Читать книгу Ich war HEINTJE - Jan Adriaan Zwarteveen - Страница 11

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Ein bisschen Familiengeschichte

Heins Vater Laurens Henri Nicolas Simons, mit Rufnamen Hendrik, wurde am 13. August 1922 geboren. Sein Vater, Heins Großvater, kam aus Eijsden in den Niederlanden. Die Familie von Heins Großmutter war aus Kelmis im ehemaligen Kleinstaat Moresnet, der von 1816 bis 1919 ein neutrales Territorium zwischen den Niederlanden und Preußen, sowie ab 1830 auch Belgien, war. Das ist allerdings schon Geschichte, als Heins Vater das Licht der Welt erblickte. Heins Mutter Johanna Agnes Pauline Garretsen, ihr Rufname war Hanni, wurde am 12. Dezember 1934 in Heerlen als Kind holländischer Eltern geboren. Der Süden der Niederlande war in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts hauptsächlich römisch-katholisch, so auch Hendrik Simons und Johanna Garretsen.

Heerlen war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein ziemlich abgelegenes Dorf. Die Bevölkerung lebte hauptsächlich von der Landwirtschaft und die Infrastruktur ließ zu wünschen übrig. Wer mit dem Zug verreisen wollte, musste erst einmal nach Simpelveld oder Sittard, um nach Maastricht oder Aachen weiterzukommen. Mit der Postkutsche konnte man allenfalls das nahegelegene Valkenburg erreichen.

Im Schatten der Kohle

Doch ab 1894 änderte sich die Situation grundlegend. In diesem Jahr wurde mit dem Bau der Eisenbahn »Oranje-Nassaumijn 1« begonnen, die von 1899–1974 in Betrieb war. Wegen der Bedeutung, die das Gebiet durch den Bergbau gewonnen hatte, musste es verkehrsmäßig besser erschlossen werden, und eine regionale Zugverbindung für den Transport der Steinkohle wurde gebaut, sodass sich in Heerlen 1894 und in den folgenden Jahren nicht nur die Tore zu den Kohlegruben, sondern auch die zum Rest der Welt öffneten.

Die Ehe von Johanna und Hendrik war trotz des Altersunterschieds von zwölf Jahren sehr glücklich. Zusammen waren sie eine starke Einheit und ein gutes Team. Jeden Tag brachte der Förderkorb Hendrik unter Tage, wo das schwarze Gold gefördert wurde. Im Bergwerk wurde in Schichten gearbeitet, dadurch waren die Löhne gut. Jede Gruppe hatte Jetons mit besonderen Merkmalen. Diese Jetons waren von großer Bedeutung, denn man konnte an ihnen erkennen, ob jemand in der Morgen-, der Mittags- oder der Nachtschicht arbeitete. Jeder Bergmann hatte drei Jetons mit der gleichen Nummer. Wer unter Tage arbeitete, musste einen Jeton beim Portier abholen im sogenannten Penning-Büro. Wenn der Jeton eines Bergmanns dort fehlte, wusste man, dass er unter Tage war. Am Ende jeder Schicht mussten die Jetons abgeliefert werden, damit man wusste, dass der Kumpel wieder gesund oben angekommen war. Es gab auch eine Zwischenschicht, wenn eilige Lieferungen bedient werden mussten. Von vier Gruppen blieb jede sechs Stunden unter Tage, sodass im Bergwerk rund um die Uhr gearbeitet wurde. Der Schichtwechsel fand unter Tage am Arbeitsplatz statt. Die Kumpel arbeiteten im Akkord, das heißt, je mehr Kohle gefördert wurde, desto besser war die Bezahlung, so auch bei Hendrik Simons.

Die Bergleute wurden zwar gut bezahlt, die Arbeit war aber außergewöhnlich schwer und schmutzig. Unter Tage herrschte eine bedingungslose Kameradschaft. Hier musste man sich nicht einbürgern, ob Türken, Spanier, Italiener oder Belgier, alle arbeiteten gut zusammen und vertrauten einander blindlings! Am Ende der Schicht wuschen sie einander den Rücken, die Zusammenhörigkeit unter den Kumpels war sehr groß.

