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Herr Thomas ist überrascht

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Ein wenig dösig stieg Herr Thomas, den Preußischen Präsentiermarsch pfeifend, auf eine Trittleiter, um im Treppenhaus zwischen erstem und zweitem Stock eine Glühbirne auszutauschen, die die Nacht augenscheinlich nicht überlebt hatte. Im Erdgeschoss schloss jemand die Haustür auf. Es raschelte. Die Tür rumste. Es raschelte wieder und dieses Rascheln kam näher. Eine Frau sprach etwas, ein Mann gab Antwort. Sie stiegen die Treppen hinauf. Es dauerte nicht lange, ehe sie um die Ecke bogen und vor Herrn Thomas auf seiner Trittleiter standen. Er musterte sie durch die dicken Brillengläser, einen nach dem andern, während sie ihn anstarrten, als sei ihnen nie zuvor ein Hausmeister über den Weg gelaufen.

„Sie haben aber ordentlich eingekauft“, meinte er trocken mit Blick auf ihre fast berstenden Plastiktüten.

„Hallo“, grüßte die Frau schüchtern.

„Hallo“, entgegnete Herr Thomas.

„Weiter, weiter“, meinte der Eine und schob sie an. Sie gingen an Herrn Thomas vorbei. Der schüttelte den Kopf und folgte ihnen unauffällig die Treppen hinauf. Vor der ehemals leeren Wohnung blieben sie stehen. Der Andere kramte in seiner Hosentasche und zog den Schlüssel heraus. Herr Thomas spähte um die Ecke. Sie betraten die Wohnung. Die Tür fiel ins Schloss.

„Das glaube ich jetzt nicht“, grummelte Herr Thomas.

Kaum ausgesprochen, wurde diejenige neben ihm aufgerissen. Er erschrak ebenso wie Mia, die nicht damit gerechnet hatte, dass sie um diese Uhrzeit auf den Hausmeister vor ihrer Wohnungstür treffen würde.

„Hallo Herr Thomas“, fasste sie sich schnell. Ohne seine Antwort abzuwarten, tippelte sie zur gegenüberliegenden Tür. Sie schleppte allerhand Plüschtiere mit sich.

„Hallo“, brummte Herr Thomas.

„Hallo Herr Thomas“, antwortete Ben, der mit einem Teller Törtchen hinter Mia hertrampelte.

„Oh, Törtchen“, konstatierte der Hausmeister.

„Nein, Muffins“, verbesserte Mia an die Tür klopfend.

„Oha“, rief Ben aus, der stolperte, einen Sturz allerdings geradeso abwenden konnte. Ein Törtchen machte sich selbstständig und kullerte über den Flurboden.

„Mensch, Ben, pass doch auf“, zischte Mia.

„Ja, ist ja gut. Ist für Sie, Herr Thomas“, lachte Ben.

„Ho, ho, ho…“, knurrte dieser und legte nach: „Ich mag keine Muffins, ich mag nur Törtchen!“

Im gleichen Moment öffnete sich die Tür. Ohne dass die Frau irgendetwas sagen konnte, kreischte Mia: „Herzlich willkommen! Wir sind eure Nachbarn!“ Schon war sie in die Wohnung gestürmt. Ben jagte mit den Törtchen hinterher. Dann flog die Tür zu. Herr Thomas vernahm im Flur das Palaver, das sich in der Wohnung abspielte.

„Arrogante Pisser“, entfleuchte es ihm.

Traurig lag das Törtchen auf dem Fußboden vorm Treppenabsatz.

„Na, komm her, ich nehme dich mit“, zeigte er seine weiche Seite.

Er beschloss, nun erst einmal zu Mutti zu gehen und sie zu fragen, was es denn mit den neuen Mietern auf sich habe und warum er davon nichts wisse. Vor allem, woher sie derart plötzlich kamen, dass Mutti ihn nicht informierte, interessierte ihn.

„Das sind Brandopfer. Solchen Menschen müssen wir doch helfen! Und als sie gestern Nacht im strömenden Regen an der Pforte standen, war es meine moralische Pflicht, ihnen die Wohnung anzubieten, wo sie ja leer steht! Ich hätte Ihnen das selbstverständlich noch gesagt.“

„Und wie lange sollen sie in der Wohnung bleiben?“

„Bis sie etwas anderes haben. Bloß vorübergehend. Jetzt plustern Sie sich mal nicht so auf, es ist mein Haus, meine Wohnung und Sie sind mein Hausmeister“, verdeutlichte sie.

„Ich plustere mich gar nicht auf“, klagte Herr Thomas über die unangemessene Unterstellung. Er dachte kurz nach und an das Törtchen in seiner Hand, das er ihr schließlich reichte: „Hier, für Sie.“

Mutti strahlte.

„Sie haben selbst gebacken? Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Vielen Dank, Herr Thomas.“

„Bitte sehr.“

Er verabschiedete sich. Hämisch grinsend schlurfte Herr Thomas zurück zu seiner Trittleiter. Nach der Glühbirne wäre die quietschende Kellertür dran, die er erst vor einem Monat geölt hatte. Immerhin hatte er sich den Weg zum Abfalleimer gespart und darüber hinaus einen Pluspunkt bei Mutti gesammelt – vorausgesetzt, die Backkünste der beiden Studenten waren ähnlich groß wie ihre Arroganz. Der biedere Herr Thomas verabscheute dieses junge Volk. Hatte nur Spaß im Kopf, machte nur Lärm und Probleme. Zu unernst fürs Leben. Nichts für ihn.

Das bunte Haus

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