Читать книгу Der Bomber (Kunibert Eder löst keinen Fall auf jeden Fall 1) - Jan-Mikael Teuner - Страница 12

Spielzeug

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Es war ein kleines Häuschen unweit vom Fußballplatz des MTV. Hier kommt es hin, hatte der strenge Theodor ein paar Jahre nach dem Krieg gesagt und es mit seiner ganzen Kraft aufgestellt. Hier kommt sie rein, hatte die fleißige Hermine ergänzt, und eine Wiege bringen lassen, wie dann der Storch eine Elfriede gebracht und ein Wolfgang diese 24 Jahre später mitgenommen hatte, kurz bevor sie Kuniberts Mutter geworden war. Nachdem seine Großeltern mütterlicherseits, der strenge Theodor und die fleißige Hermine, von der Welt geschieden waren, war es an Kunibert, diesen häuslichen Raum mit Leben zu füllen. Es hatte lediglich die Bedingung gegolten, das rüstige Froilein Schneider, im ersten Stock wohnen zu lassen. Das war Kunibert recht gewesen. Wie immer hatte er wenig Drang verspürt, sich als bewährt erwiesene Gegebenheiten zu verändern. Und davon gab es viele. Kunibert lebte weiter mit den Möbeln aus einer anderen Zeit, den gleichen Stoffbezügen, dem gleichen roten Sessel und dem gleichen Staub von damals. Und was sich alles im Keller verbarg, davon hatte er bis heute nicht die geringste Ahnung.

Das Einzige, was sich vor Kuniberts Augen stets neu erfand, und das wie von selbst, war der von ihm sogenannte Wildgarten, den er kurzerhand zum Naturschutzgebiet erklärt hatte. Und der Einzige, der sich darin ungeniert austoben durfte, war sein zugelaufener Mitbewohner. Ein rundlicher Kater, der auf den Vornamen Meister zu hören durchaus in der Lage war.

»Findest du nicht, dass du dir ein anderes Spielzeug suchen solltest?« Sandro und Kunibert lagen in Schlafsäcken eingewickelt auf der unkrautdurchzogenen Wiese hinter dem Haus. Sie hatten sich dieses Freundschaftsrituals aus Kindheitstagen erinnert und blickten gemeinsam in den Nachthimmel.

»Spielzeug?«, fragte Kunibert in die Dunkelheit und dachte an ferngesteuerte Autos, mit denen er als Kind gespielt und stets überlegt hatte, an ausgeschriebenen Rennen teilzunehmen.

»Dein Meister Eder ist ein schöner Kater, aber der sollte sich kämmen. Der haart mehr als du.« Kunibert ignorierte Sandros Anspielung auf die kunibertsche Lockenpracht und beobachtete, wie sein Mitbewohner durch den Garten schlich und im Licht des Mondscheins seinen Hals an irgendwelchen Blumenstängeln rieb.

»Du kannst mir nicht erzählen, dass er dir das gibt, was du brauchst. Jammert rum, bringt dir kein Bier und frisst dir die Haare vom Kopf.«

»Er hat andere Werte.« Kunibert faltete die Hände über seinem Bauch zusammen, wie er dort so auf dem Rücken lag. »Manchmal fängt mir der Meister sogar eine Maus. Oder, Meister, ist doch so?«

»Davon rede ich ja. Meinst du, mit deiner Katzenmasche kommst du irgendwann weiter?«

»Katzenmasche … er stand hier vor der Tür.«

»Zwei Titten wären dir lieber gewesen!«

Kunibert stöhnte. Es war höchst fraglich, dachte er, höchst fraglich, was Sandro manchmal so von sich gab.

»Das ist typisch Kunibert. Dem läuft ein dicker Kater zu.«

Da lächelte Kunibert. Dick, dachte er, dick war auch Moby Dick, und dick war ihm durchaus sympathisch, dick strahlte eine gewisse Gemütlichkeit aus.

