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KAPITEL II: Pinguine

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Am nächsten Morgen trieben die Klänge einer Trompete Drew und mich aus unseren Betten. Wir beide hatten die gewöhnliche Vorstellung eines Zivilisten, wie viel Zeit auf die Morgentoilette zu verwenden sei und wir hatten uns gegenseitig versprochen, unser neues Leben sogleich auf die mustergültige soldatische Art und Weise anzupacken. Folglich eilten wir unmutig in den Waschsaal, wo wir uns mit kaltem Wasser rasierten, gründlich wuschen und schnellstmöglich in unsere unbeheizte Baracke zurückrannten. Wir fühlten uns körperlich wie moralisch erfrischt, aber unser heldenhaftes Beispiel schien auf unsere französischen und amerikanischen Fliegerkameraden keinen Eindruck zu machen. Tatsächlich gab keiner von ihnen auch nur einen Mucks von sich, bis sie exakt zehn Minuten vor dem Appell entlang der gesamten Bettenreihe ihre Decken von sich schleuderten. Es war, als hätte man die Patienten eines Hospitals mit einem allheilenden Wunderserum geimpft. Männer sprangen in einer Bewegung gleichzeitig in ihre Hosen und Stiefel und hetzten zwischen dem Waschraum und der Schlafbaracke hin und her, wobei sie sich in aller Eile die Gesichter trockneten und die Hemden zuknöpften. Die Effizienz dieses gutgeölten Systems musste auf monatelangen Versuchsreihen beruhen, bei denen jeder Einzelne bis zum letztmöglichen Moment in seinem Bett verblieb. Sie machten keinen Hehl daraus, wie stolz sie auf diesen ausgeklügelten Ablauf waren, aber trotzdem war ihnen merklich wohler zumute, als Drew und ich nach einer Woche heroischer frühmorgendlicher Anstrengungen endlich vom täglichen Test unserer Manneszucht abließen. In jedem von uns steckt wohl ein Doktor Johnson. [Anm. d. Übers.: Dr. Samuel Johnson veröffentlichte 1755 nach neunjähriger Arbeit ein vielbewundertes und über Jahrhunderte einflussreiches Wörterbuch der englischen Sprache, das über 40.000 Wörter des englischen Sprachschatzes nach einer praktischen, alltagstauglichen Systematik gliederte.]

Es war ein strahlender, windstiller Morgen - ein ausgezeichneter Flugtag. Die Mechaniker rollten bereits die Maschinen auf das Flugfeld und reihten sie vor den Hangars auf. Dort standen sie für unsere morgendliche Arbeit bereit, die unmittelbar auf den Appell folgte. Drew und ich hatten die Order erhalten, unverzüglich mit unserer Fliegerausbildung zu beginnen. Einige Landsleute, die sich um unser Wohlergehen zu sorgen schienen, hatten uns ermahnt, unsere vollständige Fliegerkleidung anzulegen. Wir sollten dabei auf keinen Fall unsere Pilotenbrillen vergessen und auch tunlichst in unsere pelzgefütterten Stiefel schlüpfen, die als Schutz vor der Kälte über den normalen Stiefeln getragen werden. In unserer Unwissenheit befolgten wir penibel alle ihre Ratschläge. Die Lächerlichkeit unserer Erscheinung können wohl nur Piloten gänzlich ermessen. Neulinge beginnen ihre Ausbildung an einer Blériot-Eindecker-Schule in sogenannten "Pinguinen", untermotorisierten Maschinen mit gekürzten Tragflächen, die nicht von der Erde abheben können. Wir hatten uns in unsere volle Montur geworfen, wie wir sie erst bei ausgedehnten Flügen in großer Höhe benötigen würden. Alle, Amerikaner wie Franzosen, lachten sich schlapp auf unsere Kosten, aber auch wir beiden mussten uns die Komik unseres Anblicks bald lachend eingestehen. Um jegliche Peinlichkeit, die wir noch innerlich verspüren mochten, gleich im Keim zu ersticken, ließ uns ein freundlicher adjutant-moniteur durch einen Dolmetscher mitteilen, dass er sicher sei, wir hätten das Zeug zu ausgezeichneten Piloten. Ein très bon pilote sei bereits als Flugschüler an der Art und Weise zu erkennen, wie er seine Pilotenbrille trüge.