Der Bergbau brachte Wohlstand in den Süden der Niederlande. Heerlen entwickelte sich zu einer der reichsten Städte Hollands, das machte sich auch in den Haushalten bemerkbar. Während der Rest von Holland die Wäsche noch von Hand in einer Wanne mit Waschtrommel wusch, gab es in Heerlen schon die ersten elektrischen Waschmaschinen, Staubsauger und Trockenhauben. Trotzdem hoffte Vater Simons, dass seine Kinder nicht wie er im Bergwerk arbeiten müssen.

Als Johanna mit ihrem dritten Kind schwanger war, platzte das Haus in Schaesbergerveld bald aus allen Nähten. In Heerlen baute die Bergwerksgesellschaft ein neues Viertel mit Wohnungen, die die Arbeiter günstig mieten konnten. Die Wohnungen waren großzügig bemessen, modern eingerichtet, und die Familie Simons brauchte für ihr drittes Kind bald mehr Platz. Hendrik schrieb sich für eine dieser Wohnungen ein, die ihm auch bald zugewiesen wurde. Jetzt konnten die Umzugskartons gepackt werden!

So bezog die Familie in der Middelburgstraat 5 eine moderne Wohnung, die mehr Komfort hatte als ihre vorige. Die Häuser besaßen eine hohe Stufe vor der Eingangstür, wo die Frauen im Sommer saßen, um Kartoffeln zu schälen, sich auszuruhen und dabei Freud und Leid des Alltags miteinander zu besprechen. Im Viertel herrschte eine gute Atmosphäre und das Gefühl der Zusammengehörigkeit war groß. Jede kannte das Risiko, dass ihre Männer trugen, die jeden Tag tief unten in der Erde arbeiteten.

Die »ON 1« besaß ein eigenes Elektrizitätswerk, für das 1937 ein Schornstein gebaut wurde, der im Volksmund der »Lange Jan« hieß. Zusammen mit der »Langen Lies«, einem anderen Schornstein, beherrschten die beiden Schornsteine die Skyline von Heeren.

Der Umzug von Schaesbergerveld nach Heerlen bot außer der größeren und schöneren Wohnung einen weiteren Vorteil: Simons Schwester Beppie und der Schwager Klaas wohnten gleich um die Ecke in der Amsterdamstraat 30. Johanna brauchte also nur über die Straße und durch eine kleine Gasse zu gehen, um mit der Schwägerin eine Tasse Kaffee zu trinken und einen Schwatz zu halten. So besuchten sich die Familien nun regelmäßig. Es war kein Problem, man kam einfach durch die Hintertür herein, und jeder war willkommen.

Das Jahr 1955

Das Jahr 1955 wurde ein Schicksalsjahr für die Familie Simons. Sie erfuhren, dass großes Glück und tiefes Leid nahe beieinanderliegen können. Bei Vater Simons zeigten sich erste gesundheitliche Probleme. Der Husten morgens beim Aufstehen war ein Zeichen dafür, dass die Arbeit im Bergwerk ihren Tribut verlangte. Bald plagten ihn auch tagsüber hartnäckige Hustenanfälle, die nicht verschwinden wollten. Mancher von Hendriks Kollegen musste frühzeitig aufhören zu arbeiten, weil der feine Kohlenstaub sich in den Lungen festgesetzt hatte.

Obwohl die Vorschrift verlangte, dass Staubmasken getragen werden, arbeiteten die meisten Kumpel unter Tage ohne. Die Masken waren nicht bequem und darunter wurde es schnell unerträglich warm. Liegend in schmalen und engen Stollen mit manchmal nicht mehr als 50 cm Höhe behinderte die Maske auch die Bewegungsfreiheit.

