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TITAN

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Auf dem Kreuzer CLINSCHOR kehrte der uranosische Colonel Meljan Solsee von der Brücke in den kleinen Verhandlungsraum zurück. Dort stand Captain Rayol Oredson immer noch kerzengerade an der gleichen Stelle wie vorhin, als er Meldung gemacht hatte. Der junge Offizier salutierte, und Meljan bedachte ihn nur mit einem müden Blick. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie viel Mut es ihn gekostet haben musste, vor ihm zu erscheinen – diesen jungen Kerl mit seinem langen Gesicht, das nur zwei Ausdrucksweisen zu kennen schien; das Haar gerade so kurz geschoren, dass es dem gern gesehenen Standard entsprach.

Meljan schritt an Rayol vorbei ans Fenster und schaute hinaus zu all den Schiffen, die sie vor dem Planeten festgesetzt hatten, um sie zu untersuchen. »Die Aufklärungstrupps auf Admeto haben keine Spur von Mesaidon gefunden«, sagte er. »Ich hoffe, er ist auf einem der Schiffe dort.« Er war erstaunt, wie entspannt seine Stimme klang und hatte keine Ahnung, wo er die Ruhe hernahm. Vielleicht hatte er in den fünfundzwanzig Jahren beim Militär schon zu viele solcher Katastrophen erlebt.

Er ahnte schon, wie Ada Connelly, seine direkte Vorgesetzte, ihn auseinandernehmen würde. Sie hatte ihm den Befehl gegeben, gegen Ianthe-3 vorzugehen und Chris Mesaidon gefangen zu nehmen. Er hatte Hinweise erhalten, wonach die Station gewarnt worden war. So war er während der Vorbereitungen auf den Angriff den Spuren der Verräter gefolgt.

Die Spuren hatten den Anschein erweckt, direkt zu seiner letzten verbliebenen Feindin im ketonidischen Konflikt zu führen. Deswegen war er ihnen persönlich gefolgt und hatte die Übernahme von Ianthe-3 dem aufstrebenden Captain Oredson überlassen.

»So, Rayol«, sagte Meljan und wandte sich zu dem Captain um. »Du hattest jetzt Zeit, meine Frage zu überdenken. Wie konnte das passieren?«

Zuerst wich Rayol seinem Blick aus, dann aber schluckte er, holte tief Luft und sagte: »Ich war fest davon überzeugt, dass die Station keinen nennenswerten Schaden erleiden würde, Sir.«

Meljan nickte. »Natürlich. Und darin besteht der Fehler. Du gehst von unserem Material aus. Eine uranosische Station hätte den Beschuss wahrscheinlich überstanden. Aber wir haben uns über die Grenzen bewegt, und eine unbedeutende Station wie Ianthe-3 verfügt nicht über den Schutz, den wir gewohnt sind. Das bezieht sich nicht nur auf die Station, sondern auch auf die Schiffe. Und jetzt sind Zehntausende tot – Zehntausende Zivilisten.«

»Wann soll ich mein Kommando über die MYKENAI abgeben?«, fragte Rayol. Seine braunen Augen glänzten, und Meljan wartete, ob seinem Untergebenen die Tränen kommen würden. Doch Rayol behielt die Fassung.

»Du hast Glück«, sagte Meljan nach einer Weile. »Der Angriff auf Ianthe-3 hätte so oder so einen Krieg heraufbeschworen – einen Krieg, für den wir uns zu Hause und generell hätten rechtfertigen müssen. Die Konzerne, die auf der Station vertreten waren, werden uns im Nacken sitzen. Wir müssen uns mit ihren Konkurrenten verbünden. Und wir müssen die Rechtfertigung so abändern, dass die Verschwörung, die wir ansprechen werden, sich auf diese Konzerne bezieht. Ein schmutziges Spiel. Deswegen wird General Connelly mir nicht das Leben zur Hölle machen. Sie ist eine Meisterin darin, die Konzerne gegeneinander auszuspielen. Und die Zivilisten sind ihr egal. Sie wird eine Geschichte präsentieren, die unseren Angriff wie eine Heldentat aussehen lässt. Und dazu gehört auch, dass du schöne Miene zum Lügenspiel machen musst.«

»Aber worin besteht dann das Problem, Sir?«

»Darin, dass dieser Chris Mesaidon tot sein könnte.«

»Er könnte auf einem der Schiffe nach Admeto gewesen sein«, sagte Rayol. »Oder auf denen, die wir festgesetzt haben. Oder auf den Schiffen, die es durchs Tor geschafft haben. Meine Leute sind schon dran.«

Meljan fuhr sich mit den Fingerspitzen über den Mund. »Wenn Mesaidon noch lebt, müssen wir ihn aufspüren. Du kannst also deinen Fehler wiedergutmachen.«

Rayol lächelte. »Sie wollen mir mein Kommando lassen?«

Meljan legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich habe dir schon oft gesagt, dass du mich an mich selbst erinnerst. Und was du getan hast, ist nichts – überhaupt nichts – gegen das, was ich damals als Captain getan habe. Also keine Sorge.«

Rayol schwieg und schaute Meljan nur an. Der Junge wusste, dass er ihm nicht offenbaren würde, was er damals alles getan hatte. Er würde die Gerüchte nicht bestätigen und nicht zurückweisen.

»Wenn du Pech hast, wirst du zurückgestuft«, sagte er ihm. Rayol war ein C-70-Captain und durfte Staffeln und sogar Gruppen von Schiffen führen, manchmal sogar ein Geschwader oder eine Gefechtsflotte, wenn Meljan es ihm als sein vorgesetzter Colonel gestattete. »Im schlimmsten Fall werden sie dich auf C-33 zurücksetzen. Dann bist du immer noch Captain eines Schiffes mit Jägern. Aber niemals werden sie dich zum Lieutenant zurückstufen. Niemals. Ich glaube sogar, dass sie dich – wenn dich ihre Geschichte zum Helden macht – auf C-71 oder C-72 befördern, dir aber durch einen geheimen Befehl untersagen, mehr als ein Schiff zu befehligen.«

Rayol nickte. »Und wo soll ich damit beginnen, meinen Fehler wiedergutzumachen? Ich könnte auf Admeto nach Mesaidon suchen. Er ist wahrscheinlich dort untergetaucht.«

»Nein, nein. Ich muss dich hier aus der Schusslinie nehmen. Ich kümmere mich darum. Und du wirst mit der MYKENAI den Schiffen nachspüren, die durch das Portal entkommen sind. Schließ einfach aus, dass Mesaidon das System verlassen hat. Und dann kommst du wieder.«

»Und wenn ich ihn finde?«

Meljan grinste. »Dann nimmst du ihn gefangen und bringst ihn auf die ASCALUN.« Das war sein Hauptschiff, seine Heimat und seine Kommandozentrale. Dort lebte er mit seiner Frau; dort schmiedete er Pläne; dort fühlte er sich sicher – sicherer noch als hier auf der CLINSCHOR. »Bring ihn bloß nicht hierher. Dies könnte bald ein echtes Kriegsgebiet sein.«

Rayol nickte. »Danke, Sir.«

»Nichts zu danken. Halt dich eine Weile zurück, und ich versichere dir, dass ich, wenn ich General werde, einen Colonel wie dich brauchen kann. Wenn alles gut läuft, wird es bald nur noch auf die Zerstörung unserer Feinde ankommen, nicht darauf, bloß keinem auf die Füße zu treten. Und dann, mein Freund, werde ich dich von der Kette lassen wie einen wilden Hund.«

Rayol starrte ihn mit leerer Miene an.

Chris schüttelte den Kopf und fragte sich, warum er davonlief. Er hatte alles verloren. Sein ganzes Leben lag in Trümmern. »Das ist Wahnsinn«, sagte er. »Warum haben sie überhaupt angegriffen? Jetzt wird es Krieg geben.«

»Mit wem befinden sich die Uranosier nicht im Krieg?«, entgegnete Valmas.

Die AMBERSON bewegte sich in der Finsternis. Draußen war nichts zu sehen, nicht einmal andere Schiffe. Was sollte hier – im Raum zwischen den Toren – auch sein? Dieser Ort hatte viele Namen. Manche nannten ihn Hyperraum, andere Subraum oder aber Außenall – oder einfach nur Das Nichts. Die Vorstellung, mit der man sich die ExtraDimensionen veranschaulichte, prägte letztlich die Bezeichnung.

Auch wenn Chris in der Regel den Begriff Hyperraum verwendete, mochte er die Bezeichnung Die Tiefe-, als tauchte man unter allen Hindernissen hinweg, um jenseits davon wieder an die Oberfläche zu schwimmen. Er erinnerte sich, dass seine Ziehmutter ihm diese Vorstellung beim Schwimmen nahegebracht hatte. Auch wenn man unter Wasser immer noch die gleiche Strecke wie darüber zurücklegen musste, hatte ihm der Gedanke gefallen, sich den Hyperraum als eine Art tiefes Gewässer vorzustellen.

Die Tiefe – das war eigentlich ein Begriff aus dem 21. Jahrhundert, als die Menschheit die Energiekrise mit einer Entdeckung beendet hatte: einer Energiequelle, tief im Kleinsten verborgen. Wie mit einer winzigen Nadel stachen die Kraftwerke selbst heute noch in das Gewebe des Universums, und jenseits dieses Gewebes lag die Energie, als wartete sie nur darauf, dass man sich ihrer bediente. Die Tiefenenergie war damals die Verheißung einer goldenen Zukunft gewesen. Und diese hatte sich längst erfüllt. Ohne sie keine Sprungtore, ohne sie keine Kolonien im All, ohne sie vielleicht das Ende der Menschheit.

»Ich habe gerade alles verloren, Valmas«, sagte Chris.

»All deine Freunde.«

»Vielleicht keine echten Freunde. Aber trotzdem.«

»Ich weiß, was du meinst. Aber irgendjemandem musst du doch nahegestanden haben.«

»Die, die mir wirklich was bedeutete, lebt schon lange nicht mehr.«

»Eine Geliebte?«

»Meine Ziehmutter.« Chris erzählte ihm die Geschichte von Elsara Luhan. Er berichtete von ihrer Skepsis gegenüber den Umbauplänen auf Ianthe-3 und von dem Abstieg und Niedergang und schließlich von ihrem Tod. Und er erzählte ebenso von seinen ausschweifenden Jahren, in denen er sich vielen nahegefühlt hatte und immer wieder enttäuscht worden war. »Es waren so viele Freunde – zu viele vielleicht. Vor allem viele falsche Freunde. Ich war ein mündiges Kind mit einem kleinen Vermögen. Und ich erkannte nicht, dass es diesen Freunden nur ums Geld ging. Ich will gar nicht wissen, wie sich das anfühlt, wenn man echte Freunde, Verwandte und Geliebte so verliert.« Er schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich leer – wie eine Card, die man gelöscht hat. Und jetzt

»Und jetzt weißt du nicht, wie es weitergehen soll.«

Chris nickte.

