Читать книгу Romica und Julio - Jan Riebe - Страница 6
Szene 2
Оглавление»Der König kommt!« rief jemand. »Der König kommt!«
Mit einmal fand sich Apfelkern in einem Pulk von Menschen wieder, die eben noch still auf den Bänken der Schule gesessen hatten und jetzt in Richtung der Südstraße drängten.
»Der König kommt!« Es wurde gerufen, geraunt, gemunkelt.
»Der König kommt!« Aus den Häusern kamen Männer und Frauen gestakst. Einen Augenblick lang sah Apfelkern ihren Vater mit seiner geblümten Kaffeetasse vor sich im Gedränge, eine Hand an der Backe, als hätte er sich selbst geohrfeigt und dabei nicht an den Sekundenkleber an seiner Hand gedacht, dann war er hinter dem korpulenten Metzger verschwunden.
Noch nie hatte Apfelkern die Straßen so voll erlebt. Es schien, als hätte sich nicht nur jeder aus dem Dorf eingefunden, sondern hätte noch ein paar Verwandte aus dem Küchenschrank gezogen, die sonst nie das Licht des Tages sehen durften.
»Der König kommt!«
Einmal, so erzählt man sich, war der König im Tal gewesen. Lange vor Apfelkerns Geburt war das gewesen. Wahrscheinlich sogar lange vor der Geburt von Apfelkerns Eltern und vielleicht sogar vor der Geburt Elisabeths. Es hieß, er sei in einer Kutsche ganz aus Gold gekommen. Der Tross seiner Diener sei so lang gewesen, dass der letzte erst Tage nachdem der König wieder abgereist war das Dorf passierte. Was auch immer der König berührt habe, sei zu Gold geworden, und als er die Schule besichtigteund den fleißigsten Schüler gesehen hatte, hatte er ihn umgehend zum Außenminister ernannt.
Man erzählte sich so einiges über den König, viel mehr als ein Buch von respektablem Umfang zu fassen vermag. Doch wenn er nun wirklich kam, wollte ihn auch Apfelkern sehen und wenn schon alleine nur, um zu wissen, was wahr war an den Geschichten und was nicht.
Am letzten Haus stockte die Menge. Reiter versperrten den Weg. Apfelkern sah von ihnen nur Schultern und Helm. Die Pferde waren verdeckt von den Leuten vor ihr. Von hinten drängten weitere nach, und es wurde immer enger. Sie reckte den Hals, doch es half nichts. Sie konnte nicht sehen, wer dort kam.
Wenn sie genau hinhörte, konnte sie unter dem vielstimmigen Geschnatter Huftritte hören.
Mit einem gemurmelten »Entschuldigung«, quetschte sie sich zwischen die beiden Männer, die vor ihr standen, und bekam wütende Blicke zugeworfen.
»Apfelkern!«
Sie sah sich um.
»Hier oben!«
Es war Julio. Mit Arthur und Klaudius, Raufsäcke von der Burg, von denen er sich früher zumeist ferngehalten hatte, saß er auf dem Dach des nächsten Hauses und winkte sie heran.
Apfelkern musste gegen den Strom gehen, um zu ihm zu gelangen. Zuerst kam sie kaum dagegen an. Es war, als wäre sie im Moor versunken und versuchte sich auszugraben. Dann wurde es immer einfacher. Wie eine Luftblase unter Wasser schnellte sie an die Oberfläche und erreichte ihr Ziel.
Das Hufgetrappel war jetzt lauter.
»Da! Die Kutsche!« rief jemand, was ein allgemeines Stöhnen und Rempeln verursachte.
An das Hausdach gelehnt, stand eine Leiter. Zu deren Fuß redete ein Mann auf einen Wachposten des Grafen – den alten Paul in seiner verbeulten Rüstung – ein.
»Das könnt ihr nicht machen!«
»Gräfliche Order.«
»Das ist mein Haus!«
Der alte Paul hob mahnend den Zeigefinger.
»Aber es steht auf dem Grund des Grafen.
Guten Morgen, Apfelkern.«
Paul nickte ihr zu und lupfte seinen Helm, der wie eine umgestülpte Salatschüssel aussah. Er war meist in Julios Nähe zu finden, wenn der sich nicht gerade heimlich davongeschlichen hatten, was früher fast immer der Fall gewesen war.
Apfelkern schenkte ihm ein Lächeln und huschte, unter Protest des Hausherrn, die Leiter hinauf.
Meistens war es störend, dass Julio der Sohn des Grafen war. All die höfischen Verpflichtungen und Diener hatten es ihnen nicht immer leicht gemacht, alleine zu spielen. Auch mieden ihn die anderen Kinder, und ihre Eltern waren meist unsicher in Julios Nähe. Wie sollte man mit einem Kind umgehen, von dem man wusste, dass ihm einmal das ganze Tal gehören würde?