Die Ohrenschützer wurden ebenfalls nicht gern getragen, weil man dann nicht mehr hören konnte, wenn die Holzstempel knackten, und sich zu bewegen begannen, bevor sie vielleicht brachen und einstürzten. Das Risiko, das die Arbeiter unter Tage eingingen, war groß und jeder wusste, dass der Feinstaub Lungenemphysem und Staublunge verursachen kann. Obwohl jeder Kumpel große Angst davor hatte, deswegen nicht mehr arbeiten zu können, schob doch jeder den Gedanken daran weit von sich, so auch Vater Simons.

Am 12. August hatte Johanna Garretsen ihre dritte Geburt in der Hebammenschule. Mittags um 13.45Uhr kam Hendrik Nicolaas Theodor Simons zur Welt, er wurde unter dem Sternbild Löwe geboren, sein Rufname war Heintje.

Der Vater, der am 13. August Geburtstag hatte, konnte sein Glück kaum fassen, er sagte einem Kollegen: »Ich habe heute das schönste Geburtstagsgeschenk bekommen.« Der Haushalt war nun komplett, zwei Buben und ein Schatz von einer Tochter, was will ein Mensch noch mehr!

Die Freude an dem neuen Lebewesen wurde getrübt, als die Mutter von Johanna kurz nach der Geburt starb – doch sollten Johanna und Hendrik noch schwerere Prüfungen erfahren. Das Jahr war fast zu Ende, als das Thermometer auf ungewohnte Höhen stieg. Am 8. November wurden in der Limburgischen Bucht vom Wetterdienst 21 Grad Celsius gemessen, jeder wollte die letzten schönen Tage des Jahres 1955 genießen. So auch die Bewohner der Middelburgstraat. Man ging zu Onkel Klaas und Tante Beppie, die einen Steinwurf weit vom Haus der Familie entfernt wohnten. Keiner ahnte in diesem Moment, welch dramatische Wende dieser schöne Tag noch nehmen würde.

Es war gemütlich, die Kinder waren im kleinen Garten hinter dem Haus ins Spiel vertieft. Die Erwachsenen sprachen über die Neuigkeiten des Tages, aber hauptsächlich über das ungewöhnlich schöne Wetter. Eigentlich müssten jetzt Novemberstürme über das Land fegen, bemerkte Hendrik. Er wusste nicht, dass ein verwüstender Sturm anderer Art sie in kurzer Zeit erreichen würde. Beppie verteilte Äpfel an die Kinder und während Johanna einen Apfel für ihren ältesten Sohn George schälte, naschte auch die kleine Ingrid von den Apfelstücken. Wie es genau passiert war, wusste später keiner mehr, aber plötzlich verschluckte sich das Mädchen. Ein Stückchen Apfel, das in die Luftröhre geraten war, konnte das Kind nicht aushusten. Alle Anwesenden gerieten in Panik, man versuchte, das Kind dazu zu bringen, sich zu übergeben, aber das gelang nicht, sodass es zu ersticken drohte. Vater Hendrik nahm die Kleine aus Johannas Armen und raste mit einem in aller Eile gerufenen Taxi ins St.-Josef-Krankenhaus in Heerlen. Als er nach fünf Minuten dort eintraf, versuchten die Ärzte alles, die Kleine zu retten. Doch trotz aller Bemühungen starb die kleine Ingrid, erstickt an einem Stückchen Apfel. Johanna und Hendrik waren untröstlich.

Trotz des großen Leids musste das Leben weitergehen, es waren immer noch zwei Kinder da, um die man sich kümmern musste, der fünfjährige George und der neu dazugekommene Heintje. In dieser Zeit kam immer mal wieder ein Scherenschleifer durch die Middelburgstraat. Die Frau, die ihn begleitete, bot den Leuten Handlesen und Tarotkartenlegen an.

