Читать книгу Oooh, Dicker, mein Dicker ... - Jamo Mantam - Страница 10

DAS GEHT DOCH NOCH

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Manchmal, in einer stillen Stunde, wenn also Ruhe um mich herum eingekehrt ist – das heißt also, bei mir zu Hause in Piepshausen in meinem stillen Kämmerchen, – und nicht wieder ER hinter mir her gekrochen kommt, da frage ich mich bei meiner Treu und Seele, was wohl geschähe, wenn wir tatsächlich unser gesamtes Hab und Gut zusammen geschmissen und ein gemeinsam Heim bezogen hätten …

Im Prinzip weiß ich die Antwort: Ich könnte mich schlicht nicht mehr unter die Leute trauen. Denn im Prinzip verhält es sich ja so, dass ein Dasein an seiner grünen Seite grundsätzlich mit Theater und Schwierigkeiten einhergeht, wo auch immer wir uns gerade aufhalten. Innerhalb der eigenen vier Wände wird gepoltert und gescheppert, da wird lauthals durch die Bude geplärrt, wenn’s mal wieder nicht ganz so läuft, wie man sich das vorstellt, da wird lamentiert und krakeelt, die Nachbarschaft poltert gegen die Wände, der Knatsch ist da, die Hausverwaltung verwarnt und verwarnt …

Leise machen geht bei ihm nicht. Leise bleiben ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wo er geht oder steht, irgendwo kracht und knallt immer irgendwas. Und wenn er nur den Klodeckel plumpsen lässt.

In meiner über achtjährigen Dressurtätigkeit habe ich ihn ja immerhin schon mal so weit, dass er seine Glotze so weit herunter dreht, dass nicht der halbe Wohnblock zur Polizei rennt wegen Ruhestörung. Ich war monatelang auf der Suche nach Hausschuhen für ihn, die überdurchschnittlich trittdämmend wirken, damit die Mieter unter ihm kein Knalltrauma erleiden. In der Küche habe ich sämtliche Schranktürchen innen mit einem Streifen Filz beklebt, damit es nicht so fürchterlich knallt, wenn er etwas aus selbigen Schränckchen entnimmt oder hineinfügt. Wenn er mit Geschirr und Kochtöpfen hantiert, – davon möchte ich gar nicht reden. Und für das WC besorge ich demnächst eine so genannte Absenkautomatik.

Gegen sein lautes Organ ist mir noch keine Lösung eingefallen, außer dass ich von Freitagabend bis Sonntagnachmittag meine ständige Litanei von „Schrei doch nicht so!“ und „Nicht so laut!“ und „Plärr doch nicht so rum!“ von mir gebe. Mehr kann ich nicht tun. Diese Beschwichtigungssätze sind mittlerweile zu meinem heiligen Mantra geworden. Ich merke das schon gar nicht mehr. Wenn wir uns in der Stadt treffen und er mir sein glückliches „Hallooo, meine Kleenä!“, entgegen schmettert, dann sage ich automatisch nicht: „Hallo, mein Schatz!“ oder „Schön, dich zu sehen!“, sondern meine Begrüßung lautet verhalten: „Nu schrei doch nicht so …“ Und dann schreit er zurück: „Ick schrei doch jar nich’!“

Aber es ist wirklich so. Wenn er ums Eck herum gestapft kommt, sieht die gesamte Nachbarschaft rot. Ist er zu Hause, gilt für die Wohnsiedlung der Ausnahmezustand. Befindet er sich außer Haus, werden in besagter Wohnsiedlung drei Kreuze geschlagen und man betet inbrünstig um einen tödlichen Verkehrs-Fahrradunfall für ihn. Ist dieser nicht eingetreten, steht die Nachbarschaft wieder Kopf.

Und wenn wir gemeinsam mal unterwegs sind, fallen wir grundsätzlich unangenehm auf. Weil er laut ist! Weil er sich nicht benehmen kann! Weil er sich in Bezug auf Etikette keinen Reim drauf machen kann! Die Axt im Walde! Eine mentale Dreckschleuder vor dem Herrn!