Der Anfängerkurs wurde getrennt von den anderen Klassen unterrichtet, da die Pinguine in unerfahrenen Händen ungeplante Umwege von beträchtlicher Länge zurücklegten, indem sie kreuz und quer über das Flugfeld rollten. Drew und ich hatten also Zeit und Muße, zuerst die anderen Schüler zu beobachten und die Ausbildungsmaschinerie, mittels derer Frankreich seine Kampfpiloten auf Vordermann bringt, in Aktion zu erleben. Abgesehen von den Pinguinen existieren sieben Klassen, die gemäß dem Ausbildungsstand ihrer Schüler unterteilt werden. Sie lauten, in Reihenfolge des stetig wachsenden Anspruchs: die rollende Klasse (eine gehobene Pinguin-Klasse, die zwar ebenfalls den Boden nicht verlässt, aber in schnelleren Maschinen umherrollt), die erste Flugklasse (kurze Hüpfer über das Flugfeld in einer Höhe von zwei bis drei Metern), die zweite Flugklasse (hier steigt man in Höhen von 30 bis 50 Metern auf und lernt, mit abgestelltem Motor zu landen), die tour de piste-Klasse A (Rundflüge um den Flugplatz in einer Blériot mit 45 PS), die tour de piste-Klasse B (ähnliche Rundflüge in einer 50 PS-Maschine), die Korkenzieherklasse und die Abschlussklasse.

Unser einsames Empfangskomitee vom Vortag bot uns seine Dienste als Führer an und geleitete uns von Klasse zu Klasse, wobei er jeweils in seinem eigentümlichen Mischmasch aus Englisch und amerikanisiertem Französisch einige Worte über den Ablauf ihrer Aufgaben verlor. Ich verstand nur wenig von seinen Ausführungen, lernte im Laufe der Zeit seine Übersetzungen von einigen unserer beschwingteren Amerikanismen ins Französische jedoch durchaus zu schützen. Seine Erläuterungen waren auch zum größten Teil unnötig, denn wir sahen ja mit eigenen Augen, wie die angehenden Piloten von einer Klasse in die nächste aufrückten, sich mit stetig leistungsfähiger werdenden Maschinen vertraut machten und ihnen ganz allmählich "ihre Flügel wuchsen", bis sie schließlich die Korkenzieherklasse erreichten, wo sie lernten, an einer festgelegten Stelle aus einer Höhe von 800 bis 1.000 Metern bei abgestelltem Motor zu landen, indem sie im Gleitflug und im spiralförmigen Sinkflug an Höhe verloren. Die letzten Aufgaben vor dem Erlangen eines militärischen Ranges bestanden aus zwei Überlandflügen von 200 bis 300 Kilometern Länge mit jeweils drei Zwischenlandungen an vorbestimmten Punkten sowie aus zwei kurzen Flügen von 60 Kilometern Länge und einem einstündigen Flug in einer Mindesthöhe von 2.000 Metern.

Inmitten all der gleichzeitig stattfindenden Aktivitäten des Schulbetriebs waren wir so aufgeregt wie zwei Knaben bei ihrer ersten Zirkusvorstellung. Wir wussten kaum, wo wir zuerst hinschauen sollten, um ja nichts zu verpassen. Dabei hatte ich stets meine Hauptsorge im Hinterkopf, nämlich, wie ein englischsprechender élève-pilote die Sprachbarriere überwinden könnte. Mein Unbehagen wurde allerdings bereits an diesem ersten Morgen zerstreut, als ich sah, wie effizient der Großteil dieser Schwierigkeiten ausgeräumt wurde. Viele der Amerikaner sprachen nur das spärliche Französisch, das sie seit ihrem Eintritt in französische Dienste aufgeschnappt hatten und das, wie ich bereits angedeutet habe, kaum einen praktischen Nutzen besaß. Durch die freundliche Unterstützung des Franko-Amerikanischen Komitees in Paris stand uns ein Dolmetscher zur Verfügung, aber natürlich war es ihm unmöglich, überall gleichzeitig zu sein und so waren die Amerikaner häufig auf ihre eigene rasche Auffassungsgabe sowie die Findigkeit der moniteurs angewiesen. Diese verfügten über eine sehr beredte Gestik, wie sie allen Franzosen zu eigen ist. Unter Zuhilfenahme einiger englischer Ausdrücke, die sie von den Amerikanern gelernt hatten und der Verwendung eines vereinfachten französischen Wortschatzes bereitete es ihnen keine großen Schwierigkeiten, uns ihre Absichten zu vermitteln. Während wir ihnen zuhörten, gewannen Drew und ich zusehends an Selbstvertrauen, denn wir merkten, dass wir sie gut verstanden.