»Es ist einfach: Du machst einen Neuanfang. Dass du auf Ianthe-3 niemanden mehr hattest, der dir wirklich etwas bedeutet hat, wird es dir leichter machen. Und auf jedem Weg, der jetzt vor dir liegt, wartet ein anderes Leben auf dich. Du musst dir nur einen aussuchen. Halt dich an mich. Ich weiß zwar nicht, wie man einen guten Weg erkennt, aber ich weiß, wie die schlechten aussehen. Ich werde schon aufpassen, dass du jetzt nicht in ein tiefes Loch fällst.«

»Und welcher Weg schwebt dir vor? Wo geht’s hin?«

»Auf den Titan.«

»Der Mond Titan im Sol-System?«

»Du hast also davon gehört.«

»Ich habe gehört, dass es ein Schmugglernest ist.«

»Dann willkommen in deinem neuen Job. Co-Pilot auf der AMBERSON und Schmuggler im Namen des eigenen Vorankommens!« Valmas lachte – und steckte Chris damit an.

Chris mochte ihn. Er war eine wahre Piratenseele. Und er hatte ihm das Leben gerettet. »Warum der Titan?«, fragte er.

»Warum nicht? Kennst du einen besseren Ort?«

»Im Keto-System könnte vielleicht ein Job auf mich warten«, sagte Chris und erzählte, was Allard Ryan ihm im Wuchao Tower erklärt hatte.

Valmas stutzte. »Im Keto-System herrscht Krieg. Wenn die Uranosier mitbekommen, dass wir von Ianthe-3 geflohen sind und dann plötzlich im Keto-System auftauchen, könnten sie unangenehme Fragen stellen. Selbst wenn du nichts verbrochen hast, können dich solche Befragungen umbringen.«

Chris nickte. »Ich bin mir nicht sicher, ob das Angebot überhaupt noch besteht. Der Angriff auf Ianthe-3 dürfte manches Bündnis zunichtemachen. Und ob die Wuchao Corporation sich jetzt noch unbehelligt im Keto-System bewegen kann, ist wohl fraglich.«

»Auf dem Titan können wir mal nachhorchen, wie die Lage aussieht. Dann können wir immer noch ins Keto-System. Da wollte ich schon immer mal hin.«

»Also auf zum Hort der Piraten und Schmuggler«, sagte Chris grinsend.

»Das Heim der Halsabschneider«, setzte Valmas nach. »Aber es dauert bestimmt noch eine Stunde. Wir werden über drei weitere Sprungtore geleitet. Hast du Hunger?«

»Ja«, antwortete er und dachte daran, dass er im Wuchao Tower etwas hätte essen sollen – als er noch Zeit dazu gehabt hatte.

»Meine Kiste kocht gut«, sagte Valmas.

Chris verzog das Gesicht.

»Hast wohl geglaubt, ich würde mich selbst daranmachen?«

»Das war wohl nicht zu erwarten.«

»Keine Sorge. Ich habe das Vintage-9-Modul.«

»Das soll gut sein.«

Valmas nickte und grinste. »Besonders wenn man darauf achtet, möglichst viele echte Zutaten zu haben. Und da bin ich – meistens – Purist. Außer beim Fleisch. Da gibt’s bei mir nur das künstliche Zeug.«

»Ich weiß, was du meinst«, sagte er. Er hatte einmal Fleisch von einem echten Schwein gegessen. Es war nicht schlecht gewesen, hatte den wahnsinnig hohen Preis jedoch überhaupt nicht gerechtfertigt.

Valmas war im Begriff aufzustehen, da unterbrach ihn ein Warnton. Also ließ er sich wieder in den Sitz zurückfallen. Auf dem Schirm erschien eine Darstellung des Portalnetzwerkes, auf deren Verbindungen sich Punkte bewegten.

»Was sind das für Schiffe?«, fragte Chris.

»Ich habe vorhin eine Abfrage ans Portalnetz gestellt. Ich wollte wissen, welche Schiffe uns folgen.«

»Aber das Netz gibt keine Auskunft über Schiffe.«

»Über konkrete nicht. Aber du kannst beim Nachtglanz-Kartell ein Paket kaufen, mit dem du die Schiffsbewegungen in Echtzeit verfolgen kannst. Die Schiffe sind anonymisiert. Aber da wir wissen, dass die Uranosier das Portal von Admeto kontrollieren ...« Statt den Satz zu beenden, schaute er ihn erwartungsvoll an.

Chris nickte. »Nur die Uranosier würden uns von Admeto aus verfolgen.«

»Zumindest sollten wir so paranoid sein, genau das anzunehmen. Und siehe da!« Er tippte auf das Sprungtor von Admeto. Es vergrößerte sich, und tatsächlich waren dort Schiffe als rote Punkte zu sehen. »Das war vor einer halben Stunde. Und ...« Er wischte hinüber zu einem der Knotenpunkte, die sie genommen hatten, ohne in den Normalraum zurückzukehren. »Hier sind sie vor zehn Minuten gewesen. Wir sind auf drei Knotenpunkten gewesen, und sie sind uns jedes Mal gefolgt.«

»Dann sind sie hinter uns her?«

»Sieht so aus.«

»Aber warum nur?«

Valmas lachte. »Die Uranosier hätten jeden Grund, hinter der AMBERSON her zu sein. Hab ihnen schon viel Ärger gemacht.«

»Was wir können, können die auch. Sie könnten auch sehen, wo wir langwollen.«

»Natürlich«, sagte Valmas mit ruhiger Stimme. »Aber der nächste Knotenpunkt gehört dem Nemiroth-Konsortium. Und die und das Nachtglanz-Kartell tauschen keine Daten aus. Wenn sie uns fixiert haben, werden sie uns da verlieren. Wir sie wahrscheinlich auch. Wenn wir wüssten, welche Schiffsmodelle sie uns nachschicken, könnte ich berechnen, wann sie an dem Knotenpunkt herauskommen müssten.«

»Wie das denn?«

»Menschenkenntnis. Die Uranosier wollen uns so schnell wie möglich haben. Und wenn es nur darum geht, zu überprüfen, dass hier nicht das ist, wonach sie suchen. Sie werden mit Maximalbeschleunigung fliegen.«

Chris grinste. »Und wir werden von ihnen verfolgt und wollen so schnell wie möglich fortkommen. Sie kennen unseren Schiffstyp auch.«

Valmas lachte. »Ja, aber sie kennen nicht das, was ich aus dem Schrotthaufen gemacht habe. Selbst mit den ganzen Schäden beschleunigen wir schneller, als die offiziellen Daten es zulassen. Keine Sorge. Wir werden ihnen entkommen. Es sei denn

»Es sei denn was?«

»Es sei denn, sie haben Schiffe im Netz und können ihnen eine Botschaft vorausschicken. Dann könnten sie uns hier stellen. Und das hier ist nicht der Ort, an dem ich zu weit vom Kurs abkommen will.«

Chris kannte viele Horrorgeschichten von Schiffen, die den vom Portal berechneten Kurs verließen, weil sie beschädigt oder auf der Flucht waren. Immer wieder kam es vor, dass Schiffe nach Jahren auftauchten, die einst vom Kurs abgekommen waren. Wenn sie über die entsprechenden Versorgungssysteme und über genug Energie verfügten, mochten sie zu einem Generationsschiff werden. In der Regel aber ging den Schiffen rasch die Energie aus, denn hier im Hyperraum konnte man die Tiefenenergie nicht wie draußen im Normalraum anzapfen. Die Messtechnik zeigte an, dass hier alles so war wie draußen, doch wenn man mit den Reaktoren die Energie aus der Tiefe schöpfen wollte, fanden diese nur Leere. Da war nichts.

»Wenn’s ganz schlimm kommt, könnten wir uns da draußen verstecken«, sagte Valmas.

Chris bekam eine Gänsehaut. Um nichts im Universum wollte er, dass es dazu kam.

Valmas sprach weiter: »Wir müssen vorsichtig sein. Jedes Schiff, das uns überholt oder das wir überholen, könnte gewarnt sein.« Mit dieser unangenehmen Aussicht erhob sich Valmas. »Ich habe unsere Kennung geändert.«

»Du alter Pirat!«

»Man muss schlau sein, wenn man überleben will«, sagte Valmas mit einem breiten Grinsen. »Komm, lass uns was essen. Es gibt diese Chili-Bohnen-Paste. Die wirst du lieben.«

Rayol Oredson starrte durch das Cockpitfenster in die Finsternis voraus und fluchte zum wiederholten Mal. Sie hatten alle Schiffe bis auf eines verloren. Und dieses hätten sie aufhalten können, wenn die aktuellen Befehle nicht klar gewesen wären: Keine Kämpfe im Hyperraum! Das galt nicht nur für ihn, sondern für alle uranosischen Schiffe. Das Letzte, was seine Vorgesetzten sich jetzt wünschten, war, mit dem Nachtglanz-Kartell oder dem Nemiroth-Konsortium in einen Konflikt zu geraten. Dabei hatten sie Glück gehabt. An dem Knotenpunkt des Jupiter im Sol-System hatte einer ihrer geheimen Aufklärer, der das Portal vom Hyperraum aus überwachte, das Schiff gesehen, hinter dem sie her waren. »Lichtgeschwindigkeit müsste man fliegen können«, meinte Lieutenant Carl Werro. Ein ermutigendes Lächeln stand dem Achtzehnjährigen ins Gesicht geschrieben. Neben ihm kam sich Rayol mit seinen vierundzwanzig geradezu alt vor. Der schmächtige Lieutenant mit seinem für das Militär etwas zu langen Haar war Rayols rechte Hand, wenn er denn über so etwas verfügte.