Und ich mitten drinnen …

Weil es ihm eben keiner beigebracht hat, wie man sich in seinem sozialen Umfeld zu verhalten hat. Und da er so gesehen gar kein soziales Umfeld besitzt, da er jeglichen sozialen Versuch zum Umfeld grundsätzlich vor den Kopf stößt, gibt’s nicht mehr viel an sozialer Zuwendung, die er noch ansteuern könnte. Er verfügt über einen Haufen Nachbarn um sich herum, die allesamt das Kriegsbeil ausgraben, sobald er auf der Matte steht, – und er hat MICH. Als soziales Umfeld reicht ihm das. Bis auf ganz wenige Ausnahmen haben sich all die dezent und stillschweigend aus seinem Dunstkreis zurückgezogen, die vermutlich ein friedliches und beschauliches Dasein der Anwesenheit einer stets auf Hochtouren laufenden Krawallschachtel vorziehen und schlicht keine Lust haben, sich ununterbrochen auf die Füße treten oder vergrätzen zu lassen. Und dies dann alles unter der Prämisse: Ich hab recht, und wehe, mir kommt einer krumm!

Er ist also nur portionsweise zu genießen …

Fest steht: der Kasper, den ich mir an die Backe geklebt habe, weist folgende vorstechende Wesensmerkmale auf:

1 er hat keine Manieren

2 er geht durchs Leben wie ein Berserker

3 er schreckt vor nichts zurück.

Offenbar nicht einmal vor einer Lebensmittelvergiftung …

Wie das jetzt? Wieso Lebensmittelvergiftung? Was hat eine Lebensmittelvergiftung mit einem nicht vorhandenen sozialen Umfeld samt nicht vorhandener Umgangsformen zu tun?

Jaaa, Leute! Das hängt alles miteinander zusammen, muss man wissen! Denn mit dieser Unerschrockenheit, mit der er durchs Leben scheppert, begegnet er beispielsweise auch dem Inhalt seines – Kühlschrankes …

Ich muss zugeben, zu Anfang unserer Beziehung habe ich mal lieber noch nichts gesagt, wenn ich Zeuge wurde, wie er sich in regelmäßigen Abständen mit wölfischer Leidenschaft über die Produkte in eben jenem Kühlschrank her machte. Ich für meinen Teil hielt mich bei der gemeinsamen Nahrungsaufnahme mit an Angst grenzendem Misstrauen an eben jene Dinge, die mir zum Verzehr halbwegs unbedenklich erschienen. Hauptsächlich an Marmelade und frisch geöffnete Büchsenwurst. Denn wenn man noch ganz verliebt ist und der Himmel noch voller Geigen hängt, hält man sich mit Kritik und Vorhaltungen noch vehement zurück und hegt die leise Hoffnung, dass sich alles, was einem an seinem Liebsten nicht gefällt, mit der Zeit einer Besserung zuwenden mag. Ich hielt meine Klappe und beobachtete argwöhnisch, wenn zum Frühstück oder Abendessen Lebensmittel aus dem Kühlschrank auf den Tisch und somit in meine Reichweite gelangten, die meiner Meinung nach nicht mehr nur das Verfallsdatum weit, weit hinter sich gelassen hatten, sondern offensichtlich schon kurz vor der Mumifizierung standen. In meinem von Geigen verhangenen Liebeshimmel versuchte ich mir vor Augen zu halten, dass dieser Mann vor mir ein armer Mann war und furchtbar viel sparen musste. Aber irgendwie wollte sich bei mir dennoch nicht das Verständnis für jene verarmte Ernährungsform einstellen, die sich mir hier darbot.

Dass ich mit dieser meiner Einschätzung allerdings völlig auf dem Holzweg lag, wurde mir harsch und kurz und bündig klar gemacht, als wir eines schönen Abends wieder vor gedecktem Tisch saßen und ich mir mein obligatorisches Marmeladenbrötchen schmierte. Ihm selbst war vor einiger Zeit bereits aufgefallen, dass er in letzter Zeit unheimlich viel Marmelade kaufen musste. Aber damals hatte ich nur entgegnet, ich sei eben süchtig nach Marmelade, und ansonsten das Thema tot geschwiegen.

Bis zu jenem Abend X, als ich Farbe bekennen musste.