Doch nun zum eigentlichen Akt des Fliegens: Solange wir den anderen von der Erde aus zusahen, schien es uns die sicherste und einfachste Sache der Welt zu sein. Die Maschinen hoben mit einer solchen Leichtigkeit vom Boden ab und stiegen und sanken mit dermaßen traumwandlerischer Sicherheit, dass ich es kaum erwarten konnte, mit meiner Ausbildung zu beginnen. Ich glaubte, ich könne nach einigen Minuten grundsätzlicher Einweisungen sofort losfliegen, ohne vorher erst mühselig in untermotorisierten Maschinen auf dem Flugfeld umherrollen zu müssen. Doch noch bevor die morgendlichen Übungen zu Ende waren, änderte sich meine Meinung grundlegend: Die Unfälle begannen sich zu häufen. Der erste ereignete sich, als einer der "alten Familienkuckucks", wie die rollenden Maschinen verächtlich genannt werden, in einem unerklärlichen Anfall von Unternehmungslust plötzlich vom Boden abhob und mit alarmierender Geschwindigkeit aufzusteigen begann. Es war offensichtlich, dass der Bursche hinter dem Steuerknüppel hiervon vollkommen überrascht war, in Panik verfiel und völlig kopflos seine Steuerelemente bearbeitete. Zuerst schoss er steil nach oben, dann tauchte er ab, wobei er gefährlich über eine Tragfläche abkippte. Durch diesen unerwarteten Notfall überrascht, hatte er schlagartig all sein neu erlerntes Wissen vergessen. Ich fragte mich, was ich wohl in solch einer misslichen Lage tun würde, wenn alles von der Schnelligkeit und Sicherheit des eigenen Instinktes abhängt. Das Herz klopfte mir bis in den Hals, denn ich war mir sicher, dass dieser Mann ums Leben kommen würde. Soweit es die übrigen Zuschauer betraf, so schien keiner von ihnen sonderlich aufgeregt zu sein. Ein neben mir stehender moniteur sagte in ruhigem Tonfall: "Oh, là là! Il est perdu!" Die ganze Sache geschah so schnell, dass ich noch dabei war, mich in die Lage des Piloten zu versetzen, als auch schon alles vorüber war. Die Maschine stürzte schließlich aus einer Höhe von etwa 50 Metern steil nach unten, richtete sich noch einmal auf, sackte erneut durch und schlug in Seitenlage auf der Erde auf. Das Krachen ging mir durch Mark und Bein und der Motor lief noch immer auf Hochtouren. Für einen kurzen Moment ragte das Wrack mit dem Heck senkrecht in die Luft, dann verlor es die Balance, stürzte auf den Rücken und lag vollkommen still da.

Ein geschäftstüchtiges kinematographisches Unternehmen hätte ein Vermögen gezahlt, um diesen Unfall filmen zu können. Er hätte einen bewegenden Höhepunkt in einem Kriegsdrama über Abenteuer in luftigen Höhen abgegeben. Das zivile Publikum hätte das Geschehen auf der Leinwand in atemloser Stille gebannt verfolgt, aber in einer militärischen Flugschule fielen die Reaktionen etwas anders aus. "Oh, là là! Il est perdu!" stellte hier bereits den Gipfel der der emotionalen Anteilnahme dar, die dem Ereignis beigemessen wurde. Zu diesem Zeitpunkt erstaunte mich diese scheinbare Gefühlskälte, aber ich konnte sie besser verstehen, nachdem ich selbst etliche solcher Unfälle beobachtet und zugesehen hatte, wie die Piloten (so auch in diesem ersten Fall) unter den Trümmern hervorkrochen und verschüchtert und etwas benommen zu ihren Klassen zurück taumelten. Obgleich die Maschinen regelmäßig spektakulär zu Bruch gingen, wurden die Flugschüler nur selten ernsthaft verletzt. Das Fahrwerk einer Blériot ist so stabil gebaut, dass es selbst die Wucht eines heftigen Aufpralls auffangen kann und da sich der Motor in der Nase des Flugzeugs befindet, schlägt er als erstes auf den Boden auf und kann den Piloten nicht unter sich einklemmen.

Schauen wir von meinem ersten Tag aus ein wenig in die Zukunft: In mehr als vier Monaten des Ausbildungsbetriebs an der Blériot-Schule gab es keinen einzigen Todesfall, obgleich im Laufe eines Tages bis zu elf und selten weniger als zwei oder drei Maschinen zu Bruch gingen. Es ereigneten sich dermaßen viele Unfälle, dass ich die Überzeugung gewann, die Ausbildung von Neulingen in Blériot-Maschinen sei aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ein schwerer Fehler. Die Kosten der Instandhaltung des Fuhrparks übersteigen jene der Flugschulen mit zweisitzigen Doppeldeckern um ein Vielfaches. Dort erlernt der Schüler das Fliegen nicht nur in einer wesentlich leichter zu kontrollierenden Maschine, er unternimmt seine ersten Flüge auch in Begleitung eines moniteurs, der über seine eigenen Steuerelemente verfügt und alle Fehler des Schülers sogleich korrigieren kann. Frankreich sorgt sich bei der Ausbildung seiner pilotes de chasse jedoch nicht um die Kosten und man scheint der Meinung zu sein, die Ausbildung in einem einsitzigen Eindecker sei für den angehenden Jagdflieger vorzuziehen. Es ist sicher wahr, dass ein Mann ein größeres Selbstvertrauen aufbaut, wenn er das Fliegen von Beginn an auf sich selbst gestellt erlernt. Zudem bereitet die Blériot den Piloten durch ihre äußerst empfindliche Handhabung in hervorragender Weise auf die Nieuport und die Spad vor, jene schnellen und leistungsstarken Doppeldecker, die als avions de chasse über den französischen Frontlinien ihren Dienst versehen.