»Schau dich lieber nach was Handfestem um. Die Welt ist voll mit ganz anderen, ganz wunderbaren Geschöpfen.«

»Ich weiß«, antwortete Kunibert, der gleich an Annabelle denken musste, denn sie hatte auch so eine Figur, die eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlte, dabei aber nicht zu gemütlich war.

»Was weißt du?«, fragte Sandro.

»Dass die Welt voll ist mit ganz anderen wunderbaren Geschöpfen.«

»Das weißt du?«

»Ich habe erst heute wieder eines getroffen.«

»Man trifft sie jeden Tag.«

»Aber heute, da war schon mehr.«

»Schon mehr?« Sandro war natürlich sofort zur Stelle. Ging dorthin, wo es wehtat. So wie es sich für einen guten Mittelstürmer gehörte, und immerhin hatte Sandro vor einigen Jahren beim SV Willerse für zwei Bundesligaspiele auf der Bank gesessen.

»Erzähl schon, Kuno. Oder willst du erst von meinem Wochenende hören?«

»Mensch, das Bier ist alle«, sagte Kunibert schnell und kroch aus dem Schlafsack. Er hatte bereits eine Vorstellung von dem, was Sandro in grellen Farben auszumalen gedachte »Bin gleich wieder da.«

»Ganz schlechte Taktik!«, rief Sandro ihm hinterher. »Du kommst sowieso zurück. Das ist wie mit den Frauen, da bin ich Magnet!«

Das galt es zu sehen. Kunibert sah sich durchaus in der Lage, die eine oder andere Ablenkungs- oder Tarnungsstrategie auszutüfteln. So wie damals, als er sich zum Fasching mit angeklebtem Schnauzer und buntem Hawaii-Hemd als Magnum verkleidet hatte. Da war er Fuchs! Und nicht umsonst, musste er sich nun selbst loben, hatte man ihn zum Aushilfsjugendtrainer des MTV bestimmt. Ihn, den Taktiker! Da musste man Mann vom Fach sein und er würde Sandro jetzt einfach fragen, mit welcher Taktik der SV Willerse in Zukunft spielen müsse. Mit einem 4-4-2 oder 4-1-4-1 oder 1-2-7, was ganz revolutionär wäre und Sandro aus dem Konzept bringen würde. Kunibert tastete sich im Dunkeln in der Küche vor. Ablenkung, dachte er, war nur Ablenkung und sie lenkte nur ab und alles kehrte wieder – auch die Fragen von Sandro.

Kunibert öffnete den Kühlschrank.

»Kuno, Kuno, hilf mir, Kuno!«, hörte er Sandros noch von vor Jahren nur langsam verhallende Schreie. »Kuno, hilf mir, nimm den Ast dort drüben!«

Kunibert griff nach dem Sechserträger. Ihr erstes Bier hatten sie sich im Keller seiner Eltern geteilt. Anschließend hatte Kunibert Sandro seinen dicken Winterpullover gegeben und jetzt spürte er wieder die Kälte an seiner rechten Hand, die Feuchtigkeit um seinen Arm. Wie damals, als er an diesem Wintertag auf den See gerobbt war und Sandro den dicken Ast hingehalten hatte. Nie wieder hatte er sich so stark gefühlt und Sandro so hilflos gesehen, nie wieder war Kunibert so mutig gewesen. »Kuno, zieh! Zieh, Kuno! Hilf mir!«, hörte er Sandro rufen. Mit all seiner Kraft hatte Kunibert an dem Ast gezogen und grundverschieden wie sie waren, hatte niemand verstanden, warum Sandro fortan zu jeder Gelegenheit mit dem viel zu weiten Pullover in die Schule gekommen war. Es war ihr Geheimnis geblieben und nur Kunibert hatte tags darauf entdeckt, dass sein erstes Barthaar über der Oberlippe zu sprießen begonnen hatte.

»Danke, Kuno. Du hast mir das Leben gerettet.«

Vielleicht hatte es einfach niemanden interessiert, dachte Kunibert, genauso wenig wie sich heute jemand für seine Heldentat interessierte, wo es für andere vor dem Kühlschrank doch nur um die Entscheidung der Getränkefrage ging.

