Читать книгу Bollhammer und der Tod im Feld - Jan Nadelbaum - Страница 4

Kaffee bei Bollhammer

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Hugo hatte den Terrassentisch gedeckt. Wie Margot lebte er seit geraumer Zeit allein. An die Frau, die er in jungen Jahren wohl geehelicht hatte, erinnerte er sich nicht mehr. Zwei Kinder waren aus dieser Verbindung hervorgegangen: Sohn Friedrich, der in der sächsischen Staatskanzlei arbeitete und der im Großen und Ganzen sehr nach Hugo schlug sowie Tochter Maria Theresia, die nach ihrer Mutter kam und als Kulturdezernentin der Stadt Duisburg das an Kultur zu retten versuchte, was noch zu retten möglich schien. Beide verhielten sich zueinander wie Feuer und Wasser. Hugo selbst war promovierter Historiker und überwiegend an der Uni beschäftigt – wie er vermutete, hauptsächlich damit die heutige Generation Studenten auch noch einmal eine Vier kassierte oder gar durchfiel. Er passte im Grunde absolut gar nicht in die Schickimickifriedefreudeeierkuchenwirhabenunsallelieb-Studentenwelt. Er war so etwas wie der Staubsauger zwischen all den rosa Wölkchen. Hätte Molière eine Vorlage für seinen Misanthropen gebraucht, er hätte wahrscheinlich keine bessere als Hugo Bollhammer finden können, den Sarkasmus in Menschengestalt.

Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Miesepeter hatte er sich der Imkerei verschrieben, einer Freizeitbeschäftigung, der er sich seit seinen Jugendtagen widmete. Es lag demnach auf der Hand, dass er einen Bienenstich gebacken hatte, der nun verlockend auf dem Tisch thronte und sicherlich mehr auf Margot wartete als Hugo, welchem allmählich Veilchenduft in die Nase stieg. Er schnüffelte. Sie musste im Anmarsch sein. Margot hatte anscheinend alle Veilchenparfümbestände der Reichswehr aufgekauft, nachdem diese ab 1925 als Biowaffen unter das Genfer Protokoll gefallen waren. Nun würde es noch ein bis zwei Minuten – je nach Windrichtung – dauern, bis sie bei ihm aufschlüge. Hugo ging in die Küche und holte die Kaffeekanne. Kurz darauf flipfloppte Margot, eine rote Kugel mit weißen Herzchen, ums Haus in Richtung Terrasse.

„Hallo Hugo! Ist das ein Wetterchen! Ich kriege kaum Luft“, stöhnte sie.

Hugo hob eine Augenbraue und entgegnete trocken: „Bin mir jetzt nicht sicher, ob es am Wetter liegt oder an den beengten Verhältnissen…“ Dabei wanderten seine Augen stetsfort auf und ab, Herzchenbluse, Flipflops, Flipflops, Herzchenbluse, Herzchenbluse, Flipflops, Flipflops, Herzchenbluse, Margots dicker roter Mund. Linke Wange, rechte Wange: „Lass dich mal drücken, Hugo.“

Hugo hasste jede menschliche Berührung, doch stand er wie betäubt festgewurzelt und ließ das Begrüßungsprozedere über sich ergehen. Margots Augen wichen dabei lediglich kurz von dem prächtigen Kuchen auf dem einladend gedeckten Tisch. Noch weniger als Hugo konnte sie es erwarten, sich endlich zu setzen. Mit einem Schnaufen plumpste sie alsdann auch auf den Stuhl und ließ sich von Bollhammer ein ordentliches Stück auf den Teller bugsieren.

„Der sieht ja wieder toll aus, Hugo!“

„Das tut er doch immer, Margot.“

Ein wenig ängstlich nahm er ihr gegenüber Platz, stets skeptisch die mehr als gespannte Bluse beäugend. Margots Brustwarzen bohrten sich wie zwei Messerklingen durch den dünnen Stoff. Eher unterbewusst drehte er seinen Stuhl ein wenig zur Seite, sicher aus Furcht davor, von einem sich möglicherweise befreienden Knopf erschossen zu werden.

