war, daß man dem Admiral zum Einkauf der Lebensmittel eine Taxe vorgeschrieben hatte, die die Beschaffung unmöglich machte, kein Kaufmann wollte zu dem behördlich fixierten Preis seine Ware liefern. Außerdem fehlte es an Bargeld; wenn er zu den gewährten kümmerlichen Summen einen Zuschuß verlangte, wurde ihm der höhnische Bescheid, er möge Gold in Indien prägen lassen. In letzter Stunde erschien der königliche Zahlmeister Ximeno de Breviasca, ein getaufter Jude, bei ihm, forderte in beleidigender Weise Rechenschaft über die Einkäufe, und als sich Columbus dessen weigerte, drohte er, die Abreise, die durch seine Umtriebe so lange nicht hatte stattfinden können, noch länger aufzuhalten. Da packte ihn der Admiral mit den Fäusten, schüttelte ihn, stieß ihn mit Fußtritten vom Schiff und rief ihm zu, falls ihm diese Quittung nicht genüge, könne er noch eine ausdrücklichere haben. Es war der Wutausbruch des zur Verzweiflung getriebenen Schwächlings, und was man am Starken bewundert oder hinnimmt, verzeiht man dem Schwächling nie. Der Vorfall, am Hof übertrieben geschildert, erregte dort großes Ärgernis und bereitete die Machenschaften vor, die den Admiral zu Fall brachten.

Endlich konnten die Schiffe den Hafen verlassen. Vielen der Zuchthäusler, die ihre Bemannung ausmachten, wurden erst auf hoher See die Arm-und Beinfesseln abgenommen, und wennschon Columbus Gott danken mochte, daß er das gehaßte Europa und seine hassenswerte Menschheit wieder einmal hinter sich gelassen hatte, von diesem Schauspiel wird er wohl die Augen abgewendet haben, und es wird ihm angst und bang geworden sein, vor sich, vor seinem Dämon, vor seinem Werk.

Was galt es noch zu tun? Worin bestand die tiefe Unrast? Was trieb ihn wieder und wieder auf die andere Seite des Erdballs? Weil es seine Welt war, ihm zu eigen, von ihm gefunden? Oder fühlte er, daß die Aufgabe nicht erfüllt, das Ziel nicht erreicht war? oder gar, daß er einer jener tragischen Betrogenen des Schicksals war, die das Ziel nicht sehen, auch wenn sie es mit Händen greifen? Wir dürfen ihm nicht mehr Erkenntnis zuschreiben als das Zeitalter den Menschen ermöglichte, und was von Instinkt in ihm war, hörte zu wirken auf, sobald seine Person ins Spiel kam. Er war ein Bild ohne Gnade, er wußte nichts von innerem Frieden, die ungeheure Tat, die er vollbracht, zeichnete ihn wie den Mörder die Schuld. Blind befuhr er die Meere, betrat er die jungfräulichen Länder, immer auf anderes sinnend als auf die Forderung der Stunde; keiner Gegenwart gewachsen, kein Antlitz wissend, keines Menschen Herz besitzend, dunkel in sich vergraben, landflüchtig und freudlos.

Auf der Insel Cuba hatte er seine Leute schwören lassen, daß sie sich auf dem Festland befänden, und als er im Juli 1498 auf der Tierra di Gracia zum erstenmal den Fuß auf den amerikanische Kontinent setzte, leugnete er diese Tatsache rundweg ab und erklärte das Land für eine Insel. Seit er die transatlantischen Fahrten begonnen, war es seine Sehnsucht und sein geheimes Trachten gewesen, das Paradies zu finden, worin das erste Menschenpaar gelebt. Seine astrologischen und magischen Studien hatten ihn dazu geführt, es auf eine Insel im indischen Meer zu verlegen, es war eine theologische Konstruktion, jeder Anschauung fern, von lebendiger Phantasie nicht befruchtet. Kaum war er dort, an der Küste von Paria, gelandet, so verkündete er: Dies ist das Paradies des Alten Testaments, kein Einwand vermag in der Folge seinen Glauben zu erschüttern. Er hat es nicht betreten, er wagt es nicht, es ist zudem auf einem hohen Berg gelegen, aber auch dieser Umstand, neben der Süßigkeit der Luft und der üppig wuchernden Vegetation der umgebenden Landschaft, bestärkt ihn in seiner Überzeugung. »Denn die Erde ist nicht rund«, schreibt er in seinem Bericht, »sondern sie hat an der Stelle, wo Indien unter dem Äquator an den Ozean grenzt, eine steile Erhebung. Als unser Herrgott die Sonne schuf, stand sie aufgangsbereit am höchsten Punkt der Erde im äußersten Osten. Und dieser höchste Punkt, als der himmelnächste, muß auch der trefflichste sein. Obwohl nun Aristoteles behauptet, der Südpol sei der höchste Punkt, und andere Gelehrte wieder versichern, der Nordpol sei es, ist meine Ansicht dagegen, daß es der Äquator ist. Daran dachte keiner bis jetzt, was mich nicht wundert, da man, ehe Eure Hoheiten befahlen, diese Länder und Meere zu erforschen, nur eine sehr geringe Kunde von ihrer Beschaffenheit hatte.«

Der bare Gallimathias. Aber er läßt nicht locker, mit der Konsequenz eines Wahnsinnigen verfolgt er den Gedanken weiter: »Das Paradies liegt an einem Ort, wohin niemand gelangen kann als durch den göttlichen Willen. Es hat die Form eines Berges, vielmehr, es befindet sich auf einem Gipfel, der dem Stielende einer Birne oder einem Ball mit der Warze einer Weiberbrust gleicht, und um diese Warze schwillt die Erde auf und nähert sich dem Himmel. Das sind sichere Anzeichen des Paradieses, die genau mit den Beschreibungen der Heiligen und der verständigen Gottgelehrten übereinstimmen.« Das Phänomen, daß der Orinoko bis weit hinaus in den Ozean das Salzwasser verdrängt, gibt ihm gewaltig zu schaffen; die einzige Erklärung, die er findet, ist die, daß der Fluß aus dem Paradies kommt und somit übernaürliche Eigenschaften besitzen muß: »Nachdem ich die Mündung verlassen hatte«, schreibt er, »wurde die Meeresströmung so stark, daß ich bei mäßigem Wind von der Frühmesse bis zum Abendgebet fünfundsechzig Meilen zurücklegte, woraus hervorgeht, daß man gegen Süden bergauf, gegen Norden aber bergab fährt.«

Viel evidenter, dünkt mich, geht aus der Schlußfolgerung hervor, daß er nicht fähig war, eine Erfahrung zu machen und eine Beobachtung auf ihre natürliche Ursache zu prüfen. Der Überschwang des Entzückens, in den ihn die Tierra di Gracia versetzte, erhält eine eigentümliche Beleuchtung durch den Umstand, daß er während der ganzen Zeit seines Aufenthalts durch ein schweres Augenleiden am Sehen verhindert war. Er hätte sonst vielleicht nicht so viel gesehen. Die hektische Glut seines Willens macht alle seine Träume wahr und gibt jedem Wahn eine praktikable Gestalt.

