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Kapitel 2

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Sie saßen im Wohnzimmer, vor ihnen auf dem Tisch jeweils eine Flasche Bier. Marco hatte ein Bein über das andere geschwungen, die Hände im Schoß und musterte den wie einen Klumpen Teig in seinem Sessel klebenden Martin. Der reckte sich nach seiner Bierflasche. Nachdem er einen großen Schluck genommen hatte, fragte er Marco: „Meinst du, ich könnte den Lupo mal mitnehmen?“

„Du willst meinen Hund mit auf die Jagd nehmen“, klang Marco beinahe erschrocken.

„Klar“, zischte er halb rülpsend.

„Das ist ein Spazierhund, kein Jagdhund…“

„Vielleicht gefällt es ihm ja mit mir…“

„Nein, nein, lass mal, das ist mir zu jauker.“

„Hast du Angst, ich würde ihn erschießen?“

„Weiß man’s“, lachte Marco.

„Das ist eine Beleidigung meiner Schießkünste“, zürnte Martin gekünstelt.

„Zum Spazieren verleihe ich ihn, zum Jagen sicher nicht.“

„Dem gefällt’s sicher mit mir im Wald.“

„Dem gefällt’s sicher im Wald…“

„Was soll das denn nun heißen? Ich meine doch nur, dann wäre ich nicht so allein…“

Martin versuchte das bemitleidenswerteste Gesicht aufzusetzen, das er machen konnte. Marco entgegnete: „Magst du nicht gerade die Einsamkeit des Waldes? Ich meine, mich da an ein früheres Gespräch erinnern zu können.“

„Trotzdem wäre es bestimmt schön…“

„Du brauchst ‘nen Freund, Alter“, lachte Marco und griff nach seiner Flasche.

„Schließ nicht von dir auf andere!“

„Klar, du bist natürlich ein richtiger Mann, ein einsamer Wolf, der niemanden braucht und am liebsten allein durchs Leben streift… Nicht so ein Weichei wie ich.“

„Eben“, grinste Martin ihm zuzwinkernd.

„Ja, stimmt schon irgendwie. Hatte lange keinen mehr“, seufzte Marco und wie zur Bewältigung leerte er sein Bier.

„Magst noch eins“, erkundigte sich Martin.

„Nee, wenn’s danach ginge, hättest du nicht genug da…“

„Sag das nicht. Hätte noch Wein oder Schnaps… Bisschen depri?“

„Ich? Ach, nein, geht so. Man macht sich halt so seine Gedanken…“

„Welche Gedanken denn? Hast du mit dreißig Schiss, dass du keinen mehr abkriegst?“

Marcos Blicke kreisten durch den Raum, als suchten sie nach einer Antwort. Irgendwie war es nicht von der Hand zu weisen, was Martin ihm durch diese Frage unterstellte. Es stimmte ja, obgleich er wusste, dass es im Grunde dumm war – mit dreißig! Zugeben wollte er es trotzdem nicht. Das war ihm peinlich, zumindest vor Martin, der immer derart souverän und kontrolliert auf ihn wirkte und eine Stärke ausstrahlte, die er gerne für sich selbst beansprucht hätte. Er entschied sich daher für die Offensive: „Hast Recht. Du müsstest dir eigentlich mehr Gedanken machen.“

„Pff“, blies Martin in die Luft, als wolle er sagen, wie Marco bloß auf solch einen Quatsch kommen konnte – er, Martin, doch nicht! In diese Richtung äußerte er sich dann auch: „Wenn ich es wollte, hätte ich längst einen. Aber, glaub mir, das ist nichts für mich.“

„Willst du dein Leben lang allein hier hocken“, gab Marco zu bedenken.

„Ich versteh die ganzen jungen Burschen nicht, die wie du schon Torschlusspanik haben…“

Marco schien zu überlegen. Er beneidete Martin für seine Abgeklärtheit, dieses Gelassene. All das hatte Marco nicht. Er kam sich neben seinem Kumpel vor wie ein Kind oder, schlimmer, wie ein weinerliches Weib. Martin setzte noch einen drauf: „Ein richtiger Mann macht sich da keine Gedanken.“ Und um dies zu unterstreichen, ließ er seinen rechten Bizeps spielen, der sich trotz des dicken Pullovers sehr gut abzeichnete. ‚Was ein Macho‘, ging es Marco durch den Kopf.

„Ich brauche das nicht. Engt mich zu viel ein“, fuhr Martin fort.

„Ja, ich habe es kapiert“, giftete Marco und wunderte sich selbst über seine plötzliche Gereiztheit.

Martin staunte nicht schlecht, nickte leicht: „Junge.“ Er grinste – sein souveränes Grinsen, das dem Gesprächspartner unweigerlich signalisierte, wer hier im Zweifelsfalle jederzeit dominieren würde, falls es sein müsste.

„Wie sieht’s denn bei dir im Moment aus“, hakte Marco nach.

„Womit?“

„Na, ob du jemanden hast…“

„Meinst du die Frage ernst“, wirkte Martin fast empört.

„Klar, sonst würde ich sie nicht stellen…“

„Ich habe immer jemanden.“

„Verstehe. Aber nur so, keine Liebe?“

„Ach, Marco, hör doch damit auf! Das macht es nur kompliziert.“

„Mann oder Frau? Bei dir weiß man’s ja nie…“

Martin lachte: „Beides.“

Marco verzog den Mund und schaute auf das ihm gegenüberhängende Bild, das eine Waldlandschaft mit zwei Hirschen zeigte. Martin hatte einen eigenartigen Geschmack, fand er.

„Also bleibst du bei deinem Nein“, erkundigte sich Martin, als er bemerkte, dass Marco seine Hirsche betrachtete.

„Bei welchem Nein?“

„Dass ich Lupo nicht mal für die Jagd kriege…“

„Nein, du kriegst meinen Hund nicht. Weiß gar nicht, was du mit dem auf der Jagd willst. Jagdhunde müssen doch ausgebildet werden“, verschwamm sein als Behauptung gedachter letzter Satz zu einer Frage.

„Ja, stimmt schon. War eh mehr ein Witz… Jetzt noch ein Bierchen?“

„Du, nee, ich glaub, ich muss langsam los, gleich zehn… War nett.“

Marco erhob sich und Martin begleitete seinen Freund zur Türe. Als er dort stand und ihm nachsah, wehte ein kühler, frischer Nachtwind vom Fluss herauf. Martin griff in die Taschen einer unweit hängenden Jacke. In einer müsste noch ein Päckchen Zigaretten liegen. Er rauchte nicht oft, manchmal gar nicht am Tag, nun jedoch brauchte er eine. Er wusste nicht, ob die nächtliche Luft Schuld war oder das Gespräch mit Marco. Er kramte nach dem Feuerzeug, zündete die Zigarette an und stieg einige Stufen hinab bis zum Kirschbaum. Von hier aus beobachtete er den Verkehr auf der am Haus vorbeiführenden Bundesstraße. Jeder Zug entspannte ihn ein wenig mehr und es war, als verflüchtige sich mit dem Rauch auch sein Kummer, den er hatte, aber nie zugegeben hätte, nicht vor Marco, nicht vor sich selbst. Er besaß alles, was jemand in seinem Alter besitzen konnte, nur der eine, der besondere Mensch, der fehlte ihm. Unverständlich eigentlich. Ausgerechnet Martin besaß ihn nicht! Er drückte –unbewusst den Kopf schüttelnd – die Zigarette an der Baumrinde aus und nahm die Kippe mit ins Haus. In wenigen Stunden würde bereits sein Wecker rasseln…

Der Nomade

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