Als die Mutter einmal ein paar Sachen zum Schleifen brachte, fragte diese Frau, ob sie Johanna die Hand lesen dürfe. Der Vater wollte nichts davon wissen, er glaubte nicht an solche Sachen, doch seine Frau blieb hartnäckig. Nach vielem Hin und Her gab er nach und Johanna reichte der Frau ihre Hand. Das erste, was die Frau sagte, war, dass Johanna und Hendrik durch den Verlust von zwei geliebten Menschen von großer Trauer gebeugt wären. Wusste sie vom Tod von Johannas Mutter und der kleinen Ingrid oder stand es in ihren Karten? Auf jeden Fall blieb Johanna und hörte weiter zu. Sie müsse, so sagte die Frau weiter, dieses Leid bis ans Ende ihrer Tage tragen. Aber durch die anderen Kinder werde sie durch die Welt kommen und große Liegenschaften erwerben. »Ich sehe, dass eines ihrer Kinder eine besondere Rolle zu erfüllen hat.« Oft dachte die Mutter später an die Worte dieser Frau und sagte immer dazu: »Ich bin ja nicht abergläubisch, aber …«

Doch so weit war es noch lange nicht, vorläufig wohnten Trauer und Leid zwischen den Mauern in der Middelburgstraat 5. Dazu wurden die Sorgen um den Vater immer größer. Die ungesunde Arbeit von Hendrik Simons machte sich jeden Morgen beim Aufstehen durch kaum stillbare Hustenanfälle bemerkbar. Trotz allem arbeitete er weiter, es musste ja Brot auf den Tisch kommen. Sich zurückziehen oder auf Teilzeitarbeit zu gehen, würde bedeuten, dass Ende der Woche weniger Geld in der Lohntüte war. Aber seinen Söhnen wollte Hendrik ersparen, mit 16 im Bergwerk zu arbeiten, wie er selbst es musste, das sagte er immer wieder.

So gut es ging, versuchten Hendrik und Johanna, nach dem Tod der kleinen Ingrid wieder in ihren normalen Alltag zurückzufinden. Auch, weil sie nicht wollten, dass ihre beiden Jungen unter der traurigen Situation zu Hause zu sehr leiden müssen, aber intuitiv spürten beide Kinder die Trauer der Eltern. Sie blieben oft allein oder gingen auf Besuch zu Onkel Klaas und Tante Beppie, weil dort eine entspanntere Atmosphäre herrschte und die Trauer weniger spürbar war. George, der fünf Jahre älter ist als Heintje, kam in die erste Klasse der Schule des Viertels Sint Jan.

Heintje war noch bei der Mutter zu Hause und sah sie manchmal weinen. Dann wollte er sie trösten, indem er ihr etwas vorsang. Vielleicht wurde er deshalb, so erzählt Johanna später, so ein feinfühliges Kind. Auf der anderen Seite war Heintje ein aufgeweckter Bursche, nicht ängstlich und stets zu Streichen bereit, ein fröhlicher Junge, der mit großer Freude verfolgte, wie der Karnevalsumzug und die Fanfaren durch Heerlen zogen. Henriks Bruder meinte einmal so nebenbei, dass der Junge später vielleicht mal in einem Zirkus auftreten sollte! Auf jeden Fall glaubte er, dass die Bühne sein Zuhause werden könnte. Ins Leben seiner Eltern brachte er mit seiner Fantasie und seinen Kapriolen Fröhlichkeit. Neben seiner künstlerischen Seite steckte in ihm auch ein großer Lausbub. Wenn irgendwo im Viertel etwas los war, war Heintje mit Sicherheit dabei. Klingelte es an der Tür, wussten Vater und Mutter, dass er wieder etwas angestellt hatte. Doch konnte man ihn selten erwischen, meist war er schneller als der Blitz. Das brachte ihm im Viertel den Spitznamen »Sputnik« ein. Er war unruhig wie ein Sack voll Hummeln.