Die Aufregungen des Morgens wurden um einen weiteren Nervenkitzel bereichert, als ein Amerikaner, seinem französischen Kameraden nacheifernd, seine Maschine dermaßen gründlich zertrümmerte, dass es unmöglich schien, er könne die Sache ohne schwerste Verletzungen überlebt haben. Und doch kam er praktisch ungeschoren davon. Anschließend hatten wir das Vergnügen, dabei zuzusehen, wie er, ohne ein Wort Französisch sprechen zu können, mittels des Dolmetschers zu erklären versuchte, wie sich der Unfall ereignet hatte. Auf dem Gesicht seines moniteurs, der kein Englisch sprach, sah ich ein erleichtertes Grinsen, als der Amerikaner unter dem Wrack hervorkroch. Unser Empfangskomitee flüsterte mir zu: "Den da nennen wir 'Pourquoi' und er ist der größte Schreihals, den wir hier haben. Er eröffnet seinen Wortschwall stets mit der Frage 'Pourquoi?' und wenn er dann so richtig loslegt, hört man ihn vom einen Ende des Feldes bis zum anderen. Attendez! Jetzt wird's lustig!" Die beiden begannen gleichzeitig zu sprechen, der moniteur auf Französisch und der Amerikaner auf Englisch. Nach ihren Wortsalven wandten sie sich dem Dolmetscher zu und einem Betrachter der Szene musste es aus der Entfernung so erscheinen, als sei der Dolmetscher der Schuldige. Der Amerikaner war bei Rückenwind aufgestiegen. Dies stellte für einen Piloten einen ernsthaften Patzer dar und natürlich wusste er das auch.

"Hör' mal, Pete" sagte er, "mach' ihm begreiflich, dass mir klar ist, dass es mein Fehler war. Sag' ihm, ich hätte einen Steve Brodie hingelegt. Ich wollte mal schauen, was man aus dem alten Kuckuck so rausholen kann. Als ich…" [Anm. d. Übers.: Steve Brodie erlangte nationale Berühmtheit, als er 1886 einen Sprung aus 41 Metern Höhe von der New Yorker Brooklyn Bridge in den East River überlebte. Sein Name wurde ein Synonym für tollkühnen Wagemut.]

"Pourquoi? Nom de Dieu! Qu'est-ce que je vous ai dit? Jamais faire comme ça! Jamais monter avec le vent en arrière! Jamais! Jamais!"

Die Umstehenden lauschten in belustigter Stille, während der Dolmetscher erst den einen, dann den anderen anstarrte.

"Sag' ihm, ich hätte einen Steve Brodie hingelegt!"

Ich fragte mich, ob er das wohl wörtlich übersetzen würde. Steve hatte sich zwar auf ein enormes Wagnis eingelassen, aber man kann wohl nicht davon ausgehen, dass die Geschichte dieses unerschrockenen Herrn einem Franzosen geläufig wäre. Dabei fällt mir gerade eine kleine Ansprache ein, die uns ein englischsprechender moniteur zu einem späteren Zeitpunkt hielt, um unser Draufgängertum ein wenig zu bremsen. Es war nach einem recht schweren Unfall, für den erneut der Geist Steve Brodies verantwortlich war. "Bedenkt, eines, ihr Amerikaner" sagte er, "wenn ihr erst einmal an der Front seid, werdet ihr auf die Boches treffen und lasst mich euch eines sagen: sie werden viele von euch töten. Nicht einen oder zwei, sehr viele!"

Die Unfälle behinderten den Flugbetrieb kaum. Sobald eine Maschine zu Bruch gegangen war, erschienen einige Annamiten an der Unfallstelle, um die Wrackteile einzusammeln und sie in die Werkstätten zu schaffen, wo alle noch brauchbaren Teile zügig aussortiert wurden. Einmal folgten wir einer dieser Schrottkarawanen auf ihrem Weg in die Hallen und verbrachten dort eine Stunde damit, die Arbeit dieses Zweiges der Luftfahrt zu beobachten, von dessen Anstrengungen der unsere so vollkommen abhing. Hier wurden unsere Maschinen sowohl gebaut als auch repariert. Die Luft war erfüllt vom Summen der Gerätschaften, dem Dröhnen von Hämmern, die auf Ambosse schlugen und dem Röhren von Motoren, die auf ihre Funktionstüchtigkeit geprüft wurden.