»Kuno, bring drei mit! Dein Scheißter Eder will auch eins! Er sucht sich sonst ein anderes Zuhause, hat er gesagt.«

»So schnell haut er schon nicht ab!« Kunibert nahm den Sechserträger an sich und schloss den Kühlschrank. Dann ging er zurück in den Garten und kroch in seinen Schlafsack. »Er ist hier bestens versorgt.«

»Weil du ihm den teuren Internet-Fraß bestellst.«

»Fraß …« Kunibert schüttelte den Kopf und riss den Sechserträger auf. »Nimm dir lieber ein Bier.«

»Da sag ich nicht Nein. Auf uns!«

»Auf uns!« Kunibert und Sandro stießen an.

»Erinnerst du dich«, begann Kunibert. »Wir haben uns immer etwas gewünscht, wenn wir bei meinen Eltern im Garten lagen. Jeder Stern ist ein Wunsch, haben wir gesagt.«

»Hast du gesagt«, verbesserte ihn Sandro.

»Und die Sternschnuppen und Flugzeuge waren unsere Joker, haben wir gesagt …«

»… hast du gesagt …«

»Mag sein.« Kunibert deutete in den sternenklaren Himmel der süßlich-milden Frühlingsnacht. »Weil alle Sterne schon von unseren Wünschen belegt waren.«

»Hast du gesagt.«

»Ja, jedenfalls bei einer Sternschnuppe ging der Wunsch von selbst in Erfüllung, bei einem Flugzeug jedoch musste man schwören, selbst etwas dazu beizutragen. So etwas Großes, dass der andere sagte: Der traut sich was!«

»Wie könnte ich das vergessen, Kuno? Ich kenne niemanden, der sich sonst so einen Blödsinn ausdenkt.«

»Und damit das Flugzeug nicht auf einem seiner nächsten Flüge abstürzen würde«, fuhr Kunibert unbeirrt fort, »musste man versprechen, das Vorhaben umzusetzen.«

»Stimmt, was ist da eigentlich aus deinem Comedy-Programm geworden? Das hattest du doch gewünscht.« Sandro nahm einen Schluck aus der Flasche. »Was musstest du dafür gleich tun?«

»Einmal auf eine Bühne gehen.«

»Wird langsam Zeit!«

»Bin dran«, sagte Kunibert. »Schaue mir schon jeden Abend Auftritte im Internet an.«

»Kuno, aus dir wird noch eine richtige Rampensau!«

»Ich mache jetzt Ernst!« Kunibert kratzte nervös an dem Etikett seiner Flasche. »Jetzt ist alles anders. Jetzt würde ich es sofort tun!«

»Aha«, machte Sandro nur.

»Wirklich!«

»Schon klar. Woher soll denn dieser plötzliche kunibertsche Motivationsschub herrühren, wenn ich das Mal so erfragen darf?«

»Ja, ha«, holte Kunibert Luft und sprach ganz leise und geheimnisvoll: »Vielleicht habe ich sie heute getroffen.«

»Du hast was?«

»Sie getroffen.«

»Wen sie?«

»Na sie. Du weißt schon.«

»Kuno, du glaubst nicht etwa noch an diese Disney-Kacke, oder?«

Kunibert seufzte. Würde er zurückziehen, dachte er, würde er am Ende alles wieder für sich behalten und seine Wünsche würden niemals in Erfüllung gehen. Manchmal hieß es, durchzuziehen und genau wie Sandro dahinzugehen, wo es wehtat.

»Kennst du nicht dieses magische Lächeln, das du nicht kontrollieren kannst?« Ein Mann, dachte Kunibert, ein Mann war nur so stark wie dieses Lächeln einer Frau, das ihn um den Verstand brachte, aber das traute er sich gerade noch zu denken.