Man muß sich fragen, was ihn zu dem Entschluß getrieben hat, so weit nach Süden zu steuern, die ihm bekannten Meere zu verlassen und sich trotz seines Siechtums und seiner seelischen Niedergeschlagenheit neuerdings dem Ungewissen anzuvertrauen. Einer der Gründe liegt auf der Hand: Er wollte endlich das Festland von Asien und die wunderbare Insel Zipangu erreichen, das ursprüngliche Ziel; der andere ist in dem Aberglauben der Zeit zu suchen, daß dort, wo die Sonne am heißesten brennt, die größten Schätze der Erde an edlen Metallen, Perlen, Gewürzen und Spezereien sein müssen. Es gibt ein Gutachten eines gewissen Mossen Jaimen Ferrer, angesehenen Mineralogen und Steinschneiders, das die Hypothese mit scholastischer Gründlichkeit und Zitaten aus den Schriften Cäsars und der Apostel verficht. Der berühmte Peter Martyr, Zeitgenosse des Columbus, ruft den Seefahrern zu: »Gen Süd! Gen Süd! Wer Reichtümer finden will, darf nicht in die kalten Regionen des Nordens gehen.«

Allein bei alledem ist es nichts Sagbares und Rationales, was diesen ahasverischen Menschen von Aufbruch zu Aufbruch hetzte. Es ist sein Verhängnis und sein Gesetz. (Auch dies könnte für sein Judentum sprechen.) Obschon er einerseits die Epoche nicht wie eine lebende Person, sondern fast wie ein Paradigma verkörpert, haftet andererseits seinem Wesen etwas Chaotisches an, und das Chaotische verursacht, daß in ihm, wie einzelne Sterne im Äthernebel, alle die nach ihm kamen charakterologisch und motorisch gleichsam schon enthalten sind, all jene Abenteurer, Eroberer, Wegesucher, Reichegründer, jene columbischen Diadochen, wie man sie heißen könnte, denen es auf eine verzweifelte oder heroische Weise gelungen ist, ihren Namen auf die Tafel der Unsterblichkeit zu schreiben, meist mit blutigem Griffel: die Alonzo de Ojeda, Pedro Niño, Sebastian Cabot, Fernando Cortez, Nuñez Bilbao, Fernando Magalhães, Franzisco Pizarro: Es ist nur eine kleine Auslese derer, die das Leben von Menschen nicht höher achteten als das von Käfern und ihr eigenes dazu. Überall hausten sie wie die leibhaftigen Teufel. Nicht um jene Ziele zu erreichen, die sie erreicht haben und für die sie dann in den Geschichtsbüchern gepriesen werden, sondern um ihre elementare Energiespannung zu entladen. Ohne die Entdeckung des Columbus wären sie wahrscheinlich an Raummangel erstickt oder hätten in ihrer Willensraserei alles Bestehende in Trümmer geschlagen.

Zweifellos war es eine magische Gewalt, die Columbus immer wieder nach Española zog, wie sehr ihn auch der Westen und das nahvermutete Land des Großchans lockten. Sein Herz hing an Española. Je toller es dort zuging, je greuelvoller die spanischen Einwanderer wüteten, je vergeblicher seine Anstrengungen waren, Ordnung zu schaffen, und je öfter er die niederschlagende Erfahrung machte, daß seine Anwesenheit die Wirren nur vermehrte und sogar die wenigen Friedfertigen zu Aufruhr und Zwistigkeit reizte, desto unwiderstehlicher zwang es ihn an den verhexten Ort, als sei etwas Diabolisches in ihm, das nach dem Anblick des Zusammenbruches, dem Schauplatz dieser Menschenhölle in dem ehemals so zauberisch schönen Bezirk mit aller Heftigkeit verlangte. Er hielt Española für ein ihm von Gott besonders bestimmtes und zugewiesenes Fideikommiß, sein Krongut gleichsam, und die blutige Verwüstung, der es durch die zügellosen Horden der beutegierigen Kolonisten ausgesetzt war, schnitt ihm in die Seele. Daß er den Zustand selbst herbeigeführt, den frechsten Forderungen von der einen Seite nachgegeben hatte, gegen das beweglichste Flehen um Abhilfe von der andern taub gewesen war, das wischte er aus seinem Bewußtsein hinweg. Ihm geschah auf alle Fälle Unrecht, was anderes sah er nicht, vor sich selbst war er stets unschuldig und entzog sich der Verantwortung durch die Flucht in den göttlichen Ratschluß. Doch wenn ihm das Wasser an den Hals stieg, erhob er ein Geschrei und fühlte sich unter dem himmlischen Spezialschutz nicht mehr behaglich. In den Labyrinthen seiner Seele hat alles Gut und Böse Platz, alles Nein und Ja, alles Fromme und Verruchte, aber zur Vollendung gedeiht nichts.