Es gab auch ein kleines Heer von Frauen, die allerlei Arten von Arbeiten verrichteten. Sie entwickelten dabei ein recht beachtliches Geschick, besonders in jener Abteilung, wo der strapazierfähige Leinenstoff, der die Tragflächen bedeckt, verwoben und über die Holzrahmen gespannt wurde. Die großgewachsenen, stämmigen Bäuerinnen konnten auch die schwerste körperliche Arbeit verrichten. In diesen fortgeschrittenen Tagen des großen Weltkrieges ist die weibliche Arbeitskraft wohl in jeden Bereich vorgedrungen, mit Ausnahme des Schützengrabens. Doch so körperlich stark sie auch sein mögen, es ist nicht angenehm, wenn man sieht, wie sie die anstrengende, grobe Arbeit eines Mannes verrichten und schwere Lasten auf ihren Schultern tragen, als seien sie Packpferde. Es muss inzwischen einige unter diesen Frauen geben, deren Muskeln so gestählt und deren Hände so schwielig sind wie die eines Hafenarbeiters. Als wir einige Monate später an eine andere Flugschule (eine der größten in Europa) verlegt wurden, bemerkten wir, dass dort in noch weitaus höherem Maße auf weibliche Arbeitskraft zurückgegriffen wurde. Sie lebten in Baracken, die in keinerlei Hinsicht komfortabler waren als die unseren – ­tatsächlich waren sie eher noch etwas spartanischer – und doch betrugen sie sich wie alte Soldaten und machten das Beste aus ihrer Lage.

Gegen Abend frischte der Wind auf und der reguläre Flugbetrieb wurde eingestellt. Nun wurden die Pinguine aus ihren Hangars hervorgeholt und Drew und ich (unsere Bekleidung hatten wir zwischenzeitlich auf ein vernünftiges Maß reduziert) begaben uns in Begleitung einiger weiterer Amerikaner auf das Flugfeld, um unseren ersten Ausflug hinter dem Steuerknüppel anzutreten. Wie bei derlei Anlässen üblich, herrschte kein Mangel an guten Ratschlägen. Jeder Absolvent der Pinguin-Klasse hatte seine eigene Methode entwickelt, diesem bockigen Vogel einen geradlinigen Kurs aufzuzwingen und jeder von ihnen ließ uns bereitwillig den Nutzen seiner eigenen Erfahrungen angedeihen. Aus dem Schwall ihrer Empfehlungen kristallisierten sich schließlich ein oder zwei wesentliche Punkte heraus: Zuerst war es wichtig, Vollgas zu geben und das Heck vom Boden hoch zu bekommen. Dann war es zumindest theoretisch möglich, die Maschine durch geschickten Einsatz des Seitenruders auf einer einigermaßen geraden Linie zu halten. Sollte der Pinguin jedoch, wie es für gewöhnlich geschah, ein Eigenleben entwickeln und beginnen, sich um seine Gierachse zu drehen, so musste man den Motor abwürgen, bevor sich die Maschine so schnell drehte, dass sie auf die Seite kippte.

In meinem ganzen Leben habe ich keinen seltsameren Anblick erlebt als den eines Schwarmes Pinguine bei der Arbeit. Sie erschienen mir wie eine Rotte prähistorischer Vögel von immenser Größe, deren verkümmerte Schwingen ihnen das Fliegen verwehrten. Es waren dies in der Tat äußerst behäbige Vögel, die da von den Fluganfängern umhergefahren wurden (obgleich es häufig unklar war, ob nun der Pilot oder die Maschine den Kurs bestimmte) und doch rasten sie mit beachtlicher Geschwindigkeit über den Boden dahin, wobei sie wilde Haken schlugen und umherwirbelten, als jagten sie ihren eigenen Schwänzen nach. Während wir das Treiben beobachteten, ereignete sich ein Unfall, der wohl für einiges Gelächter gesorgt hätte, wären wir nicht zu aufgeregt gewesen, um die Komik zu erkennen. Am fernen Ende des Flugfelds sausten zwei außer Kontrolle geratene Maschinen umher. Sie hätten jede Menge Platz gehabt, einander auszuweichen, aber nach einem kurzen Moment zögerlichen Schlingerns hielten sie wie von der Hand eines argwilligen Schicksals gesteuert direkt aufeinander zu und krachten frontal ineinander, wobei ihre Propeller vollkommen zerfetzt wurden. Die Zuschauer, die das Flugfeld säumten, heulten vor Lachen auf und schlugen einander vor Entzücken auf die Schultern. Drew und ich hingegen sonderten uns vom allgemeinen Trubel ab und wechselten einige letzte hastige Worte, denn wir waren nun an der Reihe. Wir sagten immer wieder die nötigen Schritte zum Steuern eines Pinguins auf: Vollgas und sofort das Heck hoch. Durch den Dolmetscher erklärte unser moniteur sehr sorgfältig, was wir tun sollten und er stieg auf das kleine Einstiegstreppchen, um uns in der Kanzel den Gashebel und den Coupe-contact-Knopf zu zeigen. Dann tat er einen Schritt zurück und rief: "Allez! En route!", wobei er ein Lächeln aufsetzte, das wohl ermutigend sein sollte.