»Wenn sie groß sind …«

»Was?«

»Wenn sie groß sind, dann sehe ich das genauso.«

»Ja, ich weiß.«

»Was weißt du?«

»Was du davon hältst, aber ich meine es ernst.«

»Schon klar …« Sandro nickte.

»Ich habe nur keine Ahnung, woher sie kommt«, stellte Kunibert fest und erzählte davon, wie er Annabelle heute beim Jugendtraining begegnet war und sie ihm seitdem im Kopf herumschwirrte.

»Kuno«, meinte Sandro, und da war er nun ganz Freund. »Kuno, was du brauchst, ist eine Taktik! Und ich habe schon eine: Komm Freitag mit nach Willerse ins Nepomuks!«

»Ins Nepomuks? Ich weiß nicht. Da war ich seit Jahren nicht.«

»Und ob du das weißt! Aber ohne deinen Kater auf dem Schoß. Da stehen die Mäuse nicht so drauf.«

Kunibert winkte ab, und sprang aus dem Schlafsack auf. Im Nachthimmel sah er gerade noch eine Sternschnuppe leuchten. »Ich weiß, wie ich sie beeindrucken werde«, rief er.

»Und wie?«

»Ich wünsche mir, dass die Zweite aufsteigt – für Balu. Und ich werde dafür sorgen.«

»Du?« Sandro schaute ihn fragend an.

»Ja, ich!«, bekräftigte Kunibert und stand gestikulierend im Garten. »Ich werde dafür sorgen. Ich glaube nämlich, bei den Braubergern und dem Bomber, da stimmt was nicht.«

»Da stimmt was nicht?«

»Da stimmt was nicht. Ich habe da einen Verdacht. Und wenn der Bomber betrügt …«

»Der Bomber betrügt?«

»Ich sage nur wenn. Wenn der Bomber betrügt, und ich habe da diesen Verdacht, dann werde ich mich dieser Unsitte annehmen und dem Betrug Einhalt gebieten.«

»Du?«

Kunibert nickte schwach, Sandro blies seine Backen auf.

»Du?«, fragte Sandro noch einmal und dann brüllte er das dreckigste seiner Lachen, Meister Eder türmte ins Gebüsch und selbst im ersten Stock gingen die Lichter an. Das rüstige Froilein Schneider öffnete im Nachtgewand das Fenster und lachte herzhaft mit, denn sie war eine gut gelaunte alte Frau. Zumindest Letzteres hatte sich Kunibert aber nur vorgestellt. Das Fenster im ersten Stock war weiter geschlossen.

»Kuno«, ergänzte Sandro und rang nach Luft: »Also erstmal schon geil, dass der Bomber betrügen soll. Aber wenn dem wirklich so ist, dann willst du das aufklären? Entschuldige, Kuno. Du kannst nicht mal sauber geradeaus laufen!«

Kunibert wollte etwas erwidern, aber Sandro setzte noch einen drauf: »Und außerdem war das ein Flugzeug, keine Sternschnuppe!«

Und da hatte Kunibert den Salat. Man sagte das so, den Salat. »Was wirst du also tun«, war Sandro genüsslich zur Stelle, »damit dein Aufstiegswunsch in Erfüllung geht?«

»Ich werde …« Kunibert zögerte. So leicht würde er nicht klein beigeben. Auf seltsame Art und Weise war er sich jetzt sicher. »Ich werde … ich werde durch den Wald nach Brauberg fahren.« Wobei das etwas auffällig sein konnte und er sein Rad unterwegs besser irgendwo stehen lassen musste, dachte er und korrigierte: »Besser gehen, ich werde nach Brauberg gehen und mich beim Training von denen umschauen.«

Sandro pustete aus, offenbar nicht unbeeindruckt von diesem kunibertschen Aufklärungsvorhaben. »Der traut sich was«, sagte er.

Dann stießen beide an.

»Auf dein Vorhaben!«, sagte Sandro.

»Auf das Flugzeug!«, sagte Kunibert.

Der Bomber (Kunibert Eder löst keinen Fall auf jeden Fall 1)

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