Die Insel Española, später San Domingo genannt, spielte im letzten Jahrfünft des fünfzehnten Jahrhunderts ungefähr dieselbe Rolle wie Kalifornien in der Mitte des neunzehnten und Alaska am Anfang des zwanzigsten. Europa schüttete seinen Menschenabschaum über das unglückliche Land, Tausende von Gescheiterten, Geächteten und um des Goldes willen zu jeder Schandtat Entschlossenen. Die Propaganda des Admirals hatte ausreichende Wirkung getan. Der Umstand, daß er bei der dritten Reise keine geschulte Bemannung hatte finden können, darf nicht glauben lassen, die Gold-und Glücksjäger seien abgeschreckt gewesen durch ihre enttäuschten Vorgänger. Der Grund war einfach der, daß diese Leute auf eigene Faust handeln und sich nicht der Disziplin auf einer königlichen Flotte unterwerfen wollten. Da aber in dieser Hinsicht ein strenges Verbot ergangen war, mit Verboten war man in Spanien ebenso verschwenderisch wie im wilhelminischen Deutschland, liefen zahllose Schiffe heimlich aus den heimatlichen Häfen und setzten ihre Passagiere heimlich an der unbewohnten Küste von Española ab. Diese obdach-und mittellosen Auswanderer durchzogen einzeln und in Scharen die Insel, sie verbreiteten Schrecken, wo sie sich blicken ließen, Mord, Raub und Brandschatzung waren an der Tagesordnung. Manche hatten nichts auf die Reise mitgenommen als einen Lederbeutel mit Reis und Mehl, einen Spaten und eine Schaufel. Sie dachten, wenn sie ein wenig in der Erde gruben, müßten sie gleich auf blankes Gold stoßen, und wenn sich ihre Erwartung nicht erfüllte und sie in die ärgste Drangsal gerieten, rächten sie sich dafür an den Indios, überfielen deren Dörfer, machten alles nieder, was ihnen unters Schwert kam, und an den Gefangenen verübten sie, ganz nach dem Beispiel der regulären Soldateska, jede Art von Erpressung. Bald wurden ihre Reihen durch zahllose Überläufer aus dieser sogenannten regulären Truppe vermehrt, denn die Unzufriedenheit mit der Regierung der Brüder Colón war beständig im Wachsen. Der gewalttätige und grausame Bartolomé, dem während der zweieinhalbjährigen Abwesenheit des Admirals die Statthalterschaft übertragen war, hatte ununterbrochen gegen die tückischen Verschwörungen zu kämpfen, die gelegentlich, wenn es sich um den Besitz der Goldfelder handelte, in blutige Schlachten ausarteten.

Bartolomé Colón, kurz der Adelantado geheißen, war in keiner beneidenswerten Lage. Nicht bloß mußte er gegen die aufständischen Spanier Krieg führen, sondern auch die im Glauben an die Himmelssöhne völlig erschütterten, in ihrer Existenz bedrohten und langsam zu gefährlichem Widerstand rüstenden Indios zur Botmäßigkeit zwingen. Er hatte kein Geld und sollte Beamtenlöhne, Söldnerlöhne, Arbeitslöhne auszahlen und die in heillose Unordnung geratene Verwaltung regeln. Das spanische Schatzamt verweigerte ihm jede Unterstützung, es forderte mit Recht, daß die Kolonie sich selbst erhalte. Um dies nur einigermaßen zu ermöglichen, mußten die eingeborenen Stämme in Tribut gesetzt werden, was zu täglichen Zwangsmaßnahmen und damit zu den schlimmsten Ausschreitungen führte, zuerst gegen den Kaziken Guarionex in der Vega real, dann gegen den Häuptling Behechio und seine schöne Schwester Anacaona, die Witwe des in Sklaverei verschleppten Caonabo, die eine Frau von Format gewesen zu sein scheint, stolz, wild und klug, und unter den Spaniern eine sagenhafte Berühmtheit genoß.

Bartolomés Heer, wenn man eine zuchtlose Ansammlung von Strauchrittern als Heer bezeichnen will, ließ es an kriegerischem Aufzug mit wiehernden Pferden, bellenden Meuten, fliegenden Fahnen und schmetternden Trompeten nicht fehlen, es hatte übrigens den Vorteil, daß es im Rücken durch fünf oder sechs befestigte Forts gedeckt war, die der Adelantado nach und nach hatte erbauen lassen, um die Stämme in Furcht zu halten. In Ansehung des beabsichtigten Zwecks war die pomphafte Entfaltung umsonst: Gold war nicht vorhanden. Man mußte froh sein, daß der Tribut in Form von Mais, Baumwolle und Kassavebrot entrichtet wurde. Die Soldaten und Matrosen wollten sich aber keineswegs damit begnügen, sie argwöhnten, die Indios hätten das Gold beiseitegeschafft und bedrängten den Adelantado mit so wütendem Ungestüm, daß er sich nicht anders helfen konnte, als indem er ihnen erlaubte, eine Treibjagd auf die Indios zu veranstalten: feste Einrichtung bereits, beliebtes Volksspiel, Erinnerung an die heimische Corrida und das tausendstimmige Geheul: Mata le! mata le! bevor der Stier niederbricht und verendet.

Das ist nur ein beispielhafter Ablauf unter unzähligen gleichen. Hinzu kamen die frommen Kreuzzüge der Mönche, unter denen sich der Eremit Roman Pane und der Franziskaner Juan Borgognon durch ihre Bekehrungswut besonders hervortaten. Im allgemeinen waren sie, der Zeitersparnis halber, auf Massenproduktion bedacht. Sie sangen den erstaunten Indios lateinische Litaneien und Messen vor, und wenn einer das viele Male gehörte Paternoster und Ave Maria papageienhaft nachplapperte, wurde ihm schnell eine Kanne Wasser über den Kopf gegossen, und die Taufe des neuen Christen war vollzogen. In ähnlicher Weise hatte Roman Pane einen geachteten Indio der Königsebene, in dessen Haus er sich einquartiert hatte, mit seinen Frauen, Kindern, Brüdern und Schwestern, insgesamt sechzehn Seelen, der heiligen Kirche zugeführt, und durch ihn an Guarionex empfohlen, schien er mit dessen Bekehrung anfänglich Erfolg zu haben; der Kazik war ihm sogar beim Bau einer Kapelle behilflich. Als aber Guarionex von der Willkür und Ungebühr vernahm, die sich die Patres zuschulden kommen ließen, verbot er ihnen ihre weitere Tätigkeit und jagte sie aus seinem Gebiet. Kaum hatten sie sich entfernt, so drangen die Dorfbewohner in die Kapelle, zerschlugen den Altar, zerstörten die Bilder und Reliquien und vernichteten jede Spur des kleinen Gotteshauses. Als die Mönche davon Nachricht erhielten, klagten sie die Indios jenes Stammes des Kirchenraubes, der Heiligenschändung und der Gotteslästerung an. Der Adelantado, aus Furcht, von den fanatischen Priestern, wenn er ihnen nicht willfahrte, bei der Inquisition denunziert zu werden, genehmigte die Einsetzung eines Ketzergerichtes, anders läßt sich seine Zustimmung nicht erklären, denn er mußte ja sehen, daß er die Indios durch solche blutrünstige Akte geradewegs in die Verzweiflung trieb. Es zeigte sich eben, daß bei dem ganzen Vorgang von Vernichtung und Despotie auch die starken Charaktere wie Marionetten funktionierten. Etwas Infernalisches war in ihnen und würgte ab, was sie noch an Anstand, Besonnenheit und Menschlichkeit besaßen. Die angeklagten Indios wurden nach streng vorgeschriebener Form rechtens vor das Gericht gestellt, ohne Dolmetscher in spanischer Sprache befragt, die sie nicht verstanden, über Dinge verhört, die ihnen unerklärlich waren, und um sie zu einem Geständnis zu bringen, das ebenfalls unverstanden bleiben mußte, wurde eine Tortur angewendet, die mit neuen, in Espanola selbst von etlichen werktätigen Katholiken erfundenen Instrumenten arbeitete. Dann wurden sie zum Feuertod verurteilt und auf offenem Platz verbrannt, das erste Autodafé in der neuentdeckten Welt. Kurz darauf begab sich ein Mirakel. Man fand die von den Indios geraubten Reliquien dadurch wieder, daß man aus einem dem Ort der Untat nahgelegenen Feld Rüben aus der Erde zog, aber diese Erdfrüchte hatten nicht die gewöhnliche Gestalt von Rüben, sondern waren in Kreuzesform gewachsen.