Während er sein Brot vertilgte, hielt er mir plötzlich und ohne Vorwarnung seine Wurstschüssel unter die Nase. Zwischen dem Zermahlen seines Nahrungsgutes nuschelte er: „Probia ma’ die Lebawurscht. Grob. Janz lecker!“

Ich riss die Augen auf und ahnte, dass ich mich ab sofort in einer entsetzlichen, ja nahezu liebestötenden Erklärungsnot befand. Vorsichtig beugte ich mich vor und starrte mit kaltem Grauen auf das Produkt seiner Leidenschaft, auf welches er liebevoll seinen Daumen drückte.

Tatsächlich. In der Schüssel tummelte sich unter anderem ein zipfeliges Etwas, eine Leberwurst ganz unverkennbar, offenbar schon etwas gesetzteren Alters, denn sie hatte sich in den langen Wochen, wenn nicht gar Monaten, in welchen sie diese Schüssel schon bewohnte, ein samtig grün-weißes Pelzchen wachsen lassen. Um es im Kühlschrank nicht mehr so kalt zu haben.

Langsam würgte ich an meiner Marmeladenstulle, bis ich behutsam hervorbrachte: „Ja, aber – die ist doch schon – äh …“, und verstummte. Er schluckte und funkelte mich unter seinen buschigen Augenbrauen verständnislos an.

„Wat? Wat is’nn damit?“

Ich deutete mit dem Finger darauf und entgegnete verhalten: „Die ist doch schon – kaputt.“

„Wie kaputt?“ Sein Blick huschte zwischen mir und dem Pelzträger hin und her.

„Na, die ist schon schimmelig“, wandte ich nun etwas entschlossener ein. „Die schimmelt doch schon!“ Um keinen Preis der Welt würde ich mir vergammelte Wurst andrehen lassen, und mochte der Himmel auch noch so voller Geigen hängen! Dafür hing ich einfach zu sehr an meinem Leben!

Ich konnte sehen, wie er sich ein böses Knurren verdrückte und sich um sanfte Aufklärung bemühte.

„Aach! Det is’ doch nich’ schlimm!“, argumentierte er, holte das Relikt längst vergangener Zeiten aus der Schüssel, säbelte ein Stückchen ab und zog das Fell herunter.

„Det is’ doch nur uff dea Pelle! Dat is' bloß oben druff! Dat machste ab, un’ dea Rest is' jut!“

In grenzenloser Gutmütigkeit legte er mir das entpellte Leberwursträdchen auf den Teller. Dies blinzelte ich eine Weile skeptisch an, bis ich mich in eine Ausrede flüchtete.

„Ich mag, ehrlich gesagt, keine Leberwurst“, was eine Lüge ist.

„Dann nimm vonner Salami!“, schlug er vor und titschte wieder in die Wurstschüssel. Daraus lächelten mich freundlich und grünfleckig ein paar aufgeschnittene Salamischeiben an. Spätestens jetzt rutschte mir die rosarote Brille, die ich seit unserer Bekanntschaft auf der Nase balanciert hatte, aus dem Gesicht.

Mit spitzem Finger deutete ich auf die angesprochene Salami und begann zu zetern.

„Ja, aber die ist doch auch schon hinüber!“ Nun wollte ich mich um keinen Preis mehr um meine körperliche Unversehrtheit bringen lassen! „Guck dir die doch mal an! Wie viele Jahre hast du die denn schon in deinem Kühlschrank sitzen? Die ist vergammelt! Wie die Leberwurst auch!“

„So ’n Quatsch!“, knurrte er zurück, angelte zwei der bedauernswerten Salamischeiben aus der Schüssel, breitete sie auf seinem Teller aus und begann, mit dem Messer daran herumzusäbeln. Und dann unterzog er mich einer Lektion.

„Die is’ noch bestens! Wenn se ’n bisschen anjeloof’n is’, schneidste dat wech, den Rest kannste problemlos ess’n. Is’ noch jut!“

Er knallte mir die abgeschnittenen Stückchen, die seiner Meinung nach noch jut waren, auf den Teller und brachte hierbei folgende Ausführungen zum Besten. Ich gebe sie hier notgedrungen auf Hochdeutsch wieder:

