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Das Territorium der DDR und der verwirrte Klassenfeind Abgrenzung und Kommunikation

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Gab es tatsächlich eine eigene Sprache in dem kleinen Land zwischen Rügen und Fichtelberg, in dem die Rhetorik zu den Geheimwissenschaften zählte und Sächsisch trotz verbindlichem Ausspracheduden als Hochsprache der Funktionäre akzeptiert wurde? Ist sie nicht vergleichbar mit den bayrischen, schwäbischen und rheinischen Mundarten im Westen? Dabei soll vom Dialekt hier nicht die Rede sein. Laut Sprachwissenschaft wurden und werden auf dem ehemaligen Territorium der DDR (eine typische DDR-Wendung) 9 niederdeutsche, 28 mitteldeutsche und 5 nordoberdeutsche Mundarten gesprochen, von Nordwestaltmärkisch über Ilmthüringisch bis Itzgründisch und Südvogtländisch. Berlinisch, im Osten der Hauptstadt auch aus einer gewissen Trotzhaltung gegenüber dem Südelbischen konserviert und gebraucht, zählt übrigens nicht zu diesen linguistisch anerkannten Dialekten.

Bleibt der Wortschatz. Gab es in der DDErr (nicht DDÄhr, wie es häufig heißt) außer der in den Bereich der Satire gehörenden Jahresendflügelfigur und dem (über Bulgarien eingeschleppten) Anglizismus Goldbroiler noch andere spezifische Vokabeln? Urst und jetze vielleicht? Geborene Besserwessis versuchen, dem DDR-Deutsch altvertraut Regionales zuzuordnen wie die ehrwürdige Berliner Bulette, den Hackepeter oder gar die bayerisch-österreichische Kraxe. Dabei sind nicht einmal das Nikki und die Niet(en)hose originäre DDR-Wortschöpfungen, und über die untergeschobene Cellophantüte wollen wir hinwegsehen. Selbst die als Raufutter verzehrende Großvieheinheit (RGV) berühmt gewordene Kuh ist keine DDR-Erfindung, sondern bestes EG-Deutsch mit langer gesamtdeutscher Tradition.

BILD suchte und fand im Oktober 2009 die 34 schrägsten Wörter aus der DDR. Birgit Wolfs Wörterbuch Sprache in der DDR listet etwa 1900 Stichwörter mit zahlreichen Textbeispielen und weiteren Metastasen auf und stellt neben Die deutsche Sprache in der DDR von Horst Dieter Schlosser die vollständigste wissenschaftliche Arbeit zum Thema dar.

Pünktlich zum 60. Jahrestag der DDR wartete der MDR mit einer linguistischen Sensation auf: Angeblich, so der Berliner Kommunikationspsychologe und Schriftsteller Frank Naumann in seiner plausiblen Fiktion, habe Honecker eine eigene Landessprache einführen wollen. Wie BILD zu berichten wusste, gab es in den 1970er Jahren tatsächlich Bestrebungen der DDR-Führung, sich sprachlich von Westdeutschland abzusetzen. Ab 1976 hätten sich linientreue Linguisten der Universität Leipzig mit einer Vier-Varianten-These beliebt gemacht, nach der DDR-Deutsch eigenständig neben den Sprachen der BRD, der Schweiz und Österreichs existieren sollte. Doch selbst DDR-Wissenschaftler nahmen diese abwegige Behauptung nicht ernst.

Um sich sprachlich vom Klassenfeind abzugrenzen, wurden dennoch gezielt absonderliche Wortgebilde verbreitet. Stilblüten wie Überplanbestände statt Ladenhüter und Engpass statt Mangel oder Misswirtschaft fanden über die Medien Eingang in den allgemeinen, häufig ironisch gefärbten Sprachgebrauch. Man griente nur, wurde einem auf die Frage nach einem Ersatzteil die Antwort zuteil: Falls Sie kein gesellschaftlicher Bedarfsträger sind, ist die Lieferung im nächsten Fünfjahrplanzeitraum vorgesehen. Und dass im DDR-Duden Wörter wie Meinungsfreiheit oder Weltreise fehlten, fiel kaum auf, kam doch nicht einmal das in der Verfassung verankerte Post- und Fernmeldegeheimnis in der Praxis wie im Duden vor. Statt Reisefreiheit (eine West-Wortschöpfung) gab es in der DDR für Individualreisen nach dem Ausland ein einziges Reisebüro und ansonsten Reisestellen für die sorgfältig ausgewählten und überprüften Reisekader ins SW und NSW (sozialistisches respektive nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet), auch KA (kapitalistisches Ausland) genannt, im Geheimdienstjargon Operationsgebiet.

Sprache dient bekanntlich der Kommunikation und der Information. Information wiederum – so hat es der Autor auf einer Fachschule der DDR gelernt – ist beseitigte Ungewissheit. Weshalb die DDR-Führung hartnäckig darauf bestand, Ungewissheit der Information vorzuziehen und den Buschfunk den offiziellen Medien, lässt sich nur politisch-ideologisch (gesprochen polilogisch) und mit der Furcht vor dem nimmermüden Klassenfeind erklären. Der undurchsichtig-verschrobene Stil offizieller Verlautbarungen, Dokumente und Materialien genannt, nährte umlaufende Gerüchte und förderte eher Zweifel, als dass er Ungewissheit beseitigte. Ein Satiriker schlug vor, das knappe Papier der DDR-Presse mit Wellenlinien zu bedrucken, um den Klassenfeind zu verwirren – DDR-Bürger hätten ohnehin gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen.

Bleibende Differenzen zwischen dem offiziellen DDR-Deutsch und der heutigen Sprache sind kaum zu erwarten. Die meisten Wörter und Wendungen sind mit ihren Quellen und Objekten ersatzlos untergegangen und halten sich nur in Memoiren und gelegentlichen Äußerungen ehemaliger Kader, die mitunter sogar Fehler im Wachstumsprozess des Sozialismus zugeben, die weiter verbessert werden müssen.

Überbleibsel in der Umgangssprache haben inzwischen eher regionale Bedeutung. Verständigungsschwierigkeiten ergeben sich nur, wenn sie beabsichtigt sind. Die Literatur der jeweils anderen Seite zu verstehen hat in den vierzig Jahren getrennter Entwicklung keine Schwierigkeiten bereitet, und dass zwischen Plaste und Plastik unterschieden wurde, bleibt ein Verdienst der DDR-Sprache.

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