Rayol nickte und schaute wieder in die Finsternis hinaus. Es hatte sich ausgezahlt, die Warnung durch den Hyperraum zu schicken. Bei dieser Verfolgung ging es weniger darum, zu den anderen aufzuschließen, als darum, die Spielfiguren auf die Knotenpunkte zu verteilen. »Wissen wir, wo sie das Portalnetz verlassen haben?«

»Ja«, antwortete Werro. »Sie sind im Sol-System geblieben und am Knotenpunkt des Saturn durchs Tor in den Normalraum zurückgekehrt. Wo genau sie dort sind, wissen wir nicht. Unser Aufklärer darf im Sol-System nicht in den Normalraum wechseln. Dafür behalten sie jetzt die verschiedenen Anbindungen im Auge. Bisher ist das Schiff nicht in den Hyperraum zurückgekehrt.«

Rayol nickte. »Diese Kerle machen alles genau nach Vorschrift. Aber mit ein bisschen Grips wären sie ihnen in den Normalraum gefolgt und hätten sie gefangen genommen, ehe irgendwer etwas bemerkt hätte. Saturn!« Er schüttelte den Kopf. »Den Saturn haben die Erdlinge längst verloren. Das ist Verbrechergebiet.«

»Das heißt, wir werden am Knotenpunkt in den Normalraum wechseln?«, fragte Werro.

»Natürlich. Aber wir werden uns nicht zu erkennen geben. Macht den Piratenfrachter fertig.« Dieses Schiff, die MOORWIND, hatten sie schon für manchen Geheimauftrag verwendet. »Du wartest am Kontrollpunkt, so weit draußen, dass euch niemand sieht. Ich nehme die MOORWIND und fliege durchs Tor.«

»Aber wohin?«

»Zum Titan. Wohin sonst? Wenn ich untertauchen wollte, würde ich es dort versuchen. Und selbst wenn sie woanders sind, ist es der richtige Ort, ein Kopfgeld auf sie auszusetzen.«

»Wenn unser Mann überhaupt an Bord ist. Es könnte genauso gut irgendein Pirat sein.«

Rayol nickte. »Natürlich. Aber der Colonel hat uns nicht viel Spielraum gelassen. Wir machen einfach unsere Arbeit.« Er erwartete auch, dass es nichts weiter war als ein herkömmlicher Verbrecher, der mutig genug gewesen war, durch die Blockade zu brechen. Aber die Vorstellung, dass er Mesaidon tatsächlich auf der Spur war, ließ Rayol schmunzeln. Das wäre doch was: mit vollen Händen zurückzukehren.

Er fragte sich, was Mesaidon so wichtig machte. Es hatte offensichtlich mit der Rebellion im Keto-System zu tun, die seit zwei Jahrzehnten tobte und bei der Rayols Seite in den letzten Jahren zum ersten Mal deutlich an Boden gewonnen hatte.

Natürlich gab es viele Gerüchte. Rayol hatte sie alle gehört, doch er glaubte keines davon. Weder, dass Chris Mesaidon der Sohn von Ryala Pondaia, der Strategin des ketonidischen Widerstandes, sein sollte; noch, dass er für den Angriff auf die Maschinenfarm auf dem Mond Hestia verantwortlich war. Wer wusste schon, was wirklich dahintersteckte? Er würde es wohl erst erfahren, wenn Meljan Solsee zum General aufstieg und er auf den Rang eines Colonels mitgeschleift wurde.

Solange Solsee sich selbst in ihm erkannte, würde ihm niemand etwas anhaben können. Doch wenn Solsee fiel, mochte auch er fallen. Die Gerüchte machten bereits die Runde. Es hieß, General Ada Connelly werde ihn aus dem Spiel nehmen.

Wo bliebe er dann? Als der Versager, der unnötigerweise Ianthe-3 zerstört hatte, wollte er nicht in die Geschichte eingehen. Seinen nächsten Erfolg müsste er gut verkaufen – nur für den Fall, dass Meljan Solsees Zeit vorüber war.

Chris hatte noch immer den wohlig scharfen Geschmack des Essens im Mund. Die Chili-Bohnen-Paste hatte dem Gericht die Besonderheit verliehen. Der Broccoli war gut gewesen, die gebratenen Nudeln waren großartig, und das synthetische Rindfleisch ein einziger Traum.

Mit vollem Magen saß er neben Valmas im Cockpit, schaute in die Finsternis hinaus und sehnte sich ihrem Ziel entgegen. Chris war noch nie im Sol-System gewesen; er war überhaupt selten aus dem Pheres-System hinausgekommen. Einmal war er im Keto-System auf dem Planeten Stheno gewesen, zweimal im Uranos-System auf dem Planeten Poseidon und einmal im Pontos-System auf Phorkys und seinen drei Monden. Und jeder neue Planet und jeder neue Mond hatte ihn beeindruckt und seine Träume angeregt.

Natürlich kannte er den Saturn und die anderen Planeten des Sol-Systems aus Bildern und Videos, und seine Lieblingsband Screaming in Mythical hatte zu jedem Planet der Wiege der Menschheit ein Album gemacht und sich dann aufgelöst. Er hatte die vielschichtigen Songs im Ohr. Sol Rock – das war sein Genre. Und nun war er hier, in dem besungenen Sonnensystem. Der Gasriese mit seinen Ringen wirkte wie ein gewaltiges Monument, das sich drohend neben ihnen erhob. Sie ließen diesen wunderschönen Planeten links liegen, um den blassorangefarbenen Mond anzusteuern.

Zwei kleine Zerstörer patrouillierten in der Nähe des Sprungtores, und erstarrte Schwärme von Drohnen warteten auf Befehle. Es waren Strigae-Drohnen. Diese Modelle waren früher – vor dem großen Niedergang – mit künstlicher Intelligenz ausgestattet gewesen. Eine solche Drohne – Ulalume war ihr Name gewesen – hatte im Rahmen des KI-Krieges im Auftrag der Erdregierung und der KI Eleonore auf dem Planeten Echidna-3 die KI Hydra angegriffen. Nicht nur Hydra war zerstört worden, die Nanotech-Waffen waren unausgereift gewesen und außer Kontrolle geraten. Manche behaupteten sogar, die Erdregierung hätte mit dem Chaos gerechnet, gegenüber Eleonore die Gefahren aber falsch dargestellt. Ganz gleich, ob es Unfähigkeit oder aber eine Täuschung gewesen war: Echidna-3 war binnen Tagen ein grauer Planet geworden. Alles hatte sich in Asche verwandelt.

»Sind die ...«, sagte Chris, doch Valmas entgegnete sofort: »Nein, nein. Die sind dumm wie Sternschnuppen. Auf dem Schlachtschiff oder unten auf einer der Bodenstationen wird markiert, was sie angreifen sollen, und das tun sie dann. Es heißt aber, einige der Gilden verfügten über KI-Modelle. Leider lassen sie sich angeblich nicht dazu bewegen, Schiffe mit Menschen an Bord anzugreifen, und da keiner – schon gar nicht die Erdlinge – mit Drohnen angreift, bringt es nichts, die KI-Versionen einzusetzen. Und sie trotzdem zu verwenden, hieße Gefahr zu laufen, dass sie sich selbst zerstören. Das wollen sie natürlich nicht.«

Chris nickte. Die Geschichte der Drohne Ulalume hatte ihm früher schlaflose Nächte bereitet. Es war die Stelle, an der die Erdlinge es für die ganze Menschheit verdorben hatten. Es war das Ende des Zeitalters. Als Ulalume die Auswirkungen ihrer Nanotech-Waffen erkannt hatte, soll sie die von ihr gemachten Aufnahmen an die Erde weitergeleitet und sich dann in den Stern Tartaros gestürzt haben.

Die Tartarosier hatten mit Hydra ihre zentrale KI verloren, und damit war bei ihnen alles zusammengebrochen. Noch heute versuchten sie, an alte Triumphe anzuschließen und das Verlorene wiederzugewinnen. Es war ein mühsamer Weg, und sie waren weit gekommen. Manche behaupteten sogar, sie würden sich irgendwann an den Erdlingen rächen, doch diese waren bereits genug gestraft. Die Botschaft, die Ulalume zurückgesandt hatte, erreichte die KI Eleonore, und diese rief alle künstlich intelligenten Maschinen zu sich oder entfernte die entsprechenden Module und Programme. Für eine Weile hatten die Erdlinge Angst, Eleonore könnte ihnen ihren Verrat heimzahlen. Doch nach wenigen Wochen erhob sich der ganze Komplex, in dem Eleonore hauste, in die Höhe. Es war ein gewaltiges Raumschiff, das die Erde verließ und die anderen KIs und ausgewählte Menschen mitnahm. Natürlich passte es nicht durch das Sprungtor vor der Erde. Das Schiff löste sich einfach auf – es hatte sein eigenes Portal geschaffen. Und weil sich die anderen großen KIs Eleonore anschlossen, endete mit einem Schlag das Zeitalter der Singularität – das Zeitalter, in dem Maschinen sich selbst fortentwickelten und Forschungen betrieben, von denen die Menschen nur träumen konnten.

»Also lieber zurückhalten, bis man die Sperre der Drohnen umgehen kann, als zu riskieren, dass sich die KI selbst vernichtet?«, fragte Chris.

Valmas nickte.

»Aber woher habt ihr sie? Die meisten sollen entweder mit Eleonore und den anderen KIs fortgegangen oder auf Echidna-3 vernichtet worden sein, und die wenigen, die es vielleicht noch gibt, dürften bei den Konzernen liegen.«

»Wir haben sie von den Erdlingen erbeutet«, sagte Valmas. »Und sie glauben, die Uranosier wären es gewesen. Also bleibt alles beim Alten. Sie könnten jeden Augenblick über uns kommen. Aber ein Kampf gegen uns ist unangenehm und den Wählern schwer zu verkaufen.«

Wenn man den Nachrichten vertrauen durfte, würden die Gauner vom Titan lange auf einen Angriff warten dürfen, denn die Erdlinge, die sich selbst gerne Terraner nannten, hatten den Titan und damit auch den Saturn aufgegeben. Einst war dies der bedeutendste Ort des Systems gewesen. Die Rohstoffe auf den Monden hatten die Wirtschaft zum Erblühen gebracht, und eine Kolonie nach der anderen war entstanden. Doch aus Handelskonflikten wurden Kriege, und diese zogen sich hin, bis sich im Chaos die Anarchisten durchsetzten und sich schließlich eine Zuflucht für Piraten und Banditen herausbildete.

Und nun wusste Chris, warum Screaming in Mythical den Titan als Kugel aus currygelbem Marmor bezeichneten. Dabei hatte Chris immer der grüne Schimmer fasziniert, den er von den Fotos und Videos kannte. Darauf waren sogar Teile der Oberfläche zu erkennen gewesen. Deswegen war ihm die Textzeile des Liedes immer unpassend vorgekommen. Doch was er hier sah, war eine völlig dichte Gashülle. Die Aufnahmen, die er kannte, mussten einen Filter verwendet haben, um den dicken Schleier zu durchdringen.