Das sei alles nur, weil wir jetzt die warme Jahreszeit hätten, und wenn er den Kühlschrank öffne, käme halt Wärme rein, und der Kühlschrank müsse längere Zeit aufwenden, um die Wärme wieder in Kalt umzuwandeln, und da sei es halt länger warm im Kühlschrank, was den Lebensmitteln ein wenig zusetze, aber kein Drama sei, denn auch wenn sie sich etwas verfärbten (also in allen Farben schillernd), seien sie noch jut, und wo kämen wir denn hin, wenn wir wegen jedem Bisschen Verfärbung und Schimmel alles gleich wegschmeißen würden, und da muss man mal ein bisschen toleranter sein und nicht immer gleich mit Pest und Schwefel rechnen, und im Osten hatten sie ja anfangs nicht mal einen Kühlschrank gehabt, und das ist ja schließlich auch gegangen, und wenn da mal was angelaufen war, dann war das auch kein Beinbruch, denn einfach wegschmeißen, das hat man sich doch gar nicht leisten könne, und und und …

Mir schwirrte der Kopf. Nach diesem heißblütigen Vortrag war ich kurz davor, entweder in Tränen auszubrechen oder ohnmächtig zu werden. Und um seinem Referat noch den Clou zu verpassen, riss er aus seinem Kühlschrank einen in Folie eingewickelten Schinkenklumpen zum Vorschein. Er kauft seinen Schinken stets klumpenweise, möglichst Bauchschinken, gut durchwachsen. Vor meinen Augen wickelte der den Batzen aus der Folie und präsentierte ihn stolz. Es war wirklich ein malerisches Stück, oben und unten bereits verziert von einer salzig grünlichen Pelzkruste.

„Det passiat inner waam’n Zeit nu ma’“, erläuterte er. „Un’ nu pass ma’ uff!“

Mit dem bepelzten Schinken ging er zum Spülbecken, nahm den Spülschwamm, mit dem er sonst beim Abspülen seine Töpfe und Pfannen auskratzt, zur Hand und rubbelte unter fließendem Hahnenwasser energisch seinen Schinken ab. Dann drehte er sich siegesbewusst zu mir um, hielt seine noch tropfende Trophäe in die Höhe und erklärte: „Det muss ma’ bloß ’n bisschen abkratz’n, denn jeht dat wieda. Dea is’ wieda picobello!“

Na ja. Picobello sah der Schinken nach dieser Abreibung zwar wieder aus, aber ich wollte gar nicht wissen, wie es um sein Innenleben bestellt war …

„Dat jeht doch noch!“, jubelte er.

Ich glaube, auf dieser Thematik brauche ich nicht mehr weiter herum zu reiten. In meines Liebsten Erfahrungswerten jeht dat alles noch, unsereinen schüttelt es bis ins Mark. Aber mit so etwas muss man vermutlich groß geworden sein, um nicht nach Genuss von Dat-Jeht-Doch-Noch mit Leibschmerzen und Brechdurchfall darnieder zu liegen.

Kürzlich kam ich nach der Arbeit Freitagabend zu ihm nach Brummelbach und zog während einer Inspektion aus seinem Kühlschrank etwas, das – ich kann es eigentlich gar nicht beschreiben – aussah wie ein paar zusammen gebackene grünblaue Putzlappen. Noch in der Verpackung. Die Verpackung allerdings schon geöffnet.

Ich weiß schon, wie das geht: Er hat das Zeug vor ein paar Wochen frisch gekauft, die Packung aufgerissen, um zu kosten, und dann alles in eine hinterste Ecke seines Kühlschrankes verstaut. Um das Ganze nun noch eine Weile schön nachreifen zu lassen, wie er das nennt.

Als ich den schmuddeligen Fetzen in die Höhe hielt, fragte ich: „Was ist DAS denn?“

Aus seiner Ecke kam die Antwort: „Det is Jrünländer Keese! Janz wat Leckeret!“

„Aber wenn Grünländer Käse drauf steht, heißt das doch noch lange nicht, dass du ihn auch grün werden lassen SOLLST!“, brüllte ich zurück.