Das war alles nur düsteres Vorspiel.

Um jene Indios, die die gesetzlich bestimmte Abgabe an Gold, oder in goldlosen Distrikten an Baumwolle (vierteljährlich eine Arroba, etwa 24 Pfund), entrichtet hatten, vor unbilligen Mehrforderungen zu schützen, hatte der Admiral vor seiner Abreise angeordnet, daß sie als Quittung eine Messingplakette am Hals tragen sollten, so wie bei uns die Hunde mit Steuermarken herumlaufen. Das hielt jedoch die Bedrücker nicht ab, den Tribut nach eigenem Ermessen hinaufzuschrauben, und wenn er nicht voll bezahlt werden konnte, hatten sie Ermächtigung, eine entsprechende Leistung an Feldarbeit zu verlangen, was nichts anderes hieß als Sklaverei. Zu diesem Zweck hatte sich Columbus, um es mit keiner Partei zu verderben, beraten von den Nutznießern, von der Königin Freibriefe zur Landverteilung geben lassen. Diese sogenannten Repartimientos waren nicht nur die Veranlassung zu erbitterten Kämpfen und langwierigen Prozessen unter den Kolonisten, sondern sie ließen auch den Indios keinen andern Ausweg als den Krieg bis aufs Messer, da ihnen durch einen bloßen Federstrich ihr Ackerland, ihre Weiden, ihre Gärten einfach weggenommen wurden, so daß der gestern noch Wohlhabende heute als Bettler Haus und Hof verlassen mußte. Der Haß gegen die Fronherren und die Sehnsucht nach Befreiung von dem unerträglichen Joch vereinigte selbst jene Stämme, die seit Jahrhunderten in Fehde lebten. Als der Adelantado einen Indio, den er als Dolmetscher und Wegweiser benutzte, an den Kaziken Mayobane abschickte mit der Aufforderung, er solle ihm, da er doch stets ein Freund der Spanier gewesen sei, den Häuptling Guarionex ausliefern, der bei ihm Schutz und Zuflucht gesucht hatte, wo nicht, werde er seine Dörfer mit Feuer und Schwert verheeren, erhielt der Bote die Antwort: »Sage den Christen, daß sie schlecht, grausam und wortbrüchig sind. Mich verlangt nicht nach der Freundschaft von Leuten, die unschuldiges Blut vergießen und Land rauben, das ihnen nicht gehört. Guarionex ist mein Gast, ich werde ihn schützen, möge der General kommen und ihn holen, wenn er kann.« Diese Weigerung, willkommener Vorwand natürlich, führte zum Ausrottungsfeldzug gegen die Stämme der Vega real und im weiteren Verlauf gegen die in den Gebirgen des Innern. Während seiner Abwesenheit von der Stadt Isabella hatte Bartolomé Colón seinen Bruder Diego, einen unfähigen und schüchternen Mann, mit der Führung der Geschäfte betraut. (Man sieht, ein Bruder zog den andern in die Höhe.) Damit hatte die Partei der Unzufriedenen einen gewichtigen Appell, denn die schreiendsten Mißstände traten alsbald zutage, und die Folge war eine Verschwörung, deren Haupt ein gewisser Franzisco Roldan war. Um jeden Preis sollte die verhaßte Herrschaft der Brüder Colón gestürzt werden. Dieser Roldan war ein ausgemachter Glücksritter. Der Admiral hatte ihn, da er zu den wenigen gehörte, die lesen und schreiben konnten, erst zum Alcalden, dann zum Oberrichter, Juez major, von Isabella ernannt, das Land verschaffte ihm aber die Reichtümer nicht, die er sich erhofft hatte, nicht einmal der Gehalt war ihm seit Monaten ausgezahlt worden. Als nun in der Verwaltung alles drunter und drüber ging, schien ihm der Zeitpunkt günstig, dem Adelantado den Gehorsam aufzusagen, und er floh mit seinen Anhängern in die Landschaft Xaragua, wo sich nicht nur sämtliche spanischen Rebellen und Freibeuter, sondern auch die aufständischen Kaziken um ihn versammelten. Er gab kund, was er tue, geschähe im Namen und zum Vorteil der Königin, die eigentlichen Verbrecher seien die genuesischen Brüder, die seien eidbrüchig, die saugten die Provinzen und Länder aus, und nachdem er Waffen und Geschütze aus dem Arsenal geraubt hatte, ging er daran, das Fort Concepcion zu belagern, in welchem sich die Hauptstreitkräfte des Adelantado befanden.

So sah es in seinem geliebten Espanola aus, als der Admiral Ende August 1498 auf die Insel zurückkehrte. Sogleich meldete er der Königin die von Roldan angestiftete Empörung und daß er jede Verständigung verweigert, keinerlei Verzeihung gewährt habe (was eine bewußte Unwahrheit war). Er bat, daß Roldan nach Spanien vorgeladen werde, wo Ihre Hoheiten ihn richten sollten, und schrieb, verhüllte Anklage, die Verwirrung in der Kolonie den Hindernissen zu, die man ihm bei seiner Ausreise in den Weg gelegt hatte. (Wobei er verschwieg, daß er Monate damit zugebracht hatte, das Paradies und das Reich des Großchans zu suchen.) Auch auf die Züchtigung des infamen Ximeno Breviasca kam er zurück, wohl ahnend, daß man ihm daraus einen Strick gedreht hatte, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß ihm weder dieser noch ein anderer Umstand durch Verleumdung zum Nachteil in der königlichen Gunst gereichen werde. (Alles um ihn wankte bereits, er suchte nach allen Seiten Stützen zu gewinnen.) Die natürlichen Hilfsquellen der Insel, so beteuerte er, verlangten weiter nichts als Fleiß, um den Bedürfnissen der Siedler zu genügen, allein diese seien träg und ausschweifend. Man möge ihm doch erlauben, mit jedem Schiff, das in die Heimat fahre, die unnützen und unheilstiftenden Leute zurückzuschicken und durch mäßige und arbeitsame ersetzen zu lassen. (Dann hätte er sich bis zum äußersten dagegen wehren sollen, daß man ihm Ketten-und Galeerensträflinge mit auf die Reise gab, aber das hat er resigniert über sich ergehen lassen.) Er ersuchte um einen in der Rechtsprechung erfahrenen Mann, dem an Roldans Stelle das Amt des Oberrichters zu übertragen sei (das Verblendetste, was er tun konnte: seinem Feind den Dolch in die Hand drücken, der ihn selber treffen sollte), und zum Schluß äußerte er den Wunsch, daß ihm noch für zwei Jahre die Sklaven einfuhr nach Spanien gestattet werden solle, wogegen er sich verpflichte, daß er nur Kannibalen, Mörder und Revolutionäre auf den spanischen Märkten werde feilbieten lassen. Nur!