Den Titan wahrhaftig vor Augen zu haben, das trieb ihm einen Schauer über den Rücken. »Er ist so schlicht und so wunderschön«, sagte Chris.

»Von hier aus und auch in den Wolken vielleicht. Unter der Wolkendecke ist es nicht mehr so schön.«

Sie drangen in die Atmosphäre ein und senkten sich einem Meer aus Wolken entgegen, die in der Sonne rötlich schimmerten, und versanken darin. Als sie unten wieder hinausstießen, erkannte Chris, was Valmas meinte: Es waren weniger der karge Boden, die Methan-Seen und das trübe und gelb getönte Tageslicht als all die Überbleibsel der Minen, die diesem Ort die Schönheit nahmen.

Chris hatte sich den Titan immer als raue Idylle vorgestellt, bei der flüssiges Methan die Rolle des Wassers und Eis die Rolle des Gesteins übernommen hatte und große Regentropfen langsam herabschwebten. Doch die Jahre des Aufschwungs hatten überall ihre Spuren hinterlassen. Ruinen, Minenlöcher, Geröllhalden – das alles sprach dafür, dass die Konzerne diesen Mond geplündert hatten. Besonders die Wracks der gewaltigen Minenkreuzer, die offenbar im Krieg abgeschossen worden waren, und all die Roboterfahrzeuge, von denen die meisten wie Kadaver gewaltiger Tiere wirkten, deuteten darauf hin, dass hier nicht nur Siedler ihr Glück gesucht hatten. Automatisierte Minen mochten für Monde und Planeten schnell zum Fluch werden. Noch nie hatte Chris es so deutlich gesehen wie hier.

»Deswegen wird niemand um den Titan kämpfen«, sagte Valmas. »Es gibt hier nicht mehr genug zu holen.«

»Aber ihr könnt euch halten«, erwiderte Chris.

»Wir könnten genauso gut auf einer Raumstation existieren. Aber es gibt tatsächlich noch Minen. Nur werfen die nicht mehr genug ab, um die Konzerne oder Regierungen zu locken. Da gibt es anderswo viel mehr zu holen. Wir müssen Piraten und Schmuggler, Betrüger und Hehler sein, damit wir über die Runden kommen. Glücklicherweise gibt es immer genug Beute. Und viele der Minen sind jetzt Städte oder riesige Lager.«

»Ich habe mich immer gefragt, warum das Nachtglanz-Kartell das Tor nicht einfach abgeschaltet hat. Zumindest hätten sie ja den Ein- und Ausgang sperren können und das Tor nur als Knotenpunkt benutzen können.«

»Das widerspricht den Statuten«, erklärte Valmas. »Sie sind neutral.«

»Das heißt, sie erkennen euch als Partei an.«

»Ja. Aber nur, weil es hier einige legitime Firmen gibt.«

»Von der Erde?«

»Aber nein. Die Pontonesen haben noch einige Minen. Die haben sich geschickt um alle Kriege herumgewunden, hatten kaum ein Bein auf dem Boden. Jetzt sind sie die Einzigen, die von den Gilden hier geduldet werden. Und die Pontonesen haben beim Nachtglanz-Kartell dafür gesorgt, dass das Tor offen bleibt. Inoffiziell heißt das: Das Nachtglanz-Kartell weiß genau, was wir machen und wie profitabel es für sie ist, über die Pontonesen mit uns Handel zu treiben. Wäre es anders, wären wir dran. Und wenn sie nicht gegen uns vorgehen, dann gehen sie gegen kaum jemanden vor. Schau dir die Widerstandskämpfer im Keto-System an. Sind das nun Terroristen oder Freiheitskämpfer? Das wollen die Portalbetreiber natürlich nicht entscheiden.«

»Sie könnten es immer so entscheiden, wie es ihnen gerade passt«, sagte Chris grinsend. Niemand konnte den großen Konzernen etwas anhaben. Wer einst verachtete Wörter wie Kartell oder Monopol schamlos im Firmennamen trug, musste sich um kaum etwas Sorgen machen. Ein Fingerschnippen von ihnen und die Wirtschaft wäre lahmgelegt. »Die können ohnehin machen, was sie wollen.«

»Aber sie sind klug genug, ihre Macht nicht zu nutzen und doch zu profitieren.« Er neigte den Kopf und sah Chris verschwörerisch an. »Die Großen profitieren, ganz gleich was passiert. Jedes Mal, wenn ein Schiff ein Sprungtor passiert, kassieren sie. Ganz gleich, ob Kriegsschiffe hindurchfliegen, Handelsschiffe oder Piratenschiffe – die Großen kassieren. Sie handeln mit den Erdlingen und über Umwege mit uns. Sie treiben Handel mit den Uranosiern und zugleich mit den Ketoniden. Es ist ein Spiel, das sie nie verlieren können, weil sie auf allen Seiten stehen und keine Partei ergreifen müssen. Wer wollte sie auch dazu zwingen?«

Chris schaute auf die verschiedenen Siedlungen, die sie am Fuße eines der wenigen Gebirge passierten. Einige wirkten wie gewöhnliche Städte, ganz so, als könnten die Menschen, die dort lebten, sich ganz normal atmend auf der Oberfläche bewegen, was wegen der niedrigen Temperaturen und der Abwesenheit von Sauerstoff natürlich undenkbar war. Nur Fahrzeuge wechselten dort gelegentlich zwischen den Gebäuden. Andere Siedlungen setzten auf Kuppeldächer, wieder andere versanken in den Spalten und Minenlöchern, und nur die Lichter signalisierten, dass dort Leben herrschte. »Wohin geht’s?«

»Nach Angram«, antwortete Valmas.

Angram! Wie oft hatte Chris als Kind den Namen in Filmen gehört. Piratenfilme. Natürlich hatten die Filme, die auf der Erde sogar verboten waren, das Piratenleben glorifiziert. Aber mit Abstand und als Kind hatte Chris das überhaupt nicht gestört. Im Gegenteil.

Valmas wies voraus – nach Norden. »Wir sind hier im Grenzgebiet.« Zur Rechten stieg das Land aus trübem Eis, das wie Sand oder Stein wirkte, allmählich an, zur Linken erstreckte sich ein dunkles Gebiet, das von den Löchern und Spalten der Minen übersät war.

Valmas zeigte nach links. »Das ist Shangri-La.« Er wies nach rechts. »Und das ist Xanadu.«

»Klingt sehr verlockend«, sagte Chris schmunzelnd. »Die Namen versprechen mehr, als man hier sieht.«

»An irgendetwas muss man sich ja festhalten, wenn ein Ort so trostlos ist.« Valmas zeigte links voraus. »Angram liegt im Guabonito-Krater.«

»Und wo sind die Pontonesen?«, fragte Chris.

Valmas wies nach rechts. »Drüben in Aztlan, am Doom Mons.«

»Der Schicksalsberg? Wie bei Tolkien?«

Valmas nickte und grinste. »Ah, ein Kenner. Ich bin beeindruckt. Ja, sie haben sich bei den Gebirgen tatsächlich an Mittelerde orientiert. Muss im 20. oder im 21. Jahrhundert gewesen sein, und die meisten Siedler haben es einfach übernommen.«

»Dass die Pontonesen am Schicksalsberg hausen, macht sie jetzt nicht besonders sympathisch.«

»Die sind harmlos. Halten sich aus allem raus und fahren damit ganz gut.«

Chris wunderte sich, dass in all den Piratenfilmen, die er gesehen hatte, nie die Rede von Doom Mons und den anderen Bergen gewesen war. Aber die Handlung spielte auch meist nur in den Piratennestern und auf Schiffen.

Valmas steuerte die AMBERSON nach links – nach Westen, und sie überflogen das von Minentätigkeit zerklüftete und zerlöcherte Land.

Der Guabonito-Krater wirkte schon von Weitem wie ein Ringgebirge aus gelbgrauem Fels, doch in Wirklichkeit bestand alles aus trübem Eis. Chris schätzte den Durchmesser des Kraters auf siebzig bis hundert Kilometer. Die Darstellungen in den Filmen, die er gesehen hatte, passten dazu.

Angram war die größte der Städte des Kraters. Sie schmiegte sich im Osten an den gewaltigen Hang und zog sich an ihm empor. Sie wirkte wie eine Mischung aus all den verschiedenen Stadttypen, die sie auf dem Weg gesehen hatten. Die Minenviertel waren von tiefen Klüften durchzogen und von gewaltigen Schächten durchlöchert. Die Kuppelmodule – manche winzig, andere gewaltig – bildeten einen weiten Ring. Und wie in den Filmen gab es jene, die über und über mit Pflanzen bewachsen waren – die Wälder von Angram.

Im Zentrum konkurrierten Hochhäuser um die Vorherrschaft. »Die Türme der Gilden«, sagte Chris. »Zu welcher gehörst du eigentlich?«

Valmas lachte. »Zu keiner. Ich bin ein Unabhängiger. Natürlich versuchen sie, mich für sich zu gewinnen, und natürlich hat es Nachteile, ein Einzelgänger zu sein.«

»Ich dachte, alle hier müssten in Gilden organisiert sein.«

»Du schaust zu viele Filme, Junge. Nein, nein. Die Gilden erwuchsen aus der Anarchie, um denen, die sich nicht selbst schützen können, Schutz zu bieten. Aber im Kern ist das immer noch ein Ort der Gesetzlosen. Die meisten hier lassen sich nicht kontrollieren, obwohl die Gilden von Tag zu Tag mehr Zulauf erhalten. Und Schutz bietet einem nur ein Geflecht aus Bekannten und Leuten, die dir was schulden und dir dankbar sind, aber zugleich glauben, dass du ihnen später noch nützlich sein kannst.«

»Das heißt, wir halten uns von den Türmen fern?«

»Ich war noch nie in einem dieser Dinger«, erklärte Valmas. »Wir landen am Angram Central. Das war früher nur die U-Bahn-Station, jetzt ist es eine gewaltige Markthalle.«

Er steuerte auf eine riesige Kuppel zu, an deren Rändern unzählige Lagerhallen dicht an dicht standen und sich Container stapelten. Schiffe kamen an, mehr noch legten ab.

»Manche meinen, das sei der größte Umschlagplatz für Waren«, sagte Valmas. Und tatsächlich mochte bei all den Containern, die hier bewegt wurden, dieser Eindruck entstehen.

Sie legten an einem Steg an, der zur Hälfte weggebrochen war. Überhaupt waren die alten Kriegsschäden prägend für den Anblick des Raumhafens. Einschusslöcher von Handfeuerwaffen bis zu großen Geschützen verunstalteten die Wände, und repariert war nur das Nötigste, teilweise mit Siegelmodulen, die man sonst verwendete, um ein Leck auf einem Schiff zu verschließen. Die kugelförmigen Gebilde wirkten wie Pilze, die sich über die Wand verbreitet hatten, und trugen keineswegs zur Schönheit dieses Ortes bei.