Ich legte den Sicherheitsgurt an, zurrte meine Fliegerhaube fest und nickte meinem Mechaniker zu.

"Coupe, plein gaz" sagte er.

"Coupe, plein gaz" wiederholte ich.

Er versetzte den Propeller in Drehung, um das Treibstoffgemisch anzusaugen.

"Contact, reduisez."

"Contact, reduisez."

Erneut wirbelten die Propellerblätter im Kreis und der Motor sprang an. Ich zog den Hebel in die Vollgasposition und schon rollte ich mit einer Geschwindigkeit dahin, die mir damals geradezu halsbrecherisch erschien. Meine Anweisungen kamen mir in den Sinn, ich drückte den Hebel nach vorne, der die Höhenruder steuert und sofort schoss mein Heck in einem dermaßen steilen Winkel nach oben, dass ich unverzüglich und beinahe instinktiv den Gashebel in die Nullstellung rammte. Mein Heck schnellte zurück auf die Erde und die Maschine begann im Kreis zu wirbeln – ich hatte mein erstes cheval de bois hingelegt, wie dieses lächerlich aussehende Manöver genannt wird. Mir war völlig entfallen, dass ich über ein Seitenruder verfügte. Ich stellte mich an wie ein Mann, der gerade das Schwimmen erlernte und die separaten Bewegungen seiner Arme und Beine noch nicht zu koordinieren wusste. Mein Vogel schnurrte friedfertig bei langsam kreisenden Propellerblättern vor sich hin. Er schien vollständig gezähmt zu sein, aber ich wusste genau, dass ich nur an diesem einen Hebel ziehen musste, um die Maschine wieder in einen wilden Raubvogel zu verwandeln. Bevor ich wieder Fahrt aufnahm, schaute ich mich um und sah Drew, wie er kreuz und quer über das Flugfeld raste. Plötzlich hielt er genau auf mich zu, so als sei sein ganzer Wille darauf ausgerichtet, mich über den Haufen zu rennen. Glücklicherweise würgte er seinen Motor ab und mit tatkräftiger Hilfe des Trägheitsgesetzes kam er kaum zwölf Schritte von mir entfernt zum Stehen.

Wir drehten unsere Maschinen, bis sie Heck an Heck standen und sausten in entgegengesetzten Richtungen davon, aber bereits kurze Zeit später hatte ich es irgendwie fertiggebracht mich an sein Heck zu heften und ich jagte hinter ihm her. Es schien beinahe, als besäßen diese teuflischen Vögel ihren eigenen, unbändigen Willen. Plötzlich vollzog Drews Maschine eine enge Wende, ganz so, als sei sie der Schande meiner Verfolgung überdrüssig. Wir sausten aneinander vorbei, aber es war eine knappe Angelegenheit und da ich mir auf die Schnelle nicht anders zu helfen wusste, würgte ich meinen Motor ab und musste hilflos auf meinen Mechaniker warten. In der Ferne, an unserem Startpunkt, konnte ich die Amerikaner sehen, wie sie mit den Armen herumfuchtelten und sich vor Lachen aneinander abstützen mussten. In diesem Moment begriff ich, warum sie so darauf erpicht gewesen waren, uns zum Flugfeld zu begleiten. Sie selbst hatten all dies ebenfalls durchlitten. Jetzt kamen sie bei unserem Anblick auf ihre Kosten. Ich konnte ihre Ausrufe hören, auch wenn ihre Stimmen schon sehr dünn und schwach klangen: "Warum kommst du nicht zurück zu uns?" schrien sie. "Hierher! Hier sind wir! Hier ist deine Klasse!" Sie waren so vergnügt wie noch nie zuvor in ihren erbärmlichen Leben und natürlich wussten sie genau, dass wir zu ihnen zurückkehren würden, wenn es uns nur irgend möglich wäre.

