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Kapitel 3

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Er hatte das Geschäft erfolgreich abschließen können: Ein Autoliebhaber, der einen alten Mercedes Benz 170V W136 wieder in Schuss bringen wollte, benötigte dafür etliche Ersatzteile, die Martin ihm besorgte. Leider fiel die Sache nicht ganz so lukrativ aus wie erwartet, aber eine kleinere Gewinnmarge hatte Martin natürlich einkalkuliert.

Auf dem Rückweg vom Ruhrgebiet machte er an einer Raststätte Halt, pfiff sich eine Currywurst mit Pommes rein und ärgerte sich gleich, dass er seine überzähligen Kilos so nie loswürde. Schließlich fiel ihm eine Frau am Tisch gegenüber auf, die – vor einem Teller Salat sitzend – andauernd zu ihm glotzte. Sie hatte was, obwohl sie deutlich älter als er wirkte, was Martin normalerweise nicht sonderlich schätzte, aber hier, an ihr, er wusste nicht was, aber das etwas da war, o, Mann, sie machte ihn scharf! Gerade als er sich anschickte, zu ihr zu gehen, plumpste ein kräftiger Typ auf den Stuhl an ihrem Tisch. Martin blieb sitzen. War wohl nix. Dann eben ein andermal mit einer anderen. Er schlang die restlichen Fritten hinunter und überlegte, ob er nach der Wurst nicht noch Lust auf Amanda hätte. Er wischte auf seinem Smartphone herum, das neben seinem Teller lag, doch war keine Nachricht von ihr eingegangen und dass Martin sie gefragt hätte, das wäre nicht vorgekommen. Er fragte nie, er ließ fragen, damit bloß niemand glaubte, er hätte es nötig.

Als er alles vertilgt hatte, stand er auf und trug sein Tablett fort. Auf dem Weg zur Abgabe zwinkerte er der Frau am Nachbartisch zu, deren Augen auf ihm hafteten, als suchten sie das Gespräch, während sie bereits die Antwort auf seine ungestellte Frage gegeben hatten. Sie nickte nur. Er ging zu den WCs, wo er mit angelehnter Tür in einer Kabine wartete. Keine halbe Minute später betrat jemand den Raum. Er erkannte sie durch den Spalt und zog sie zu sich in die Kabine, schloss die Tür. Ohne ein Wort stießen ihre Lippen aufeinander. Sie schmeckte nach der Knoblauchsoße ihres Salates, er nach Curryketchup. Bald schon drückte er sie sachte, jedoch entschlossen auf die Knie, öffnete seine Hose und spürte ihre heißen Lippen, die sich um sein sich erhärtendes Glied legten…

Als er in seine Hofeinfahrt bog, wäre er am liebsten gerade wieder umgekehrt: Das Auto seiner Mutter parkte neben dem Kirschbaum. Vermutlich hockte sie längst in seiner Küche – wie häufig hatte er sich selbst dafür verflucht, dass er ihr damals einen Schlüssel gegeben hatte! Ein unverzeihlicher Fehler! Besonders bei seiner Mutter, diesem Besen, die in ihm immer noch nicht den Mann sah, der er war, sondern den kleinen Jungen, ihren kleinen Jungen, dem sie glaubte sagen zu müssen, was gut und was schlecht für ihn sei. Mürrisch trat er ins Haus. Seine Befürchtungen bestätigten sich: Kaum schlug die Tür zu, rief es aus der Küche: „Martin?!“

Er warf mürrisch seine Tasche auf die Kommode und schlenderte in die Küche, mehr wie ein misshandelter Hund als wie der Herr des Hauses. Dort saß sie am Tisch, hatte sich einen Kaffee gekocht, als sei es ihre Maschine, ihr Kaffee und ihre Tasse, ein Löffelchen hatte sich auch gefunden und die Zuckerwürfel, deren sie stets drei versenkte, bevor sie ein Viertel der Tasse mit Milch füllte.

„Na“, grüßte Martin, nicht recht wissend, ob er stehen bleiben oder sich setzen sollte.