Manchmal bot sein Adel jedoch auch Vorteile.
Von der Dachkante aus war die Sicht herausragend. Ein Tross von sicher mehr als zwanzig Reitern kämpfte sich seinen Weg über die immer schlammige Straße. Es war die Sorte von ritterlichem Aufzug, für die ein Bataillon Blechbläser als Begrüßungskomitee angemessen gewesen wäre. Doch so etwas gab es im Tal nicht, und so dienten als Untermalung nur die staunenden Rufe der Menge.
Die Rüstungen glänzten blank im Sonnenlicht. In der grün- braunen Landschaft, in der sonst nur Felsen nach einem Regenschauer glänzten, wirkten sie unwirklich. Nicht einmal der Graf besaß eine glänzende Rüstung, und die Helme seiner Wachen waren so matt wie ein Nebeltag.
So weit abseits der Städte waren andere Dinge wichtig. Das Leben im Tal bestand aus Nebel und Schafen. Wollte man, dass etwas auffiel und besonders schön war, so färbte man es in leuchtenden Farben. Doch zumeist war es nicht nötig, dass sich etwas bemerkbar machte. Die Menschen kannten jeden Stein und jedes Wasserloch, und wenn etwas Aufsehen erregen sollte, so musste es nur anders sein als zuvor. Die ganze Welt hatte eine Ordnung, die sich um das Leben im Tal drehte. Die Berge, die alten Ruinen, die zwei Burgen, einander gegenübergesetzt und getrennt durch eine Schlucht, der Fluss und das Dorf. All das war schon immer da gewesen wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Hoch- und Niedrigwasser, Regen und Sonne.
»Seht ihr das Banner?« fragte Arthur Julio.
Der nickte und setzte eine kennerische Miene auf. »Es ist nicht das des Königs.«
»Ich meine drei Sterne zu sehen.«
»Also ein gräfliches Banner.«
»Vielleicht Besuch«, versuchte Apfelkern sich an dem Gespräch zu beteiligen.
Julio zog die Stirn kraus und starrte angestrengt auf die Ankömmlinge. »Vielleicht.« Es klang wie eine Drohung.
Die Reiter kamen näher und jetzt sah Apfelkern auch die Kutsche. Sie war nicht aus Gold – Wie viele Pferde man wohl benötigt hätte, um eine Kutsche aus Gold überhaupt ziehen zu können? – sondern aus Holz und mit weißer Farbe angestrichen.
»Jubelt!« donnerte der Befehl eines Reiters. »Jubelt für euren neuen Herren und Grafen! Roland der Schöne!«
Es gab hier und da Applaus, doch im Allgemeinen waren die Leute viel zu sehr mit Staunen beschäftigt, um zu jubeln, und nicht wenige machten einen eher verwirrten Eindruck, allen voran Julio.
Er kippte beinahe vom Dach, als er aufsprang. »Ihr!« rief er dem Reiter zu. »Was sind das für Lügen? Es gibt hier schon einen Grafen.«
Doch seine Anklage ging unter im Donnern der Hufe. Die Ritter umrundeten die Zuschauer einmal und bildeten ein Spalier für die Kutsche. Dass sie dabei Erde aufwühlten, die beim nächsten Regen zu einer undurchdringlichen Schlammschicht aufweichen würde, schienen sie nicht zu beachten.
Die Kutsche hielt. Es wurde still. Nur das Schnaufen der Pferde war noch zu hören und das Grummeln von Julio neben Apfelkerns Ohr. Dann sprang der Kutscher vom Bock – seine Stiefel rasselten – und öffnete die Türe.
Ein weißer Handschuh schlängelte sich vor. Ein Mädchen stieg aus der Kutsche. Ihr Kleid, das im Wind seicht tanzte, war von einem blassen Blau. Ebenso ihr Lidschatten. Apfelkern fand, dass er etwas zu dick aufgetragen war, doch sie musste zugeben, dass sie noch nie Schminke von einer so klaren Farbe gesehen hatte.
Die Fremde setzte ihren ersten Fuß in den Schlamm. Ihre Schuhe waren nicht dafür gemacht einen Boden wie diesen zu betreten, doch wie zum Trotz, bewahrte sie eine aufrechte Haltung. Die Fremde mochte kaum älter sein als Apfelkern. Sie warf einen Blick auf die gaffende Versammlung, und obwohl zwischen ihnen mehr als zehn Meter lagen, erkannte Apfelkern das herablassende Funkeln darin.