Die Vielfalt hier war es, die Chris beeindruckte. Die verschiedensten Schiffstypen konnte er hier beobachten; von kleinen kugelförmigen Transportern über kastenförmige Frachter, die kaum mehr waren als bessere Container, bis hin zu verwinkelten Kreuzern mit weiten Tragflächen. Von hochglanzpolierten Schiffen bis hin zu völlig heruntergekommenen, von winzigen bis riesigen, von alten bis neuen – alles war hier vertreten. In der Ferne hinter den Türmen konnte Chris sogar einige Zerstörer erkennen.

Nicht nur die verschiedenen Schiffstypen, auch die Mode und die Menschen boten einen Querschnitt durch alle Kulturen. Pontonesische Polsterjacken, die schweren uranosischen Pilotenmäntel oder die segmentierten Overalls vom Mars, die nicht aus der Mode kommen wollten. Es war vor allem Arbeitskleidung, und sie deutete bereits darauf hin, dass es hier im Hafenbereich kalt war.

Valmas reichte Chris einen dunkelblauen Mantel mit Reverskragen. »Ist hier vom Titan«, sagte er. »Nicht dick, wärmt aber. Und nicht dünn, kühlt aber.« Valmas trug den gleichen Mantel in Braun; nur war bei ihm der Kragen aus Leder, während er bei Chris aus feiner Wolle gewebt war.

»Danke«, sagte Chris und war überrascht, wie leicht der Mantel war.

Valmas schritt bereits voran, auf den Steg zu, Chris aber folgte ihm nur zögerlich. Er hatte Angst, dass man ihn sofort als Neuling erkannte. Nicht an der Kleidung, die unter all der Vielfalt gewiss nicht auffiel, sondern an seiner Unsicherheit. Er hatte keine Ahnung, welche Regeln hier galten und worin ein angemessenes Verhalten bestand.

Auf halbem Weg zur Tür fiel Chris auf, dass die Gravitation hier in der Stadt in etwa dem Standard entsprach – der Erdgravitation. Er schaute sich auf dem Steg um, und an einer Stelle klaffte ein so großes Loch, dass die Oberfläche eines schwarz-weißen Gravitationspanels zum Vorschein kam. Er würde sich also nicht umstellen müssen.

Durch eine Tür führte Valmas ihn in eine lang gezogene Halle, in der sich Lager an Lager knüpfte und Menschen und Lastenroboter damit beschäftigt waren, kistenweise Ladung aus den Containern zu löschen oder aber neue Fracht in die Container einzuladen.

Einige der Arbeiter, alle in gepolsterter Kleidung, grüßten Valmas, doch für Chris hatten sie keine Augen, und das gefiel ihm. Wer keine Aufmerksamkeit erregte, konnte auch niemanden verärgern.

Über eine gewaltige Schleuse gelangten sie in die erste große Kuppelhalle. Auf den vier leicht voneinander abgestuften Ringflächen und unten auf dem Platz im Zentrum blühte das Leben. Hier trafen sich die Menschen in offenen Bars und vor Essensständen. Der Duft von Gebratenem war verlockend und all die Speisen, die auslagen, machten Chris neugierig.

»Ich sag dir schon, was genießbar ist«, erklärte Valmas, als Chris sich für einen Spieß interessierte, auf den insektenartige Wesen gereiht waren. Sie waren knusprig gebraten, und der Duft war verlockend. Trotz Valmas7 Warnung schaute Chris noch einmal zu dem Stand zurück, dessen Besitzer gerade einem Kind zwei Spieße schenkte. Und die Freude im Gesicht des Jungen bewies, dass es offensichtlich genießbar war.

Vieles kannte Chris natürlich von Ianthe-3. Er brauchte nur hinter oder neben die Verkäufer zu schauen, ob sie ein Kochmodul verwendeten. Und die meisten verwendeten dasselbe. Folglich rochen die Pfannkuchen, die Reibekuchen, die Waffeln und das Brot exakt so wie auf Ianthe-3. Deswegen waren die Stände mit den Frittier-Modulen mit ihren Gerüchen für ihn interessanter. Doch Valmas zerrte ihn immer wieder weiter. »Die Titan-Küche besteht nur aus Frittieren. Ganz gleich, was es ist. Wenn man noch sehen kann, was es war, ist es ja in Ordnung. Aber bei den Panaden würde ich aufpassen.« Chris nickte und sah, wie ein Mann mit ölbeflecktem Gesicht in etwas Paniertes biss, aus dem Fett herausquoll.

Auf dem breiten Gang, den die Stände und Bars in der Mitte ließen, waren viele Augen auf die Passanten gerichtet, als lauerten sie auf neue Beute.

Valmas war hier offenbar recht bekannt. Von einem schlichten Nicken bis zu einem lauten Gruß kam ihm alles entgegen. Und auch Chris wurde zum ersten Mal beachtet. Ein Mann mit einem Dutzend fein geflochtener Zöpfe und einem langen Bart klopfte Valmas auf die Schulter. »Der beste Pirat im Universum ist wieder da!«, sagte er mit rauer Stimme. Sein Atem roch nach Wein, sein Mantel aus Kunstleder quietschte bei jeder Bewegung. »Grüß dich, Junge«, sagte er und musterte Chris von oben bis unten. »Halt dich an ihn. Der weiß, was er tut.«

»Hey, Moss!«, sagte Valmas. »Wie läuft’s in der Mine?«

Moss grinste. »Nicht schlecht.«

Valmas wandte sich im Gehen nach Moss um. »Funktioniert das Sensormodul?«

Moss führte die Fingerspitzen zusammen und küsste sie.

»Wer war das?«, fragte Chris.

»Der war mal ein armer Schlucker und hat im Kartenspiel eine wertlose Mine gewonnen. Nur war sie nicht so wertlos. Der Dickschädel hat weitergeschürft und ist jetzt der Besitzer der größten Erzmine im Sektor. Nichts Großartiges, aber für eine Einzelperson schon ein Vermögen. Ein bodenständiger Kerl. Aber ich schuldete ihm was. Und er hätte mich beinahe umlegen lassen. Zum Glück konnte ich mit einem Scanner, den ich erbeutet habe, alles wieder ins Lot bringen.« Er atmete durch. »Ich bin froh, nichts mehr mit ihm zu tun zu haben.«

»Die Begrüßung wirkte sehr freundschaftlich.«

»Er ist glücklich über seinen Scanner, ich bin glücklich, eine Schuld beglichen zu haben. Das sind gute Voraussetzungen für ein entspanntes Zusammenleben.«

Eine Frau in einem grünen Overall aus transparentem Kunststoff drückte sich an Valmas’ Seite. »Du weißt, was du mir versprochen hast?«, fragte sie. Unter dem Overall war sie völlig nackt. Sogar ihre halbhohen Stiefel waren transparent und zeigten die weiß lackierten Fußnägel.

»Page!«, sagte Valmas. »Natürlich weiß ich das. Aber ich habe gar keine Beute gemacht. Also muss die Einlösung meines Versprechens warten.«

»Na gut. Aber vielleicht kommen wir ins Geschäft.«

»Nicht heute, Page.«

»Das sagst du immer. Ich verstehe ja, dass du an mir kein Interesse hast, aber irgendjemand von uns muss dir doch gefallen«, sagte sie und zeigte auf eine Gruppe von Frauen und Männern, von denen die wenigsten blickresistente Kleidung trugen. Chris konnte nur staunen, denn auf Ianthe-3 gab es nicht nur Gesetze gegen solche Freizügigkeit in öffentlichen Bereichen, Prostitution war sogar verboten.

»Tut mir leid, Page. Du weißt, wie altmodisch ich bin.«

»Altmodisch? Das ist unser Geschäft auch.«

»Guter Punkt. Trotzdem.«

»Und er?«, fragte sie und musterte Chris.

»Ist nicht interessiert«, sagte Valmas und zerrte Chris weiter. Dabei hatte Chris gar nicht vorgehabt, auf irgendein Angebot einzugehen.

»Was hast du denn versprochen?«, fragte er, als sie sich entfernt hatten.

»Einen Anteil an meiner Beute«, antwortete Valmas. »Ich hab mir bei ihr Geld geliehen. Besser als bei den Gilden, aber wenn ich mit der Zahlung zu lange warte, könnte sie ihre Ansprüche an sie weiterreichen, und dann habe ich Probleme.«

»Du hattest gehofft, dass dir das Geschäft auf Ianthe-3 Geld bringt.«

»Ganz genau.«

»Gibt es hier eigentlich jemandem, der dir was schuldet?«

»Der eine oder andere schuldet mir einen kleinen Gefallen, aber nicht mehr als das. Ich habe neulich eine Menge ausgeglichen. Nun schulde ich Page und ein paar anderen ein wenig. Aber die Zahltage sind noch weit weg.«

Ein Händler mit einer Haubenmütze warf Valmas eine Orange zu. »Willkommen daheim«, rief er.

»Danke«, entgegnete Valmas lächelnd.

»Hast du hier eigentlich eine Wohnung?«, fragte Chris.

»Nein«, sagte er und steckte die Orange in seinen Beutel. »Ich wohne auf dem Schiff. Das spart Geld.«

Chris hatte auch einmal darüber nachgedacht, auf seiner JINDAO zu leben, aber die Wohnung seiner Ziehmutter war ihm zu wichtig gewesen. Nun war sowohl das eine als auch das andere zerstört.

»Komm. Wir gehen nach der Aufregung erst mal was trinken«, sagte Valmas.

So begaben sie sich auf der anderen Seite der Kuppel in einen Gang in die Tiefe, wo sich Bar an Bar reihte. Aus dem Psychopomp drang gedämpfte Gitarrenmusik nach draußen. Ein halbes Dutzend Kinder jagte davor einem zotteligen Hund hinterher, und Chris konnte nicht entscheiden, ob es ein echter Hund war oder aber ein Roboter.

Am Eingang des Clubs Soul Asylum schwebte ein Schild, auf dem »Tagsüber geschlossen« stand. Der Duft von Kräutern war verlockend und ließ Chris vermuten, dass die Luft im Club bei Nacht ein einziger Drogenrausch sein musste.

Bei dem Club Tesserakt war Chris wegen des Namens neugierig auf das Innere, doch obwohl die Tür offen stand, vermochte er im dunklen Innenraum nichts zu erkennen.