Hendrik in Brunssum

Der Vater war inzwischen von der »Oranje Nassau Mijn« zur »Prins Hendrik Mijn« in Brunssum versetzt worden, dort arbeitete er nur noch in der Tagschicht, was nicht ganz so anstrengend war. Jeden Morgen um halb sieben wurde Hendrik mit seinem von der Mutter gepackten »pungeltje«, in dem sein Mittagessen war, von einem Bus der Bergwerksgesellschaft abgeholt. Eine halbe Stunde später war er unter Tage. Die »Prins Hendrik Mijn« hatte mit 1058 Metern den tiefsten Schacht von ganz Holland und acht übereinanderliegende Fördersohlen. Sie war als sehr gefährlich bekannt und jeder wusste, dass hier oft Unfälle passierten. Eine Gasexplosion, die 13 Menschen das Leben kostete, wurde zum Beispiel 1928 ausgelöst, als sich bei einem Kontrollgang ausgetretenes Grubengas durch eine Benzinlampe entzündete. Weil dieser Unfall an einem Freitag, dem 13. passierte und auch 13 Todesopfer forderte, wurde er von den abergläubischen Einwohnern von Brunssum dem Teufel zugeschrieben. Wieder 13 Todesopfer waren 1947 zu beklagen. Diesmal war ein Feuer in einem Lüftungsschacht ausgebrochen. Das Wissen um die immer gegenwärtige Gefahr schaffte ein starkes Band der Zusammenhörigkeit bei den Frauen und Kindern der Kumpel.

Manchmal, wenn der Vater einen freien Tag hatte, durfte Heintje mitfahren auf dem »Töff«, der Bergwerksbahn, und sie bestiegen zusammen den Förderturm des Bergwerks. So beeindruckend der weite Blick vom Turm auf die Erdoberfläche war, so eng und beängstigend war der Blick in den Schacht, der unter die Erde führte. Davor hatte das Kind Angst. Nie würde er mit dem Vater in den Lift steigen, um nach unten zu fahren. Nach der Fahrt auf den Turm kaufte der Vater Heintje eine »penny wafel« (eine knusprige Waffel mit Schokoladenfüllung).

Hin und wieder holte Heintje seinen Vater vor der Schachtbaracke ab, in die die Kumpel nach Ende ihrer Schicht gingen, unerkennbar und schwarz von Kohlenstaub! Man säuberte sich in den Duschräumen des Minengebäudes, wo die Männer einander die Rücken schrubbten. Der Anblick der mit Staub und Ruß beschmierten Männer prägte die oft gehörten Worte des Vaters fest in Heintjes Kopf ein. Nie und nimmer, so versprach er sich selbst, wird er je einen Fuß in ein Bergwerk setzen. Einen Vorsatz, den er 40 Jahre später ein bisschen bereute. Der Vater mochte gedacht haben, das sei Desinteresse von Heintje, aber es war eine große, tiefe Angst.

Nach dem Kindergarten ging Heintje genau wie sein Bruder George in die katholische Grundschule Sint Jan in der Pannesheidestraat in Heerlen. Er war ein mittelmäßiger Schüler, ließ sich leicht ablenken und träumte davon, Fußballer zu werden. Auch Musik hatte er gern. Piet de Munter, ein bekannter Tenor, wohnte im gleichen Viertel und Heintje hörte oft dessen Gesang, wenn er durch die Straße lief. Einmal fragte er Piet de Munter, ob er mit ihm singen dürfe. So sangen beide bald die populären Lieder der Zeit zusammen. Heintje genoss das aus vollem Herzen. Doch war er nicht nur wegen des Singens im Viertel bekannt, sondern vor allem durch seine Streiche. Zu Hause ging es langsam besser und groß war die Freude dann auch, als am 6. Juni 1959 noch einmal ein Mädchen geboren wurde, das die Eltern wieder Ingrid nennen.

Als Heintjes zweites Schuljahr begann, wurde Vater Simons wegen Staublunge entlassen und musste sich mit seiner angeschlagenen Gesundheit eine andere Arbeit suchen, was natürlich finanzielle Konsequenzen hatte. Er hatte 24 Jahre – von seinem 16. bis zu seinem 40. Lebensjahr – unter Tage gearbeitet. Dazu kam noch, dass die Familie aus dem Haus in der Middelburgstraat, das der Bergwerksgesellschaft gehörte, ausziehen musste. Fast ein Vierteljahrhundert hatte Hendrik das schwarze Gold aus der Erde geholt, immer sein Bestes gegeben und seine Gesundheit bei dieser Arbeit ruiniert.

