Читать книгу Das bunte Haus - Jan Nadelbaum - Страница 3

Die Szene

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In einer kleinen Stadt in einem kleinen Land mit sieben Städten gab es ziemlich genau in der Mitte einen Platz, einen alten, prächtigen, auf dem ein Haus stand. Es handelte sich um kein gewöhnliches Haus wie die anderen Häuser – neun an der Zahl – ringsum. Das Haus in der Mitte war bunt, zwar noch nicht allzu lange und hier und da schimmerte auch der ein oder andere frühere Braunton hervor, doch seine Bewohner hatten sich mit den Malerarbeiten alle Mühe gegeben. Die übrigen Häuser, teils größer, meist kleiner, wirkten gegen das Haus in der Mitte fast ein bisschen bieder, ja, für manch einen geradezu langweilig. Waren die linken ähnlich farbig wie dasjenige in der Mitte, bloß kraftloser, so nahm die Buntheit nach rechts ab. Sie zeichneten sich allerdings allesamt durch eine grundlegende Gemeinsamkeit aus: die verspielten, manchmal überbordenden Stuckaturen, die ihre Fassaden zierten. Einzig am Haus in der Mitte pflegte man sie nicht sonderlich. Sie bröselten mehr oder weniger vor sich hin und erfuhren von seinen Bewohnern kaum Achtung, was irgendwie schade war, denn das Haus in der Mitte besaß schöne Stuckaturen. Nun denn, dafür hatte es eben kräftigere Farben.

Besitzerin des bunten Hauses war eine Dame Anfang sechzig, die alle in der Stadt bloß ‚Mutti‘ nannten. Wie sie richtig hieß, wussten nur die wenigsten und selbst die glaubten lediglich, es zu wissen. Mutti galt als bescheiden, zuverlässig und verantwortungsbewusst. Für eine Vermieterin verhielt sie sich äußerst uneitel, eckte selten an, weil sie ihren Mietern einen großen Spielraum ließ.

Ihr Angestellter, Herr Thomas, kümmerte sich als Hausmeister darum, dass im Treppenhaus alle Glühbirnen brannten, wenn sie brennen sollten, dass die Mülltonnen rechtzeitig vom Hinterhof nach vorne gerollt wurden und um kleinere Reparaturen. Er war etwa so alt wie Mutti, ein eher kleiner Mann mit Bürstenfrisur und dicker Brille, niemand, der große Töne spuckte und froh war, dass er alleine arbeiten konnte, denn die Arbeit mit anderen behagte ihm überhaupt nicht. Vielen kam er ein bisschen spröde rüber und passte irgendwie nicht zum bunten Haus.

Zum bunten Haus passte Herr Hinz, der Choleriker aus dem Erdgeschoss, eigentlich ebenso wenig. Bereits seit seiner Kindheit wohnte er hier, verdiente gut und hatte es doch nie zu viel gebracht. Mit dem Alter machte er einen immer verbitterteren Eindruck, obwohl er sich im Grunde durch einen geradezu mitreißenden Humor auszeichnete, was jeder bestätigen konnte, der sich mit ihm eingehender unterhalten hatte.

Über Herrn Hinz lebte Frau Kunz, Diplombibliothekarin, weltoffen, sprachgewandt, alleinstehend. Herr Hinz hatte – laut Gerüchten – zumindest irgendwo zwei Kinder, aber bei Frau Kunz war kein Mann länger als eine Nacht geblieben – oder sie bei ihm, je nach dem, ich weiß es nicht, ich kann für die nächtlichen Abenteuer von Frau Kunz gottlob nicht als Zeuge dienen.

Gegenüber wohnte Familie Schmitt, eine – bis auf die resolute Mutter – ganz unauffällige Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Man hörte nicht viel von ihnen. Solche Mieter wünscht man sich. Der Mann war Angestellter bei der Stadtverwaltung und sie Halbtagskraft in einem Büro der örtlichen Krankenkasse. Die Kinder gingen noch zur Schule. Das Mädchen in die Grund-, der Junge in die weiterführende.

Im zweiten Geschoss befand sie dich Wohnung von Mutti, die sich über die ganze Etage erstreckte. Das war aber dann auch schon das einzige Prätentiöse an ihrem Lebensstil. Gäbe es da noch etwas, wäre es den anderen sowieso verborgen geblieben. Mutti legte Wert darauf, dass nicht zu viel nach außen drang.