Der Admiral hatte gut befehlen, Roldan und seine Spießgesellen hätten sich nach Spanien einzuschiffen, es fiel diesen gar nicht ein, zu gehorchen. Er hatte die Absicht gehabt, den Adelantado auf neue Entdeckungen in den Golf der Perlen auszuschicken, aber es war nicht möglich, er mußte die treugebliebene Mannschaft in seiner Nähe behalten. So entschloß er sich, mit Roldan zu unterhandeln und schrieb ihm im Oktober einen eigenhändigen Brief, worin er ihn an die Freundschaftsdienste erinnerte, die er ihm früher erwiesen, ihn beschwor, um des allgemeinen Besten willen von seinem aufrührerischen Tun zu lassen, und ihm und seinen Gefährten, wenn sie kämen, für ihre persönliche Unverletzlichkeit sein Wort verpfändete.

Roldan verhöhnte das Anerbieten und war unverfroren genug, dem Admiral seinerseits Bedingungen zu diktieren. Er verlangte nicht mehr und nicht weniger als die Entlassung des Adelantado (der erst unlängst unter diesem Titel vom Hof bestätigt worden war), für sich die Wiedereinsetzung in Amt und Würden und die Übergabe zweier Forts und zweier Schiffe. Trotz dieser herausfordernden Unverschämtheit hütete sich Columbus wohl, die Verhandlungen abzubrechen. Er ging in der Nachgiebigkeit so weit, daß er dem Rädelsführer des Aufstands und seinen Mitverschworenen Zeugnisse ihres Wohlverhaltens und beim Schatzamt Anweisungen auf Gehalt und Sold bis zum Tag der Ankunft in Spanien auszustellen versprach; ferner sollte jedem nach seinem Rang eine Anzahl Sklaven mitgegeben werden und denen, die sich mit indianischen Frauen verheiratet hatten, wurde erlaubt, diese entweder als Sklavinnen mitzunehmen oder einfach zurückzulassen, was soviel hieß, als wären die Ehen überhaupt nicht geschlossen. Diese Übereinkunft unterzeichneten Roldan und seine Leute im November vor dem Fort Concepcion, anstatt aber nun die Ausrüstung der versprochenen Schiffe mit Energie zu betreiben und so die gefährliche Bande schnell vom Hals zu kriegen, betraute der Admiral, schon wieder rosig gestimmt, seinen trägen und schwachmütigen Bruder Diego damit, während er selbst in Begleitung Bartolomés eine Rundreise durch die Insel unternahm, um, wie eine rügelsame Hausfrau, nach dem Rechten zu sehen. Er hatte sich wahrscheinlich in dem Glauben gewiegt, die Zustände seien nicht so arg wie man sie ihm geschildert hatte, indessen überzeugte er sich bald, daß sie noch viel ärger waren. Felder und Gärten verödet; die Indios hatten ihre Heimstätten und Pflanzungen verlassen, wo sich der Admiral und seine Leute blicken ließen, flohen sie wie erschrockene Vögel meilenweit; von regelmäßigen Abgaben konnte nicht mehr die Rede sein, in den Goldwäschereien wurde nicht mehr gearbeitet, ganze Täler sahen aus wie Brandstätten, große Plantagen wie Schlachtfelder. Da wurde der Admiral und Vizekönig von Tag zu Tag stiller, und vielleicht fragte er sich in einem lichten Moment, warum er dies wirkliche Paradies den Händen von Unholden preisgegeben, um ein imaginäres zu suchen.

Als er nach sieben Monaten von seiner Musterungsfahrt nach Isabella zurückkam, hoffte er bereits Nachrichten von der Landung Roldans in Spanien und dem an den Aufrührern vollzogenen Strafgericht vorzufinden. Er war wie aus den Wolken gefallen, als man ihm berichtete, die Rebellen hätten sich noch nicht einmal eingeschifft und nähmen eine drohendere Haltung ein denn je. Da der Admiral den Vertrag nicht erfüllt habe, erklärten sie sich an die Bedingungen nicht mehr gebunden und hätten die Heimreise überhaupt aufgegeben. Neue Verhandlungen; Zusammenkunft in einem Hafen von Xaragua (es war mittlerweile August geworden). Columbus lud Roldan und sein Gefolge an Bord seines Schiffes, er meinte, es bedürfe nur seines zornigen Auges und seiner flammenden Rede, und der Empörer liege um Verzeihung bettelnd vor ihm auf den Knien; jedoch er fand einen hartnäckigen und leidenschaftlichen Gegner, und das Resultat der erregten Auseinandersetzung war, daß der Admiral, in allen Punkten geschlagen, Spottbild eines Herrn und Gouverneurs, folgenden demütigenden Pakt unterzeichnen mußte: Fünfzehn von Roldans Gesellen sind bereit, nach Spanien zu fahren, wenn man ihnen unverzüglich eine Karavelle übergibt; die übrigen, auf Española verbleibenden, erhalten statt des immer noch rückständigen Soldes (wie er alles andere auf die lange Bank geschoben, hatte Diego Colón auch diesen zu zahlen versäumt) Ländereien zum Feld-und Gartenbau als ewiges Eigentum; ehrenvolle Zeugnisse für alle, daß ihr Betragen keinen Tadel verdiene und sie dem königlichen Dienst keinen Schaden zugefügt hätten; und letztlich: Wiedereinsetzung Roldans in sein Amt mit der Befugnis, in der Stadt San Domingo zu residieren und die öffentliche Bekanntmachung davon. Sollte der Admiral einen dieser Artikel unerfüllt lassen, schmälern oder verletzen, so sei Roldan und seinen Gefährten das Recht zugestanden, sich zu versammeln und die Ausführung mit Gewalt zu erzwingen.