Der erzwungene Umzug war eine bittere Pille für die Familie. Außer der Plackerei, die ein Umzug mit sich bringt, bedeutete das Umziehen sozial gesehen eine enorme Zurücksetzung, gar nicht zu reden von den finanziellen Sorgen, die es mit sich brachte. Einen Tag nach Heintjes erster Kommunion zog die Familie von Heerlen in die etwas weiter gelegene Ortschaft Eygelshoven. Dort war ein Café zu vermieten. Mit dem Geld, das sie damit zu verdienen hofften, wollten Hendrik und Johanna die finanzielle Einbuße ausgleichen.

Eygelshoven 1962

Das Café »De Sport« lag in der Wimmerstraat 7. Hier begann die Familie Simons 1962 ihr Abenteuer im Gastgewerbe.

Der Bruder George und der fünf Jahre jüngere Heintje kamen hier auf die katholische Sint-Jan-Schule in der Anselberglaan, die den gleichen Namen trug wie ihre alte Schule in Heerlen. Der Vater stürzte sich auf das Organisieren der nötigen Bewilligungen, etwas, das er gern machte. Neben dem obligaten Bier, das 50 Cents kostete, hatte das Café eine kleine Karte mit Leckerbissen, die die Mutter in der kleinen Küche selbst zubereitete. Wenn Hendrik mit seinem »Papierkram« beschäftigt war, übernahm Johanna das Geschäft hinter der Bar.

Was Heintje aus dieser Periode in Erinnerung blieb, war der Zahltag: »Jeden Freitag, wenn die Bergleute ihren Lohn bekamen, versammelten sich nachmittags die Frauen vor unserer Tür und warteten auf ihre Männer, die nach der Auszahlung direkt ins Café gingen. Jede nahm ihrem Mann die Lohntüte ab und die meisten gaben dem Mann dann fünf oder zehn Gulden Trinkgeld. So konnten sie sicher sein, dass nicht der komplette Inhalt der Lohntüte in der Kasse des Cafés ›De Sport‹ verschwand. Dadurch war jeder Freitagnachmittag für das Café ein Festtag.«

Zu dieser Zeit blühte auch die Popmusik richtig auf, und im Café gab es eine Wurlitzer Musikbox, die immer mit den neuesten Hits bestückt war.

Wenn die Simons-Kinder nachmittags gegen 16 Uhr aus der Schule heimkamen, gingen sie ins Café, um Vater und Mutter zu begrüßen. Um diese Zeit begann sich das Café an der Wimmerstraat zu füllen und man hörte aus dem Lautsprecher regelmäßig »The Mamas & The Papas«, Jim Reeves und Elvis Presley. Unbewusst bekamen die Kinder jeden Tag etwas davon mit. So klang auch das von dem italienischen Wunderkind Robertino Loreti gesungene Lied Mamma regelmäßig aus den Lautsprechern, denn die 1961 herausgekommene Single war auch in der Jukebox der Familie Simons zu finden. Im Süden der Niederlande gab es damals viele italienische Gastarbeiter, die in den belgischen und holländischen Bergwerken arbeiteten. Diese Männer waren oft zu Tränen gerührt, wenn das Lied Mamma durch das Café schallte. Dann wurden sie von den Einheimischen manchmal wegen ihrer Rührseligkeit ein bisschen aufgezogen.

Doch einer konnte nachfühlen, was dieses Lied bei den Männern aufwühlte, ohne dass er auch nur ein Wort davon verstanden hatte. Heintje bat seinen Vater, ihm einen Koffer-Plattenspieler zu kaufen, damit er sich diese Single jederzeit anhören konnte und um seine Aussprache zu perfektionieren. Nach gewisser Zeit konnte er das Lied fehlerlos phonetisch mitsingen. Vater und Mutter wussten nicht genau, wen sie hörten, und waren damit seine ersten Bewunderer. Nun prahlte Vater Hendrik, dass sein Sohn diese Gabe nicht von einem Fremden habe! Von vielen Familienfesten oder Veranstaltungen im Café kannte man die Gesangseinlagen von Hendrik und Johanna Simons. Doch ihr Sohn war ein ungewöhnliches Talent. Auch Gäste, die ins Café kamen, waren sehr angetan von der hellen und reinen Stimme dieses Jungen. Manch einer riet ihm, ein Instrument zu lernen, aber Heintje wusste genau, was er wollte. Er mochte nicht in ein Orchester oder eine Band, er wollte vorn im Rampenlicht stehen! Er hörte alte Aufnahmen von Enrico Caruso und sah den Film The Great Caruso, in dem der Tenor Mario Lanza die Rolle von Caruso spielte.