Auf dem dritten Stock gab es wiederum zwei Wohnungen: eine davon stand leer, die andere teilte sich ein Studentenpärchen, Ben und Mia. Er studierte Mediendesign, sie Kulturwissenschaften. Ob sie zusammen waren, vermochte niemand eindeutig festzustellen, sie selbst dürften sich darüber ebenfalls nicht im Klaren gewesen sein. Sie schliefen sporadisch miteinander, störten sich hingegen nicht dran, wenn Ben mal mit jemand anderes die Nacht verbrachte oder Mia sich einen Macker heimholte, während Ben nicht dort war. Die einen nennen es Fickfreundschaft, die anderen offene Beziehung, Letzteres klingt natürlich eleganter, beinhaltet allerdings mehr oder weniger dasselbe.

An der westlichen Seite des Platzes ragte ein hohes, breites Gebäude gen Himmel, stuckbeladen und doch ganz offensichtlich in die Jahre gekommen: seine Farbe machte einen abgestumpften Eindruck; die zahlreichen Verschnörkelungen der Fassade waren schmutzgrau. Herr Flanby, der Vermieter, hatte zwar versprochen, die Wohnungen kräftig zu ertüchtigen, doch geschehen war bisher nicht viel. Einzig die erste Etage, die Frau Le Stylo ihr Reich nannte, schien sich von der allgemeinen Tristesse abzuheben. Auf ihren Fensterbänken blühten üppige Blumen, die Herr Flanby aus dem Stock darüber nur mit Neid betrachten konnte. Diesem ging es außerdem nicht sonderlich gut. Seit Monaten hatte er ein flaues Gefühl im Magen. Er mochte einfach nicht recht auf die Beine kommen.

Neben Frau Le Stylo wohnte Frau Delaître. Beide waren gleichalt und beide meckerten eigentlich bloß rum. Irgendetwas auszusetzen gab es hier immer. Der Gestank im Treppenhaus, die nichtfunktionierende Heizung, die lauten Mitmieter, die Touristen, die Nachbarn im bunten Haus und vor allem Mutti – ja, Mutti wurde von vielen nicht so gut gelitten, wie sie es sich insgeheim erhoffte.

Familie Mouton aus dem Erdgeschoss interessierte sich weder für ihre Mitbewohner, noch für die Nachbarschaft. Sie schätzte sich glücklich, wenn sie jeden Monat über die Runden kam, ebenso wie Herr Leclerq unterm Dach. Nachdem ihn seine Frau hatte sitzen lassen, trat er jeden Tag ein Stück weiter den Weg in die innere Emigration an. Er interessierte sich noch nicht einmal mehr für sich selber.

Am östlichen Ende des Platzes hatte vor kurzem die Vermieterin gewechselt. Beinahe fulminant hatte Frau Beata, die man in der Stadt seitdem den ‚Kampfbigos‘ nannte, die Vorbesitzerin aus dem Haus gejagt. Diese war bankrottgegangen, weil sie sich verspekuliert hatte. Ähnliches drohte – munkelte man zumindest – auch dem Vermieter des südlichen Hauses, dessen Name die meisten vergaßen, wenn sie ihn gehört hatten. Inner- und außerhalb hieß er bloß ‚Silberpudel‘. Wenn man ihn brauchte, nahm man ihn mit und ansonsten ließ man ihn halt da, wo er war. Seine Mieter machten eh, was sie wollten und orientierten sich stärker an Herrn Heinz, obwohl der eigentlich nicht viel zu sagen hatte. Er traf hingegen oft den richtigen Ton, und wenn er eine einbruchssichere Haustür wollte, dauerte es nicht lange, bis er die übrigen Mieter überzeugt hatte und der Silberpudel eine solche einbauen ließ. Im Grunde genügte Herrn Heinz sein kleines Dentallabor, jedoch reizte ihn – ähnlich wie Frau Le Stylo – das, was böse Menschen als Macht und gute Menschen als Einfluss bezeichnen.

Menschen wie Herr Heinz und Frau Le Stylo wohnten in allen Häusern am Platz – kein Anlass zur Sorge also. Schlechte Vermieter verdienen keine braven Mieter. Ein bisschen Aufmüpfigkeit sorgt für Belebung und die konnte der kleine, ruhige Platz allemal gebrauchen. Die sollte er kriegen…

Das bunte Haus

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