Schließlich hatten wir den Bogen einigermaßen raus und kehrten zur Gruppe zurück, wenn auch über beträchtliche Umwege. Nach unserer Rückkehr erklärte der moniteur erneut, was wir tun sollten. Wir sollten der Drehbewegung der Maschine mit dem Seitenruder entgegenwirken, ganz so, als würden wir ein Segelboot steuern. Nun waren wir uns der Schwierigkeiten vollkommen bewusst. Während meiner nächsten Fahrt fixierte ich eine Flagge am entfernten Rand des Flugfelds und erreichte sie ohne ein einziges cheval de bois hinzulegen. An dieser Flagge war ein Annamite postiert, der die wenigen Maschinen umdrehen sollte, die sich hierher verirrten und ich hätte ihn vor Glück küssen können. Ich hatte den Pinguin gemeistert! Ich hatte ihm meinen Willen aufgezwungen, ihn zur Befolgung meiner Befehle genötigt! Ich rollte in einer geraden Linie zurück über das Flugfeld und malte mir aus, wie sie mich wohl gerade alle anstarrten und der moniteur zweifelsohne einige anerkennende Kommentare von sich gab. Ich drosselte zum richtigen Zeitpunkt meine Geschwindigkeit und parkte meine Maschine triumphierend am Ausgangspunkt meiner Fahrt. Doch niemand hatte meinen glorreichen Ausflug gesehen. Nach meiner Rückkehr schenkte mir niemand die geringste Beachtung. Aller Augen waren himmelwärts gerichtet und als ich ihrer Blickrichtung folgte, sah ich die Silhouette eines Flugzeugs, das sich vor einer schneeweißen Wolke abzeichnete. Es brauste mit atemberaubender Geschwindigkeit dahin, bis es plötzlich senkrecht nach oben stieß, eine oder zwei Sekunden lang in der Luft zu stehen schien, sich langsam über eine Tragfläche abrollte und mit der Nase voran abwärts stürzte, wobei es gleich einem fallenden Stück Papier spiralförmige Drehungen vollführte. Das war die vrille, das schönste Kabinettstückchen, das fliegerische Kunstfertigkeit dem staunenden Zuschauer bieten konnte. Es war ein wundervoller, ein unglaublicher Anblick. Erst sieben Jahre zuvor hatte Blériot den Ärmelkanal überflogen und ein Jahr hiervor staunte die Welt über die Leistungen der Gebrüder Wright, die geradlinige Flüge von 15 bis 20 Minuten Dauer absolvierten!

Einer der Zuschauer zählte die Drehungen der vrille. Sechs, sieben, acht – dann fing der Pilot seinen Sturz ab, ging in den Geradeausflug über, drückte erneut seine Nase nach unten, um Geschwindigkeit aufzunehmen und flog in rascher Folge zwei Loopings. Hiernach zeigte er das retournment, wobei er im Steigflug eine enge Drehung vollzog und in entgegengesetzter Richtung weiterflog [Anm. d. Übers.: Hier scheint Hall das Manöver des retournment mit dem renversement, den deutschen Piloten als "Immelmann-Wende" bekannt, zu verwechseln. Während das Flugzeug beim renversement nach einer halben Drehung um die Gierachse in die entgegengesetzte Richtung weiterfliegt, behält es beim retournment nach einer ganzen Drehung seine ursprüngliche Flugrichtung bei]. Dann stieß die Maschine in einem weiteren spiralförmigen Sturzflug herab, flog in etwa 50 Metern Höhe über unsere Köpfe hinweg und landete so sanft auf der gegenüberliegenden Seite des Flugfelds, dass man nicht erkennen konnte, wie sie auf dem Boden aufsetzte. Der Pilot ließ sie zurück in Richtung der Hangars rollen und stoppte direkt vor uns. Wir versammelten uns um ihn herum, um die neuesten Nachrichten von der Front zu hören.

Dieser Ritter der Lüfte hatte die Frontlinien erst eine Stunde vorher verlassen! Zuerst war ich skeptisch, denn ich war noch meinem alten Denkschema über Entfernungen verhaftet, aber bald war ich überzeugt. Auf seiner Motorhaube prangte das gefährlich aussehende Vickers-Maschinengewehr, an dessen Seite ein langer Patronengurt baumelte und auf den Rumpf der Maschine waren die Insignien einer Escadrille gemalt. Der Pilot wurde erkannt, sobald er seine Haube und Brille abgenommen hatte. Einst war er ein moniteur an unserer Flugschule gewesen und einige der älteren Amerikaner kannten ihn noch gut. Er begrüßte uns alle sehr herzlich und in ausgezeichnetem Englisch und erklärte uns, wie er nach einem erfolgreichen Morgen über der Front seinen Captain um die Gefälligkeit eines freien Nachmittags gebeten hatte, um seine alten Freunde in Buc besuchen zu können. Sobald er aus seiner Maschine geklettert war, drängten sich alle von uns, die diesen neuen Typ eines französischen avion de chasse noch nicht kannten, um sie herum und untersuchten und bestaunten sie mit einem Gefühl der Bewunderung und Ehrfurcht. Sie war ein verblüffendes Meisterstück der Luftfahrttechnik und das Resultat der in mehr als zwei Jahren gesammelten Erfahrungen der militärischen Fliegerei. Hatte man die Maschine einmal in der Luft beobachtet, so fiel es einem schwer, sie als einen leblosen Gegenstand zu betrachten. Sie schien so lebendig und beseelt, ja beinahe menschlich. Ich konnte gut verstehen, warum einige Flieger förmlich an ihren Maschinen hängen und von ihrem Charakter und ihren individuellen Eigenheiten mit einer liebevollen Hingabe sprechen, wie es ein Reiter bei seinem Lieblingspferd tun mag.

