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Bollhammer braucht Brahms

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Wenn er einmal ins Grübeln geriet, hörte er so schnell nicht mehr damit auf. Das Päckchen vor sich auf dem Esszimmertisch liegend, brütete er über dessen Inhalt. Ihm missfiel die Vorstellung, weil er Björn so etwas nie zugetraut hätte. Es ist bei Ablegern die Regel, dass man zufüttert, der eine macht’s mit Zuckerwasser, der andere mit Futterteig, jeder hat da so seine Rezepte. Aber das Päckchen lag ja – ganz bewusst – durch eine Holzplatte separiert in der oberen Zarge. Die Bienen in der unteren hätten ihr Futter folglich nie erreicht, abgesehen davon, dass bei dem Päckcheninhalt höchstwahrscheinlich eh nicht von Bienennahrung ausgegangen werden konnte, sondern vielmehr von irgendeinem Rauschmittel. Klar, vielleicht ist es Mehl, lachte Hugo innerlich und dachte direkt im nächsten Augenblick darüber nach, wo er mit dem Zeug nun hin sollte. Er sollte es umgehend der Polizei melden, dämmerte es ihm. Und wenn es doch nicht das war, wofür er es hielt? Dann würde sich halb Winkelroth über Dr. Hugo Bollhammer weidlich amüsieren, der ein Päckchen Mehl oder Puderzucker als Drogenfund deklariert und abgegeben hätte.

„Nee, Hugo, du wartest zuerst mal ein bisschen“, beruhigte er sich.

Da fiel ihm ein, dass er noch etwas für sein morgiges Seminar vorbereiten musste – eine willkommene Ablenkung. Er schob die Plastiktüte mitsamt Päckchen beiseite, wollte sich gerade erheben und seine Arbeitsmaterialien holen, als ihm der Gedanke kam, seinen Fund besser zu verstecken, solange wie er ihn bei sich zu lagern beabsichtigte. Er schnappte sich das Päckchen und verließ den Raum.

Kurze Zeit darauf betrat er ihn wieder, irgendwie erleichtert und ohne Päckchen. Er knallte einige Bücher auf den Tisch, einen Schreibblock, Stifte und rülpste. Immer diese Kohlensäure! Dann schaute er kurz auf den Themenplan seines Seminars Parteien in der Weimarer Republik. Morgen sollte es um die DVP im Spannungsfeld zwischen Antirepublikanismus und Vernunftrepublikanertum gehen. Hugo las wohlwollend die vor einiger Zeit angefertigten Notizen und befand sie zu seiner Freude als ausreichend.

„Die Sitzung hast du gut vorbereitet“, lobte er sich selbst, schlug alles wieder zu und legte sich aufs Sofa im Wohnzimmer. Auf dem Weg dorthin nahm er die Fernbedienung seiner Stereoanlage an sich. Seufzend breitete er sich auf dem eigentlich zum Sitzen konzipierten Möbelstück der Länge nach aus und betrachtete die mit Holzpanelen verkleidete Decke. Er tastete nach der auf dem kleinen Wohnzimmertischchen zwischengelagerten Fernbedienung, schielte kurz unter seiner Brille hinweg, ob er auch den richtigen Knopf traf, drückte ihn und legte sie zurück auf ihren vorherigen Platz. Das Gerät summte. Bollhammer schloss die Augen. Brahms. Gesang der Parzen. Es fürchte die Götter das Menschengeschlecht. Hugo genoss es. Für andere eine Qual der Ohren, eine Folter des Gehörs, für ihn, Bollhammer, pure Entspannung. Er tastete erneut nach der Fernbedienung – lauter, bloß lauter! Klassik muss man laut hören! So sangen die Parzen. Es horcht der Verbannte in nächtlichen Höhlen, die Alte, die Lieder, denkt Kinder und Enkel und schüttelt das Haupt und Hugo schnarchte genüsslich dahin...

Bollhammer und der Tod im Feld

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