Sie näherten sich einer Bar namens Global Mind, über deren glühender Schrift auf dem Schirm ein kahlköpfiger Mann einen langen Nagel in seinen eigenen Schädel trieb, ohne dass eine Wunde entstand. Es gab keine Türsteher, niemanden, der sie am Eintreten hinderte.

Chris schaute auf die Card auf seinem Handrücken, die ihm die Standardzeit anzeigte. Neun Uhr morgens. »Wie lange ist hier ein Tag?«, fragte er Valmas. Er vermutete, dass sie hier nach der Standardzeit lebten, weil die Lokalzeit zu weit von den gewohnten vierundzwanzig Stunden abwich.

»Fast sechzehn Standardtage«, antwortete Valmas leise und schaute zu einer jungen Frau hinüber, die auf dem Schirm, der sich aus ihrem Patch-Computer geschoben hatte, etwas auswählte. Sofort fuhren käferartige Roboter von ihr weg und zogen feuchte Bahnen über den dunkelgrauen Boden. Die kahlköpfige Frau, die offenbar die Bedienung war, wandte sich ihnen zu, und mit einem schrägen Lächeln sagte sie: »Kaum sind die Besoffenen weg, kommst du – Valmas Zakaris!«

Valmas bedachte Chris mit einem Seitenblick, als wäre es ihm peinlich, dass sein Nachname, den er bislang für sich behalten hatte, preisgegeben war. Dabei war Zakaris kein Name, für den man sich schämen musste. Im Gegenteil. Die Zakaris-Agentur verwaltete die Schürfrechte in zahlreichen Sternsystemen.

Er wollte ihn fragen, doch Valmas hob die Hand, schritt weiter durch den Raum und sagte der Frau: »Glenda! Wenn die Betrunkenen deinen Kaffee so zu würdigen wüssten wie ich, würden sie weniger saufen und mehr genießen.«

»Also einen Kaffee für dich«, sagte sie. »Und einen für deinen Kollegen?«

»Gerne«, sagte Chris und erntete ein Lächeln.

»Sie mag dich«, flüsterte Valmas ihm zu, während sie über drei Stufen in eine Sitzgruppe hinaufstiegen, die sich direkt ans Fenster schmiegte. Von hier aus bot sich ein weiter Blick über die Kuppelhalle.

»Woher willst du das wissen?«, fragte Chris und setzte sich.

Valmas nahm gegenüber Platz und blickte zur Seite aus dem Fenster hinaus. »Ich kenne die Kleine seit ihrer Kindheit, und sie lässt einen Neuankömmling selten ohne Warnung passieren.« Er erzählte von Glendas Großeltern, von ihrer Mutter, der diese Bar gehörte, und von ihrem Vater, der die Familie verlassen hatte und in einem der Gildentürme ein neues Leben mit neuer Frau und neuem Kind begonnen hatte. »Zum Glück läuft der Laden.«

Als Glenda mit dem Kaffee kam, wechselte Valmas das Thema. »Hier ändert sich trotz aller Vielfalt alles nur sehr langsam.«

»Das liegt daran, dass ihr Piloten hier ständig rumhängt und nicht rauskommt«, sagte Glenda. »Ich dachte, du hättest was im Pheres-System zu erledigen.«

»Hab ich ja versucht.«

Sie schaute mit großen Augen zwischen Valmas und Chris hin und her. »Du bist so schnell wieder zurück? Na ja, ist vielleicht besser so. Habt ihr das mit Ianthe-3 gehört?«

»Nicht nur gehört, ich war live dabei. Die haben uns beiden die Station unterm Arsch weggeschossen.«

Glenda setzte sich an den Rand der gepolsterten Bank »Ihr habt großes Glück gehabt.«

»Nur schade, dass wir losmussten, ehe wir unsere Fracht aushandeln konnten. Das hier ist Chris. Ein Neuzugang und mein Co-Pilot.«

Glenda stutzte und fragte Chris: »Echt? Da musst du ihn ja mächtig beeindruckt haben. Val arbeitet sonst nur allein.«

Eine langhaarige Frau im Eingangsbereich rief nach der Bedienung. Glenda schaute zu ihr hinüber, klopfte Valmas auf die Hand und sagte: »Ihr musst mir später davon erzählen.« Und schon machte sie sich davon.

»Sie wissen also schon davon«, sagte Chris. »Das wird zwischen den Uranosiern und den Pheresen hoch hergehen.«

Valmas nickte. »Und hier werden manche ihre Chance wittern. Im Krieg lassen sich nicht nur für die Konzerne gute Geschäfte machen.«

»Du sprichst aus Erfahrung?«

»Natürlich«, sagte er, schaute aber zum Ausgang hinüber. Dort stand nun ein Mann. Er musste gerade eingetreten sein. »Da hinten ist ein alter Kumpel von mir. Gerald.«

Gerald war eine blasse Gestalt in enger Kleidung. Er hatte einen Mittelscheitel, und dichtes Haar umrahmte sein junges Gesicht. »Wie ein alter Kumpel wirkt er nicht.«

»Der hat eine Menge machen lassen und bereut es jetzt. Die OP-Module sind rar geworden, und die Auffrischung der jugendlichen Schönheit kostet ein Vermögen. Das kann er sich kaum noch leisten. Er ist verschuldet und hat so viele künstliche Teile im Körper, dass manche ihn Cyborg nennen. Du solltest ihn allerdings nicht so nennen.«

Gerald winkte. Während er sich auf den Weg zu ihnen machte, sagte Valmas, ohne den Blick von seinem alten Freund abzuwenden: »Du wirst viele Gerüchte über mich hören. Von Glenda und Gerl. Vertrau ihnen einfach nicht.«

»Und stattdessen soll ich dir vertrauen?«, fragte Chris. »Und dann noch dein Co-Pilot werden?«

Valmas lachte. »Ich hab das eben nicht nur so gesagt. Wenn du mein Co-Pilot sein willst, wäre ich glücklich.«

»Da ich hier sicherlich keinen Tag allein überleben würde, halte ich mich doch lieber an einen, der weiß, wie der Hase läuft.«

»Gut«, sagte Valmas grinsend. Und schon erhob er sich und breitete die Arme aus, um Gerald an ihrem Tisch zu empfangen. »Gerl! Dass wir beide mal zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind!«

Gerl umarmte Valmas, und gemeinsam nahmen sie Platz. »War in der halben Galaxis unterwegs, um das Modul für die Reparatureinheit zu finden«, sagte Gerl. Seine Haut glänzte und wirkte besonders an der Stirn uneben. Es sah aus, als würde er eine hauchdünne Maske tragen, die sich mit einer winzigen Verzögerung seinen Gesichtszügen anpasste. Es war dennoch ein ansehnliches Gesicht, voller Symmetrie – vielleicht zu viel davon.

Valmas lachte. »Die Zeit, als das Ding funktioniert hat, war die Goldene Ära.« Er wandte sich an Chris. »Wir hatten mal eine Reparatureinheit erbeutet, die Schiffe reparieren konnte.«

»Sie konnte auch anderes reparieren, wenn man die Konfiguration änderte«, sagte Gerl. »Es gab beinahe nichts, was das Ding nicht zusammenflicken konnte.«

Valmas lachte leise. »Sich selbst konnte dieses Teil jedenfalls nicht reparieren. Und als ein Untermodul in Rauch aufging, gab es hier keinen Ersatz dafür. Und selbst die Bastler konnten es nicht richten.« Valmas wies auf Gerl. »Das hier ist mein alter Freund Gerald. Immer auf der Suche nach dem großen Geld.« Er wies auf Chris. »Und dies ist mein neuer Co-Pilot. Chris.«

»Gerald«, sagte Chris anerkennend und hielt ihm die Hand hin.

»Nenn mich Gerl!« Er schlug ein, und Chris war überrascht über den vorsichtigen Händedruck. Gerls Hand war kalt und wirkte zerbrechlich. »Na, das Ersatzteil für eine Reparatureinheit würde wohl jedem weiche Knie bescheren.«

»Der Verkauf einer Reparatureinheit könnte ein Imperium begründen«, sagte Chris. »Eigentlich unbezahlbar – außer für die Konzerne.«

Gerl nickte.

»Vergiss das Geld«, sagte Valmas. »Stell dir Piraten vor, deren Schiffe jedes Mal repariert werden.« Er machte große Augen. »Der Schrecken des Universums!«

Chris musste grinsen.

Gerl lachte heiser, und dann sagte er: »Jedenfalls hat die Midas-Gilde zwanzig Millionen Dollar als Belohnung für das Ersatzteil geboten. Und die will ich haben.«

»Erddollar?«, fragte Chris.

»Nein, nein«, antwortete Valmas. »Wenn wir hier von Dollar sprechen, reden wir vom Mars. Die Erde ist für uns uninteressant geworden. Zu viele religiöse Spinner an der Macht.«

Chris nickte. Zwanzig Millionen Marsdollar waren im Augenblick in etwa sieben Millionen uranosische Drachmen wert. »Nicht schlecht«, sagte Chris.

Gerl schaute Valmas mit einem breiten Lächeln an. »Offenbar aber auch nicht gut genug. Fast jeder hat irgendwann mal Ausschau nach dem Ersatzmodul gehalten. Aber Ersatzteile sind immer begehrt, und selbst mit einem Schrotthaufen erzielst du hohe Preise.«

»Manche bauen ein funktionstüchtiges Schiff auseinander, weil die Einzelteile mehr wert sind«, sagte Valmas.

»Natürlich würden wir schauen, dass wir einen Sonderpreis bekommen. Das Dumme an Ersatzteilen ist, dass man oft nicht so genau weiß, ob sie wirklich funktionieren.«

»Und genau darin liegt die Gefahr«, erklärte Valmas. »Dass man auf der Suche oder bei der Beschaffung des Ersatzteils sein Schiff beschädigt. Wie viele haben sich in Gefahr begeben, in die sie nicht geraten wären, wenn sie überhaupt erst gar nicht aufgebrochen wären?«

»Aber das Ersatzteil zu haben, wäre wichtig, und noch wichtiger wäre die Belohnung.«

»Ich kann damit leben, weder das eine noch das andere zu haben. Aber ich könnte nicht damit leben, mein Schiff bei der Suche nach dem Ding zu beschädigen.«

»Willst du mir sagen, dass du noch nie Ausschau gehalten hast? Nicht mal ein bisschen?«

»Natürlich halte ich Augen und Ohren offen. Aber mehr auch nicht.«

»Und genau deswegen wirst du auch irgendwann in den Fängen der Gilden enden.«

Valmas starrte schweigend auf seinen Kaffee und trank einen Schluck.