Die Sterbeszene von Carusos Mutter machte einen tiefen Eindruck auf ihn. Heintje wusste genau, singen und in Filmen mitspielen war das, was er später machen will. Aber von seinem Zimmer in Eygelshoven bis zur Bühne schien der Weg unendlich weit. Manchmal träumte er davon, dass er mit den Worten »Und hier, meine Damen und Herren, ist Heintje!« angekündigt wird. Solche Träume spornten ihn an, er verwirklichte sie in seinen Spielen und schmückte sie aus. Wie er sein Ziel erreichen konnte, wusste er noch nicht, aber sobald sich die Chance ergeben würde, wollte er sie mit beiden Händen ergreifen. Wenn er aus solchen Wachträumen in den Schlaf hinübergleitete, ahnte er nicht, wie nahe er dieser Chance war.

»De Hannibar« in Bleyerheide

Angespornt durch den Erfolg des Cafés in Eygelshoven, entschlossen sich Vater und Mutter 1965, den Schritt zu wagen und ein größeres Geschäft zu eröffnen. Im zwei Kilometer entfernten Nachbarort Kerkrade-Bleyerheide war ein Lokal zu vermieten, das früher ein Café gewesen war und in den letzten Jahren als Frisörsalon genutzt wurde. Hendrik und Johanna wollten den Salon wieder in ein Café zurückverwandeln. In Bleyerheide hofften sie auf bessere Geschäfte als in Eygelshoven. Trotzdem half Vater Simons in der ersten Zeit, wenn er im Café nicht gebraucht wurde, ab und zu bei einer Baufirma als Handlanger aus, denn, auch wenn das staatliche Bergwerk fast um die Ecke lag, war er nicht mehr gesund genug, um unter Tage zu arbeiten.

Heintje kam auf die katholische St.-Josef-Schule in der Pannesheidestraat, wo man Jungen und Mädchen noch separat unterrichtete. Hier wurde er in die 4. Klasse versetzt. »Das Schönste an dieser Schule waren die Pausen«, erzählt er später.

Der Ort hatte ein reges Vereinsleben, sodass man Veranstaltungen organisieren, Partys ausrichten und zusätzlich auch Tanzunterricht geben konnte. Alles Dinge, die wegen der beschränkten Räumlichkeiten in Eygelshoven nicht möglich waren. Also wurde wieder umgezogen. Das Café wurde nach Johanna »De Hannibar« genannt. Das Haus an der Dr. Ackensplein 27 hatte auf seiner Rückseite eine kleine Küche, aus dem Rest des Erdgeschosses wurde wieder ein Café gemacht. Oben gab es ein großes Wohnzimmer, von dem aus man den ganzen Dorfplatz übersehen konnte, im zweiten Stock befanden sich die Schlafzimmer. Dem Haus schräg gegenüber, auf einem steinigen Hügel des Platzes, stand ein Christusbild. »So kann er uns immer im Auge behalten«, hat Vater Simons oft scherzhaft bemerkt. Vom Platz aus gesehen rechts neben »De Hannibar« gab es in Nachbar Wiel Saldens Salon Fritten und Eis. So eine Nachbarschaft gefiel den Kindern natürlich, denn Eis und Pommes Frites gleich nebenan zu haben, war zweifellos ein »Standortvorteil« des neuen Domizils. Sollten sie je Zweifel am Sinn des Wohnungswechsels gehabt haben, so überzeugte sie die Nähe dieses Geschäfts zu 100 Prozent.

Ich war HEINTJE

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