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Aufwärmprogramm

Stell dir vor, du trittst auf den grünen Fußballrasen. Wichtige 90 Minuten stehen bevor, die wichtigsten deines Lebens. Doch du bist nicht in der besten Verfassung und du hast nicht die geringste Ahnung, was diese 90 Minuten alles bedeuten können. Nur eines bringst du mit: Die Bereitschaft zu kämpfen – solange, bis der Schiedsrichter pfeift und noch weiter, solange, bis die Flutlichtanlage erlischt und noch weiter, solange, bis der Letzte aus deiner Mannschaft aus der Umkleidekabine kommt, den Trikotkoffer in der Hand, und dich darum bittet, das Stück Stoff, das du noch immer am Leib trägst, endlich auszuziehen. Doch du ziehst es nicht aus. Du kämpfst weiter.

Und wenn es dir genauso geht, dann weißt du bereits um Kunibert Eder.

Schnurrbartkitzeln

Das, was Kunibert Eder hatte, war ein dunkelbrauner Schnurrbart. Empfindsam wie die Tasthaare einer Katze und ständig in Alarmbereitschaft wie ein Feuermelder. Allein zu diesem Zweck war sein Borstenkamm mittig über der Oberlippe mit besonders sensiblen Sensorhärchen ausgestattet und mit jenen dünnen verdrahtet, die sich bis tief in seine Nase hinein wanden. In Momenten ungewöhnlicher Vorkommnisse verlangten ihm diese unscheinbarsten seiner Härchen ein solch gewaltiges Niesen ab, dass das Echo erst verhallt war, wenn Kunibert Eder alle offenen Fragen geklärt hatte und der Gerechtigkeit Genüge getan war.

»Kuno«, dachte er sich stets in einem solchen Moment. »Kuno, hier stimmt was nicht. Das ist dein Fall und den wirst du lösen.«

Dabei hatte Kunibert Eder keinen Chef, der ihm sagte: »Kuno, es gibt da eine Leiche. Das ist dein Fall. Finde den Täter.« Und es war auch nicht so, dass eine blonde Frau in Schwarz-Weiß zu ihm in ein verrauchtes Büro hereinkam, ihre von einem Minirock nur spärlich umschmeichelten Beine übereinanderschlug und mit einer Zigarette zwischen den Lippen säuselte: »Herr Eder, ich habe viel von Ihnen gehört. Ich glaube, mein Mann betrügt mich. Finden Sie es heraus.«

Kunibert Eder hatte nicht einmal ein Büro. Und wenn er eines gehabt hätte, er hätte in einem solchen Moment das Fenster aufgerissen und mit entschuldigenden Worten auf das Rauchverbot hingewiesen. Denn überhaupt war Kunibert Eder ein ganz normaler, rechtschaffener Bürger, der seinem Job im örtlichen Supermarkt nachging und am liebsten in Ruhe gelassen werden wollte. Doch dazu kam er nicht. Das Leben hatte ständig andere Pläne mit ihm.

So sollte auch dieser Fall vollkommen unerwartet beginnen – mit der unverhofften Begegnung zweier auf den ersten Blick völlig harmloser Menschen auf einem dörflichen Fußballplatz. Und strenggenommen sollte es diesen Fall überhaupt nur geben, weil sich die Dinge entwickelt hatten, wie sie sich entwickelt hatten, und das setzte die Geburt von einem Dutzend anderer Menschen, die Gründung mehrerer Fußballvereine und die Dramatik ihrer aufeinanderprallenden Wünsche und Absichten voraus. Und diese Umstände, um es schlussendlich auf den Punkt zu bringen, hatten dafür gesorgt, dass Kunibert Eder auf dem Trainingsgelände des Männerturnvereins, kurz MTV, von Hennigsen stand und einer Horde kleiner Jungs dabei zusah, wie sie mit versuchter enger Ballführung um einige Slalomstangen herumstolperten. Das müsste viel schneller gehen, dachte Kunibert in diesem Augenblick, sagte aber nichts, denn hier beim MTV durfte man Kind sein und sich austoben, was im Mindesten auch für die Erwachsenen galt, fuhr er in Gedanken fort und strich sich die Spitzen seines Schnurrbarts zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand zusammen. KTV, überlegte er weiter, als Abkürzung für Kinderturnverein wäre wohl die bessere Vereinsbezeichnung gewesen.

Hier war alles friedlich. Nur in der Ferne – wenn man ganz genau lauschte – konnte man den Alltag mit seinen vorwärtstreibenden Motoren von der Bundesstraße hören, wie ein Motorrad durchs Dorf knallte oder sich ein Wagen auf der holprigen Feldstraße verlor und dem Fußballplatz näherte. Hier im Hennigser Herzen, wo die Blätter im Winde rauschten, die Vögel trillerten und die Kinder spielten, waren sich seine Eltern auf einem Dorffest zum ersten Mal in die Arme gefallen. Warum ihm das gerade jetzt in den Sinn kam, fragte sich Kunibert, während Autoreifen Schottersteine auf dem Vorplatz verdrängten und zwei Türen zuknallten. Kunibert drehte sich zur Seitenlinie um. Eine junge Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand tauchte dort auf.

Das war ja allerhand, dachte Kunibert schon in diesem Moment und setzte sich in seinem gemütlichen Schaukelgang, bei dem sich abwechselnd seine linke und rechte Schulter dem Rasen näherte, in Bewegung. Das war ja allerhand, dachte er noch einmal. Allerhand war das.

Der Bomber (Kunibert Eder löst keinen Fall auf jeden Fall 1)

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