„Jetzt geht es wieder mit der Luft ein wenig“, sprach sie und ihr barocker Körper bebte dabei wie nach einer großen Anstrengung.

Bollhammer verkniff sich ein Grinsen und schenkte ihr stattdessen scheinbar gleichgültig Kaffee ein. Er bemerkte ihr nervöses Fingertippeln auf den Stuhllehnen. Das hatte sie immer, wenn sie unbedingt etwas erzählen wollte. Wird schon noch rausrücken mit der Sprache, dachte er und sparte sich die Nachfrage. Doch dann warf ihn eine Frage völlig aus der Bahn:

„Haste vielleicht Milch?“

„Milch“, glotzte er sie verdattert an.

„Ja, für in den Kaffee.“

„Aber du trinkst den Kaffee doch sonst immer ohne…“

„Nur weil ich mir das Fett sparen möchte. Darauf kommt es mir allerdings heute nicht an.“

„Das Tröpfchen macht’s ohnehin nicht“, brummte Bollhammer.

„Sag doch gleich, dass ich fett bin!“

„Das weißt du doch, Margot. Ich gehe sie dir holen.“

Er stand vollkommen ungerührt auf und schlurfte ins Haus. Margot verging sich unterdessen ebenso ungerührt an ihrem Kuchenstück. Eine kurze Weile darauf erschien er mit der gewünschten Milch, reichte sie Margot und ließ sich erneut nieder. Er konnte die Augen nicht von den weißen Herzchen lassen und sagte plötzlich:

„Sag mal, fehlt da nicht ein Knopf, der vorhin noch da war?“

„Wo?“

„Bei deiner Bluse, der vierte von oben…“

Margot strich über ihren Bauch, schüttelte den Kopf und sagte nur:

„Nein, das täuscht.“

Wie zur Bekräftigung wandte sie sich wieder dem Bienenstich zu.

„Schmeckt fantastisch, Hugo.“

Dieser nickte und konnte ihrer Aussage bezüglich des Knopfes absolut keinen Glauben schenken. Er hätte sein Vermögen darauf verwetten können, dass da ein Knopf fehlte! Sei’s drum, ob Knopf oder nicht Knopf – das war nun nicht die Frage, zumindest vorerst nicht. Margot tippelte jetzt mit den Fingern der Hand, die nicht die Gabel hielt, auf dem Tisch herum. Hugo wusste, dass es ihn in nicht mehr allzu langer Zeit nerven würde. Er überwand sich:

„Was hast du denn? Du willst mir doch irgendwas erzählen…“

Als hätte sie bloß auf diese Frage gewartet, legte Margot behutsam die Gabel auf den Teller, ließ von ihrem Kuchenstück ab und lehnte sich in den Stuhl zurück. Dann fiel der Satz aus ihr heraus: „Der Björn ist tot.“

Bollhammer nickte sachte: „Weiß ich.“

Margot riss die Augen auf: „Woher?!“

Es mutete an, als sei die Tatsache, dass Hugo es schon wusste, weitaus gravierender als der eigentliche Inhalt ihrer Botschaft. Aber er musste es tatsächlich wissen – sonst hätte er vermutlich zuerst einmal gefragt, um welchen Björn es sich denn handelte.

„Von Rosemarie.“

„Die hat mich vorhin auch angerufen!“

„Ja, mich auch.“

„Was wollte die von dir?“

Ausgerechnet Rosemarie! Margot hätte es sich ja denken können! Aber weshalb rief sie Hugo an? Doch nicht nur, um ihm zu erzählen, dass Björn tot sei! Obwohl… Es ist Rosemarie, dachte Margot, die ruft wegen so etwas an. Hugos Antwort indes beschwichtigte sie ein wenig:

„Sie wollte wissen, ob ich schon Honig hätte.“

„Achso. Ja, aber stell dir mal vor: Ermordet! Hier bei uns in Winkelroth!“

„Ja“, antwortete Bollhammer selbst für seine Verhältnisse reichlich teilnahmslos.