Während die Mechaniker die Maschine unseres Gastes blankwienerten und die Treibstofftanks auffüllten, untersuchten Drew und ich sie genauestens und sprachen dabei mit gedämpften Stimmen, wie es in der Gegenwart dieser wunderbaren Apparatur angemessen schien. Wir stiegen auf das Einstiegstreppchen und sahen in die kompakte, kleine Kanzel hinein, wo der Pilot in einem luxuriös gepolsterten Sitz saß: Da waren sein Kompass, sein altimétre, sein Tourenzähler sowie die in ihrem Rahmen aufgerollte Landkarte, auf der mit einer roten Linie ein Kurs eingezeichnet war. Am Maschinengewehr war eine geniale Vorrichtung angebracht, mittels derer der Pilot es abfeuern und zugleich seinen Steuerknüppel fest im Griff haben konnte. Das MG feuerte direkt durch den Propellerkreis und verfügte über einen Mechanismus, der die Schüsse mit der Position der Propellerblätter abstimmte. Man wird verstehen, wie immens wichtig die Zuverlässigkeit dieses Mechanismus ist, wenn man bedenkt, dass sich ein Propeller durchschnittlich mit etwa 1.500 bis 1.900 Umdrehungen pro Minute dreht.

Mein Mütchen wurde gekühlt, als ich von diesem schneidigen Kampfflugzeug zu meinem kleinen, dreizylindrigen Pinguin mit seinen lächerlichen Stummelflügeln und seinem plumpen Heck zurückblickte. Noch vor wenigen Augenblicken war mir seine Geschwindigkeit als berauschend und die Beherrschung seiner Steuerung als ruhmreiche Errungenschaft erschienen. Während ich zu unserem Startpunkt zurückeilte, teilte ich Drew meine Gedanken mit und erklärte ihm, dass mein kurzer Moment des Triumphes bereits verflogen sei. Zuerst reagierte er nur mit einem Grummeln und flüchtigen Kopfnicken, woran ich erkannte, dass er mir nicht zuhörte. Kurz darauf begann er wieder von der Romantik zu schwärmen, der "Romantik von Abenteuern in luftigen Höhen", wie er es zu nennen pflegte. "All dies" – sein ausgestreckter Arm beschrieb einen weiten Bogen – "ist Beweis für den unbezähmbaren Drang des Menschen nach Romantik. Der Krieg selbst ist eine Manifestation dieses Dranges, er kanalisiert ihn und dient als Ventil für all die aufgestauten Begierden, welche in Friedenszeiten keinen Auslass finden. Romantik wird stets ein subtiler und manchmal auch ein offensichtlicher Grund für den Ausbruch von Kriegen sein, selbstverständlich ein indirekter Grund, aber deswegen nicht weniger real. Die Begierde nach Romantik ist einer der Anlässe für Millionen von Männern, dermaßen bereitwillig den Krieg aus den Händen jener kleinen Grüppchen von Diplomaten zu empfangen, welche mit ihren Aktionen das Schicksal der Mehrheit bestimmen."

Eine halbe Stunde später sahen wir dem kleinen Doppeldecker nach, wie er in den Abendhimmel aufstieg und da glaubte ich, das Wesen von Drews Schwärmerei verstehen zu können und zu begreifen, mit welcher unbändigen Vorfreude er dem Zeitpunkt entgegensah, da auch wir all die Freuden des freien, grenzenlosen Fliegens kosten würden. Höher und höher stieg die Maschine empor, wobei sich gelegentlich das Sonnenlicht in kleinen Lichtblitzen auf ihren silbernen Tragflächen spiegelte und sie wurde kleiner und kleiner, bis sie in nördliche Richtung fliegend im goldfarbenen Dunst verschwand. Es war 16.00 Uhr. Eine Stunde darauf würde der Pilot über seinem Flugplatz an der Champagne-Front kreisen.


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