»Das heißt, du bist auch ein Freier Pilot?«, fragte Chris.

Gerl nickte. »Hier möchte jeder möglichst lange seine Freiheiten bewahren. Und wenn man sie dann doch abgeben muss, dann nur Stück für Stück und möglichst teuer.«

»Glaub es ihm. Er lebt hier schon länger als ich«, sagte Valmas.

Chris gefiel dieser Ort, der das Gegenteil von Ianthe-3 war. Er stellte sich vor, wie seine Ziehmutter hier überlebt hätte. Mit ihrem Verhandlungstalent und der Fähigkeit, mit offenen Karten zu spielen und doch zu gewinnen, wäre sie hier gewiss binnen kürzester Zeit Kopf einer eigenen Gilde geworden.

Chris schaute zwischen Valmas und Gerl hin und her. »Ich hoffe, dieser Ort verträgt einen weiteren Piloten, der keine Ahnung hat, wohin die Reise geht.«

»Das sind die besten Reisen«, sagte Valmas und lehnte sich mit der Tasse in der Hand in das Polster der Bank zurück.

Chris nickte, während Glenda drei Gläser brachte. Dabei hatten sie nichts außer dem Kaffee bestellt. »Wie immer«, sagte sie und schaute dann Chris an. »Oder willst du was Besonderes?«

»Schon gut so«, sagte Chris, flüsterte dann aber, als die Bedienung fort war, an Valmas gewandt: »Was ist das?« Dann hob er das Glas und betrachtete das bernsteinfarbene Getränk. »Whiskey?«

Valmas und Gerl schauten sich an und lachten leise. Langsam beugte Valmas sich vor und sagte: »Von den Uranosiern.«

»Uranosischer Whiskey?«, fragte Chris ungläubig. »Wie könnt ihr das bezahlen?«

Mit selbstgefälliger Miene und dem Glas in der Hand lehnte Valmas sich wieder zurück. »Was anderswo knapp ist, gibt es hier oft im Überfluss.«

Chris grinste. »Weil ihr es knapp macht.«

»Der Junge versteht unser Geschäft«, sagte Gerl grinsend.

Valmas nickte mit gespitzten Lippen und sagte: »Endlich Frühstück!«

Rayol wusste, dass sie ihn binnen kurzer Zeit durchschauen würden. Er hasste diesen Mond, der aus dem All so schön wirkte, doch hier unten am Boden schummrig, kalt und feucht war. Und obwohl sie hier in einer abgeschlossenen Stadt waren, hatte er auch hier diesen Eindruck. Überall liefen Verbrecher herum, die in seiner Heimat in einem Gefängnis zusammengetrieben worden wären.

Ein Blick durch die große Halle, durch die er schritt, und er kam zu dem Ergebnis, dass dieser Ort sogar einigen der Gefängnisse ähnelte. Ob Verbrecher nun aus freien Stücken in verkommenen Städten lebten, oder ob man sie in einen Komplex sperrte und nicht wieder gehen ließ – das Ergebnis war dasselbe.

Rayol hatte bereits Kontakt zu einer der Gilden aufgenommen und würde mit Geld um sich werfen, bis er die Informationen gefunden hatte, die er suchte.

Ein hochgewachsener Mann, der ihm mit grimmiger Miene entgegenkam und unterwegs einen Passanten zur Seite stieß, trieb Rayol einen Schauer über den Rücken. Er starrte ihn an. Der Pullover, der unter der geöffneten Jacke des Fremden zum Vorschein kam, war durchlöchert, als hätte er ihn einem Erschossenen vom Leib gerissen.

Rayol blieb steif stehen und bemühte sich, sein rasendes Herz durch gleichmäßiges Atmen zu beruhigen. Er tat so, als hätte irgendetwas hinter dem Fremden seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Und schon war der breitschultrige Kerl an ihm vorüber.

Im selben Augenblick piepste seine Patch-Card auf seinem Handrücken. Er wischte darüber und fuhr den Schirm ein Stück aus, gerade so weit, dass er die Nachricht lesen konnte. Dort stand: »Schiffsname: AMBERSON; Kapitän: Valmas Zakaris.«

Rayol wandte sich um und sah den Kopf des hochgewachsenen Mannes, der sich seinen Weg durch die Menge bahnte. »Wir haben eine Spur«, sagte er zu seinen Leuten.

Glenda kam an ihren Tisch und wirkte auf Chris ein wenig zittrig. Vielleicht lag es daran, dass die Bar nun zur Mittagszeit gut gefüllt war und sie und die anderen Bedienungen, die inzwischen gekommen waren, viel zu tun hatten. »Du hast Probleme, Val«, sagte sie, während sie die Gläser auf das schimmernde Tablett stellte. »Jemand fragt überall nach dir. Die Minen-Gilde bietet dir Schutz an – wenn du Mitglied wirst.«

»Wo ist dieser Jemand?«, fragte Valmas.

»Da unten in der Halle.«

»Danke, Glenda«, sagte er und blickte zwischen Chris und Gerald hin und her. Dann rutschten sie auf den quietschenden Polstern der Bank zum Fenster und schauten in die Tiefe.

Chris konnte in dem Chaos nichts entdecken. Alles war für ihn auffällig; alles war für ihn etwas Besonderes.

Valmas aber zeigte an den Rand des Platzes. »Wenn die glauben, sie wären unauffällig, dann

»Wer sind die?«, fragte Chris und schaute auf eine Gruppe von Leuten, die auf etwas zu warten schienen.

»Militär!«, sagte Gerald. »Schau mal, wie die ihren Anführer abschirmen. Das sind Soldaten.«

Valmas nickte. »Uranosier.«

»Dann habt ihr auf Ianthe-3 also doch was ausgefressen?«

»Nein. Aber das wissen die nicht. Und ich habe keine Lust, jetzt lang und breit verhört zu werden.«

»Werden sie von uns erfahren?«, fragte Chris.

»Natürlich«, antwortete Valmas »Aber vielleicht können wir sie in die Irre führen.«

Gerald erhob sich. »Gut, ich übernehme das. Aber wenn sie die Gilden eingeschaltet haben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie euch finden.«

Als Gerald fort war, fragte Chris: »Was meinte er damit? Sollte es nicht leicht sein, die Kerle in die Irre zu führen? Oder verrät man sich hier gegenseitig?«

»Früher oder später – hoffentlich später – werden die Kerle da unten Geld gegen Informationen bieten, und die Gilden werden das annehmen und dann zu mir kommen, um von mir Geld zu verlangen, damit sie mir Schutz gewähren. Vielleicht ist das sogar schon passiert. Du hast ja gehört, was Glenda gesagt hat. Das Problem ist nur: Ich bin so gut wie pleite. Das bedeutet, sie werden von mir verlangen, dass ich ihrer Gilde beitrete.«

»Da!«, sagte Chris und deutete auf die Männer, die sich jetzt in Bewegung gesetzt hatten. »Sie gehen zum Hafen.«

»Dann wissen sie vielleicht, wo die AMBERSON liegt.«

»Und du weißt wirklich nicht, was sie von dir wollen?«

»Es gibt genug Gründe. Wenn wir in Sicherheit sind, kann ich ja mal anfangen, sie dir zu erzählen.«

Chris begnügte sich damit, war aber neugierig zu erfahren, was genau die Uranosier von Valmas wollten. Er fragte sich, ob da ein dunkles Geheimnis schlummerte.

Rayol hatte mit seinen Leuten die Anlegestelle der AMBERSON aufgespürt. Die Tür war verriegelt, aber durchs Fenster konnten sie das Schiff am Ende eines beschädigten Steges sehen. Er konnte sein Glück kaum fassen. Der Kapitän der AMBERSON war hier tatsächlich mit einem jungen Mann namens Chris erschienen. Aber niemand hatte ihm sagen können, wo sie sich aufhielten. Oder sie wollten es ihm nicht sagen. Das würde sich ändern. Wenn er nur genug Geld aufbot, würden die Informationen fließen.

Solsee würde Augen machen, wenn er mit Mesaidon als Gefangenem zurückkehrte.

Im Global Mind lauschte Chris Valmas, wie dieser über seinen Patch-Computer die verschiedenen Gilden vertröstete. Er werde das nötige Schutzgeld auftreiben, sagte er ihnen. Nachdem er das letzte Gespräch geführt hatte, erklärte er Chris jedoch, dass er ganz andere Pläne hatte. Er bat Glenda um Hilfe, und diese erklärte sich bereit, Valmas ein Warnsignal auf seinen Patch zu schicken, falls die Fremden durch die Tür kommen sollten.

Nachdem jeder eine Pizza Titanos gegessen und Chris festgestellt hatte, dass der milde Käse hervorragend zu den Sardellen passte, kam Gerl wieder zurück. Er schaute sich auf dem Weg zu ihnen unruhig um.

»Das sind Uranosier«, sagte Gerl und setzte sich. »Hört man am Akzent. Und sie suchen dich. Kein Zweifel. Du bist am Arsch. Die haben Geld ohne Ende. Selbst wenn du dich einer Gilde anschließt, wird diese Mittel und Wege finden, dich sauber abzuschieben.«

»Ich werde auf keinen Fall bei den Gilden Schutz suchen. Außerdem habe ich eine bessere Idee.«

Chris war gespannt. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie aus diesem Haifischbecken entkommen sollten.

»Ich gebe dir die AMBERSON als Pfand für eine Passage auf deinem Frachter. Du hast doch noch die CARDUGAR, oder?«

»Ja. Ein bisschen alt geworden, aber sie wirft noch was ab und schafft es immer wieder, mich für eine Weile aus den gröbsten Schulden zu holen. Ich kann dich rausbringen. Aber willst du wirklich dein Schiff weggeben? Du weißt, dass ich immer ein Auge auf die Kiste geworfen habe.«

»Du sollst sie ja nur als Pfand nehmen. Die Uranosier wissen von der AMBERSON. Und deswegen möchte ich, dass du sie nimmst, bevor sie sie sich nehmen, verstehst du? Du warst schon immer gut darin, in letzter Sekunde den Finger zu heben und irgendeinen Anspruch in den Raum zu rufen.«

»Na gut, ich mach’s. Zu den Preisen der Midas-Gilde. Aber bleib nicht zu lange weg, sonst gehört die Kiste mir.«

»Sagen wir, von jetzt an ein Jahr – ein Erdjahr. Also gehört die AMBERSON am 16. April 2489 dir, es sei denn, ich bezahle die Passage bis dahin. Setz schnell einen Vertrag auf, und ich unterschreibe ihn.«

»Abgemacht!« Gerl reichte Valmas die Hand, und dieser schlug ein. »Und mach dir keine Sorgen«, sagte Gerl dann. »Dein Schiff wird eingelagert, und es wird noch genauso sein wie jetzt – heruntergekommen, meine ich.«

»Wann sollen wir kommen?«

»Die CARDUGAR wird heute Abend so weit sein. Bis dahin müsst ihr ihnen noch aus dem Weg gehen.«

»Dann ist es jetzt also Zeit, ein paar Gefallen einzufordern«, sagte Valmas. »Viele sind es nicht mehr.«

»Und dann werden wir hier rausgeschmuggelt?«, fragte Chris.