„Hallo. Setz dich doch“, sagte sie, wies auf einen Stuhl und nun wusste er endlich, was er sollte.

„Was treibt dich her“, erkundigte er sich.

„Ich muss einfach hin und wieder nach meinem Erstgeborenen sehen“, spöttelte sie.

„Soweit ich weiß, bin ich auch dein Einziggeborener…“

„Ja. Wäre dir Letztgeborener lieber gewesen?“

„Das ist sicher nicht der einzige Grund…“

„Nein. Bertolt ist im Krankenhaus. Ich war in der Gegend.“

„Was hat er“, frage Martin regungslos.

„Das Übliche. Herz.“

„Gut.“

„Interessiert dich doch sowieso nicht“, blaffte sie ihn an. Martin hasste seine Mutter für ihre Ruppigkeit und ihre Staccato-Sätze, die sie abfeuerte wie Maschinengewehrsalven.

„Richtig. Es ist dein Mann, nicht meiner.“

„Du hast ihn nie als Vater akzeptiert!“

„Er ist nicht mein Vater. Mutter, ich habe keine Lust auf diese ewigen Diskussionen…“

Sie legte ihre Hände auf seinen linken Handrücken, versuchte ihm in die Augen zu schauen, doch blickte er weg: „Ach, Martin, wenn ich gewusst hätte, dass dich unsere Trennung damals so sehr mitnehmen würde…“

„Wie kommst du denn jetzt darauf“, er befreite zornig seine Hand.

„Ich spüre es.“

„Ach!“

„Ja. Hast du mittlerweile jemanden?“

„Wen soll ich haben?!“

„Eine Freundin? Einen Freund? Weiß man bei dir ja nicht.“

Sie nervte ihn. Einfach grässlich diese Frau. Sie verstanden sich hervorragend, wenn mehr als dreißig Kilometer zwischen ihnen lagen, zusammen am Küchentisch hingegen – das ging gar nicht! Er holte tief Luft und erwiderte: „Nein, das weiß man bei mir nicht. Im Zweifelsfall beides…“

Sie seufzte. Sie wünschte sich gefestigte Verhältnisse, eine nette Schwiegertochter, Enkel, eine richtige Familie. Notfalls hätte sie auch einen Schwiegersohn akzeptiert, damit hatte sie sich zwischenzeitlich abgefunden, wenngleich es ihr schwergefallen war. Sie schmerzte das Leben des Sohnes, weil sie nicht glauben konnte, dass er glücklich war, geschweige denn glücklich würde. Er mochte behaupten, was er wollte, sie fühlte, dass er sie mit jedem Satz, mit jedem Wort belog und es peinigte ihr Mutterherz zu wissen, dass das eigene Kind nicht die Wahrheit sprach und die Mutter für dumm hielt.

„Ach, Martin“, sagte sie sanft, ungewöhnlich sanft für ihre Verhältnisse.

„Mutter, es ist genug jetzt. Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe.“

„Das glaube ich nicht, Martin“, wurde ihr Ton aggressiver.

„Glaub, was du willst. Kommst du alle zwei Wochen, um mich zuzulabern?“

„Wenn es was nützen würde, käme ich jede!“

„Dann kann ich ja froh sein!“

„Du bist bald vierzig…“

„Und? Ich hab‘ ein Haus, Autos und kann mir das leisten, was ich will. Und Sex hab‘ ich auch genug!“

„Ich will nur dein Bestes!“

„Lass mich das selbst entscheiden“, keifte Martin.

Sie schüttelte den Kopf und stürzte ihren Kaffee herunter. Es wurde Zeit, dass sie fuhr. Sie würden heute kein normales Gespräch mehr führen können. Sie stellte die Tasse auf die Spüle und verließ wortlos die Küche. Kurz darauf rumste die Haustür. Ein Wagen im Hof sprang an. Martin schlug die Hände im Nacken zusammen. Jetzt hätte er für zwei Wochen Ruhe – hoffentlich, sofern sie es sich nicht anders überlegte und nächste Woche erneut auftauchen würde.

Der Nomade

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