Roldan bekam für seine Person den in der Vega real gelegenen königlichen Meierhof Esperanza, und Columbus bewilligte ihm zur Bebauung der dazugehörigen ausgedehnten Ländereien jene Indios, denen Alonzo de Ojeda auf seinem Zug gegen Caonabo Nasen und Ohren hatte abschneiden lassen: als gebrandmarkte Widersetzliche und Aufrührer fronten die Naturkinder dem hochbelohnten Widersetzlichen und Aufrührer. Was sie sich dabei wohl für Gedanken über europäische Moral gemacht haben mögen?

Es ist schwer zu fassen, daß Columbus nur die Feder anrühren konnte, um unter einen Vertrag seinen Namen zu setzen, durch den er sich für alle Zeiten seines Ansehens begab. Es läßt sich nicht durch den halb schmerzlichen, halb großartigen Verzicht erklären, der schwache Naturen in bestimmten Augenblicken ihres Lebens ergreift und der ihnen verstattet, alles Errungene mit einem Schlag und heroischer Gebärde hinzuwerfen. Er hing ja mit allen Fasern an der Macht, und beinahe waren ihm ihre äußeren Zeichen noch wesentlicher, ihr Schmuck und ihre Verbriefung noch wichtiger als die Ausübung, zu der ihm Mark und Haltung fehlten. Es ist wahr, er wußte sich in der Heimat nicht geliebt und nicht geehrt, von vielen, auf die er gebaut hatte, verraten. Hatte er doch auf den Bericht über Roldans Meuterei an die Königin statt der Ermächtigung zu scharfen Maßregeln vom Bischof von Bajadoz den Bescheid erhalten, Ihre Hoheiten wollten die Sache noch unerledigt lassen und zuvor in Erwägung ziehen, wie den Übelständen am tunlichsten abzuhelfen sei. Aber darauf hätte sich kein seines Ziels und seines Rechts bewußter Mann eingelassen, geschweige denn einer, der zur Tat geboren ist, Führer, Prodromos, Erschließer einer Welt. War er nicht eher ein Dichter als dieses alles? Ist Don Quichote nicht ein heimlicher Dichter, mit dem ganzen Grauen vor der Wirklichkeit, das den Dichtern innewohnt, der ganzen Unfähigkeit zu ihr? Es berührt fast wunderbar: inmitten der Bedrängnisse und bösartigen Wirren, während er durch schweigendes Geschehenlassen wie durch mißglückte kaufmännische Spekulationen feig und herzlos zur Ausrottung einer edlen Rasse beitrug und so das Christentum zur Phrase, die Religion zur Lüge machte, war sein Geist aufs angelegentlichste mit den genauen Plänen zum Aufbau des Tempels von Jerusalem beschäftigt. Er wußte nicht, was er tat. Vor dem höchsten Richter wird ihm das angerechnet worden sein, und der Herr wird ihm verziehen haben. Er wußte niemals, im Guten und im Bösen nicht, was er tat.

In Spanien war man von den Vorgängen auf Espanola bis ins einzelne unterrichtet, und die Feinde des Columbus hatten umfassende Anstalten zu seinem Sturz getroffen. Wer da in der Verborgenheit gewühlt hatte, läßt sich natürlich nicht mehr feststellen, es muß eine hübsche Zahl kleiner Mäuse und großer Ratten gewesen sein. Als der Bischof Fonseca durch seine Spione genug Material gegen den anmaßenden Genuesen gesammelt hatte, erachtete er den Augenblick für gekommen, sich seiner für immer zu entledigen. Dieser Bischof scheint ein Mann des wesenlosen Neids gewesen zu sein, einer, den fremdes Verdienst, gleichviel ob es ihn beeinträchtigte oder nicht, zu unversöhnlicher Verfolgung und Rachsucht reizte. Zwanzig Jahre später wurde er, ebenso grundlos, zum Widersacher des Fernando Cortez und beauftragte einen seiner Günstlinge mit der Ermordung des kühnen und allzu selbstherrlichen Eroberers.

Columbus hatte sich wohl mit Roldan verglichen, aber der geschlossene Frieden war von beiden Seiten nicht ehrlich gemeint. In seinem Unmut über die erlittene Vergewaltigung äußerte er, da er den Vertrag auf seinem Schiff als Herr zur See signiert habe, brauche er ihn als Vizekönig zu Land nicht halten, ein perfides Wort, dessen Doppelzüngigkeit mancherlei Schlüsse auf die Entartung zuläßt, der ein ursprünglich lauterer Charakter auf den lasterhaften Wegen der Politik ausgesetzt ist. Freilich, hätte er Talent dazu besessen und Erfolg damit gehabt, so wäre er nicht nur entschuldigt, sondern hätte auch, wie die Welt nun einmal ist, die Bewunderung der Jahrhunderte für sich, so aber ist ihm nur ihr Mitleid zuteil geworden, und das ist zu wenig für einen Unsterblichen.

Im Gefolge des Roldanschen Aufruhrs brachen noch andere Unruhen aus, der Admiral war sogar gezwungen, sich des Roldan als Bundesgenossen zu bedienen, es ist noch ein Schreiben vorhanden, worin er ihm für seine Hilfe expressiv dankt. Aber sein Schicksal war besiegelt, als er die Königin gebeten hatte, einen obersten Schiedsrichter zu schicken, der die Rebellen als Hochverräter zur Verantwortung ziehen sollte. Roldan war seinerseits nicht müßig gewesen, er hatte einflußreiche Freunde mit der Führung seiner Sache in Spanien betraut und schlau stilisierte Klageschriften überreichen lassen, gegen welche die aufgeregten und pathetischen Schilderungen des Admirals verworren und matt wirkten. So wurde der Commendator Franzisco Bobadilla, Kreatur des Königs, mit der Mission nach Espanola gesandt, die Verhältnisse der unglücklichen Insel zu ordnen und Recht zu sprechen. Am 29. August 1500 traf er in San Domingo ein. Er brachte ein Beglaubigungsschreiben mit, worin der Admiral trocken ermahnt wurde, sich den Befehlen des königlichen Kommissärs zu unterwerfen und ihm alle Festungen, alle Schiffe, alles Kroneigentum auszuliefern. Der Admiral befand sich in der Vega real, Bartolomè in Xaragua, der Kommissär ließ das königliche Handschreiben, das ihn zum Gouverneur einsetzte, sofort öffentlich anschlagen, bemächtigte sich der amtlichen Gebäude, enthaftete die Gefangenen, beschlagnahmte Wohnung und Vermögen des Admirals, eignete sich seine Waffen, seine Pferde, sein Gold-und Silbergeschirr an, ja sogar seine Briefe, Bücher und Papiere, ernannte neue Beamte, proklamierte die allgemeine Erlaubnis, Gold zu suchen, auf zwanzig Jahre unter der Verpflichtung, nur den elften Teil der Krone abzuliefern, während bisher der dritte Teil abgegeben werden mußte, und zahlte vor allem die rückständigen Löhne und Gehälter aus. Natürlich jubelten ihm die Spanier wie einem Erlöser zu.