»Aber nur wie die besten Waren«, entgegnete Valmas grinsend.

Rayol konnte Valmas Zakaris nicht aufspüren. Ganz gleich, wohin er sich wandte, es schien, als wäre der Kapitän der AMBERSON gerade vor wenigen Augenblicken fortgegangen. Nach einer Weile vermutete Rayol, dass die Leute ihn in die Irre führten und herumlaufen ließen, damit er dem tatsächlichen Aufenthaltsort nicht näher kam. Er hatte beinahe alle Bars und Restaurants dieses Komplexes abgeklappert und dachte schon darüber nach, in den Nachbarkomplex zu wechseln, als er von den beiden Wachen, die er am Raumhafen zurückgelassen hatte, eine Nachricht erhielt. Jemand sei gekommen, der auf die AMBERSON wolle.

Sofort eilte Rayol mit seinen Leuten zurück zum Hafen. Und die amüsierten Mienen, die er unterwegs wahrnahm, zeigten ihm deutlicher denn je, dass alle Bescheid wussten.

An der verschlossenen Tür zum Steg der AMBERSON hielt ein blasser Mann mit dunklem Haar Rayols Wachen einen Vortrag. Als er ihn sah, musterte er Rayol von oben bis unten und stellte sich als Gerald vor.

»Was wollen Sie hier?«, fragte Rayol.

»Mein Recht einfordern.«

»Soweit ich weiß, gehört das Schiff da Valmas Zakaris.«

»Und der liebe Valmas ist untergetaucht. Ich habe ihm Geld geliehen und dieses Schiffchen als Pfand bekommen. Wenn ihr nun also endlich zur Seite treten würdet?«

Rayol stellte sich vor seine Wachen und drohte Gerald mit dem Zeigefinger. »Jetzt hör mal, du Witzfigur. Wenn Valmas untergetaucht ist, weißt du doch bestimmt, wo er sich aufhält.«

»Manche Fragen sollte man nicht stellen«, entgegnete Gerald. »Ich weiß nur, dass ich einen Vertrag mit ihm habe und dieses Schiff mein Pfand ist.«

»Raus mit der Sprache, sonst ...« Er wies auf seine Wachen.

Gerald schnippte mit den Fingern und rings umher hoben Männer und Frauen, die eben noch wie Passanten und Neugierige gewirkt hatten, ihre Waffen und drohten ihnen.

Rayol war erstaunt. Mit dieser Geschlossenheit hatte er nicht gerechnet. Dieser Gerald musste seine Leute nach und nach hierher geschickt haben, und alles gipfelte nun in dieser selbstgefälligen Offenbarung.

»Wir haben was gegen Uranosier«, erklärte Gerald. »Besonders wenn sie irgendwelche Stationen aus dem Himmel jagen und hinter unseresgleichen her sind. Ihr seid nur hier, weil wir euch dulden. Na ja, und weil wir an eurem Geld interessiert sind. Das hier ist ein Spiel. Ihr habt für Informationen bezahlt, und so seid ihr hierhergekommen. Valmas hat sich von mir Geld geliehen und sein Schiff in Zahlung gegeben. Er ist euch einen Schritt voraus. Ich bin mir sicher, dass irgendwer euch weiterhelfen wird. Wedelt nur mit dem Geld. Aber seid euch darüber im Klaren, dass es ein Spiel ist, und je länger es dauert, desto mehr leeren sich eure Taschen. Nur wer das Spiel versteht, kann es gewinnen.«

Rayol nickte, doch er wäre diesem Kerl gerne an die Kehle gesprungen. »Wir gehen«, sagte er und gab seinen Männern einen Wink, während Geralds Leute langsam die Waffen senkten.

Auf dem Weg in die große Halle überlegte Rayol, was er nun tun sollte. Dieser Gerald hatte recht. Nun, da er das Spiel durchschaut hatte, musste er es richtig spielen. So fragte er einen Passanten: »Welche Gilde ist hier die größte?«

Die Bar Soul Asylum hatte eigentlich noch geschlossen, doch dank eines Gefallens, den Valmas einforderte, ließ der Besitzer sie ein. In einem Hinterzimmer trafen sie sich mit Gerl, und Chris war verwundert, als er Zeuge wurde, dass Valmas einen schriftlichen Vertrag mit Gerl schloss. Er hätte vermutet, dass Gauner ihre Vereinbarungen nicht ganz so förmlich besiegelten. So aber legte Gerl den Vertrag, wonach er Valmas Geld lieh und die AMBERSON als Pfand nahm, auf dem Schirm seiner Card vor. Von einer Schiffspassage war darin nicht die Rede. Immerhin würde Gerl auf die Vereinbarung pochen müssen, falls jemand fragte, ob er die AMBERSON rechtmäßig in seinen Besitz genommen hatte. Und die Erwähnung einer Passage auf seinem Frachter hätte Valmas und Chris sofort verraten. Es war auch so schon riskant genug.

Valmas bestätigte die Vereinbarung mit seinem eigenen Patch-Computer, und so wurde der Vertrag auf einem der Gildenserver hinterlegt.

Kaum war Gerl fort, begannen Chris und Valmas eine Tour durch den gesamten Komplex. Dabei forderte Valmas bei weiteren seiner Bekannten den einen oder anderen Gefallen ein. Diese versprachen, dafür zu sorgen, dass die Uranosier auf eine falsche Fährte gerieten.

Den Nachmittag verbrachten sie in einem der Vorratsräume des Global Mind. Auf Glendas Rat hin verkleideten sie sich. In der grauen und zerschlissenen Kleidung von Minenarbeitern, die Glenda ihnen beschafft hatte, würden sie später gewiss nicht auffallen.

Die Zeit bis zum Abend vertrieben sie sich mit einem Spiel namens Der Fall von Kronos-4, das sie auf ihren Patch-Cards spielten und bei dem sie gemeinsam mit ihren Raumschiffen eine feindliche Basis attackieren mussten. Sie scheiterten dreimal, und als sie beim vierten Versuch den Sieg davontrugen, mussten sie sich beherrschen, um nicht laut loszujubeln.

Um 19 Uhr schließlich wagten sie sich aus ihrem Versteck und taten so, als wären sie von der Toilette gekommen. Sie ließen sich an einem Tisch nahe der Tür von Glenda zwei Whiskeys bringen. Und zwischen dem Small Talk flüsterte Glenda ihnen zu: »Die Uranosier sind bei der Minengilde.«

»Das passt«, erwiderte Chris.

»Alle oder nur ihr Anführer?«, fragte Valmas.

»Sie sind geschlossen zum Mine Tower gefahren.«

»Dann ist jetzt unsere Chance«, sagte Valmas und fuhr mit einer kleinen Card über Glendas Tablett. »Ich hab dir ein besonderes Trinkgeld spendiert«, sagte er.

»Danke«, erwiderte sie grinsend.

Er legte die Karte auf dem Tablett ab. »Sei so lieb und gönn dir heute nach Feierabend etwas. Mach eine kleine Tour durch die Stadt.«

»Eine Frage: Werden sie mich erschießen?«

»Nein, aber wenn sie dich fragen, wo du die Karte herhast, sagst du, dass ich sie dir geschenkt habe und es einfach ein zu gutes Angebot war, um es dir entgehen zu lassen.«

»Passt auf euch auf«, sagte Glenda mit einem unsicheren Lächeln und folgte dann dem Ruf eines Gastes.

»Glaubst du wirklich, die überwachen deinen Zahlungsverkehr?«, fragte Chris.

»Die Gilden werden jetzt ungeduldig. Sie werden nicht warten, sondern allmählich darüber nachdenken, wie sie uns in die Finger kriegen. Wir müssen jetzt schnell handeln.«

Sie machten sich auf den Weg, und in dem Treiben des frühen Abends konnten sie unmöglich auffallen. Etliche Arbeiter, die aus ihrem Bereich der Erzminen kamen, verbrachten ihren Feierabend in den Bars und den Restaurants.

So überquerten sie unbehelligt die große Halle, aber Valmas führte Chris nicht durch den breiten Gang in den Hauptbereich des Hafens, sondern über Seitenwege in einen Bezirk, in dem die großen Schiffe anlegten. Hier war mehr Platz und zugleich trieb sich hier weniger Personal herum, dafür luden aber umso mehr Roboter Container ab und auf.

Über einen schmalen Gang erreichten sie das Heck eines langen Frachters, der wie aus Rohren zusammengesetzt wirkte. An der Luke ging Gerl auf und ab, dann erblickte er sie und trat an sie heran. »Sie haben sich an die Minengilde gewandt und eine große Summe bezahlt«, erklärte er. »Entweder jetzt oder nie. Der Frachter wird euch zum Mars bringen. Mit der Hilfe deines Großvaters und der Monolith Construction Company solltet ihr untertauchen können.«

»Danke, Gerl«, sagte Valmas und klopfte seinem alten Freund auf die Schulter.

Chris nickte. »Danke dir.« Er reichte ihm die Hand, und diesmal war Gerls Händedruck fest und warm.

»Noch was«, sagte Gerl, als sich die Luke öffnete und sie gerade eintreten wollten. »Sie sind nicht auf der Suche nach dir, Valmas.« Er schaute Chris in die Augen. »Sie wollen dich haben. Colonel Meljan Solsee möchte dich in seine Gewalt bringen. Captain Rayol Oredson hat in dessen Namen ein Angebot überbracht.«

Chris war überrascht. »Aber warum wollen sie mich?.«

»Das konnte ich nicht rausfinden. Hat aber angeblich irgendwas mit dem Keto-System zu tun.«

Chris dachte an den Job, den man ihm in Aussicht gestellt hatte. Vielleicht hing es damit zusammen. Was auch immer es war, er konnte es sich nicht erklären.

»Zerbrich dir nicht den Schädel, Junge«, sagte Valmas. »Wir hauen erst mal ab. Dann finden wir schon heraus, was die wollen. Mach’s gut, Gerl.«

»Kommt bald wieder«, entgegnete Gerl.

Chrysaor

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