„Mit einem Meißelstock!“

„Stockmeißel“, korrigierte er.

„Ja, oder damit. Man ist nirgends mehr sicher! Nicht einmal bei uns in Winkelroth“, konnte Margot es kaum fassen.

Bollhammer nippte an seinem Kaffee und entschloss sich, als er merkte, dass er bereits abgekühlt war, zu einem größeren Schluck. Er verzog die Miene.

„Schmeckt er nicht? Ich habe ihn noch nicht probiert. Du hast ihn gekocht“, betonte Margot.

Bollhammer starrte sie mürrisch an. Er knautschte den Mund, öffnete die Lippen einen kleinen Spalt weit und es kullerte ein Knopf auf seinen Teller. Margot streichelte stumm über ihren Bauch und über die Stelle ihrer Bluse, wo ein Knopf zu fehlen schien… Als sei nichts geschehen, entgegnete er:

„Der Kaffee schmeckt.“

„Sie sollen ihn heute Morgen gefunden haben“, griff Margot das vorangegangene und sie viel mehr als den Kaffee interessierende Thema wieder auf. „Im Feld bei seinen Bienen!“

„So hat es Rosi zumindest erzählt“, merkte Hugo an, der es zwar für glaubwürdig hielt, jedoch Rosemarie keineswegs immer alles glaubte.

„Ja, ja, muss recht früh gewesen sein…“

„Das ist gut möglich. Der frühe Morgen ist die beste Zeit, um an den Bienen zu arbeiten.“

„Aber wer ist denn morgens schon bei Björn an den Bienen“, warf Margot aufgeregt ein.

„So gut kenne ich ihn nicht. Ich habe lieber meine Ruhe und mag kein Gequatsche am Stock“, brummte Bollhammer.

„Ja, du! Aber irgendjemand muss doch bei ihm gewesen sein. Die Bienen haben ihn sicher nicht erstochen. Oder wurde er erschlagen?“

„Erstochen, sagte Rosi.“

„Ich dachte erschlagen…“

„Erstochen“, beharrte Hugo. „sagte sie zumindest… Je nach Modell haben Stockmeißel an einem Ende einen gezackten Haken. Damit müsste es gehen“, überlegte er und fügte, wie zur Bestätigung, hinzu: „Ja, ja“, um sich gleich darauf selbst zu widersprechen: „Aber erschlagen könnte ich mir auch vorstellen“, und konstatierte schließlich wissenschaftlich trocken: „Am Ende war er zumindest tot.“

„Ja, das war er… Von Stockmeißeln habe ich keine Ahnung“, gestand Margot.

„Weiß ich.“

Er rührte in seiner Kaffeetasse, obwohl sich der Zucker längst aufgelöst und er zuvor ja bereits einen Schluck getrunken hatte. Wahrscheinlich wollte er bloß ausschließen, dass nicht ein zweiter, natürlich nicht von Margots Bluse stammender Knopf auf dem Grund der Tasse dümpelte. Margot lud sich währenddessen ein weiteres Stück Bienenstich auf den Teller. Iss nur, dachte Hugo, hast ja jetzt wieder mehr Platz und die anderen Knöpfe kriegen wir auch noch in meiner Tasse unter. Und voller Wonne stach Margot mit der Gabel die Spitze ihres Kuchenzwölftels ab, welche in Sekundenbruchteilen hinter den dickbemalten roten Lippen verschwand.

„Wer hat ihn eigentlich gefunden“, sprudelte es plötzlich aus Bollhammer heraus.