Mönche, die dem Admiral ergeben waren, eilten bestürzt in die Vega und unterrichteten ihn von dem Geschehenen. Er schrieb an Bobadilla eine seiner hochtrabenden Episteln, beglückwünschte ihn zu seiner Ankunft und teilte mit, er sei bereit, auf der Stelle abzureisen und sich bei Hof zu rechtfertigen. Zugleich aber protestierte er gegen die Eingriffe in seine Gerechtsame. Er ritt allein in die Stadt. Hier wurde er von Bobadillas Söldnern ergriffen, in Ketten gelegt und auf die Festung gebracht, wo sich sein Bruder Diego bereits als Gefangener befand und Bartolomè bald in gleicher Lage ankam.

Zwei Monate dauerte es, bis die Schiffe mit den Brüdern nach Spanien absegeln konnten. Während dieser Zeit wurden sie wie Verbrecher behandelt. So lange hatte Bobadilla gebraucht, um alle Anklagen gegen sie zu sammeln und den umfangreichen Akt dem Ritter Alonzo de Vallejo einzuhändigen, der ihn nach Spanien bringen und zugleich die Gefangenen in Obhut und Bewachung nehmen sollte. Die hauptsächlichen Beschuldigungen gegen die Brüder Colon waren: daß sie den spanischen Mannschaften erdrückende Arbeiten und schmerzliche Entbehrungen bei karger Kost und strengen Strafen auferlegt; daß sie ungerechte Kriege gegen die Indios geführt; daß sie die Bekehrung er Indios verhindert, um sie besser als Sklaven verkaufen zu können; daß der Admiral Perlen und Gold, die er auf der Reise nach Paria gesammelt, verheimlicht und die Majestäten in Unwissenheit über neue Entdeckungen gelassen habe, um neue Privilegien von ihnen zu erlangen. Das alles klingt wie eine Satire auf eine Rechtsuntersuchung; sie gipfelt in der Behauptung, die Meutereien müßten als mutiger und gesetzlicher Widerstand gegen die Tyrannei des Admirals und seiner Anverwandten betrachtet werden.

»Die Sterne selbst erhoben sich gegen Columbus und seine Brüder«, sagt der Geschichtsschreiber Herrera. Als Villejo ins Staatsgefängnis kam, um den Admiral zu holen, johlte draußen der Pöbel so wild, daß Colon glaubte, er solle zur Hinrichtung geführt werden. »Villejo«, rief er bang, »wohin wollt ihr mich bringen.« — »Aufs Schiff, Exzellenz«, erwiderte der Offizier. — »Sprecht Ihr die Wahrheit?« — »So wahr Gott lebt«, antwortete Villejo, der ein ehrenhafter Mann und, obschon er im Dienste Fonsecas stand, von der unwürdigen Behandlung, die der Admiral erfuhr, schmerzlich betroffen war. Auch der Kapitän der Karavelle, Andreas Martin, fühlte Erbarmen und begegnete dem Gefangenen mit Achtung und Aufmerksamkeit. Beide wollten ihm während der Seefahrt die Ketten abnehmen, allein er gab es nicht zu. »Ihre Hoheiten befahlen mir schriftlich, mich den Anordnungen Bobadillas zu unterwerfen«, sagte er, »in ihrem Namen hat er mir die Ketten angelegt, ich werde sie tragen bis sie befehlen, daß sie mir wieder abgenommen werden, und ich will sie als Erinnerungszeichen des Lohns für meine Dienste bis an mein Ende aufbewahren.«

Das tat er auch, er bestand auf den Ketten wie auf einem Recht, als müsse er seinem Schicksal etwas damit beweisen. Er trug sie bei der Landung in Cadix, er trug sie auch bei der Ankunft in Sevilla. Las Casas, der Chronist, der um diese Zeit seine Studien in Salamanca beendigt hatte und in seine Vaterstadt Sevilla zurückgekehrt war, hat den Entdecker einer Welt selbst in eisernen Ketten gesehen.

Dieses Ereignis, ungeheuerlich, wie man es auch ansehen mag, war späterhin für die meisten Biographen Anlaß zu romantischer Aufbauschung und theatermäßiger Zuspitzung. Es bedurfte dessen nicht. Die Tatsache steht fest, und sie genügt zu einem trostlosen Urteil über menschliche Einsicht und Erkenntlichkeit. Die Nachwelt will immer gutmachen, was die Mitwelt gesündigt hat, aber der Lebende ist als Opfer gefallen, und ihre Hymnen sind eitel Papier, ihre Ehrenrettungen der heuchlerische Versuch, die immer wieder frische Schuld auf die Schultern toter Vorgänger abzuwälzen.

Columbus habe für seine verbrecherische Schwäche das Los verdient, das ihm geworden, sagen strenge Kritiker; allein eine solche Erscheinung, abgesehen davon, daß sie sozial überhaupt nicht einzuordnen ist, ragt über ihre Zeit in alle Zeit hinaus und fordert daher auch andere moralische Maßstäbe als zeitliche; da ist alles enorm, alles geht über die vergänglichen Begriffe, und jede Formulierung von Eigenschaften kann nur gleichnishaft sein.