Die Antwort: „Ach wat. Dat jeht noch. Dat wischste bloß ‘n bisschen ab, dann is’ dat noch jut.“

Im Laufe der letzten Jahre bin ich dazu übergegangen, mir bei meinen Besuchen in Brummelbach meine Frischwurst und meinen Käse immer selber mitzubringen. Seine These hieraus: „Du weest halt nich’, wat schmeckt …“

Na, schön. Soll er sich seinen Ekelkram schmecken lassen. Ich jedenfalls lege wenig Wert darauf, mit Maul- und Klauen- und weiß der Teufel was noch für Seuchen im Tropeninstitut in der Isolationsabteilung zu landen. Nur weil det ja allet noch jeht …

Die Ernährungspraktiken meines Herrn und Liebhabers haben sich mittlerweile bis in meine Firma herumgesprochen. Einst packte eine Kollegin einen Becher Frischquark aus, um ihn während der Arbeit nebenbei als zweites Frühstück zu verzehren. Als sie den Deckel abzog, lugte sie hinein, schnüffelte kurz und runzelte die Brauen.

„Oh je“, murmelte sie enttäuscht. „Der ist ja schon hinüber …“ Sie nahm die Verpackung in Augenschein und diagnostizierte: „Du lieber Himmel, der ist ja schon vor vier Monaten abgelaufen. Der ist im Kühlschrank mit der Zeit ganz nach hinten gerutscht. Schade …“

Sie drehte den Becher in meine Richtung, um mir die Bescherung zu zeigen. Also, ich hätte das auch nicht mehr gegessen. Auf der Quarkoberfläche hockte ein kraftstrotzendes Fell, und links und rechts hatte sich schon die Molke abgesetzt. Dat Jeht Doch Noch! – hallte es in meinem Unterbewusstsein, und ich fragte: „Schmeißt du das weg?“

„Na ja, was soll ich denn sonst damit machen“, erwiderte sie.

Ich riss ihr den Quarkkübel aus den Fingern und sagte: „Das geht noch“, und brachte den Quark nach Brummelbach.

Mittlerweile weiß unsere ganze Abteilung Bescheid. Von allen Seiten bekomme ich immer wieder Gammelzeug zugesteckt, und ich transportiere es dann nach Brummelbach. Ihn freut es, und die Kollegen sind froh, eine gute Tat getan zu haben. Und er verwertet es noch sinnvoll, während ich daneben hocke und mich schüttle.

Und immer wieder muss ich mich fragen: Warum wird der Kerl nicht krank? Oder kriegt wenigstens mal Bauchschmerzen? Jeder andere würde sich mit Krämpfen auf dem Boden winden, aber ER …?

Nur ein einziges Mal, da wäre ich schier in Freudentränen ausgebrochen! Ein einziges Mal nur, da dachte ich hämisch: Ja! Jetzt ist bei ihm endlich die Bauchkrätze ausgebrochen! Jetzt geht’s ab ins Krankenhaus, den Magen auspumpen und einen mörderischen Vortrag gehalten kriegen von einer grimmigen Ernährungsberaterin, die ihm einbläut: Schimmelwurst und Pelzkäse, das geht gar nicht!

Denn einst bei einem opulenten Frühstück mit lauter angelaufenen Leckereien zerrte er das Prachtexemplar eines Restes Bierschinken aus der Wurstdose, der uns freundlich und in allen Farben schillernd anstrahlte und den Anschein vermittelte, als stecke eindeutig Leben in diesem prähistorischen Stück. Selbst mein Herr und Meister beäugte das Relikt etwas argwöhnisch. Und vielleicht hätte ich ja einfach die Klappe halten sollen und so tun, als hätte ich nicht auch das eindeutige Zeugnis von Verwesung erspäht. Und vielleicht hätte er es ja klammheimlich entsorgt. Aber da auch ich ein Mensch bin, der nur schlecht seine Meinung für sich behalten kann, röchelte ich entsetzt: „Du willst doch nicht etwa …?“

Und er brummelte gutmütig: „Ach wat. Dat is’ noch top in Oadnung. Nur ’n bisschen anjeloofn.“

Genüsslich und unerschrocken belegte er sein Brötchen mit dem Glibberkram. Während des Verzehrs gab er dann kauend zu: „Na ja, schmeckt ’n bisschen komisch, aba …“

„Aber was?“, hakte ich hoffnungsvoll nach. Und mit der Erfahrenheit eines ganz, ganz armen Menschen ließ er mich an seiner Weisheit teilhaben: „Det is bezaahlt …“

Eine Stunde später traf ich ihn im Wohnzimmer an, wo er sich normalerweise hinter seiner Zeitung verschanzt. Diesmal stand die Zeitung jedoch nicht vor seinem Gesicht wie ein Abwehrschild, diesmal lag sie auf seinen Knien. Und Herr Glaubert stierte gedankenverloren ins Nichts …

„Ick weeß nich’“, nuschelte er, als er meiner gewahr wurde. „Mia is’ so koomisch …“

Und tatsächlich! Sein leidend Antlitz zeigte sich grün und gelb verfärbt, um Kinn und Mundpartie war es aschfahl. Auf seiner Stirn hockte eine ansehnliche Schicht Schweiß.