Margots Augen fingen an zu glänzen, ja, das Glänzen wurde zu einem wahrhaftigen Funkeln! Da wusste sie tatsächlich einmal mehr als Hugo! Sie schluckte ihren lediglich halbzerkauten Bissen hinunter und verschluckte sich an einer Mandel. Schnell goss sie etwas Kaffee nach, hustete, prustete, schnappte nach Luft, nahm noch etwas Kaffee, aber den verteilte sie ebenso flott wieder auf Hugos Terrasse. Dieser begann zu schimpfen:

„Mensch, Margot! Was gibt das denn für eine Schweinerei?!“

„Hugo! Ich ersticke“, schrie sie mit errötetem Kopf.

„Aber nicht auf meiner Terrasse!“

„Hugo! Ich kriege keine Luft mehr!“

„Doch, geht doch schon wieder!“

Sie blickte ihn verdutzt an, fuhr mit der Hand über ihren Hals, griff dann in ihre Tasche, aus der sie ein Taschentuch zog um sich die Schweißperlen auf der Stirn abzutupfen. Dabei verwischte sie ihren Kajal, der die beiden Augenbrauen fortan durch einen blasschwarzen Querbalken verband. Anschließend schaute sie in ihre Tasse und meinte:

„Ich habe keinen Kaffee mehr.“

Bollhammer – ganz Kavalier – schenkte ihr aufs Neue ein und als hätte er damit für seine Verhältnisse nicht schon genug Fürsorge gezeigt, ließ er einen Löffel Zucker in ihre Tasse rieseln, guckte kurz zu ihr um sich zu vergewissern, ob dieser kleine, winzige, allzu dürftige Löffel Zucker ihre Lust auf Süße bereits befriedigt hätte und wusste gleichwohl – was ihm spätestens durch ihr andauerndes Nicken signalisiert worden wäre –, dass dieser eine nicht genug gewesen war. Es folgte ein zweiter, allerdings nickte Margot weiter.

„Mensch, Hugo, hau mal wat Ordentliches rein in die Tasse!“

Er gehorchte und schien zugleich erstaunt, wie viele Löffel Zucker sich in einer Tasse Kaffee lösen konnten. Die Milch kippte Margot schließlich selbst nach – Hugo war ihr zu langsam. Sie schlürfte genüsslich an ihrer gezuckerten Milch mit Kaffeegeschmack. Dabei gewannen ihre Augen wieder dieses Funkeln zurück und endlich sagte sie:

„Die Svetlana. Die hat ihn gefunden.“

Bollhammer kniff ein Auge zusammen: „Die Svetlana?“

„Ja, Björns Frau.“

„Die heißt nicht Svetlana…“

„Nein? Wie denn?“

„Mir fällt es gerade auch nicht ein“, gab er zu.

„Hast Recht“, stimmte Margot ihm zu. „Svetlana heißt die nicht… Olga!“

Sie stellte stolz und von sich überzeugt mit einem Siegerlächeln die Tasse zurück auf den Tisch.

„Nee. Olga heißt die ebenfalls nicht. Aber es war was Ausländisches!“

Die beiden grübelten. Dann hatte Bollhammer eine Idee:

„Irina!“

„Nein, Hugo, ich meine sogar, es wäre nichts mit A am Ende gewesen…“

Sie grübelten weiter. Nach einer Weile rief Margot unverhofft:

„Elena!“

„Das ist es! So heißt sie“, bestätigte Hugo beinahe erleichtert und fügte sarkastisch hinzu: „Da wäre ich nie draufgekommen: Griechischer Frauenname, fünf Buchstaben, Endung auf O.“

„Nein, Elena! Sonst wäre es doch Eleno“, hatte Margot seine Anspielung nicht auf Anhieb verstanden.

Hugo rollte mit den Augen.

„Ach, so meinst du das! Ja, das kommt von der Hitze heute“, entschuldigte sich Margot und fuhr mit der Hand über die Stirn, wodurch sie den Kajal nun gleichfalls auf ebendieser verteilte. Daraufhin wandte sie sich erneut ihrem Kuchen zu. Bollhammer grinste vor sich hin und bemühte sich, dass Margot ihn nicht mit ihrem zweiten Stück bei seinem ersten überholte.

Bollhammer und der Tod im Feld

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