Wie es inwendig, in der Seele des Columbus aussah, wissen wir durch die grandiose »carta al ama«, das Schreiben an die Amme des Infanten, die in seinen letzten Jahren eine Art Vertraute von ihm gewesen sein muß. »Sehr ehrwürdige Dame«, beginnt er, »wenn es etwas Neues ist, daß ich mich über die Welt beklage, so ist es etwas sehr Altes, daß die Welt zu verkennen liebt. Mit Grausamkeit hat sie mich zu Boden getreten. Die Hoffnung auf den, der uns alle erschaffen hat, hält mich aufrecht. Gott machte mich zum Boten des neuen Himmels und der neuen Erde, er zeigte mir, wo ich sie finden soll. Ich kam, und noch immer gibt es bis herab zum Allerschlechtesten niemand, der mich nicht zu verleumden sucht. Wenn ich Indien gestohlen und den Mauren geschenkt hätte, könnte mir Spanien nicht größere Feindseligkeit erzeigen.«

Ein starkes Wort; unter der Qual des erlittenen Unrechts wird der kranke alte Mann zum zürnenden Gott. Er schildert, was auf der unseligen Insel vorgegangen ist, während er neue Länder, goldene Gebirge (angeblich für seine geliebte Königin) entdeckte und dazu außerdem das biblische Paradies fand; wie er zurückkam und zwischen den Parteien vermitteln wollte, wie er betrogen wurde; wie jeder sein Vertrauen täuschte; wie übel ihm von denen mitgespielt wurde, die ihm Glück, Ruhm und Reichtum zu danken hatten; wie die Reinheit seiner Absichten verdächtigt wurde. »Ich begreife nicht«, schreibt er, »daß man mich für so dumm hält, daß ich nicht wissen sollte, ich könnte mich nicht, selbst wenn Indien mir gehörte, ohne den Schutz eines Fürsten dort halten. Wenn dem aber so ist, wo hätte ich einen besseren Schutz und eine bessere Stütze finden können als bei dem König und der Königin, die mich aus dem Nichts gezogen haben.«

Nun verbreitet er sich im einzelnen über die schmachvolle Mißhandlung, die ihm zuteil geworden, und die Person des Bobadilla. Seine Empörung ist wie ein Kraterausbruch. »Sechs Monate lang war ich bereit, Ihren Hoheiten die guten Goldnachrichten zu bringen und aufzuhören, das Gelichter zu regieren, das voll Bosheit und Hochmut die Königin und den König verachtet. Ich hätte die Sache fertiggemacht mit sechzigtausend Maravedis und hätte dafür vier Millionen an Zehnten, aber man hat mich in einen Ruf gebracht, daß, wenn ich Kirchen und Hospitäler bauen ließ, man sagte, es seien Höhlen für Diebe. Ich bin zwei Jahre in Spanien gewesen, habe nichts gefordert, nichts erhalten, weder für mich noch für die, die mit mir gekommen waren, und der Bischof Fonseca hat seinen Sack gefüllt, ohne zu bitten und ohne sich zu mühen. Es wäre eine wahre Guttat, wenn Ihre Hoheiten den Gerüchten steuern möchten, die über mich im Schwange sind. Sie wissen, welche Mühsal ich erduldet, um Ihnen Eigentum und Herrschaft zu sichern, und wie ich für mich keinen Gewinn daraus zog; wenigstens wären mein guter Name und meine Ehre in der Welt wiederhergestellt. Ich beschwöre es, daß ich nicht begreife, warum ich ein Gefangener bin. Bobadillas erste Sorge war, das Gold an sich zu nehmen, das ich gesammelt hatte, und zwar tat er es ohne ein Maß noch Gewicht, und ich war abwesend. Er sagte, er habe die bezahlen wollen, denen es gehöre, aber wie mir versichert wurde, hat er den größten Teil für sich behalten. Ich hatte einige Probestücke dieses Goldes beiseite gelegt, um Ihre Hoheiten damit zu erfreuen und damit Sie die Wichtigkeit des Unternehmens erkennen möchten, es waren Goldkörner dabei, so groß wie Hühner-und Gänseeier. Dieses Gold unterschlug der Schurke, damit Ihre Hoheiten nicht ahnen sollten, welchen Wert meine Entdeckungen haben. Wenn Ihre Hoheiten sich darüber Rechnung ablegen lassen, wird die Wahrheit an den Tag kommen. Man kann nicht verletzter sein als ich es war, daß man einen Mann als Richter gegen mich absandte, der genau wußte, daß er mich bloß zu verleumden hatte, um an meine Stelle zu treten. Man hat mich behandelt wie einen Gouverneur, der in eine zivilisierte Provinz geschickt wird, wo man nach bewährten Gesetzen regieren kann. Ich soll abgeurteilt werden, als wäre ich ein Militär, der mit seiner Armee schlecht operiert hat, während man mit Soldaten dort gar nichts anfangen kann, weil die Menschen verstreut in den Wäldern leben. Ich soll abgeurteilt werden wie ein kleiner Hauptmann, der seit Jahren die Waffen nicht aus der Hand gelegt hat, und konnte doch in Indien, wo es keine Städte gibt und Verträge keine Geltung haben, in keiner Art nach hergebrachten Gewohnheiten verfahren. Der Weg zu Gold und Perlen steht offen, wollte der Himmel, es wäre ebenso gewiß, daß mir kein Leid widerführe, wie es gewiß ist, daß in Erfüllung geht, was ich vor meiner ersten Reise an Ihre Hoheiten schrieb. Ich weiß wohl, daß ich Irrtümer begangen habe, aber ich wollte nie mit Absicht Unrecht tun. Ihre Hoheiten werden das erkennen. Sie werden alles in die Wagschale legen, so wie nach der Heiligen Schrift am Tage des Gerichts das Gute und das Böse abgewogen wird. Als Bobadilla nach San Domingo kam, logierte er sich in meinem Hause ein und nahm alles, was darinnen war. Er mag dessen bedurft haben, aber kein Pirat ist jemals so mit Kaufleuten und ihrem Gut umgegangen. Am peinlichsten ist mir, daß er sich meiner Papiere bemächtigt hat, von denen ich keines wiederbekam, und gerade diejenigen, deren ich am meisten zu meiner Verteidigung bedarf, hält er am ängstlichsten verborgen. Seht also, welch ein gerechter Richter er ist, welch ein ehrenhafter Mann! Aber Gott, unser Herr, bleibt in seiner Macht und Weisheit wie bisher und wird die Undankbaren strafen. Gewiß ist nur so viel, daß fast alle, die nach Indien kommen, der Gnade der Taufe unwürdig sind. Noch nie ist es erhört worden, daß jemand, der ausgeschickt war, eine Untersuchung vorzunehmen, Verräter und Meuterer sammelte und sie als Zeugen gegen den aufrief, der regierte. Bedenkt man alles genau, so muß man sich wundern, daß die Insel Espanola noch nicht vom Meer verschlungen worden ist. Und wäre ich solchem Strafgericht auch nicht entgangen, Ihre Hoheiten müßten anerkennen, daß ich Ihnen unermeßliche Dienste geleistet habe, wie Sie mir Dienste geleistet haben, in Liebe, wie es sein soll, denn wo keine Liebe ist, da hört alles auf.«

Es ist eine Beredsamkeit, der die Jahrhunderte nichts von ihrer elementaren Gewalt zu rauben vermocht haben.

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann

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