Postwendend huschte ich ins Schlafzimmer und begann eine Notfalltasche zu packen; Zahnbürste, Waschlappen, Rasierzeug, Schlafanzug, Leibwäsche, Papiere, also alles, was man im Krankenhaus so braucht. Dann baute ich mich, bewaffnet mit Autoschlüssel und Tasche, vor ihm auf.

„Los, steh auf! Wir fahren!“

Wie aus einem Traum erwachend, stierte er mich an. Mittlerweile rann ihm der Schweiß übers Gesicht. „Wo willst’n hin?“

„Na, ins Krankenhaus“, rief ich. „Du hast eindeutig eine Lebensmittelvergiftung!“

Er rappelte sich langsam hoch, eindeutig auf weichen Beinen, und linste mich von der Seite her an.

„Quatsch Krank’nhaus. Ick setz mich jetz’ uffs Fahrrad und dreh erst ma’ ’ne oad’ntliche Runde. Denn wird dat schon wieda. Un’ wenn nich’, nehm’ ick ’ne ordentliche Ladung Glaubersalz. Det feift durch. Krank’nhaus … Pah!“

Zu meinem hellen Entsetzen machte er das dann auch. Ich für meinen Teil fuhr heim nach Piepshausen, da es für mich an der Zeit war. Auf der Strecke habe ich ihn noch überholt, wie er da mit grimmiger, wächserner Visage auf seinem Drahtesel saß und in die Pedalen trat und mir etwas wackelig hinterher winkte.

Den Rest des Tages wartete ich zu Hause auf einen Anruf entweder von der Polizei („Wir haben ihn halb tot im Straßengraben gefunden …“) oder vom Krankenhaus.

Abends um acht kam dieser Anruf dann auch, allerdings von Herrn Dat-Jeht-Doch-Noch persönlich. Meine besorgte Nachfrage um sein Wohlergehen quittierte er mit einer flapsigen Gegenfrage.

„Warum? Wieso? Wat soll mia ’n fehl’n?“

Worauf hin er mir das Wunder seiner Genesung lapidar erklärte: er sei an die 20 Kilometer geradelt, habe dann ein bisschen Bauchkneipen gekriegt, habe nach etwa 30 Kilometern ordentlich pupsen müssen, sei dann heim gefahren, habe schön zu Abend gegessen, sei nun auf dem Klo gewesen mit anständigem Stuhlgang, wie sich das gehört, und warum ich mich bloß so anstellen würde.

Wissen Sie, ich verstehe das einfach nicht. Wenn es Spitz auf Knopf geht, steigt er auf sein Fahrrad und radelt einfach alles weg! In den Kerl kann man reinstecken, was man will, er verwertet alles. Selbst das schlimmste Gift wird von seinem Organismus noch in seine einzelnen Moleküle zerlegt, durch den Wolf gedreht und in seine Atome zerkleinert, bis alles auf natürlichem Wege wieder ausgeschieden ist. Das Sprichwort Bloß-Nix-Verkommen-Lassen hat bei ihm Bestand! Das war schon immer so, daran wird sich nichts ändern, basta! Alle anderen hängen schlussendlich über der Kloschüssel oder am Tropf, er hängt auf seinem Drahtesel und verdaut auf Teufel komm raus!

Und so machen wir halt weiter wie bisher. Ich bringe meinen eigenen Kram zu essen mit, und er schnibbelt weg und wischt ab und bürstet runter und schmiert drum herum. Denn dat jeht allet noch! Det JEHT NOCH!

Und somit schließt sich der moralische Kreis dieser Geschicht. Möchten Sie zu seinem sozialen Umfeld gehören? Und ab und zu zum Essen von ihm eingeladen werden?

Ich sag’s Ihnen: Wenn Ihnen Leben und Gesundheit wichtig sind, dann lieber nicht …

Oooh, Dicker, mein Dicker ...

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